Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 44 AS 250/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 607/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Willenserklärung (hier ein Leistungsantrag nach § 37 SGB II) ist dann zugegangen, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen.
2. Nach den allgemeinen Regeln zur objektiven Beweislast gilt der Grundsatz, dass jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Für den Zeitpunkt des Einganges des konstitutiv wirkenden Antrages auf Leistungen nach dem SGB II tragen danach die Kläger die objektive Beweislast.
3. Es fehlt an der für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erforderlichen Kausalität, wenn trotz eines
nicht oder nicht in ausreichendem Maße erfolgten Hinweises auf die Notwendigkeit eines Fortzahlungsantrages für Leistungen nach dem SGB II behauptet wird, die Antragstellung sei noch vor Ablauf des aktuellen Bewilligungszeitraumes erfolgt.
2. Nach den allgemeinen Regeln zur objektiven Beweislast gilt der Grundsatz, dass jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Für den Zeitpunkt des Einganges des konstitutiv wirkenden Antrages auf Leistungen nach dem SGB II tragen danach die Kläger die objektive Beweislast.
3. Es fehlt an der für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erforderlichen Kausalität, wenn trotz eines
nicht oder nicht in ausreichendem Maße erfolgten Hinweises auf die Notwendigkeit eines Fortzahlungsantrages für Leistungen nach dem SGB II behauptet wird, die Antragstellung sei noch vor Ablauf des aktuellen Bewilligungszeitraumes erfolgt.
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 18. März 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten der Kläger sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis zum 17. Oktober 2007.
Der 1980 geborene Kläger zu 1 ist türkischer Staatsangehöriger und besitzt eine Aufenthaltserlaubnis. Zusammen mit seiner 1983 geborene Ehefrau deutscher Staatsangehörigkeit, der Klägerin zu 2, bezog er seit 1. Januar 2005 von der ARGE C (im Folgenden: ARGE) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Im Jahr 2006 wurde ihre gemeinsame Tochter, die Klägerin zu 3, geboren. Vor dem streitbefangenen Zeitraum wurden ihnen zuletzt mit Bescheid vom 7. November 2006 Leistungen für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 bewilligte. Die ARGE errechnete für Dezember 2006 einen Gesamtbedarf in Höhe von 1.223,24 EUR. Bewilligt wurde für Juli bis November 2006 monatliche Leistung in Höhe von insgesamt 1.021,24 EUR und für Dezember 2006 in Höhe von 730,10 EUR.
Unter dem 10. November 2006 wurde automatisiert ein Hinweisschreiben mit Antrags-unterlagen an die Kläger übersandt, worin sie auf die Notwendigkeit eines Fortzahlungsantrages für den Fall, dass sie weiterhin Leistungen wünschen, hingewiesen wurden.
Seit 11. Juni 2005 arbeitete der Kläger zu 1 in einem türkischen Imbissbetrieb im Umfang von 14 Stunden wöchentlich und einem Bruttolohn von 160,00 EUR monatlich. Die entsprechende Veränderungsmitteilung unterschrieb der Kläger zu 1 am 5. Oktober 2005. Aus Unterlagen aus Dezember 2006 ergibt sich, dass der Kläger zu 1 seit 10. November 2006 längere Arbeitszeiten mit einem Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 425,00 EUR hatte.
Für die Zeit danach sind in der Verwaltungsakte verschiedene Mitwirkungsaufforderungen der ARGE nach § 60 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) zur Vorlage von Unterlagen sowie Rückforderungsbescheide und diesbezügliche Reaktionen des Klägers zu 1 zu verzeichnen. So wurden gemäß § 66 SGB II die bewilligten Leistungen für die Zeit ab 1. Januar 2005 mit Bescheid vom 14. Februar 2007 entzogen. Nach dem Anhörungsschreiben vom selben Tag wurden mit dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 26. März 2007 Leistungen in Höhe von insgesamt 18.355,34 EUR zurückverlangt. In diesem Rückforderungsverfahren waren die Kläger zu 1 und 2 anwaltlich vertreten.
Ausweislich eines Computervermerkes erfolgte am 18. Oktober 2007 eine persönliche Vorsprache des Klägers zu 1 und seines Schwiegervaters, des Zeugen N , wegen der Leistungsgewährung ab 1. Januar 2007. Recherchen der ARGE ergaben keinen Antrag. Aus einer handschriftlichen "Erklärung über Bestreitung von Lebensunterhalt seit 01/2007" vom 18. Oktober 2007, die der Kläger zu 1 unterschrieb, ergibt sich, dass der Fortzahlungsantrag für Januar 2007 bis Juli 2007 Ende November 2006 eingereicht worden sei. Wegen eines laufenden Widerspruchsverfahrens, dessen Ausgang abgewartet werden müsste, sei "auch ein Fortzahlungsantrag für Zeitraum 1.7.2007 bis 31.12.2007 aus Kulanzgründen noch nicht gestellt [worden] – obwohl Leistungsansprüche für den ge-samten Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.12.2007 generell und zwingend gegeben" seien. Ferner ergibt sich aus einem ergänzenden Vermerk, dass der Kläger seit März 2007 nicht mehr in einer geringfügigen Beschäftigung tätig gewesen sei. Vom 7. bis 18. Mai 2007 habe er an einem Lehrgang teilgenommen und eine Schweißerwiederholungsprüfung abgelegt. Zur Zeit (Oktober 2007) sei er aufgrund dieser Qualifikation mit Zeitarbeitsfirmen in C in ständigem Kontakt.
Mit Schreiben vom 15. November 2007 wurde der Kläger zu 1 aufgefordert, einen neuen Antrag zu stellen, weil er letztmals im Dezember 2006 Leistungen erhalten habe.
Mit Bescheid vom 28. November 2007 wurde der Leistungsantrag "mit Wirkung zum 01.01.07" abgelehnt, weil Leistungen vor einer Antragstellung nicht erbracht werden könnten. Eine Antragstellung im genannten Zeitraum sei nicht festzustellen.
Am 29. November 2007 sprach der Schwiegervater des Klägers zu 1 bei der ARGE wegen der Leistungsbewilligung ab 1. Januar 2007 vor.
Aus Einkommensbescheinigungen, die im November 2007 vorgelegt wurden, ergibt sich, dass die Klägerin zu 2 von Januar bis Juli 2007 ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 566,85 EUR (netto: 449,24 EUR) und für August 2007 in Höhe von 618,75 EUR (Netto: 490,36 EUR) bezog.
Mir Schreiben vom 30. November 2007 wurde der Kläger zu 1 zur Vorlage von näher bezeichneten Unterlagen aufgefordert.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2007 legte der Kläger zu 1 verschiedene – aber nicht alle geforderten – Unterlagen vor. Außerdem legte er an diesem Tag eine auf seinen Schwiegervater ausgestellte Vollmacht vom 3. Dezember 2007 vor.
Ferner legte der Kläger am 14. Dezember 2007 Widerspruch gegen den Ablehnungs-bescheid vom 28. November 2007 ein und kündigte an, dass eine Begründung in einem gesonderten Schreiben erfolgen werde. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2007 kündigte er eine substantiierte Begründung bis zum 7. Januar 2008 an.
Am 4. Januar 2008 erließ die ARGE einen Versagungsbescheid für die Zeit ab 18. Oktober 2007.
In einer umfangreichen Stellungnahme vom 8. Januar 2008 gab der Schwiegervater des Klägers zu 1 unter anderem an, dass der Kläger zu 1 das Schreiben vom 10. November 2006 erhalten habe. Ende November 2006 sei der Fortzahlungsantrag in den Briefkasten der ARGE in der H -L -S eingeworfen worden. Das genaue Datum könne nicht mehr nachvollzogen werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2008 wies die ARGE den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. November 2007 aus den in diesem Bescheid genannten Gründen zurück.
Die Kläger haben am 19. Januar 2009 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat am 18. März 2010 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der unter anderem der Schwiegervater des Klägers zu 1 als Zeuge befragt worden ist, und am selben Tag die Klage abgewiesen. Es habe nicht nachgewiesen werden können, dass die Kläger für die Zeit ab 1. Januar 2007 rechtzeitig einen Fortzahlungsantrag gestellt hätten. Die Unerweislichkeit dieser Tatsache gehe zu Lasten der Kläger.
Die Kläger haben gegen das ihnen am 7. April 2010 zugestellte Urteil am 5. Mai 2010 Berufung eingelegt. Das unter dem Az. L 3 AS 310/10 geführte Verfahren ist im Hinblick auf das Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht mit dem Az. B 4 AS 29/10 R mit Beschluss vom 26. November 2010 ruhend gestellt worden. Es wird nunmehr unter dem Az. L 3 AS 607/11 geführt. Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie wenden sich insbesondere gegen die Bewertungen durch das Sozialgericht.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 18. März 2010 sowie den Ablehnungsbescheid der ARGE C vom 28. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Leistungsantrag der Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 17. Oktober 2007 erneut zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
In der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2012 ist der Schwiegervater des Klägers zu 1, A T N , als Zeuge vernommen worden. Diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist der Ablehnungsbescheid der ARGE C vom 28. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2008 und damit verbunden der behauptete Leistungsanspruch der Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 17 Oktober 2007.
Zwar wäre vorliegend möglicherweise auch ein streitbefangener Zeitraum denkbar gewesen, der über den 17. Oktober 2007 hinausging. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zum Streitgegenstand bei Folgebescheiden ist, wenn die Leistungen ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt wurden, Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens – je nach Klageantrag – die gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit. Wurde zwischenzeitlich ein neuer Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt und ist dieser Antrag wiederum abschlägig beschieden worden, ist diese (erneute) Ablehnung in un-mittelbarer Anwendung des § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden; denn diese Ablehnung ersetzt für den späteren Zeitraum den früheren Ablehnungsbescheid (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 14/06 R – BSGE 97, 242 ff. = SozR 4-4200 § 20 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 30). Diese Rechtsprechung lässt sich auch auf einen Fall wie den vorliegenden übertragen, in dem auf einen Antrag – hier der vom 18. Oktober 2007 – zwei Ablehnungsbescheide für zwei aufein-anderfolgende Zeitabschnitte erlassen werden.
Vorliegend ist fraglich, ob die Antragsablehnung im Bescheid vom 28. November 2007 zeitlich beschränkt bis zum 17. Oktober 2007 oder zeitlich unbeschränkt erfolgte. In letzterem Fall wäre der Ablehnungsbescheid vom 28. November 2007 durch den Ab-lehnungsbescheid vom 4. Januar 2008 für die Zeit ab 18. Oktober 2007 ersetzt worden. Gegen eine zeitlich beschränkte Entscheidung im Ablehnungsbescheid vom 28. November 2007 spricht, dass im Verfügungssatz ein Fortzahlungsanspruch "mit Wirkung zum 01.01.07" angesprochen ist, jedoch keine weitere Einschränkung enthalten ist. Eine zeit-liche Beschränkung ließe sich nur aus der Bescheidbegründung herleiten, wo ausgeführt wird, dass Anhaltspunkte für eine Antragstellung nicht vorlägen und eine Leistungser-bringung nur für die Zeit ab Antragstellung möglich sei.
Einer eingehenderen Auslegung des Bescheides vom 28. November 2007 bedarf es jedoch nicht, weil die Klägerbevollmächtigte den Klageantrag auf den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 17. Oktober 2007 beschränkt hat.
II. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Ablehnungsbescheid der ARGE vom 28. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2008 ist rechtmäßig, weil ein Fortzahlungsantrag für die Zeit ab 1. Januar 2007 erstmals für den 18. Oktober 2007 nachweisbar ist und eine frühere Antragstellung auf Leistungen für die Zeit ab 1. Januar 2007 auch nicht über Rechtsinstitute bewirkt werden kann.
1. Der Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II hat konstitutive Wirkung für einen Leistungsanspruch (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 62; vgl. auch BSG, Urteil vom 30. Juli 2008 – B 14 AS 26/07 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 17 Rdnr. 23 = JURIS-Dokument Rdnr. 23; BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 – B 14 AS 56/08 R – SozR 4-4200 § 37 Nr. 1 Rdnr. 16 = JURIS-Dokument Rdnr. 16; BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 99/10 R – SozR 4-4200 § 37 Nr. 5 Rdnr. 16 = JURIS-Dokument Rdnr. 16). Dies ergibt sich aus § 37 SGB II (in der hier maßgebenden, vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung, im Folgenden: a. F.). Nach § 37 Abs. 1 SGB II a. F. wurden die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Antrag erbracht. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende wurden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II a. F.). Das Antragserfordernis gilt nicht nur für das erstmalige Begehren der Leistungsgewährung, sondern ebenso im Fortzahlungsfalle (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18. Januar 2011, a. a. O., Rdnr. 15, m. w. N.; BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 29/10 R = SozR 4-1200 § 14 Nr. 15 Rdnr. 11 = JURIS-Dokument Rdnr. 11
Der Leistungsantrag nach § 37 SGB II ist eine einseitige empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf die – soweit sich nicht aus sozialrechtlichen Bestimmungen Anderweitiges ergibt – die Vorschriften und allgemeinen Grundsätze des bürgerlichen Rechts (vgl. §§ 130 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]) entsprechend Anwendung finden (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 – B 14 AS 56/08 R – SozR 4-4200 § 37 Nr. 1 Rdnr. 14 = JURIS-Dokument Rdnr. 14; BSG, Urteil vom 23. März 2010 – B 14 AS 6/09 R – SozR 4-4200 § 37 Nr. 2 Rdnr. 15 = JURIS-Dokument Rdnr. 15).
Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Diese Vorschrift finden auch dann Anwendung, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben ist (vgl. § 130 Abs. 3 BGB). Nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur ist eine Willenserklärung dann zugegangen, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1976 – VIII ZR 140/75 – BGHZ 67, 271 [275] = JURIS-Dokument Rdnr. 13; BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – NJW 2004, 1320 = JURIS-Dokument Rdnr. 13, m. w. N.; Ellenberger, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch [71. Aufl., 2012], § 130 Rdnr. 8, m. w. N.; Reichold, in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth, jurisPK-BGB Bd. 1 [5. Aufl., 2010], § 130 Rdnr. 8, m. w. N ... Vgl. auch BSG, Urteil vom 2. September 1977 – 12 RAr 46/76 – SozR 4100 § 81 Nr. 3 S. 3 f. = JURIS-Dokument Rdnr. 13).
Dass der Fortzahlungsantrag für die Zeit ab 1. Januar 2007 der ARGE vor dem 18. Oktober 2007 in dem beschriebenen Sinne zugegangen ist, ist an Hand der vorliegenden Unterlagen und auch nach der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2012 nicht zu belegen.
Für eine Antragsabgabe durch Einwurf des Fortzahlungsantrages in den Briefkasten der ARGE zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im November 2006 steht nur die Behauptung der Klägerseite und des Zeugen N. Nähere Angaben zum Zeitpunkt oder den Umständen des Briefeinwurfes konnten aber bereits Ende 2007/Anfang 2008 im Verwaltungsverfahren nicht gemacht werden.
Kein Beleg für die behauptete Antragsabgabe ist das Schreiben des damaligen Kläger-bevollmächtigten vom 15. August 2007. In dem Schreiben, das das Widerspruchsverfahren zum Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 26. März 2007 betraf, baten sie unter anderem, nach Abschluss dieses Widerspruchsverfahrens schnellstmöglich der Leistungsabteilung Mitteilung zu machen, damit diese die Ansprüche der Mandaten für das Jahr 2007 prüfen könne. Die Prüfung eines Leistungsanspruches setzt aber gemäß § 37 Abs. 1 SGB II a. F. einen Antrag voraus. Dass ein solcher gestellt worden wäre, lässt sich aus dem Schreiben vom 15. August 2007 nicht entnehmen.
Auch das Schreiben eines Mitarbeiters der Widerspruchsstelle der ARGE vom 3. September 2007 ist kein Indiz für die behauptete Antragsabgabe. Das Schreiben war an das damals für die Kläger zuständige Referat 633 gerichtet und betraf einerseits den Versagungs- und Entziehungsbescheid vom 14. Februar 2007 und andererseits den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 26. März 2007. Am Ende wurde "außerhalb des Widerspruchsverfahrens" um Prüfung der Bewilligung ab 1. Januar 2007 und Anforderung der Unter-lagen in eigener Zuständigkeit gebeten. Aus dem Schreiben ergibt sich jedoch nicht, dass sich diese Prüfbitte auf einen Leistungsantrag für die Zeit ab 1. Januar 2007 bezieht. Dieser Teil des Schreibens erscheint eher als Ausdruck der damaligen Praxis der ARGE, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II abweichend von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II a. F. auch für Zeiten vor der Antragstellung zu gewähren, wie dies beispielsweise bei den Leistungsbewilligungen für die Zeit ab 1. Januar 2006 auf den Fort-zahlungsantrag vom 3. Februar 2006 oder für die Zeit ab 1. Juli 2006 auf den Fort-zahlungsantrag vom 31. August 2006 der Fall war.
Weitere Gesichtspunkte, die Rückschlüsse auf die behauptete Antragsabgabe im November 2006 zulassen können, sprechen eher gegen als für die Kläger.
Zwar ist es nicht dem Grunde nach auszuschließen, dass ein Antrag oder Unterlagen, die einer Behörde auf dem Postweg oder nach persönlicher Abgabe zugehen, im Behörden-betrieb verloren gehen oder erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgefunden werden. Dies wird durch die vorliegenden Verwaltungsakten belegt. Der Kläger zu 1 hatte erstmals am 3. Januar 2005 einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gestellt. Dabei wurde er aufgefordert, zu drei Punkten weitere Unterlagen vorzulegen. Unter dem 18. Januar 2005 sandte die ARGE eine Mitwirkungsaufforderung an den Kläger, die die Vorlage dieser Unterlagen zum Gegenstand hatte. Der Kläger erklärte daraufhin am 27. Januar 2005, dass er die geforderten Unterlagen bereits persönlich am 4. Januar 2005 abgegeben habe. Tatsächlich findet sich an einer späteren Stelle in der Verwaltungsakte ein Begleitschreiben des Klägers zu 1 vom 4. Januar 2005 betreffend die Vorlage der geforderten Unterlagen. Auf diesem Schreiben ist mit grünem Stift von einem Behördenmitarbeiter der Vermerk "p.V." [= persönliche Vorsprache] und die Datums-angabe "4.1.05" angebracht. Aus diesem einzelnen Vorgang kann aber nicht abgeleitet werden, dass die interne Organisation, insbesondere die Aktenführung, bei der ARGE im Allgemeinen nicht ordnungsgemäß war. Für solche Defizite gibt weder die vorliegende Verwaltungsakte noch die Vielzahl andere Verwaltungsvorgänge, die dem erkennenden Senat in Verfahren, an denen die ARGE beteiligt war, vorlagen, Anhaltspunkte. Auch gibt es weder auf gesetzlicher Grundlage noch nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine allgemeine Vermutung des Inhaltes, dass nicht nachweisbare Anträge oder Unterlagen, deren Abgabe bei der Behörde behauptet wird, tatsächlich auch bei der Behörde abgegeben worden sind und erst dort in Verstoß geraten sind.
Gegen die behauptete Antragsabgabe im November 2006 sprechen nicht unerhebliche Anhaltspunkte.
So ist festzustellen, dass die Kläger wiederholt Anträge, Stellungnahmen und Unterlagen verspätet abgaben und Angaben nicht oder verspätet machten. Beispielhaft ist auf die Fortzahlungsanträge zu verweisen. Die ARGE erließ die Bewilligungsbescheide für halbjähr-liche Leistungszeiträume, das heißt mit Endzeitpunkt 30. Juni 2005, 31. Dezember 2005, 30. Juni 2006 und 31. Dezember 2006. Der erste Fortzahlungsantrag trägt zwar das Unterschriftsdatum 26. Juni 2005. Er liegt aber nur als Farbkopie vor. Der Eingangstag ist nicht festzustellen; nur ein Erinnerungsschreiben vom 10. August 2005 hinsichtlich der Antragsabgabe findet sich in der Akte. Den nächsten Fortzahlungsantrag unterschrieb der Kläger zu 1 am 3. Februar 2006 und gab ihn am 15. Februar 2006 ab. Unterlagen hierzu forderte die ARGE mit Schreiben vom 1. März 2006 an. Deren Vorlage erfolgte erst nach einer nochmaligen Aufforderung im Schreiben vom 21. Juni 2006, bei der ARGE eingegangen am 13. Juli 2006. Die Frage, wovon die Kläger in der Zeit von Januar bis Juni 2006 gelebt hätten, wurde nur mittelbar beantwortet. Es wurde mitgeteilt, dass das Arbeitsverhältnis zum 15. Januar 2006 gekündigt und seit 21. April 2006 fortgesetzt worden sei. Den dritten Fortzahlungsantrag stellte der Kläger zu 1 am 31. August 2006. Die späten Zeitpunkte für die Antragstellungen im Jahr 2006 können zwar unter Umständen noch damit begründet werden, dass die beiden Leistungsbescheide für das erste und das zweite Halbjahr 2006 erst am 7. November 2006 erlassen wurden. Dies wiederum beruhte aber auf der zöger-lichen Mitwirkung des Klägers zu 1.
Ein ähnliches Bild bietet sich in Bezug auf die Mitteilung des Klägers zu 1 über seine Erwerbstätigkeit. Am 11. Juni 2005 nahm er eine Beschäftigung in einem türkischen Imbissbetrieb mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 14 Stunden und einem monatlichen Bruttolohn von 160,00 EUR. Dies teilte er jedoch erst mit Veränderungsmitteilung vom 5. Oktober 2005 mit. Die zugehörende Erklärung und Bescheinigung tragen das Datum 10. und 12. Oktober 2005. Vom Ende dieses Beschäftigungsverhältnisses zum 15. Januar 2006 und dem erneuten Begin zum 21. April 2005 erfuhr die ARGE eher beiläufig in einem am 13. Juli 2006 eingegangenen, nicht datierten und nicht unterschriebenen Schreiben, das die Aufforderung zur Vorlage von anderen Unterlagen betraf. Die das neue Beschäftigungsverhältnis betreffenden Unterlagen wurden erst am 23. Oktober 2006 eingereicht. Die Veränderungsmitteilung, dass sich die Arbeitszeit ab 10. November 2006 verlängert und der monatliche Bruttolohn auf 425,00 EUR erhöht hatte, unterschrieb der Kläger am 5. Dezember 2006; sie ging am 12. Dezember 2006 bei der ARGE ein.
Bei Durchsicht der Verwaltungsakten fällt auch auf, dass sich die Kläger nur sehr zurückhaltend um den Fortgang ihrer Antragsverfahren kümmerten. Die erste Nachfrage wegen Leistungen für die Zeit ab 1. Januar 2007 ist für den 18. Oktober 2007 nachweisbar. Dies ist etwa ein ¾ Jahr nach dem Ende des letzten Bewilligungsabschnittes und sogar 10 ½ bis 11 Monate nach der behaupteten Antragstellung im November 2006. Ähnliches lässt sich bereits für das erste Halbjahr 2006 feststellen. Auf den Fortzahlungsantrag vom 3. Februar 2006 ist erstmals für den 21. Juni 2006 eine telefonische Nachfrage für die Kläger belegt. In beiden Zeiträumen war der errechnete Gesamtbedarf der Kläger nicht durch die ihnen zur Verfügung stehenden Einkommen zu decken.
Dieses zurückhaltende Verhalten im Verwaltungsverfahren ist möglicherweise in Teilen auf die Person des Klägers zu 1 zurückzuführen. So gab die Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2012 an, dass der Kläger zu 1 am liebsten keine Leistungen beantragt hätte. Er habe immer sein eigenes Geld verdienen wollen. Aus diesem Grund sei die Familie auch in die Schweiz gezogen, weil sie dort Arbeit gefunden hatten. Nur weil die Unterbringung von zwei Kindern in der Schweiz kaum zu finanzieren sei, seien sie wieder zurückgekehrt. Dass die Kläger im Jahr 2007 nicht wegen der ausbleibenden Leistungszahlungen nachgefragt hätten, habe seinen Grund darin, dass der Kläger zu 1 wegen der sehr hohen Rückforderung gehemmt gewesen sei. Er habe zwischen der Rückforderung einerseits und einem Leistungsanspruch für die aktuelle Zeit nicht unterschieden. Eine ähnliche Beschreibung gab der Zeuge N , der Schwiegervater des Klägers zu 1, ab. Diese von beiden beschriebene Einstellung des Klägers zu 1 ändert jedoch nichts an der Faktenlage.
Im vorliegenden Zusammenhang kann auch die Erklärung vom 18. Oktober 2007 nicht außer Acht gelassen werden. Aus dieser ergibt sich zweierlei. Zum einen gab der Kläger zu 1 an, dass wegen des Widerspruchsverfahrens zum Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 26. März 2007 noch kein Fortzahlungsantrag für den Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis 31. Dezember 2007 gestellt worden sei. Der Kläger zu 1 musste sich aber nicht erst im Jahr 2007 auf Grund der Rückforderung eines Betragen von über 18.000,00 EUR einem starken Druck durch die ARGE ausgesetzt sehen. Vielmehr waren ihm seitens der ARGE nach Aktenlage bereits im zweiten Halbjahr 2006 verschiedene sanktionsbewährte Verstöße gegen Pflichten nach dem SGB II vorgehalten worden. Es ist deshalb auch vor dem Hintergrund der beschriebenen Einstellung des Klägers zu 1 gegenüber einem Bezug von Leistungen nach dem SGB II nicht auszuschließen, dass er bereits im Herbst 2006 die von ihm angesprochene "Kulanz"-Erwägung anstellte.
Zum anderen ist in der Erklärung vom 18. Oktober 2007 formuliert, dass Leistungsan-sprüche für den gesamten Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2007 "generell und zwingend gegeben" seien. Ähnlich äußerte sich der Zeuge N in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2012. Es habe nie Dissens darüber gegeben, dass ein Leistungsanspruch für die Kläger bestanden hätte. Zwar hätten sich einzelne Umstände geändert, wie zum Beispiel das Kindergeld oder das Ausbildungsgeld; der Anspruch als solcher habe aber fortbestanden. Er hätte sich von der ARGE etwas mehr Kulanz, Geschmeidigkeit oder Fingerspitzengefühl erwartet. Der Fall weiche etwas von den anderen Fällen ab. Darin kommt die Vorstellung zum Ausdruck, dass es für einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II allein auf die materielle Anspruchsberechtigung ankomme. Hierbei wird allerdings die beschriebene Bedeutung des Antragserfordernisses aus § 37 Abs. 1 und 2 Satz 1 SGB II a. F. übersehen. Die Überlegungen des Zeugen N , der einen dreijährigen Verwaltungslehrgang besucht hatte, zu formellen Aspekten des Grundsicherungsrechtes, dürfte nicht ohne Auswirkung auf das Verhalten der Kläger im Verwaltungsverfahren geblieben sein. Der er unterstützte nach eigenen Angaben die Kläger bei Angelegenheiten gegenüber der ARGE und vertrat diese zeitweise auch als deren Bevollmächtigter.
In der Gesamtschau ergibt sich ein Bild des Klägers zu 1, der seinen Pflichten und Ob-liegenheiten in Angelegenheiten, die das SGB II betrafen, in zeitlicher Hinsicht wiederholt nicht in dem von ihm geforderten oder von ihm zu erwartenden Maße nachkam. Die von der Klägerbevollmächtigten und dem Zeugen N hierfür beschriebenen Umstände mögen nachvollziehbar sein, sind aber nicht geeignet, nach den einschlägigen rechtlichen Maßstäben das Verhalten zu rechtfertigen oder zu entschuldigen.
In Abwägung aller Fakten und Gesichtspunkte steht nicht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Zeuge N den Fortzahlungsantrag für Leistungen ab 1. Januar 2007 im November 2006 in den Briefkasten der ARGE einwarf.
Da sich der Sachverhalt trotz aller gebotenen Ermittlungen nicht hat aufklären lassen, stellt sich die die Frage, zu wessen Lasten die Nichterweislichkeit einer entscheidungserheb-lichen Tatsache geht (vgl. zum Sozialverwaltungsverfahren: von Wulffen, in: von Wulffen, SGB X [7. Aufl., 2010], § 20 Rdnr. 9; zum Sozialgerichtsverfahren: Leitherer, a. a. O., § 103 Rdnr. 19a). Nach den allgemeinen Regeln zur objektiven Beweislast gilt der Grundsatz, dass jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. von Wulffen, a. a. O.; Leitherer, a. a. O.). Für den Zeitpunkt des Einganges des konstitutiv wirkenden Leistungsantrages tragen danach die Kläger die objektive Beweislast. Somit hat die Nichterweislichkeit des Antragseinganges vor dem 18. Oktober 2007 zur Folge, dass wegen der Regelungen in § 37 Abs. 1 und 2 Satz 1 SGB II a. F. der geltend gemachte Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 17. Oktober 2007 nicht besteht.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) kann den Klägern nicht gewährt werden (vgl. BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 99/10 R = SozR 4-4200 § 37 Nr. 5 Rdnr. 23 = JURIS-Dokument Rdnr. 23, m. w. N.; BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 29/10 R = SozR 4-1200 § 14 Nr. 15 Rdnr. 11 = JURIS-Dokument Rdnr. 11). Nach § 27 Abs. 1 SGB X ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu ge-währen, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. In § 37 SGB II wird aber keine Frist festgesetzt, sondern das Verhältnis zwischen Leistungsbeginn und Antragstellung geregelt. Die Antragstellung ist nicht an eine Frist gebunden und der Ausschluss der Leistungsgewährung vor dem Tag der Antragstellung stellt keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist dar (vgl. BSG, a. a. O.).
Vorliegend stünde einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Übrigen entgegen, dass von den Klägern gerade die rechtzeitige Antragstellung behauptet wird. Die Nichterweislichkeit einer behaupteten rechtzeitigen Antragstellung begründet aber nicht Versäumung einer Antragsfrist.
3. Schließlich können die Kläger die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den streibefangenen Zeitraum auch nicht über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erhalten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 11. März 2004 – B 13 RJ 16/02 R – BSGE 92, 241 ff. Rdnr. 13 = SozR 4-2600 § 58 Nr. 3 Rdnr. 19 = JURIS-Dokument Rdnr. 24; BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 99/10 R = SozR 4-4200 § 37 Nr. 5 Rdnr. 24 = JURIS-Dokument Rdnr. 24, m. w. N.; vgl. auch Sächs. LSG, Beschluss vom 22. Juni 2011 – L 3 AS 290/10 B PKH –JURIS-Dokument Rdnr. 20, m. w. N.; Stratmann, in: Niesel/Brand, SGB III [5. Aufl., 2010], § 323 Anh Rdnr. 28 f.) setzt dieser Anspruch tatbestandlich voraus, dass der Sozialleistungsträger auf Grund Gesetzes oder bestehenden Sozialrechtsverhältnisses eine dem Betroffenen gegenüber obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (vgl. §§ 14, 15 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch– Allgemeiner Teil – (SGB I), verletzt und dadurch dem Betroffenen einen rechtlichen Nachteil zufügt. Auf der Rechtsfolgenseite ist der Her-stellungsanspruch auf Vornahme einer zulässigen Amtshandlung zur Herbeiführung der-jenigen Rechtsfolge gerichtet, die eingetreten wäre, wenn der Versicherungsträger die ihm gegenüber dem Versicherten obliegenden Pflichten rechtmäßig erfüllt hätte.
Für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der Kläger mangelt es bereits an einer Pflichtverletzung durch die ARGE. Denn die ARGE wies den Kläger zu 1 im Schreiben vom 10. November 2006 darauf hin, dass Leistungen bis einschließlich 31. Dezember 2006 bewilligt worden seien, und dass für eine weitere Bewilligung die Anspruchsvoraussetzungen erneut geprüft werden müssten. Der Kläger zu 1 wurde gebeten, den Fortzahlungs-antrag und die weiteren Anlagen vollständig auszufüllen und diesen zusammen mit eventuell notwendigen weiteren Unterlagen sobald wie möglich einzureichen, damit keine Zahlungsunterbrechung eintrete und er seine Leistungen pünktlich weiter erhalte. Dem Schreiben waren ein Fortzahlungsantrag sowie weitere Antragsanlagen beigefügt. Damit genügte die ARGE ihrer Beratungspflicht (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 99/10 R, a. a. O.). Aus dem Schreiben ging auch nach dem Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 119/10 R – BSGE 108, 86 ff. Rdnr. 18 = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21 Rdnr. 18 = JURIS-Dokument Rdnr. 18) in einer verständlichen Sprache und mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass im Falle des Fortbestehens der Hilfebedürftigkeit über den Bewilligungszeitraum hinaus Leistungen nur auf einen Fortzahlungsantrag hin und erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Antrags beim Grundsicherungsträger zu gewähren sind (vgl. zu diesen Anforderungen: BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 29/10 R = SozR 4-1200 § 14 Nr. 15 Rdnr. 15 = JURIS-Dokument Rdnr. 15). Dass die Kläger das Schreiben vom 10. November 2006 erhalten haben, ergibt sich aus den Ausführungen ihres damaligen Bevollmächtigten, des Zeugen N , in seinem Schreiben vom 8. Januar 2008.
Zudem würde es an der für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erforderlichen Kausalität fehlen. Denn selbst wenn der Hinweis auf die Notwendigkeit eines Fort-zahlungsantrages für Leistungen nach dem SGB II nicht oder nicht in ausreichendem Maße erfolgt wäre, hätte diese Pflichtverletzung bei der behaupteten Antragstellung noch vor Ablauf des aktuellen Bewilligungszeitraumes nicht ursächlich für die unterbliebene Leistungsbewilligung für den Folgezeitraum sein können.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Dr. Scheer Höhl Atanassov
II. Die außergerichtlichen Kosten der Kläger sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis zum 17. Oktober 2007.
Der 1980 geborene Kläger zu 1 ist türkischer Staatsangehöriger und besitzt eine Aufenthaltserlaubnis. Zusammen mit seiner 1983 geborene Ehefrau deutscher Staatsangehörigkeit, der Klägerin zu 2, bezog er seit 1. Januar 2005 von der ARGE C (im Folgenden: ARGE) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Im Jahr 2006 wurde ihre gemeinsame Tochter, die Klägerin zu 3, geboren. Vor dem streitbefangenen Zeitraum wurden ihnen zuletzt mit Bescheid vom 7. November 2006 Leistungen für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 bewilligte. Die ARGE errechnete für Dezember 2006 einen Gesamtbedarf in Höhe von 1.223,24 EUR. Bewilligt wurde für Juli bis November 2006 monatliche Leistung in Höhe von insgesamt 1.021,24 EUR und für Dezember 2006 in Höhe von 730,10 EUR.
Unter dem 10. November 2006 wurde automatisiert ein Hinweisschreiben mit Antrags-unterlagen an die Kläger übersandt, worin sie auf die Notwendigkeit eines Fortzahlungsantrages für den Fall, dass sie weiterhin Leistungen wünschen, hingewiesen wurden.
Seit 11. Juni 2005 arbeitete der Kläger zu 1 in einem türkischen Imbissbetrieb im Umfang von 14 Stunden wöchentlich und einem Bruttolohn von 160,00 EUR monatlich. Die entsprechende Veränderungsmitteilung unterschrieb der Kläger zu 1 am 5. Oktober 2005. Aus Unterlagen aus Dezember 2006 ergibt sich, dass der Kläger zu 1 seit 10. November 2006 längere Arbeitszeiten mit einem Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 425,00 EUR hatte.
Für die Zeit danach sind in der Verwaltungsakte verschiedene Mitwirkungsaufforderungen der ARGE nach § 60 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) zur Vorlage von Unterlagen sowie Rückforderungsbescheide und diesbezügliche Reaktionen des Klägers zu 1 zu verzeichnen. So wurden gemäß § 66 SGB II die bewilligten Leistungen für die Zeit ab 1. Januar 2005 mit Bescheid vom 14. Februar 2007 entzogen. Nach dem Anhörungsschreiben vom selben Tag wurden mit dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 26. März 2007 Leistungen in Höhe von insgesamt 18.355,34 EUR zurückverlangt. In diesem Rückforderungsverfahren waren die Kläger zu 1 und 2 anwaltlich vertreten.
Ausweislich eines Computervermerkes erfolgte am 18. Oktober 2007 eine persönliche Vorsprache des Klägers zu 1 und seines Schwiegervaters, des Zeugen N , wegen der Leistungsgewährung ab 1. Januar 2007. Recherchen der ARGE ergaben keinen Antrag. Aus einer handschriftlichen "Erklärung über Bestreitung von Lebensunterhalt seit 01/2007" vom 18. Oktober 2007, die der Kläger zu 1 unterschrieb, ergibt sich, dass der Fortzahlungsantrag für Januar 2007 bis Juli 2007 Ende November 2006 eingereicht worden sei. Wegen eines laufenden Widerspruchsverfahrens, dessen Ausgang abgewartet werden müsste, sei "auch ein Fortzahlungsantrag für Zeitraum 1.7.2007 bis 31.12.2007 aus Kulanzgründen noch nicht gestellt [worden] – obwohl Leistungsansprüche für den ge-samten Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.12.2007 generell und zwingend gegeben" seien. Ferner ergibt sich aus einem ergänzenden Vermerk, dass der Kläger seit März 2007 nicht mehr in einer geringfügigen Beschäftigung tätig gewesen sei. Vom 7. bis 18. Mai 2007 habe er an einem Lehrgang teilgenommen und eine Schweißerwiederholungsprüfung abgelegt. Zur Zeit (Oktober 2007) sei er aufgrund dieser Qualifikation mit Zeitarbeitsfirmen in C in ständigem Kontakt.
Mit Schreiben vom 15. November 2007 wurde der Kläger zu 1 aufgefordert, einen neuen Antrag zu stellen, weil er letztmals im Dezember 2006 Leistungen erhalten habe.
Mit Bescheid vom 28. November 2007 wurde der Leistungsantrag "mit Wirkung zum 01.01.07" abgelehnt, weil Leistungen vor einer Antragstellung nicht erbracht werden könnten. Eine Antragstellung im genannten Zeitraum sei nicht festzustellen.
Am 29. November 2007 sprach der Schwiegervater des Klägers zu 1 bei der ARGE wegen der Leistungsbewilligung ab 1. Januar 2007 vor.
Aus Einkommensbescheinigungen, die im November 2007 vorgelegt wurden, ergibt sich, dass die Klägerin zu 2 von Januar bis Juli 2007 ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 566,85 EUR (netto: 449,24 EUR) und für August 2007 in Höhe von 618,75 EUR (Netto: 490,36 EUR) bezog.
Mir Schreiben vom 30. November 2007 wurde der Kläger zu 1 zur Vorlage von näher bezeichneten Unterlagen aufgefordert.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2007 legte der Kläger zu 1 verschiedene – aber nicht alle geforderten – Unterlagen vor. Außerdem legte er an diesem Tag eine auf seinen Schwiegervater ausgestellte Vollmacht vom 3. Dezember 2007 vor.
Ferner legte der Kläger am 14. Dezember 2007 Widerspruch gegen den Ablehnungs-bescheid vom 28. November 2007 ein und kündigte an, dass eine Begründung in einem gesonderten Schreiben erfolgen werde. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2007 kündigte er eine substantiierte Begründung bis zum 7. Januar 2008 an.
Am 4. Januar 2008 erließ die ARGE einen Versagungsbescheid für die Zeit ab 18. Oktober 2007.
In einer umfangreichen Stellungnahme vom 8. Januar 2008 gab der Schwiegervater des Klägers zu 1 unter anderem an, dass der Kläger zu 1 das Schreiben vom 10. November 2006 erhalten habe. Ende November 2006 sei der Fortzahlungsantrag in den Briefkasten der ARGE in der H -L -S eingeworfen worden. Das genaue Datum könne nicht mehr nachvollzogen werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2008 wies die ARGE den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. November 2007 aus den in diesem Bescheid genannten Gründen zurück.
Die Kläger haben am 19. Januar 2009 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat am 18. März 2010 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der unter anderem der Schwiegervater des Klägers zu 1 als Zeuge befragt worden ist, und am selben Tag die Klage abgewiesen. Es habe nicht nachgewiesen werden können, dass die Kläger für die Zeit ab 1. Januar 2007 rechtzeitig einen Fortzahlungsantrag gestellt hätten. Die Unerweislichkeit dieser Tatsache gehe zu Lasten der Kläger.
Die Kläger haben gegen das ihnen am 7. April 2010 zugestellte Urteil am 5. Mai 2010 Berufung eingelegt. Das unter dem Az. L 3 AS 310/10 geführte Verfahren ist im Hinblick auf das Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht mit dem Az. B 4 AS 29/10 R mit Beschluss vom 26. November 2010 ruhend gestellt worden. Es wird nunmehr unter dem Az. L 3 AS 607/11 geführt. Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie wenden sich insbesondere gegen die Bewertungen durch das Sozialgericht.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 18. März 2010 sowie den Ablehnungsbescheid der ARGE C vom 28. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Leistungsantrag der Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 17. Oktober 2007 erneut zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
In der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2012 ist der Schwiegervater des Klägers zu 1, A T N , als Zeuge vernommen worden. Diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist der Ablehnungsbescheid der ARGE C vom 28. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2008 und damit verbunden der behauptete Leistungsanspruch der Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 17 Oktober 2007.
Zwar wäre vorliegend möglicherweise auch ein streitbefangener Zeitraum denkbar gewesen, der über den 17. Oktober 2007 hinausging. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zum Streitgegenstand bei Folgebescheiden ist, wenn die Leistungen ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt wurden, Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens – je nach Klageantrag – die gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit. Wurde zwischenzeitlich ein neuer Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt und ist dieser Antrag wiederum abschlägig beschieden worden, ist diese (erneute) Ablehnung in un-mittelbarer Anwendung des § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden; denn diese Ablehnung ersetzt für den späteren Zeitraum den früheren Ablehnungsbescheid (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 14/06 R – BSGE 97, 242 ff. = SozR 4-4200 § 20 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 30). Diese Rechtsprechung lässt sich auch auf einen Fall wie den vorliegenden übertragen, in dem auf einen Antrag – hier der vom 18. Oktober 2007 – zwei Ablehnungsbescheide für zwei aufein-anderfolgende Zeitabschnitte erlassen werden.
Vorliegend ist fraglich, ob die Antragsablehnung im Bescheid vom 28. November 2007 zeitlich beschränkt bis zum 17. Oktober 2007 oder zeitlich unbeschränkt erfolgte. In letzterem Fall wäre der Ablehnungsbescheid vom 28. November 2007 durch den Ab-lehnungsbescheid vom 4. Januar 2008 für die Zeit ab 18. Oktober 2007 ersetzt worden. Gegen eine zeitlich beschränkte Entscheidung im Ablehnungsbescheid vom 28. November 2007 spricht, dass im Verfügungssatz ein Fortzahlungsanspruch "mit Wirkung zum 01.01.07" angesprochen ist, jedoch keine weitere Einschränkung enthalten ist. Eine zeit-liche Beschränkung ließe sich nur aus der Bescheidbegründung herleiten, wo ausgeführt wird, dass Anhaltspunkte für eine Antragstellung nicht vorlägen und eine Leistungser-bringung nur für die Zeit ab Antragstellung möglich sei.
Einer eingehenderen Auslegung des Bescheides vom 28. November 2007 bedarf es jedoch nicht, weil die Klägerbevollmächtigte den Klageantrag auf den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 17. Oktober 2007 beschränkt hat.
II. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Ablehnungsbescheid der ARGE vom 28. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2008 ist rechtmäßig, weil ein Fortzahlungsantrag für die Zeit ab 1. Januar 2007 erstmals für den 18. Oktober 2007 nachweisbar ist und eine frühere Antragstellung auf Leistungen für die Zeit ab 1. Januar 2007 auch nicht über Rechtsinstitute bewirkt werden kann.
1. Der Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II hat konstitutive Wirkung für einen Leistungsanspruch (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 62; vgl. auch BSG, Urteil vom 30. Juli 2008 – B 14 AS 26/07 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 17 Rdnr. 23 = JURIS-Dokument Rdnr. 23; BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 – B 14 AS 56/08 R – SozR 4-4200 § 37 Nr. 1 Rdnr. 16 = JURIS-Dokument Rdnr. 16; BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 99/10 R – SozR 4-4200 § 37 Nr. 5 Rdnr. 16 = JURIS-Dokument Rdnr. 16). Dies ergibt sich aus § 37 SGB II (in der hier maßgebenden, vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung, im Folgenden: a. F.). Nach § 37 Abs. 1 SGB II a. F. wurden die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Antrag erbracht. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende wurden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II a. F.). Das Antragserfordernis gilt nicht nur für das erstmalige Begehren der Leistungsgewährung, sondern ebenso im Fortzahlungsfalle (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18. Januar 2011, a. a. O., Rdnr. 15, m. w. N.; BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 29/10 R = SozR 4-1200 § 14 Nr. 15 Rdnr. 11 = JURIS-Dokument Rdnr. 11
Der Leistungsantrag nach § 37 SGB II ist eine einseitige empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf die – soweit sich nicht aus sozialrechtlichen Bestimmungen Anderweitiges ergibt – die Vorschriften und allgemeinen Grundsätze des bürgerlichen Rechts (vgl. §§ 130 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]) entsprechend Anwendung finden (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 – B 14 AS 56/08 R – SozR 4-4200 § 37 Nr. 1 Rdnr. 14 = JURIS-Dokument Rdnr. 14; BSG, Urteil vom 23. März 2010 – B 14 AS 6/09 R – SozR 4-4200 § 37 Nr. 2 Rdnr. 15 = JURIS-Dokument Rdnr. 15).
Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Diese Vorschrift finden auch dann Anwendung, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben ist (vgl. § 130 Abs. 3 BGB). Nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur ist eine Willenserklärung dann zugegangen, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1976 – VIII ZR 140/75 – BGHZ 67, 271 [275] = JURIS-Dokument Rdnr. 13; BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – NJW 2004, 1320 = JURIS-Dokument Rdnr. 13, m. w. N.; Ellenberger, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch [71. Aufl., 2012], § 130 Rdnr. 8, m. w. N.; Reichold, in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth, jurisPK-BGB Bd. 1 [5. Aufl., 2010], § 130 Rdnr. 8, m. w. N ... Vgl. auch BSG, Urteil vom 2. September 1977 – 12 RAr 46/76 – SozR 4100 § 81 Nr. 3 S. 3 f. = JURIS-Dokument Rdnr. 13).
Dass der Fortzahlungsantrag für die Zeit ab 1. Januar 2007 der ARGE vor dem 18. Oktober 2007 in dem beschriebenen Sinne zugegangen ist, ist an Hand der vorliegenden Unterlagen und auch nach der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2012 nicht zu belegen.
Für eine Antragsabgabe durch Einwurf des Fortzahlungsantrages in den Briefkasten der ARGE zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im November 2006 steht nur die Behauptung der Klägerseite und des Zeugen N. Nähere Angaben zum Zeitpunkt oder den Umständen des Briefeinwurfes konnten aber bereits Ende 2007/Anfang 2008 im Verwaltungsverfahren nicht gemacht werden.
Kein Beleg für die behauptete Antragsabgabe ist das Schreiben des damaligen Kläger-bevollmächtigten vom 15. August 2007. In dem Schreiben, das das Widerspruchsverfahren zum Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 26. März 2007 betraf, baten sie unter anderem, nach Abschluss dieses Widerspruchsverfahrens schnellstmöglich der Leistungsabteilung Mitteilung zu machen, damit diese die Ansprüche der Mandaten für das Jahr 2007 prüfen könne. Die Prüfung eines Leistungsanspruches setzt aber gemäß § 37 Abs. 1 SGB II a. F. einen Antrag voraus. Dass ein solcher gestellt worden wäre, lässt sich aus dem Schreiben vom 15. August 2007 nicht entnehmen.
Auch das Schreiben eines Mitarbeiters der Widerspruchsstelle der ARGE vom 3. September 2007 ist kein Indiz für die behauptete Antragsabgabe. Das Schreiben war an das damals für die Kläger zuständige Referat 633 gerichtet und betraf einerseits den Versagungs- und Entziehungsbescheid vom 14. Februar 2007 und andererseits den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 26. März 2007. Am Ende wurde "außerhalb des Widerspruchsverfahrens" um Prüfung der Bewilligung ab 1. Januar 2007 und Anforderung der Unter-lagen in eigener Zuständigkeit gebeten. Aus dem Schreiben ergibt sich jedoch nicht, dass sich diese Prüfbitte auf einen Leistungsantrag für die Zeit ab 1. Januar 2007 bezieht. Dieser Teil des Schreibens erscheint eher als Ausdruck der damaligen Praxis der ARGE, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II abweichend von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II a. F. auch für Zeiten vor der Antragstellung zu gewähren, wie dies beispielsweise bei den Leistungsbewilligungen für die Zeit ab 1. Januar 2006 auf den Fort-zahlungsantrag vom 3. Februar 2006 oder für die Zeit ab 1. Juli 2006 auf den Fort-zahlungsantrag vom 31. August 2006 der Fall war.
Weitere Gesichtspunkte, die Rückschlüsse auf die behauptete Antragsabgabe im November 2006 zulassen können, sprechen eher gegen als für die Kläger.
Zwar ist es nicht dem Grunde nach auszuschließen, dass ein Antrag oder Unterlagen, die einer Behörde auf dem Postweg oder nach persönlicher Abgabe zugehen, im Behörden-betrieb verloren gehen oder erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgefunden werden. Dies wird durch die vorliegenden Verwaltungsakten belegt. Der Kläger zu 1 hatte erstmals am 3. Januar 2005 einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gestellt. Dabei wurde er aufgefordert, zu drei Punkten weitere Unterlagen vorzulegen. Unter dem 18. Januar 2005 sandte die ARGE eine Mitwirkungsaufforderung an den Kläger, die die Vorlage dieser Unterlagen zum Gegenstand hatte. Der Kläger erklärte daraufhin am 27. Januar 2005, dass er die geforderten Unterlagen bereits persönlich am 4. Januar 2005 abgegeben habe. Tatsächlich findet sich an einer späteren Stelle in der Verwaltungsakte ein Begleitschreiben des Klägers zu 1 vom 4. Januar 2005 betreffend die Vorlage der geforderten Unterlagen. Auf diesem Schreiben ist mit grünem Stift von einem Behördenmitarbeiter der Vermerk "p.V." [= persönliche Vorsprache] und die Datums-angabe "4.1.05" angebracht. Aus diesem einzelnen Vorgang kann aber nicht abgeleitet werden, dass die interne Organisation, insbesondere die Aktenführung, bei der ARGE im Allgemeinen nicht ordnungsgemäß war. Für solche Defizite gibt weder die vorliegende Verwaltungsakte noch die Vielzahl andere Verwaltungsvorgänge, die dem erkennenden Senat in Verfahren, an denen die ARGE beteiligt war, vorlagen, Anhaltspunkte. Auch gibt es weder auf gesetzlicher Grundlage noch nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine allgemeine Vermutung des Inhaltes, dass nicht nachweisbare Anträge oder Unterlagen, deren Abgabe bei der Behörde behauptet wird, tatsächlich auch bei der Behörde abgegeben worden sind und erst dort in Verstoß geraten sind.
Gegen die behauptete Antragsabgabe im November 2006 sprechen nicht unerhebliche Anhaltspunkte.
So ist festzustellen, dass die Kläger wiederholt Anträge, Stellungnahmen und Unterlagen verspätet abgaben und Angaben nicht oder verspätet machten. Beispielhaft ist auf die Fortzahlungsanträge zu verweisen. Die ARGE erließ die Bewilligungsbescheide für halbjähr-liche Leistungszeiträume, das heißt mit Endzeitpunkt 30. Juni 2005, 31. Dezember 2005, 30. Juni 2006 und 31. Dezember 2006. Der erste Fortzahlungsantrag trägt zwar das Unterschriftsdatum 26. Juni 2005. Er liegt aber nur als Farbkopie vor. Der Eingangstag ist nicht festzustellen; nur ein Erinnerungsschreiben vom 10. August 2005 hinsichtlich der Antragsabgabe findet sich in der Akte. Den nächsten Fortzahlungsantrag unterschrieb der Kläger zu 1 am 3. Februar 2006 und gab ihn am 15. Februar 2006 ab. Unterlagen hierzu forderte die ARGE mit Schreiben vom 1. März 2006 an. Deren Vorlage erfolgte erst nach einer nochmaligen Aufforderung im Schreiben vom 21. Juni 2006, bei der ARGE eingegangen am 13. Juli 2006. Die Frage, wovon die Kläger in der Zeit von Januar bis Juni 2006 gelebt hätten, wurde nur mittelbar beantwortet. Es wurde mitgeteilt, dass das Arbeitsverhältnis zum 15. Januar 2006 gekündigt und seit 21. April 2006 fortgesetzt worden sei. Den dritten Fortzahlungsantrag stellte der Kläger zu 1 am 31. August 2006. Die späten Zeitpunkte für die Antragstellungen im Jahr 2006 können zwar unter Umständen noch damit begründet werden, dass die beiden Leistungsbescheide für das erste und das zweite Halbjahr 2006 erst am 7. November 2006 erlassen wurden. Dies wiederum beruhte aber auf der zöger-lichen Mitwirkung des Klägers zu 1.
Ein ähnliches Bild bietet sich in Bezug auf die Mitteilung des Klägers zu 1 über seine Erwerbstätigkeit. Am 11. Juni 2005 nahm er eine Beschäftigung in einem türkischen Imbissbetrieb mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 14 Stunden und einem monatlichen Bruttolohn von 160,00 EUR. Dies teilte er jedoch erst mit Veränderungsmitteilung vom 5. Oktober 2005 mit. Die zugehörende Erklärung und Bescheinigung tragen das Datum 10. und 12. Oktober 2005. Vom Ende dieses Beschäftigungsverhältnisses zum 15. Januar 2006 und dem erneuten Begin zum 21. April 2005 erfuhr die ARGE eher beiläufig in einem am 13. Juli 2006 eingegangenen, nicht datierten und nicht unterschriebenen Schreiben, das die Aufforderung zur Vorlage von anderen Unterlagen betraf. Die das neue Beschäftigungsverhältnis betreffenden Unterlagen wurden erst am 23. Oktober 2006 eingereicht. Die Veränderungsmitteilung, dass sich die Arbeitszeit ab 10. November 2006 verlängert und der monatliche Bruttolohn auf 425,00 EUR erhöht hatte, unterschrieb der Kläger am 5. Dezember 2006; sie ging am 12. Dezember 2006 bei der ARGE ein.
Bei Durchsicht der Verwaltungsakten fällt auch auf, dass sich die Kläger nur sehr zurückhaltend um den Fortgang ihrer Antragsverfahren kümmerten. Die erste Nachfrage wegen Leistungen für die Zeit ab 1. Januar 2007 ist für den 18. Oktober 2007 nachweisbar. Dies ist etwa ein ¾ Jahr nach dem Ende des letzten Bewilligungsabschnittes und sogar 10 ½ bis 11 Monate nach der behaupteten Antragstellung im November 2006. Ähnliches lässt sich bereits für das erste Halbjahr 2006 feststellen. Auf den Fortzahlungsantrag vom 3. Februar 2006 ist erstmals für den 21. Juni 2006 eine telefonische Nachfrage für die Kläger belegt. In beiden Zeiträumen war der errechnete Gesamtbedarf der Kläger nicht durch die ihnen zur Verfügung stehenden Einkommen zu decken.
Dieses zurückhaltende Verhalten im Verwaltungsverfahren ist möglicherweise in Teilen auf die Person des Klägers zu 1 zurückzuführen. So gab die Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2012 an, dass der Kläger zu 1 am liebsten keine Leistungen beantragt hätte. Er habe immer sein eigenes Geld verdienen wollen. Aus diesem Grund sei die Familie auch in die Schweiz gezogen, weil sie dort Arbeit gefunden hatten. Nur weil die Unterbringung von zwei Kindern in der Schweiz kaum zu finanzieren sei, seien sie wieder zurückgekehrt. Dass die Kläger im Jahr 2007 nicht wegen der ausbleibenden Leistungszahlungen nachgefragt hätten, habe seinen Grund darin, dass der Kläger zu 1 wegen der sehr hohen Rückforderung gehemmt gewesen sei. Er habe zwischen der Rückforderung einerseits und einem Leistungsanspruch für die aktuelle Zeit nicht unterschieden. Eine ähnliche Beschreibung gab der Zeuge N , der Schwiegervater des Klägers zu 1, ab. Diese von beiden beschriebene Einstellung des Klägers zu 1 ändert jedoch nichts an der Faktenlage.
Im vorliegenden Zusammenhang kann auch die Erklärung vom 18. Oktober 2007 nicht außer Acht gelassen werden. Aus dieser ergibt sich zweierlei. Zum einen gab der Kläger zu 1 an, dass wegen des Widerspruchsverfahrens zum Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 26. März 2007 noch kein Fortzahlungsantrag für den Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis 31. Dezember 2007 gestellt worden sei. Der Kläger zu 1 musste sich aber nicht erst im Jahr 2007 auf Grund der Rückforderung eines Betragen von über 18.000,00 EUR einem starken Druck durch die ARGE ausgesetzt sehen. Vielmehr waren ihm seitens der ARGE nach Aktenlage bereits im zweiten Halbjahr 2006 verschiedene sanktionsbewährte Verstöße gegen Pflichten nach dem SGB II vorgehalten worden. Es ist deshalb auch vor dem Hintergrund der beschriebenen Einstellung des Klägers zu 1 gegenüber einem Bezug von Leistungen nach dem SGB II nicht auszuschließen, dass er bereits im Herbst 2006 die von ihm angesprochene "Kulanz"-Erwägung anstellte.
Zum anderen ist in der Erklärung vom 18. Oktober 2007 formuliert, dass Leistungsan-sprüche für den gesamten Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2007 "generell und zwingend gegeben" seien. Ähnlich äußerte sich der Zeuge N in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2012. Es habe nie Dissens darüber gegeben, dass ein Leistungsanspruch für die Kläger bestanden hätte. Zwar hätten sich einzelne Umstände geändert, wie zum Beispiel das Kindergeld oder das Ausbildungsgeld; der Anspruch als solcher habe aber fortbestanden. Er hätte sich von der ARGE etwas mehr Kulanz, Geschmeidigkeit oder Fingerspitzengefühl erwartet. Der Fall weiche etwas von den anderen Fällen ab. Darin kommt die Vorstellung zum Ausdruck, dass es für einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II allein auf die materielle Anspruchsberechtigung ankomme. Hierbei wird allerdings die beschriebene Bedeutung des Antragserfordernisses aus § 37 Abs. 1 und 2 Satz 1 SGB II a. F. übersehen. Die Überlegungen des Zeugen N , der einen dreijährigen Verwaltungslehrgang besucht hatte, zu formellen Aspekten des Grundsicherungsrechtes, dürfte nicht ohne Auswirkung auf das Verhalten der Kläger im Verwaltungsverfahren geblieben sein. Der er unterstützte nach eigenen Angaben die Kläger bei Angelegenheiten gegenüber der ARGE und vertrat diese zeitweise auch als deren Bevollmächtigter.
In der Gesamtschau ergibt sich ein Bild des Klägers zu 1, der seinen Pflichten und Ob-liegenheiten in Angelegenheiten, die das SGB II betrafen, in zeitlicher Hinsicht wiederholt nicht in dem von ihm geforderten oder von ihm zu erwartenden Maße nachkam. Die von der Klägerbevollmächtigten und dem Zeugen N hierfür beschriebenen Umstände mögen nachvollziehbar sein, sind aber nicht geeignet, nach den einschlägigen rechtlichen Maßstäben das Verhalten zu rechtfertigen oder zu entschuldigen.
In Abwägung aller Fakten und Gesichtspunkte steht nicht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Zeuge N den Fortzahlungsantrag für Leistungen ab 1. Januar 2007 im November 2006 in den Briefkasten der ARGE einwarf.
Da sich der Sachverhalt trotz aller gebotenen Ermittlungen nicht hat aufklären lassen, stellt sich die die Frage, zu wessen Lasten die Nichterweislichkeit einer entscheidungserheb-lichen Tatsache geht (vgl. zum Sozialverwaltungsverfahren: von Wulffen, in: von Wulffen, SGB X [7. Aufl., 2010], § 20 Rdnr. 9; zum Sozialgerichtsverfahren: Leitherer, a. a. O., § 103 Rdnr. 19a). Nach den allgemeinen Regeln zur objektiven Beweislast gilt der Grundsatz, dass jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. von Wulffen, a. a. O.; Leitherer, a. a. O.). Für den Zeitpunkt des Einganges des konstitutiv wirkenden Leistungsantrages tragen danach die Kläger die objektive Beweislast. Somit hat die Nichterweislichkeit des Antragseinganges vor dem 18. Oktober 2007 zur Folge, dass wegen der Regelungen in § 37 Abs. 1 und 2 Satz 1 SGB II a. F. der geltend gemachte Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 17. Oktober 2007 nicht besteht.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) kann den Klägern nicht gewährt werden (vgl. BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 99/10 R = SozR 4-4200 § 37 Nr. 5 Rdnr. 23 = JURIS-Dokument Rdnr. 23, m. w. N.; BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 29/10 R = SozR 4-1200 § 14 Nr. 15 Rdnr. 11 = JURIS-Dokument Rdnr. 11). Nach § 27 Abs. 1 SGB X ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu ge-währen, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. In § 37 SGB II wird aber keine Frist festgesetzt, sondern das Verhältnis zwischen Leistungsbeginn und Antragstellung geregelt. Die Antragstellung ist nicht an eine Frist gebunden und der Ausschluss der Leistungsgewährung vor dem Tag der Antragstellung stellt keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist dar (vgl. BSG, a. a. O.).
Vorliegend stünde einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Übrigen entgegen, dass von den Klägern gerade die rechtzeitige Antragstellung behauptet wird. Die Nichterweislichkeit einer behaupteten rechtzeitigen Antragstellung begründet aber nicht Versäumung einer Antragsfrist.
3. Schließlich können die Kläger die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den streibefangenen Zeitraum auch nicht über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erhalten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 11. März 2004 – B 13 RJ 16/02 R – BSGE 92, 241 ff. Rdnr. 13 = SozR 4-2600 § 58 Nr. 3 Rdnr. 19 = JURIS-Dokument Rdnr. 24; BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 99/10 R = SozR 4-4200 § 37 Nr. 5 Rdnr. 24 = JURIS-Dokument Rdnr. 24, m. w. N.; vgl. auch Sächs. LSG, Beschluss vom 22. Juni 2011 – L 3 AS 290/10 B PKH –JURIS-Dokument Rdnr. 20, m. w. N.; Stratmann, in: Niesel/Brand, SGB III [5. Aufl., 2010], § 323 Anh Rdnr. 28 f.) setzt dieser Anspruch tatbestandlich voraus, dass der Sozialleistungsträger auf Grund Gesetzes oder bestehenden Sozialrechtsverhältnisses eine dem Betroffenen gegenüber obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (vgl. §§ 14, 15 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch– Allgemeiner Teil – (SGB I), verletzt und dadurch dem Betroffenen einen rechtlichen Nachteil zufügt. Auf der Rechtsfolgenseite ist der Her-stellungsanspruch auf Vornahme einer zulässigen Amtshandlung zur Herbeiführung der-jenigen Rechtsfolge gerichtet, die eingetreten wäre, wenn der Versicherungsträger die ihm gegenüber dem Versicherten obliegenden Pflichten rechtmäßig erfüllt hätte.
Für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der Kläger mangelt es bereits an einer Pflichtverletzung durch die ARGE. Denn die ARGE wies den Kläger zu 1 im Schreiben vom 10. November 2006 darauf hin, dass Leistungen bis einschließlich 31. Dezember 2006 bewilligt worden seien, und dass für eine weitere Bewilligung die Anspruchsvoraussetzungen erneut geprüft werden müssten. Der Kläger zu 1 wurde gebeten, den Fortzahlungs-antrag und die weiteren Anlagen vollständig auszufüllen und diesen zusammen mit eventuell notwendigen weiteren Unterlagen sobald wie möglich einzureichen, damit keine Zahlungsunterbrechung eintrete und er seine Leistungen pünktlich weiter erhalte. Dem Schreiben waren ein Fortzahlungsantrag sowie weitere Antragsanlagen beigefügt. Damit genügte die ARGE ihrer Beratungspflicht (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 99/10 R, a. a. O.). Aus dem Schreiben ging auch nach dem Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 119/10 R – BSGE 108, 86 ff. Rdnr. 18 = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21 Rdnr. 18 = JURIS-Dokument Rdnr. 18) in einer verständlichen Sprache und mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass im Falle des Fortbestehens der Hilfebedürftigkeit über den Bewilligungszeitraum hinaus Leistungen nur auf einen Fortzahlungsantrag hin und erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Antrags beim Grundsicherungsträger zu gewähren sind (vgl. zu diesen Anforderungen: BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 29/10 R = SozR 4-1200 § 14 Nr. 15 Rdnr. 15 = JURIS-Dokument Rdnr. 15). Dass die Kläger das Schreiben vom 10. November 2006 erhalten haben, ergibt sich aus den Ausführungen ihres damaligen Bevollmächtigten, des Zeugen N , in seinem Schreiben vom 8. Januar 2008.
Zudem würde es an der für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erforderlichen Kausalität fehlen. Denn selbst wenn der Hinweis auf die Notwendigkeit eines Fort-zahlungsantrages für Leistungen nach dem SGB II nicht oder nicht in ausreichendem Maße erfolgt wäre, hätte diese Pflichtverletzung bei der behaupteten Antragstellung noch vor Ablauf des aktuellen Bewilligungszeitraumes nicht ursächlich für die unterbliebene Leistungsbewilligung für den Folgezeitraum sein können.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Dr. Scheer Höhl Atanassov
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