S 6 R 595/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 595/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Keine Erwerbsminderungsrente bei Verweigerung einer zumutbaren Heilbehandlung (hier: Vollmaske bei Schlafapnoe)
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung an den Kläger.

Der 1961 geborene Kläger ist seit dem 30.03.2009 anerkannt schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.

Am 17.08.2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Zur Begründung gab er an, seit 2009 wegen Bandscheibenproblemen und einer Schlafapnoe nicht mehr in der Lage zu sein, irgendeine Arbeit zu verrichten.

Im Verwaltungsverfahren zog die Beklagte Befundberichte bei und ließ den Kläger begutachten. Dr. R. (Arzt für Orthopädie bei der ärztlichen Untersuchungsstelle der Beklagten) kommt in seinem Gutachten vom 30.09.2009 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger ein wiederkehrendes Lendenwirbelsäulensyndrom bei Bandscheibenvorwölbung L5/S1 in Kombination mit leichtem Verschleiß sowie ein unspezifisches Schulter-Arm-Syndrom links vorliegen würden. Unter Berücksichtigung dieser Erkrankungen sei auf langandauernde Zwangshaltungen der Wirbelsäule zu verzichten. Die letzte berufliche Tätigkeit sei aber in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich zuzumuten. Dr. C. (Arzt für Innere Medizin und Sozialmedizin bei der ärztlichen Untersuchungsstelle der Beklagten) kommt in seinem zusammenfassenden Gutachten vom 09.10.2009 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger zudem ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom bei Inakzeptanz der CPAP-Maske, substituierte Hashimoto-Thyreoiditis und behandelter Bluthochdruck ohne Folgeschäden vorliegen würden. Vor diesem Hintergrund hält er ihn noch für in der Lage, bis zu mittelschwere körperliche Arbeiten ohne Nachtarbeiten und ohne erhöhte Anforderungen an die Wachsamkeit in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich zu verrichten. Gestützt auf diese Gutachten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13.10.2009 den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, dass er weder voll noch teilweise erwerbsgemindert sei.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und reichte einen Abhilfebescheid über die Gewährung eines Grades der Behinderung von 50 ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei noch eine Erwerbsfähigkeit von mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhanden. Auf einen Berufsschutz könne sich der Kläger nicht berufen, da er nach dem 01.01.1961 geboren sei.

Am 04.02.2010 hat der Kläger zum Sozialgericht Freiburg Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass die bei ihm vorliegende sehr starke und schwerwiegende Erschöpfungssymptomatik im Zusammenhang mit dem nicht ausreichend behandelbaren Schlafapnoe-Syndrom zur Leistungsunfähigkeit führen würde.

Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 13.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm auf Dauer, hilfsweise befristet, Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Bescheid auch nach der im gerichtlichen Verfahren durchgeführten weiteren Sachverhaltsermittlung für rechtmäßig.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte bei den behandelnden Ärzten des Klägers, namentlich beim Zeugen Dr. W. (Facharzt für Innere Medizin und Hausarzt des Klägers in F.), beim Zeugen Dr. S. (Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie in B. K.), beim Zeugen Dr. H. (Facharzt für Orthopädie in F.), beim Zeugen Dr. T. (Arzt für Pneumologie in F.), beim Zeugen Dr. H. (Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde in F.) und beim Zeugen Dr. St. (Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie in B. K.).

Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten im Gerichts- und Verwaltungsverfahren sowie wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten über den Kläger verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 13.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2010 ist rechtmäßig. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung noch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung noch einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben gemäß § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit geleistet und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Nach § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit geleistet und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Darüber hinaus haben nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit Versicherte, die teilweise erwerbsgemindert sind, jedoch keinen Teilzeitarbeitsplatz innehaben, einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urt. v. 08.09.2005 – B 13 RJ 10/04 R, SozR 4-2600 § 101 Nr. 2 und BSG, Urt. v. 10.12.2003 – B 5 RJ 64/02 R, SozR 4-2600 § 44 Nr. 1). Es ist nämlich auch nach Inkrafttreten des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) nicht davon auszugehen, dass Teilzeitstellen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt schlechthin in genügender Anzahl zur Verfügung stehen. In einem solchen Fall schlägt eine teilweise Erwerbsminderung auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung durch.

Der Kläger ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.

Voll erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI ist teilweise erwerbsgemindert, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach der Vorschrift des § 43 Abs. 3 SGB VI schließlich nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Berücksichtigung der jeweiligen Arbeitsmarktlage mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.

Der Kläger ist nach der Überzeugung der Kammer in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Diese Überzeugung stützt die Kammer auf die eingeholten sachverständigen Zeugenauskünfte und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsgutachten.

Die beim Kläger vorliegenden Beeinträchtigungen orthopädischer und internistischer Genese (wiederkehrendes Lendenwirbelsäulensyndrom bei Bandscheibenvorwölbung L5/S1 in Kombination mit leichtem Verschleiß und unspezifisches Schulter-Arm-Syndrom links sowie obstruktives Schlafapnoe-Syndrom bei Inakzeptanz der CPAP-Maske, substituierte Hashimoto-Thyreoiditis und behandelter Bluthochdruck ohne Folgeschäden) bedingen jeweils für sich genommen und auch zusammengenommen zwar qualitative, nicht aber quantitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. Ihre diesbezügliche Überzeugung stützt die Kammer auf die Verwaltungsgutachten von Dr. R. und Dr. C., in denen schlüssig, nachvollziehbar und daher überzeugend dargelegt wird, dass der Kläger unter Beachtung bestimmter qualitativer Einschränkungen noch regelmäßig einer Erwerbstätigkeit in einem quantitativen Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich nachgehen kann. Rentenrechtlich relevante Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit sind danach nicht gegeben.

Gestützt wird dieses Ergebnis auf orthopädischem Gebiet durch die sachverständige Zeugenauskunft des behandelnden Orthopäden Dr. H. vom 07.05.2010, der darin ebenfalls ein sechsstündiges Leistungsvermögen bejaht. Auf internistischem Gebiet bestätigt der behandelnde Kardiologe Dr. S. in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 30.04.2010, dass kein Grund für eine körperliche Einschränkung der Erwerbstätigkeit in vollem Umfang bestehe. Aus der sachverständigen Zeugenauskunft des Hausarztes Dr. W. folgen demgegenüber keine schwerwiegenderen Befunde, die eine Abweichung von den fachärztlichen Beurteilungen begründen würden. Dr. W. hält zudem eine leichte körperliche Tätigkeit "für wenige Stunden pro Tag" für möglich, eine Verwendung des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt scheine lediglich "eher unwahrscheinlich". Diese Auskunft begründet weder den Nachweis einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit noch Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen. Im Übrigen soll der Schwerpunkt der Beeinträchtigung nach der sachverständigen Zeugenauskunft des behandelnden Hals-Nasen-Ohren-Arztes Dr. H. vom 29.06.2010 auf dem Gebiet der Schlafapnoe liegen.

Die auch vom Kläger insbesondere geltend gemachte "sehr starke und schwerwiegende Erschöpfungssymptomatik im Zusammenhang mit dem nicht ausreichend behandelbaren Schlafapnoe-Syndrom" begründet jedoch ebenfalls keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente, selbst wenn man als wahr unterstellt, dass der Kläger – wovon die Kammer nicht überzeugt ist – aufgrund der Schlafapnoe in seiner quantitativen Erwerbsfähigkeit in rentenrechtlich relevantem Maß eingeschränkt ist. Denn der durch diese Erkrankung bedingte Zustand kann nicht als dauerhaft angesehen werden.

So berichtet Dr. T. in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 22.04.2010, dass die Schlafapnoe-Erkrankung mit einer Maskentherapie gut behandelbar ist, wie die polygrafisch nachgewiesene sehr gute Atemsituation des Klägers unter Maskentherapie im Schlaflabor zeigt. Dr. T. schließt zudem nachvollziehbar auf ein sechsstündiges Leistungsvermögen des Klägers. Erst Dr. St. berichtet in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 13.07.2010, dass der Kläger nur unter dreistündig leistungsfähig sei, wenn die Schlafapnoe unbehandelt bliebe. Die Maskentherapie über eine Nasenmaske zeigte zwar in einem erneuten Aufenthalt im Schlaflabor wiederum eine messtechnisch gute Einstellung, allerdings lehnte der Kläger den bei diesem System üblicherweise zu verwendenden Luftbefeuchter ab, was in der Folge zu stark behinderter Nasenatmung führte. In einem weiteren Schlaflaboraufenthalt wurde beim Kläger dann eine Therapie mit einer Vollmaske (Mund und Nase) ausprobiert, die Dr. St. bereits in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 13.07.2010 angeregt hatte. Das Ergebnis benennt Dr. St. in seinem Schreiben vom 19.12.2010 als "objektivierbar in Ordnung" mit einer Schlafeffizienz von 81 % bzw. 96 %. Im krassen Gegensatz dazu habe der Kläger die Schlafqualität als extrem schlecht empfunden und jeden weiteren Therapieversuch mit der Begründung abgelehnt, dass er wisse, dass es nicht klappen werde.

Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass noch erfolgversprechende Therapiemöglichkeiten bestehen, die bislang nicht ausgeschöpft sind. So kann der Kläger die Vollmaske zunächst mehrere Wochen zu Hause ausprobieren, weil dann mit einem Gewöhnungseffekt und besserer Akzeptanz zu rechnen ist. Diese naheliegende Möglichkeit verweigert der Kläger aber mit einer nicht nachvollziehbaren Begründung.

Diese Verweigerung einer Heilbehandlung verhindert zusätzlich einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente. Denn nach § 63 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I) soll sich, wer wegen Krankheit oder Behinderung Sozialleistungen beantragt oder erhält, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers einer Heilbehandlung unterziehen, wenn zu erwarten ist, dass sie eine Besserung seines Gesundheitszustands herbeiführen oder eine Verschlechterung verhindern wird. Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit beantragt oder erhält, dieser Mitwirkungspflicht nicht nach und ist unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass deshalb die Fähigkeit zur selbstständigen Lebensführung, die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert wird, kann der Leistungsträger gemäß § 66 Abs. 2 SGB I die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Die Therapie mit einer Vollmaske ist auch unter Berücksichtigung der Grenzen der Mitwirkung nach § 65 SGB I eine zumutbare Heilbehandlung, die die Erwerbsfähigkeit des Klägers verbessern würde. Wenn der Kläger demgegenüber bereits im Vorfeld mitteilt, dass er sich einer solchen Heilbehandlung keinesfalls unterziehen wird, ist das Gericht gehindert, eine Erwerbsminderungsrente zuzusprechen, die von der Verwaltung zu versagen oder jedenfalls sogleich wieder zu entziehen wäre. Denn auch im Sozialrecht gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz, dass arglistig handelt, wer fordert, was sofort zurückzugeben ist (dolo facit, qui petit, quod statim redditurus est). Ein solcher auf Arglist beruhender Anspruch ist deshalb von vornherein nicht zu erfüllen.

Ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung des Klägers besteht somit nicht. Auch ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI scheidet aus, da der Kläger nicht vor dem 02.01.1961 geboren ist. Der angefochtene Bescheid ist daher rechtmäßig und die Klage war somit abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und folgt dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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