Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 3771/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine Einstellung von laufenden Sozialhilfeleistungen wegen Änderung der örtlichen Zuständigkeit ist nicht ohne weiteres zulässig. Der bisher zuständige Träger hat den vermeintlich nunmehr zuständigen Träger über den Hilfefall zu informieren und - wenn dieser seine Zuständigkeit verneint - zumindest vorläufige Leistungen gemäß § 43 SGB I anzubieten.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 24.7.2012 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.6.2012 wird angeordnet. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Bescheid, mit dem der Antragsgegner unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen aufgehoben hat.
Der Antragsgegner bewilligte der am xxx geborenen Antragstellerin zuletzt mit Bescheid vom 6.12.2011 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII) vom 1.11.2011 bis zum 31.10.2012 in Höhe von 813,90 EUR monatlich (ab November 2011) bzw. 823,12 EUR monatlich (ab Januar 2012). Zum 31.5.2012 kündigte der Vermieter der Antragstellerin deren Mietverhältnis für ihre Wohnung in M im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners. Hiervon erhielt der Antragsgegner durch die Betreuerin der Antragstellerin Ende März 2012 Kenntnis; dabei wurde angegeben, die Klägerin habe zum 1.6.2012 eine Wohnung in B (ebenfalls Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners) gefunden. Vom 10.5.2012 an übernachtete die Antragstellerin bei einem Bekannten, Herrn G, in dessen Wohnung in BB (Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen Ziff. 1). Möbel und Hausrat der Antragstellerin verblieben in der Wohnung in M, eine melderechtliche Änderung erfolgte nicht. Mit Schreiben der Betreuerin vom 16.5.2012 wurde dem Antragsgegner mitgeteilt, dass das Mietverhältnis in B nicht zustande gekommen sei. Am 14.6.2012 wurde die Antragstellerin zur stationären Behandlung in E (Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen Ziff. 2) aufgenommen. Sie befindet sich seither dort.
Mit Bescheid vom 26.6.2012 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 6.12.2011 unter Berufung auf § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) auf, stellte die Grundsicherungsleistungen mit Wirkung zum 1.7.2012 ein und ordnete an, dass die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs und einer Klage gegen diesen Bescheid entfalle (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Zur Begründung führte der Antragsgegner u. a. aus, die Antragstellerin habe nunmehr ihren gewöhnlichen Aufenthalt in BB, so dass nicht der Antragsgegner, sondern der Beigeladene Ziff. 1 zuständig sei.
Der Beigeladene Ziff. 1 lehnte die Gewährung von Sozialhilfeleistungen für die Antragstellerin mit Bescheid vom 17.7.2012 mangels Zuständigkeit ab. Er hielt weiterhin den Antragsgegner, hilfsweise den Beigeladenen Ziff. 2 für zuständig.
Am 24.7.2012 erhob die Betreuerin der Antragstellerin Widerspruch gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.6.2012. Am 31.7.2012 beantragte die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beim Sozialgericht Freiburg die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs. Zugleich beantragte sie in einem weiteren Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Az. S 9 SO 3770/12 ER) die Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme von Umzugskosten im Wege der einstweiligen Anordnung.
Der Antragsgegner teilte auf telefonische Anfrage des Vorsitzenden vom 1.8.2012 am 2.8.2012 durch Frau R mit (ebenfalls fernmündlich), dass dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung entgegengetreten werde. Weiter wurde mitgeteilt, dass sich der Antragsgegner telefonisch mit beiden Beigeladenen in Verbindung gesetzt habe, diese ihre Zuständigkeit aber ebenfalls verneinen würden und dementsprechend nicht zu vorläufigen Leistungen bereit seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Gerichts, S 9 SO 3770/12 ER und S 9 SO 3771/12 ER, Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Gem. § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nach Maßgabe dieser Vorschrift statthaft, denn der Widerspruch des Antragstellers vom 31.8.2010 hat gem. § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG keine aufschiebende Wirkung, weil der Antragsgegner unter Bezugnahme auf die genannte Vorschrift die sofortige Vollziehung seines Bescheides vom 26.6.2012 angeordnet hat.
§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gibt selbst keinen Maßstab vor, wann die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist. Diese Lücke ist durch die analoge Anwendung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu schließen. Das Gericht nimmt danach eine eigenständige Abwägung der Beteiligteninteressen vor. Es wägt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug und das private Aufschubinteresse ab. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Denn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sollen keine Positionen eingeräumt werden, die im Hauptsacheverfahren erkennbar nicht standhalten. Bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Bescheide ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs die Anordnung hingegen abzulehnen. Die gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich somit entsprechend § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG in der Regel aus den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.10.2008, Az. L 13 AS 4562/08 ER-B, (juris)). Bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG, in denen der Rechtsbehelf von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat, ist diese Entscheidung des Gesetzgebers, den abstrakten öffentlichen Interessen den Vorrang einzuräumen, zu beachten (LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.4.2008, Az. L 7 AS 1398/08 ER-B, (juris)). Umgekehrt wird in den Fällen, in denen eine Behörde die gesetzlich angeordnete aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG außer Kraft zu setzen sucht, ein offenes Ergebnis der Abwägung zur (Wieder-)Anordnung der gesetzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung führen.
In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über Leistungen zur Existenzsicherung wie hier ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 12.5.2005, Az. 1 BvR 569/05, (juris)) zusätzlich zu beachten, dass es den Gerichten obliegt, sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt in besonderem Maße, wenn es um die Würde des Menschen geht, deren Wahrung das Existenzminimum sichernde Leistungen dienen. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Wegen des grundrechtlichen Gewichts der existenzsichernden Sozialleistungen kann im Einzelfall im Rahmen der Abwägungsentscheidung selbst eine gesetzlich angeordnete sofortige Vollziehbarkeit sogar dann nachrangig sein, wenn keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Dabei kommt es darauf an, ob die Leistung vollständig oder zu einem erheblichen Teil entzogen wird oder nur geringfügige Einschränkungen vorgenommen werden (LSG Baden-Württemberg a. a. O.). Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass bei einer nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG lediglich behördlich angeordneten sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts, der zudem einen völligen Wegfall der Leistungen zur Folge hat, zusätzlich zur offenkundigen Rechtmäßigkeit des Bescheides ein Sofortvollzugsinteresse von erheblichem Gewicht kommen muss, um den mit der sofortigen Vollziehung verbundenen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen.
Ausgehend von diesen rechtlichen Voraussetzungen war hier wie erkannt zu entscheiden, weil der Bescheid vom 26.6.2012 nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich gebotenen summarischen Prüfung wahrscheinlich rechtswidrig und ein die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigendes öffentliches Interesse nicht zu erkennen ist.
Die wahrscheinliche Rechtswidrigkeit des Bescheides ergibt sich erstens daraus, dass die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners nach dem in der Antragsschrift dargelegten Sachverhalt überhaupt nicht entfallen sein dürfte. Unstreitig hatte die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in dessen Zuständigkeitsbereich (§ 98 Absatz 1 S. 2 SGB XII). Unter den gegebenen Umständen (Bemühen um eine neue Wohnung in B, also im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners; Verbleib von Hausrat und Mobiliar ebendort; keine melderechtliche Änderung; provisorische Übernachtung bei einem Bekannten im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen Ziff. 1) erscheint es nicht naheliegend, dass die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners aufgegeben und einen anderen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat. Vom Zeitpunkt der Aufnahme in E an könnte § 98 Abs. 2 S. 1 SGB XII einschlägig sein, der aber ebenfalls zur örtlichen Zuständigkeit des Antragsgegners führt.
Zweitens ist der Bescheid vom 26.6.2012 wahrscheinlich selbst dann rechtswidrig, wenn die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners tatsächlich vor dem 1.7.2012 weggefallen sein sollte. Wie sich aus §§ 16 Abs. 2 S. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I), 18 SGB XII ergibt, ist eine ablehnende Sachentscheidung über einen Antrag auf Sozialhilfeleistungen mangels örtlicher Zuständigkeit nicht gestattet. Vielmehr ist die Weiterleitung des Antrags an den für zuständig gehaltenen Leistungsträger geboten. Darüber hinaus dürfte der zuerst angegangene Leistungsträger verpflichtet sein, bei dem Grunde nach unbestrittenem Leistungsanspruch und negativem Kompetenzkonflikt (also Weigerung des für zuständig gehaltenen Leistungsträgers, Leistungen zu erbringen), entweder nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 SGB I vorläufige Leistungen zu erbringen und anschließend ein Erstattungsverfahren gegen den anderen Träger nach § 102 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) einzuleiten oder zumindest aufgrund seiner Beratungspflicht gemäß § 14 SGB I den Antragsteller darauf hinzuweisen, dass auf seinen Antrag er anstelle des anderen Trägers leisten wird, weil ein solcher Antrag einen Leistungsanspruch des Antragstellers ohne Ermessensspielraum für Erstträger gemäß § 43 Abs. 1 S. 2 SGB I auslöst. Nur bei einer solchen Vorgehensweise bleibt der Zweck der vorbenannten Regelungen gewahrt, einen Kompetenzkonflikt nicht auf dem Rücken des Antragstellers auszutragen, und kommt der Leistungsträger seiner Pflicht nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I nach, für eine effektive Leistungsgewährung Sorge zu tragen. Es soll bei einem Kompetenzkonflikt sichergestellt sein, dass der Antragsteller gleichwohl seine Leistungen vor endgültiger Klärung des Konfliktes zeitnah erhalten kann (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks 7/868 S. 29). Besondere Bedeutung erlangen diese Vorschriften bei Grundsicherungsleistungen nach dem SGB I oder XII, weil sie den Leistungsberechtigten davon entlasten, sein Existenzminimum im gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz sicherstellen zu müssen (vgl. zu all dem Hessisches LSG, Beschl. v. 9.9.2011, Az. L 7 SO 190/11 B ER, (juris)).
Eine entsprechende Pflichtensituation besteht für einen Sozialhilfeträger, wenn seine vermeintliche örtliche Unzuständigkeit nicht von Anfang an vorliegt, sondern nach seiner Auffassung während des laufenden Leistungsbezuges eintritt. Auch in einem solchen Fall ist der Erstträger gehalten, den von ihm für nunmehr zuständig gehaltenen Leistungsträger über den Hilfefall zu informieren, im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts von einer Aufhebung der laufenden Leistungsbewilligung, zumindest aber der Anordnung ihrer sofortigen Vollziehung abzusehen und die Zuständigkeit im Erstattungsverfahren zu klären. Allenfalls kommt noch eine Aufhebung der Leistungsbewilligung unter gleichzeitiger Gewährung vorläufiger Leistungen nach § 43 Abs. 1 S. 1 SGB I oder Erteilung eines Hinweises auf § 43 Absatz 1 S. 2 SGB I in Betracht. Hier liegt ein solcher negativer Kompetenzkonflikt bei unstreitigem Anspruch der Antragstellerin dem Grunde nach vor. Die ersatzlose Aufhebung der Leistungsbewilligung und Leistungseinstellung wie vom Antragsgegner verfügt ist daher wohl nicht statthaft.
Schließlich erscheint die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts vom 26.6.2012 unabhängig von dessen Rechtmäßigkeit nicht hinreichend durch öffentliche Interessen gerechtfertigt, wie von § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG vorausgesetzt. Der Antragsgegner begründet diese Entscheidung mit seinem eigenen Interesse, keine Steuermittel für (gegen ihn) nicht bestehende Sozialhilfeansprüche aufzuwenden sowie dem Interesse der Antragstellerin, nicht einen Lebensstandard oberhalb der Sozialhilfegrenzen zu unterhalten und nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit Rückforderungen belastet zu werden. Beides ist aber mit der aufschiebenden Wirkung von Widersprüchen gegen Verwaltungsakte, die Bewilligungsbescheide aufheben, zwingend verbunden; könnte hiermit bereits das Interesse an der sofortigen Vollziehung begründet werden, hätte der Gesetzgeber den Wegfall der aufschiebenden Wirkung für derartige Fälle allgemein und nicht lediglich in hier nicht einschlägigen Ausnahmefällen (vgl. etwa § 86a Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGG) angeordnet. Das angebliche Interesse der Antragstellerin, einen vorübergehenden unangemessenen Lebensstandard und hieraus resultierende Rückforderungsansprüche zu vermeiden, trifft darüber hinaus vorliegend nicht einmal zu. Die Antragstellerin beansprucht nicht mehr als die ihr dem Grunde nach unstreitig zustehende Grundsicherung. Gestritten wird lediglich darüber, welcher Träger diese Leistungen letztendlich zu erbringen hat. Schließlich verkennt der Antragsgegner, dass die unstreitige Leistungsberechtigung der Antragstellerin dem Grunde nach sowie die ihm unbenommene Möglichkeit, bei dem von ihm für zuständig gehaltenen Träger Erstattung geltend zu machen, mit erheblichem Gewicht gegen die sofortige Vollziehung sprechen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Bescheid, mit dem der Antragsgegner unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen aufgehoben hat.
Der Antragsgegner bewilligte der am xxx geborenen Antragstellerin zuletzt mit Bescheid vom 6.12.2011 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII) vom 1.11.2011 bis zum 31.10.2012 in Höhe von 813,90 EUR monatlich (ab November 2011) bzw. 823,12 EUR monatlich (ab Januar 2012). Zum 31.5.2012 kündigte der Vermieter der Antragstellerin deren Mietverhältnis für ihre Wohnung in M im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners. Hiervon erhielt der Antragsgegner durch die Betreuerin der Antragstellerin Ende März 2012 Kenntnis; dabei wurde angegeben, die Klägerin habe zum 1.6.2012 eine Wohnung in B (ebenfalls Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners) gefunden. Vom 10.5.2012 an übernachtete die Antragstellerin bei einem Bekannten, Herrn G, in dessen Wohnung in BB (Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen Ziff. 1). Möbel und Hausrat der Antragstellerin verblieben in der Wohnung in M, eine melderechtliche Änderung erfolgte nicht. Mit Schreiben der Betreuerin vom 16.5.2012 wurde dem Antragsgegner mitgeteilt, dass das Mietverhältnis in B nicht zustande gekommen sei. Am 14.6.2012 wurde die Antragstellerin zur stationären Behandlung in E (Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen Ziff. 2) aufgenommen. Sie befindet sich seither dort.
Mit Bescheid vom 26.6.2012 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 6.12.2011 unter Berufung auf § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) auf, stellte die Grundsicherungsleistungen mit Wirkung zum 1.7.2012 ein und ordnete an, dass die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs und einer Klage gegen diesen Bescheid entfalle (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Zur Begründung führte der Antragsgegner u. a. aus, die Antragstellerin habe nunmehr ihren gewöhnlichen Aufenthalt in BB, so dass nicht der Antragsgegner, sondern der Beigeladene Ziff. 1 zuständig sei.
Der Beigeladene Ziff. 1 lehnte die Gewährung von Sozialhilfeleistungen für die Antragstellerin mit Bescheid vom 17.7.2012 mangels Zuständigkeit ab. Er hielt weiterhin den Antragsgegner, hilfsweise den Beigeladenen Ziff. 2 für zuständig.
Am 24.7.2012 erhob die Betreuerin der Antragstellerin Widerspruch gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.6.2012. Am 31.7.2012 beantragte die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beim Sozialgericht Freiburg die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs. Zugleich beantragte sie in einem weiteren Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Az. S 9 SO 3770/12 ER) die Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme von Umzugskosten im Wege der einstweiligen Anordnung.
Der Antragsgegner teilte auf telefonische Anfrage des Vorsitzenden vom 1.8.2012 am 2.8.2012 durch Frau R mit (ebenfalls fernmündlich), dass dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung entgegengetreten werde. Weiter wurde mitgeteilt, dass sich der Antragsgegner telefonisch mit beiden Beigeladenen in Verbindung gesetzt habe, diese ihre Zuständigkeit aber ebenfalls verneinen würden und dementsprechend nicht zu vorläufigen Leistungen bereit seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Gerichts, S 9 SO 3770/12 ER und S 9 SO 3771/12 ER, Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Gem. § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nach Maßgabe dieser Vorschrift statthaft, denn der Widerspruch des Antragstellers vom 31.8.2010 hat gem. § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG keine aufschiebende Wirkung, weil der Antragsgegner unter Bezugnahme auf die genannte Vorschrift die sofortige Vollziehung seines Bescheides vom 26.6.2012 angeordnet hat.
§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gibt selbst keinen Maßstab vor, wann die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist. Diese Lücke ist durch die analoge Anwendung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu schließen. Das Gericht nimmt danach eine eigenständige Abwägung der Beteiligteninteressen vor. Es wägt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug und das private Aufschubinteresse ab. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Denn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sollen keine Positionen eingeräumt werden, die im Hauptsacheverfahren erkennbar nicht standhalten. Bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Bescheide ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs die Anordnung hingegen abzulehnen. Die gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich somit entsprechend § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG in der Regel aus den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.10.2008, Az. L 13 AS 4562/08 ER-B, (juris)). Bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG, in denen der Rechtsbehelf von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat, ist diese Entscheidung des Gesetzgebers, den abstrakten öffentlichen Interessen den Vorrang einzuräumen, zu beachten (LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.4.2008, Az. L 7 AS 1398/08 ER-B, (juris)). Umgekehrt wird in den Fällen, in denen eine Behörde die gesetzlich angeordnete aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG außer Kraft zu setzen sucht, ein offenes Ergebnis der Abwägung zur (Wieder-)Anordnung der gesetzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung führen.
In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über Leistungen zur Existenzsicherung wie hier ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 12.5.2005, Az. 1 BvR 569/05, (juris)) zusätzlich zu beachten, dass es den Gerichten obliegt, sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt in besonderem Maße, wenn es um die Würde des Menschen geht, deren Wahrung das Existenzminimum sichernde Leistungen dienen. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Wegen des grundrechtlichen Gewichts der existenzsichernden Sozialleistungen kann im Einzelfall im Rahmen der Abwägungsentscheidung selbst eine gesetzlich angeordnete sofortige Vollziehbarkeit sogar dann nachrangig sein, wenn keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Dabei kommt es darauf an, ob die Leistung vollständig oder zu einem erheblichen Teil entzogen wird oder nur geringfügige Einschränkungen vorgenommen werden (LSG Baden-Württemberg a. a. O.). Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass bei einer nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG lediglich behördlich angeordneten sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts, der zudem einen völligen Wegfall der Leistungen zur Folge hat, zusätzlich zur offenkundigen Rechtmäßigkeit des Bescheides ein Sofortvollzugsinteresse von erheblichem Gewicht kommen muss, um den mit der sofortigen Vollziehung verbundenen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen.
Ausgehend von diesen rechtlichen Voraussetzungen war hier wie erkannt zu entscheiden, weil der Bescheid vom 26.6.2012 nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich gebotenen summarischen Prüfung wahrscheinlich rechtswidrig und ein die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigendes öffentliches Interesse nicht zu erkennen ist.
Die wahrscheinliche Rechtswidrigkeit des Bescheides ergibt sich erstens daraus, dass die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners nach dem in der Antragsschrift dargelegten Sachverhalt überhaupt nicht entfallen sein dürfte. Unstreitig hatte die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in dessen Zuständigkeitsbereich (§ 98 Absatz 1 S. 2 SGB XII). Unter den gegebenen Umständen (Bemühen um eine neue Wohnung in B, also im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners; Verbleib von Hausrat und Mobiliar ebendort; keine melderechtliche Änderung; provisorische Übernachtung bei einem Bekannten im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen Ziff. 1) erscheint es nicht naheliegend, dass die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners aufgegeben und einen anderen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat. Vom Zeitpunkt der Aufnahme in E an könnte § 98 Abs. 2 S. 1 SGB XII einschlägig sein, der aber ebenfalls zur örtlichen Zuständigkeit des Antragsgegners führt.
Zweitens ist der Bescheid vom 26.6.2012 wahrscheinlich selbst dann rechtswidrig, wenn die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners tatsächlich vor dem 1.7.2012 weggefallen sein sollte. Wie sich aus §§ 16 Abs. 2 S. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I), 18 SGB XII ergibt, ist eine ablehnende Sachentscheidung über einen Antrag auf Sozialhilfeleistungen mangels örtlicher Zuständigkeit nicht gestattet. Vielmehr ist die Weiterleitung des Antrags an den für zuständig gehaltenen Leistungsträger geboten. Darüber hinaus dürfte der zuerst angegangene Leistungsträger verpflichtet sein, bei dem Grunde nach unbestrittenem Leistungsanspruch und negativem Kompetenzkonflikt (also Weigerung des für zuständig gehaltenen Leistungsträgers, Leistungen zu erbringen), entweder nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 SGB I vorläufige Leistungen zu erbringen und anschließend ein Erstattungsverfahren gegen den anderen Träger nach § 102 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) einzuleiten oder zumindest aufgrund seiner Beratungspflicht gemäß § 14 SGB I den Antragsteller darauf hinzuweisen, dass auf seinen Antrag er anstelle des anderen Trägers leisten wird, weil ein solcher Antrag einen Leistungsanspruch des Antragstellers ohne Ermessensspielraum für Erstträger gemäß § 43 Abs. 1 S. 2 SGB I auslöst. Nur bei einer solchen Vorgehensweise bleibt der Zweck der vorbenannten Regelungen gewahrt, einen Kompetenzkonflikt nicht auf dem Rücken des Antragstellers auszutragen, und kommt der Leistungsträger seiner Pflicht nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I nach, für eine effektive Leistungsgewährung Sorge zu tragen. Es soll bei einem Kompetenzkonflikt sichergestellt sein, dass der Antragsteller gleichwohl seine Leistungen vor endgültiger Klärung des Konfliktes zeitnah erhalten kann (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks 7/868 S. 29). Besondere Bedeutung erlangen diese Vorschriften bei Grundsicherungsleistungen nach dem SGB I oder XII, weil sie den Leistungsberechtigten davon entlasten, sein Existenzminimum im gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz sicherstellen zu müssen (vgl. zu all dem Hessisches LSG, Beschl. v. 9.9.2011, Az. L 7 SO 190/11 B ER, (juris)).
Eine entsprechende Pflichtensituation besteht für einen Sozialhilfeträger, wenn seine vermeintliche örtliche Unzuständigkeit nicht von Anfang an vorliegt, sondern nach seiner Auffassung während des laufenden Leistungsbezuges eintritt. Auch in einem solchen Fall ist der Erstträger gehalten, den von ihm für nunmehr zuständig gehaltenen Leistungsträger über den Hilfefall zu informieren, im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts von einer Aufhebung der laufenden Leistungsbewilligung, zumindest aber der Anordnung ihrer sofortigen Vollziehung abzusehen und die Zuständigkeit im Erstattungsverfahren zu klären. Allenfalls kommt noch eine Aufhebung der Leistungsbewilligung unter gleichzeitiger Gewährung vorläufiger Leistungen nach § 43 Abs. 1 S. 1 SGB I oder Erteilung eines Hinweises auf § 43 Absatz 1 S. 2 SGB I in Betracht. Hier liegt ein solcher negativer Kompetenzkonflikt bei unstreitigem Anspruch der Antragstellerin dem Grunde nach vor. Die ersatzlose Aufhebung der Leistungsbewilligung und Leistungseinstellung wie vom Antragsgegner verfügt ist daher wohl nicht statthaft.
Schließlich erscheint die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts vom 26.6.2012 unabhängig von dessen Rechtmäßigkeit nicht hinreichend durch öffentliche Interessen gerechtfertigt, wie von § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG vorausgesetzt. Der Antragsgegner begründet diese Entscheidung mit seinem eigenen Interesse, keine Steuermittel für (gegen ihn) nicht bestehende Sozialhilfeansprüche aufzuwenden sowie dem Interesse der Antragstellerin, nicht einen Lebensstandard oberhalb der Sozialhilfegrenzen zu unterhalten und nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit Rückforderungen belastet zu werden. Beides ist aber mit der aufschiebenden Wirkung von Widersprüchen gegen Verwaltungsakte, die Bewilligungsbescheide aufheben, zwingend verbunden; könnte hiermit bereits das Interesse an der sofortigen Vollziehung begründet werden, hätte der Gesetzgeber den Wegfall der aufschiebenden Wirkung für derartige Fälle allgemein und nicht lediglich in hier nicht einschlägigen Ausnahmefällen (vgl. etwa § 86a Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGG) angeordnet. Das angebliche Interesse der Antragstellerin, einen vorübergehenden unangemessenen Lebensstandard und hieraus resultierende Rückforderungsansprüche zu vermeiden, trifft darüber hinaus vorliegend nicht einmal zu. Die Antragstellerin beansprucht nicht mehr als die ihr dem Grunde nach unstreitig zustehende Grundsicherung. Gestritten wird lediglich darüber, welcher Träger diese Leistungen letztendlich zu erbringen hat. Schließlich verkennt der Antragsgegner, dass die unstreitige Leistungsberechtigung der Antragstellerin dem Grunde nach sowie die ihm unbenommene Möglichkeit, bei dem von ihm für zuständig gehaltenen Träger Erstattung geltend zu machen, mit erheblichem Gewicht gegen die sofortige Vollziehung sprechen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
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