L 5 R 266/11

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 24 R 723/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 266/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein ausdrücklich auf die Regelung in § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6 gestützter Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht ist nicht dahingehend auszulegen, dass - hilfsweise - auch die Feststellung des
Nichtbestehens von Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung begehrt werde.

2. Die Regelung in § 207 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 3 (in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung) betrifft ausschließllich Fällle der Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6 und nicht Fällle der - fehlerhaften - Annahme von Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.

3. Für die Erstattung bzw. Weiterleitung zu Unrecht aus dem Arbeitslosengeld einbehaltener Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung bedarf es keines gesonderten, feststellenden
"Befeiungsbescheides".
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 24. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) auf Grund einer selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin, wegen der die Klägerin Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung ist.

Die 1967 geborene Klägerin absolvierte vom 3. Juli 2007 bis 21. September 2009 das Rechtsreferendariat. Die Nachentrichtung von Beiträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung wurde für diesen Zeitraum nach § 184 Abs. 2 SGB VI zunächst aufgeschoben (im Ergebnis erfolgte eine Nachversicherung an das Sächsische Rechtsanwaltsversorgungswerk). Ab 22. September (bis 1. Juni 2010) bezog sie Arbeitslosengeld. Im Bewilligungsbescheid vom 7. Oktober 2009 ging die Bundesagentur für Arbeit (BA) von Versicherungspflicht u. a. in der gesetzlichen Rentenversicherung aus und entrichtete die entsprechenden Beiträge. Seit dem 9. Dezember ist die Klägerin als Rechtsanwältin zugelassen und Mitglied im Sächsischen Rechtsanwaltsversorgungswerk.

Ihren Antrag vom 21. Dezember 2009 auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Mai 2010 mit der Begründung ab, eine Befreiung nach dieser Vorschrift erfordere die tatsächliche Ausübung einer berufsspezifischen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit. Es handele sich um eine tätigkeits- und nicht um eine personenbezogene Befreiungsmöglichkeit. Da sie tatsächlich einer Tätigkeit im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht nachgehe - bzw. im streitigen Zeitraum nicht nachgegangen sei -, komme eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach dieser Vorschrift nicht in Betracht. Der Bezug von Arbeitslosengeld sei einer berufsspezifischen Beschäftigung oder Tätigkeit nicht gleichzustellen.

Die am 9. Juni 2010 erhobene Klage hat das Sozialgericht Leipzig (SG) mit Gerichtsbescheid vom 24. Januar 2011 unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgewiesen und ergänzend ausgeführt, dem zusätzlich geltend gemachten Erstattungsanspruch hinsichtlich der zur gesetzlichen Rentenversicherung geleisteten Beiträge stehe sowohl die Bestandskraft des Bescheides der BA vom 7. Oktober 2009 als auch die alleinige Berechtigung der BA nach § 26 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) als derjenigen, die nach § 170 Abs. 1 Nr. 2b SGB VI die Beiträge getragen habe, entgegen.

Mit der am 2. Mai 2011 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehr weiter. Sie habe im streitgegenständlichen Zeitraum nachweislich nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlegen. In diesem allumfassenden Sinne sei ihr Befreiungsantrag vom 21. Dezember 2009 zu verstehen gewesen. Eine Versicherungspflicht habe insbesondere auch nicht auf Grund des Bezuges von Arbeitslosengeld nach § 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI bestanden, da sie im letzten Jahr vor Beginn dieser Leistung nicht versicherungspflichtig gewesen sei. Auch wenn die BA dies nunmehr mit Bescheid vom 9. November 2011 bestätigt habe, bestehe für sie ein Feststellungsinteresse dahingehend, dass die angefochtene Entscheidung der Beklagten rechtswidrig gewesen sei. Schließlich seien Haftungsansprüche hinsichtlich der Tragung der Beiträge zum Sächsischen Rechtsanwaltsversorgungswerk für den streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht abschließend geklärt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 24. Januar 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2010 aufzuheben und festzustellen, dass sie im Zeitraum 22. September 2009 bis 1. Juni 2010 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlegen habe.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis für zutreffend. Streitgegenstand sei allein die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Ihre insoweit getroffene Entscheidung sei rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Klägerin nunmehr geltend mache, für sie habe nach § 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI ohnehin keine Versicherungspflicht bestanden, sei dies nicht Streitgegenstand, da die Klägerin einen eindeutigen Antrag gestellt und ihren Widerspruch nicht (ergänzend) begründet habe.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht in der Sache ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG). Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat zutreffend unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid festgestellt, dass ein Anspruch nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI auf Befreiung von der Versicherungspflicht zu keinem Zeitpunkt bestanden hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid sowie die der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2010 Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§§ 153 Abs. 2, 136 Abs. 3 SGG).

Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI werden Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder Tätigkeit, wegen der sie auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, unter bestimmten Voraussetzungen von der Versicherungspflicht befreit. Dies setzt (denknotwendig) voraus, dass die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit einen Versicherungspflichttatbestand nach dem SGB VI erfüllt. Für die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit als Rechtsanwältin kommen dem Grunde nach eine Versicherungspflicht auf Grund abhängiger Beschäftigung (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI), auf Grund selbständiger Tätigkeit, die im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber ausgeübt wird (§ 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI) oder auf Grund Antrags (§ 4 SGB VI) in Betracht. Unstreitig ist keiner dieser Tatbestände erfüllt. Folglich hat die Beklagte zu Recht den Befreiungsantrag nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI abgelehnt.

Soweit die Klägerin mit der Berufung geltend machen sollte, auf Grund des Bezuges von Arbeitslosengeld habe nach § 3 Satz 1Nr. 3 SGB VI wegen fehlender Vorversicherungszeit keine Versicherungspflicht nach dem SGB VI bestanden, wäre die Berufung unzulässig. Es handelt sich hierbei um einen eigenständigen und von dem der Frage der Versicherungspflicht auf Grund selbständiger Tätigkeit als Rechtsanwältin und einer darauf gründenden Befreiungsmöglichkeit abzugrenzenden Lebenssachverhalt, über den von der Beklagten angesichts des eindeutig formulierten Antrags der Klägerin vom 21. Dezember 2009 - und mangels inhaltlicher Begründung des Widerspruchs vom 12. Februar 2010 - nicht zu befinden war und der folglich nicht Streitgegenstand des anschließenden Klage- und Berufungsverfahrens geworden ist. Ungeachtet dessen dürfte - nachdem die BA mit Bescheid vom 9. November 2011 und die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. März 2012 (klarstellend) festgestellt haben, dass eine Versicherungspflicht (auch) nach § 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI nicht vorgelegen hat - das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin an der begehrten Feststellung entfallen sein. Ein gesonderter, feststellender "Befreiungsbescheid" der Beklagten wäre für das von der Klägerin offenbar verfolgte Rechtsschutzziel der Beitragserstattung bzw. -weiterleitung an das Sächsische Rechtsanwaltsversorgungswerk nicht erforderlich. Soweit die Klägerin mit Blick auf die Regelung in § 207 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), nach welcher Bezieher von Arbeitslosengeld, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1), gegenüber der BA Anspruch auf Übernahme der Beiträge, die für die Dauer des Leistungsbezugs an eine öffentlich-rechtliche Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung einer Berufsgruppe oder an ein Versicherungsunternehmen zu zahlen sind, haben, eine entsprechende (Befeiungs-)Entscheidung der Beklagten für erforderlich hält, ist erneut darauf hinzuweisen, dass eine solche nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI aus den dargelegten Gründen nicht ausgesprochen werden kann. Es bleibt der Klägerin unbenommen, sich hinsichtlich der zu Unrecht an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführten Beiträge aus dem Arbeitslosengeld unmittelbar an die Bundesagentur für Arbeit zu wenden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Jacobi Lübke Schanzenbach
Rechtskraft
Aus
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