L 3 AL 27/11

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 9 AL 176/06
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 27/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Beim Verletztengeld gemäß § 45 SGB VII handelt es sich nicht um Einkommen aus einer nichtselbständigen Tätigkeit und damit nicht um sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt.

2. Gegen die in § 132 SGB III vorgesehene Berechnung eines fiktiven Bemessungsentgelts bestehen auch bei Bezug von Verletztengeld keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 28. Februar 2008 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 9. November 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2006 verurteilt, das dem Kläger bewilligte Arbeitslosengeld unter Heranziehung der Bezugsgröße West neu zu bestimmen und zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von höherem Arbeitslosengeld ab dem 1. November 2005.

Der am 1953 geborene Kläger ist von Beruf Baufacharbeiter. Er stand zuletzt vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Oktober 2005 in einem Beschäftigungsverhältnis, welches durch einen Aufhebungsvertrag beendet wurde. Das Arbeitsverhältnis wurde unter Beteiligung des Integrationsamtes und der Berufsgenossenschaft aufgelöst, da der Kläger seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit aufgrund der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 23. Mai 2003 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben und auch auf anderen Arbeitsplätzen nicht mehr zumutbar eingesetzt werden konnte.

In der Zeit vom 5. Juli 2003 bis zum 17. Juli 2005 war der Kläger in Folge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig erkrankt und bezog Verletztengeld nach dem Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII). Dieses betrug für die Zeit vom 5. Juli 2003 bis zum 30. April 2004 ausgehend von einem Entgelt in Höhe von 90,54 EUR täglich 60,29 EUR, für die Zeit vom 1. Mai 2004 bis zum 30. April 2005 ausgehend von einem Entgelt in Höhe von 92,10 EUR täglich 60,29 EUR und vom 1. Mai 2005 bis zum 17. Juli 2005 ausgehend von einem Entgelt in Höhe von 93,20 EUR kalendertäglich 61,01 EUR. Das Bruttoarbeitsentgelt des Klägers betrug 2.198,48 EUR im August 2005, 2.170,20 EUR im September 2005 und 2.112,78 EUR im Oktober 2005.

Auf Antrag des Klägers bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 9. November 2005 ab dem 1. November 2005 für längstens 780 Kalendertage Arbeitslosengeld in Höhe von 28,65 EUR täglich, ausgehend von einem täglichen Bemessungsentgelt in Höhe von 54,13 EUR, der Lohnsteuerklasse III sowie des erhöhten Leistungssatz von 67 % (ein Kind). Bei der Ermittlung des Bemessungsentgeltes legte sie ein fiktives Arbeitsentgelt in Höhe von 54,13 EUR täglich ausgehend von einem Tagespendelbereich Ost nach der Qualifikationsgruppe 3 der Fiktionsregelung von § 132 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) zugrunde.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 15. November 2005 Widerspruch ein, da nach seiner Auffassung das Bemessungsentgelt zu niedrig bemessen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Da im Fall des Klägers innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens kein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt habe festgestellt werden können, sei nach § 132 SGB III als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen. Der Kläger habe im auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen vom 1. November 2003 bis zum 31. Oktober 2005 nur an 75 Kalendertagen, nämlich vom 18. Juli 2005 bis zum 30. September 2005, Arbeitsentgelt erzielt. Da er eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf habe, sei er in die Qualifikationsgruppe 3 einzustufen. Hierfür betrage das Bemessungsentgelt täglich 54,13 EUR, woraus sich ein tägliches Leistungsentgelt in Höhe von 42,76 EUR und ein Leistungssatz in Höhe von täglich 28,65 EUR ergäben.

Hiergegen hat der Kläger am 2. März 2006 Klage erhoben. Die Berechnung eines fiktiven Bemessungsentgelts sei weder mit dem versicherungsrechtlichen Äquivalenzprinzip noch mit dem Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) und mit dem Eigentumsschutz nach Artikel 14 GG vereinbar, da die auch während des Bezuges von Verletztengeld gezahlten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung tatsächlich nach einem Einkommen in Höhe von täglich 85,73 EUR (bezogen auf das Jahr vor der Leistungsgewährung) abgeführt worden seien. Das Bemessungsentgelt läge höher, wenn man die beitragspflichtige Verletztengeldzahlung wie Arbeitsentgelt betrachten würde. Damit verstoße § 130 SGB III gegen Verfassungsrecht soweit auf Grund dieser Regelung eine fiktive Bemessung nach § 132 SGB III erfolge. Es bedürfe daher einer Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 28. Februar 2008 die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld habe. Da innerhalb des auf zwei Jahren vor Eintritt der Arbeitslosigkeit erweiterten Bemessungsrahmens keine 150 Tage mit abgerechneten Entgelten festzustellen gewesen sei, habe die Beklagte zu Recht nach § 132 Abs. 1 SGB III ein fiktives Bemessungsentgelt zu Grunde gelegt. Hieran ändere auch der Bezug von Verletztengeld nichts. Zwar habe gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III während des Bezuges von Verletztengeld eine Versicherungspflicht bestanden. Auch seien gemäß § 345 Nr. 5 SGB III und § 347 Nr. 5 SGB III Beiträge aus 80 % des beitragspflichtigen Arbeitsentgeltes aus einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis, wovon die Hälfte vom Leistungsträger, in diesem Fall von der Berufsgenossenschaft, übernommen worden seien, an die Beklagte zu zahlen gewesen. Dies ändere aber nichts daran, dass in der Zeit des Bezuges von Verletztengeld zwar ein Beschäftigungsverhältnis bestanden habe, für dieses aber keine Entgelte abgerechnet worden seien. Das gezahlte Verletztengeld stelle kein Bemessungsentgelt dar. Letzteres berechne sich aus dem Bruttoarbeitslohn, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe. Daher könne das Verletztengeld nicht bei der Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes mit herangezogen werden. Die Zugrundelegung eines fiktiven Bemessungsentgelts nach § 132 SGB III verstoße auch nicht gegen Verfassungsrecht. Es sei weder ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip noch gegen Artikel 3 GG oder Artikel 14 GG ersichtlich. Eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht bedürfe es daher nicht.

Gegen das ihm am 14. April 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. Mai 2008 Berufung eingelegt, welche zunächst unter dem Az. L 3 AL 77/08 geführt worden ist. Das Verfahren ist mit Beschluss vom 29. August 2008 ruhend gestellt und später auf den Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 7. Februar 2011 hin fortgeführt worden (Az. L 3 AL 27/11).

Der Kläger weist darauf hin, dass in seinem Fall die Besonderheit bestehe, dass er unverschuldet einen Arbeitsunfall erlitten und Verletztengeld nach dem SGB VII erhalten habe. Nach dem SGB VII seien etwaige Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitgeber dem Grunde nach ausgeschlossen. Dies wirke sich zunächst auf die Höhe des Arbeitslosengeldanspruchs und später auf die Höhe des Rentenanspruchs aus. Hierin liege ein Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 GG. Es werde ohne sachliche Rechtfertigung in § 132 SGB III keine Differenzierung getroffen.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 28. Februar 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 9. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2006 zu verurteilen, dem Kläger ab dem 1. November 2005 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe unter Zugrundelegung der Bezugsgröße West nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von täglich 85,73 EUR zu zahlen; 2. die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt des Verwaltungsverfahrens sowie des Widerspruchsbescheids und ist im Übrigen der Auffassung, dass die erstinstanzliche Entscheidung zutreffend sei.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die bezogene Verwaltungsakte der Beklagte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung des Klägers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Der Kläger hat lediglich Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld unter Zugrundelegung eines fiktiven Arbeitsentgelts in Höhe von 64,40 EUR nach der Bezugsgröße West anstelle des von der Beklagten ermittelten fiktiven Arbeitsentgelts in Höhe von 54,13 EUR auf der Grundlage der Bezugsgröße Ost (hierzu Nummer 2). Die darüber hinausgehende Berufung bleibt ohne Erfolg, da die Beklagte das Arbeitslosengeld des Klägers im Übrigen zu Recht unter Zugrundelegung eines fiktiven Arbeitsentgelts bestimmt hat (hierzu Nummer 1). Der Bescheid vom 9. November 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Februar 2006 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

1. Für das Begehren des Klägers, das von ihm bezogene Verletztengeld mit in die Ermittlung des fiktiven Bemessungsentgelts einzubeziehen, fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch ein Verstoß gegen höherrangiges Recht nicht ersichtlich.

a) Rechtsgrundlage für die Bestimmung des für das Arbeitslosengeld maßgebenden Arbeitsentgeltes ist im Falle des Klägers § 132 SGB III in der vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Juli 2009 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 Nr. 71 des Gesetzes vom 23. Dezember 2003 [BGBl. I S. 2848]; im Folgenden: a. F.).

Nach § 132 Abs. 1 SGB III a. F. war als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zulegen, wenn ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden konnte. Der Bemessungszeitraum umfasste nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 Nr. 71 des Gesetzes vom 23. Dezember 2003 [BGBl. I S. 2848]) die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasste ein Jahr; er endete mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III a. F.). Der Bemessungsrahmen wurde gemäß § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III a. F. auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthielt. Von diesem erweiterten Bemessungsrahmens gehen die Beteiligten zutreffend aus.

Innerhalb dieses erweiterten Bemessungsrahmens konnten nur versicherungspflichtige Beschäftigungen berücksichtigt werden. Versicherungspflichtig waren im Fall des Klägers nur die 75 Kalendertage im Zeitraum vom 1. November 2003 bis zum 31. Oktober 2005, an denen er aus seinem Beschäftigungsverhältnis Arbeitsentgelt erzielt hat. Im Übrigen erzielte der Kläger in der Zeit vom 1. November 2003 bis zum 17. Juli 2005 kein Arbeitsentgelt, sondern bezog aufgrund seines Arbeitsunfalls nur Lohnersatzleistungen in Gestalt des Verletztengeldes nach § 45 SGB VII.

Entgegen der Auffassung des Klägers können die Tage, an denen er Verletztengeld bezog, nicht bei der Berechnung des Bemessungsentgelts einbezogen werden. Nach dem Gesetzeswortlaut von § 130 Abs. 1 und Abs. 3 SGB III a. F. wurde auf die Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt abgestellt. Auch nach § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2006 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 Nr. 71 des Gesetzes vom 23. Dezember 2003 [BGBl. I S. 2848]) war das Bemessungsentgelt, welches der Berechnung des Arbeitslosengeldes zugrunde zu legen war, das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hatte. Durch diese Regelung war klargestellt, dass ausschließlich Arbeitsentgelt und nicht Entgeltersatzleistungen der Bemessung zu Grunde zu legen waren.

Zum Arbeitsentgelt zählten alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung im Sinne von § 14 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) (vgl. Brand, in: Niesel/Brand, SGB III [5. Aufl., 2010], § 131 Rdnr. 4).

Beim Verletztengeld gemäß § 45 SGB VII handelt es sich bereits nicht um Einkommen aus einer nichtselbständigen Tätigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 1. März 2011 – B 7 AL 26/09 RBSGE 108, 1 ff. = SozR 4-4300 § 141 Nr. 5 = JURIS-Dokument Rdnr. 16 [zu § 141 Abs. 2 SGB III]; BSG, Urteil vom 18. August 2011 – B 10 EG 8/10 R – JURIS-Dokument Rdnr. 19 [zum Einkommensbegriff in § 2 BEEG]) und damit nicht um sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt. Wie im Fall des Bezugs von Krankengeld oder dem Mutterschaftsgeld handelt es sich um eine steuerfreie Lohnersatzleistung, welche im Fall des Verletztengeldes von der Krankenkasse, bei welcher der Leistungsempfänger versichert ist, im Auftrag der Unfallversicherungsträger (z. B. der Berufsgenossenschaft) oder des Versorgungsamts ausgezahlt wird. Unerheblich ist für die Frage der Bemessung hingegen, dass der Gesetzgeber von Personen in der Zeit, für die sie von einem Leistungsträger Verletztengeld, wie auch Mutterschaftsgeld, Krankengeld, Versorgungskrankengeld oder von einem Träger der medizinischen Rehabilitation Übergangsgeld bezogen und damit nicht als Beschäftigte gemäß § 25 SGB III in der vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Januar 2006 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 Nr. 9 des Gesetzes vom 10. Dezember 2001 [BGBl. I S. 3443]) versicherungspflichtig waren, nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III in der vom 30. April 2005 bis zum 31. Januar 2006 geltenden Fassung (vgl. Artikel 19 des Gesetzes vom 22. April 2005 [BGBl. I S.1106]) vom Gesetzgeber für versicherungspflichtig erklärt wurden.

Beim Verletztengeld nach § 45 SGB VII handelt es sich auch nicht um einen in § 131 Abs. 3 SGB III a. F. benannten Sonderfall des Arbeitsentgelts.

b) Gegen die in § 132 SGB III vorgesehene Berechnung eines fiktiven Bemessungsentgelts bestehen auch bei Bezug von Verletztengeld keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die insoweit vom Kläger in Bezug auf einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 Abs. 1 GG sowie den Eigentumsschutz nach Artikel 14 GG erhobenen Einwendungen teilt der Senat nicht.

Nach der Rechtsprechung der mit dem Arbeitsförderungsrecht befassten Senate des Bundessozialgerichtes begegnet die Berechnungsmethode des § 132 Abs. 2 SGB III als solche keinen durchgreifenden Bedenken, insbesondere hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Artikel 3 GG (vgl. BSG, Urteil vom 29. Mai 2008 – B 11a AL 23/07 RSozR 4-4300 § 132 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 49 ff. im Fall des Bezugs von Erziehungsgeld; BSG, Urteil vom 21. Juli 2009 – B 7 AL 23/08 RSozR 4-4300 § 132 Nr. 3 – JURIS-Dokument Rdnr. 18 ff. in Fall des Bezugs von Krankengeld bzw. Erwerbsminderungsrente; BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 11 AL 19/10 R – SozR 4-4300 § 132 Nr. 7 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 24). Auch die Höhe der in § 132 Abs. 2 Satz 2 SGB III den einzelnen Qualifikationsgruppen jeweils zugeordneten Arbeitsentgelte ist nicht als unangemessen zu beanstanden mit der Folge, dass auch das Leistungsniveau nicht gegen Verfassungsrecht, unter anderem gegen Artikel 3 oder 14 GG, verstößt (vgl. BSG, Urteil vom 29. Mai 2008, a. a. O., Rdnr. 54 ff.; BSG, Urteil vom 21. Juli , a. a. O., Rdnr. 20 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat die gegen das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 29. Mai 2008 (Az. B 11a AL 23/07 R) gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. März 2010 – 1 BvR 2909/08NZS 2010, 626 f. = JURIS-Dokument). Ergänzend hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 25. August 2011 entschieden, dass die fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes nach Qualifikationsgruppen auch nicht gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht verstößt, wenn der Bemessungszeitraum infolge von Erziehungszeiten keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitslosengeld enthält (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 11 AL 19/10 R – SozR 4-4300 § 132 Nr. 7 = JURIS-Dokument 27 ff.).

Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht folgt auch nicht daraus, dass nach den Regelungen in § 132 SGB III a. F das bezogene Verletztengeld mit in die Ermittlung des fiktiven Bemessungsentgelts einzubeziehen ist. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ist eine Regelung nur dann mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Artikel 3 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art oder solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2006 – 1 BvR 293/05BVerfGE 116, 229 [238] = JURIS-Dokument Rdnr. 41 m. w. N.). Der Gesetzgeber entschied sich in § 132 SGB III a. F. dafür, die Höhe des Arbeitslosengeldes nach einem Arbeitsentgelt zu richten, bei dem er typisierend davon ausging, dass es dem aktuellen Marktwert der Arbeitsleistung in Abhängigkeit von der beruflichen Qualifikation entsprach (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. März 2010 – 1 BvR 2909/08NZS 2010, 626 f. = JURIS-Dokument Rdnr. 12). Es war mithin nicht Absicht des Gesetzgebers, bei der Ermittlung des fiktiven Bemessungsentgelts auf die bisherigen Einkommens- oder Lebensverhältnisse des jeweiligen Anspruchsberechtigten abzustellen. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist aber nach der oben zitierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Es kommt deshalb für die Ermittlung des fiktiven Bemessungsentgelts weder darauf an, welche Sozialleistung ein Anspruchsberechtigter bezog, noch darauf, aus welchen Gründen sich ein Anspruchsberechtigter freiwillig oder unfreiwillig, vorwerfbar oder unverschuldet in Lebensumständen befindet, die zu einem Bezug von anderen Sozialleistungen führten. Unerheblich ist deshalb auch die vom Klägerbevollmächtigten thematisierte Beschränkung der Haftung der Unternehmer nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Danach haften Unternehmer nur, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben.

c) Demgemäß nahm die Beklagte zu Recht eine fiktive Bemessung im Sinne von § 132 Abs. 1 SGB III a. F. vor und ordnete hierbei den Kläger der Qualifikationsgruppe 3 zu. Einwendungen hiergegen erhob der Kläger nicht.

Nach § 132 Abs. 2 SGB III a. F. war für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts der Arbeitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entsprach, die für die Beschäftigung erforderlich war, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hatte. Dabei war zugrunde zu legen für Beschäftigungen, die 1. eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung erforderten (Qualifikationsgruppe 1), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertstel der Bezugsgröße, 2. einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister oder einen Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung erforderten (Qualifikationsgruppe 2), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße, 3. eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erforderten (Qualifikationsgruppe 3), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße, 4. keine Ausbildung erforderten (Qualifikationsgruppe 4), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Sechshundertstel der Bezugsgröße.

Für die Zuordnung zur jeweiligen Qualifikationsgruppe kam es in erster Linie darauf an, ob der Arbeitslose über den für die angestrebte Beschäftigung erforderlichen Berufsabschluss verfügte (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juli 2012 – B 11 AL 21/11 R – SozR 4-4300 § 132 Nr. 8 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 17). Vorliegend verfügte der Kläger als Baufacharbeiter über eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf, so dass die Einstufung zu Recht in die Qualifikationsgruppe 3 zu Recht erfolgte.

2. Die Berufung des Klägers hat jedoch insoweit Erfolg, als sein Arbeitslosengeld für die Zeit ab dem 1. November 2005 nach der für das Jahr 2005 maßgebende Bezugsgröße West zu berechnen ist.

Das fiktive Arbeitsentgelt wird ausgehend von den Verhältnissen bestimmt, die zum Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 11 AL 13/10 R – SozR 4-4300 § 132 Nr. 6 = JURIS-Dokument Rdnr. 23). Bei der Anwendung von § 132 SGB III a. F. geht es nicht um das früher erzielte Entgelt, welches der Kläger bei einem im Beitrittsgebiet ansässigen Unternehmen erzielt hatte, sondern darum, auf welche Tätigkeit die Beklagte ihre Vermittlungsbemühungen zu erstrecken hatte (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2010 – B 7 AL 49/08 R – SozR 4-4300 § 122 Nr. 8 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 19). Vorliegend hatte der Kläger zwar seinen Wohnsitz im Beitrittsgebiet, er hatte jedoch seine Arbeitsbereitschaft nicht auf den Tagespendlerbereich beschränkt. Eine entsprechende Einschränkung seiner Verfügbarkeit ergibt sich weder aus dem Antrag auf Arbeitslosengeld noch aus seiner Erwerbsbiografie, die eine bundesweite Tätigkeit außerhalb des Tagespendlerbereichs aufweist.

Ausgehend von der Qualifikationsgruppe 3 ist gemäß § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III a. F. ein fiktives Arbeitsentgelt von 1/450 der Bezugsgröße für 2005 von jährlich 28.980 EUR (vgl. § 2 Abs. 1 der Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2005 [Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2005] vom 29. November 2004 [BGBl. I S. 3098]) zugrunde zulegen, woraus sich ein fiktives Arbeitsentgelt in Höhe von 64,40 EUR ergibt, von welchem das Bemessungsentgelt unter Heranziehung der persönlichen Merkmale des Klägers (Lohnsteuerklasse 3/ Kindermerkmal) zu bestimmen ist.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens.

III. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Dr. Scheer Höhl Krewer
Rechtskraft
Aus
Saved