S 22 AS 4933/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
22
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 22 AS 4933/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Kein Anspruch auf Übernahme des von der privaten Krankenkasse geltend gemachten Prämienzuschlags nach § 193 Abs. 4 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG).
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Übernahme des von ihrer privaten Krankenkasse geltend gemachten Prämienzuschlags nach § 193 Abs. 4 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG).

Die am XXX geborene Klägerin bezieht vom Beklagten seit dem XXX Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Sie war von August 2008 bis Mai 2010 nicht kranken- und pflegeversichert. Im Zuge der Antragsbearbeitung wies der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 18.12.2009 darauf hin, dass aufgrund der vorangegangen Nichtversicherung eine gesetzliche Krankenversicherung im Rahmen des Grundsicherungsbezugs nicht möglich sei; die Klägerin könne sich jedoch privat kranken- und pflegeversichern. Die Klägerin versicherte sich daraufhin zum 01.06.2010 bei der Signal Krankenversicherungs a.G. im Basistarif; die Kosten werden vom Beklagten übernommen. Die Krankenversicherung machte zusätzlich zu den Monatsbeiträgen einen Prämienzuschlag i.H.v. 1743,68 EUR geltend. Mit Bescheid vom 21.05.2010 wurde die Klägerin vom Beklagten ab Antragstellung als kranken- und pflegeversichert gestellt und die Monatsbeiträge nachbezahlt.

Mit Schreiben vom 21.06.2010 beantragte die Klägerin die Übernahme des Prämienzuschlages. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.06.2010 lehnte der Beklagte die Übernahme dieser Kosten ab. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26.08.2010 zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 27.09.2010, eingegangen beim Sozialgericht Freiburg am selben Tag, hat die Klägerin Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten gestellt. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Versicherungsbeiträge nicht von der Regelleistung erfasst seien und nach der Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 16.09.2009 (L 3 AS 3934/09) die Kosten zu erstatten seien. Zumindest bestehe ein Anspruch nach § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Die Klägerin beantragt - sachdienlich ausgelegt - ,

den Bescheid des Beklagten vom 29.06.2010 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2010 aufzuheben und ihr Leistungen der Grundsicherung durch Übernahme des Prämienzuschlags zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid verwiesen.

Mit Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts Freiburg vom 16.11.2010 ist die Klägerin zur Zahlung des Prämienzuschlags an die Signal Krankenversicherung a.G. verurteilt worden (Az. 55 C 3472/10).

Mit Verfügung des Gerichts vom 03.06.2011 sind die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.

Mit Beschluss des Gerichts vom 09.11.2011 ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten abgelehnt worden.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte vorliegend gem. § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil der Rechtsstreit keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher angehört wurden.

Der im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 27.09.2010 gestellte Klageantrag "der Klägerin Leistungen der Grundsicherung in gesetzlicher Höhe zu gewähren" ist im Hinblick auf die Ausführungen in der Klageschrift analog § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dahingehend auszulegen, dass die Klägerin (allein) die Übernahme des von ihrer Krankenversicherung geforderten Prämienzuschlags nach § 193 Abs. 4 Satz 1 VVG begehrt. Die so ausgelegte und als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme des Prämienzuschlags.

1. Ein Anspruch auf Übernahme des Prämienzuschlags nach § 193 Abs. 4 Satz 1 VVG ergibt sich nicht aus § 26 Abs. 2 SGB II. Denn bei dem hier begehrten Prämienzuschlag handelt es sich nicht um einen Zuschuss zu Versicherungsbeiträgen i.S.v. § 26 Abs. 2 SGB II.

Gem. § 26 SGB Abs. 2 SGB II werden die Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung unter den in dieser Vorschrift geregelten Voraussetzungen übernommen. Diese Vorschrift bezieht sich auf § 12 Abs. 1 c Satz 5 und 6 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und erfasst mithin nur die laufenden Monatsbeiträge. Der Prämienzuschlag nach § 193 Abs. 4 Satz 1 VVG stellt keinen solchen Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung dar. Insoweit gehen auch die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten zur Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 16.09.2009 (L 3 AS 3934/09) fehl.

Seit 01.01.2009 besteht gem. § 193 Abs. 3 VVG eine generelle Versicherungspflicht. Personen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind und bei denen auch keine sonstige Absicherung im Krankheitsfall besteht, sind verpflichtet, eine private Krankenversicherung abzuschließen. Mit der Versicherungspflicht korrespondiert ein Kontrahierungszwang der privaten Versicherungsgesellschaften. Diese sind gem. § 193 Abs. 5 VVG verpflichtet, einen Basistarif anzubieten und entsprechende Verträge abzuschließen. Zur Durchsetzung der in § 193 Abs.3 VVG normierten Versicherungspflicht hat der Gesetzgeber in Absatz 4 eine Regelung für den Fall getroffen, dass der Versicherungspflicht nicht termingerecht nachgekommen wird. Danach ist ein Prämienzuschlag zu entrichten, wenn der Vertragsabschluss später als einen Monat nach Entstehen der Pflicht nach Absatz 3 beantragt wird (Satz 1). Dieser beträgt einen Monatsbeitrag für jeden weiteren Monat der Nichtversicherung, ab dem sechsten Monat der Nichtversicherung für jeden weiteren Monat ein Sechstel des Monatsbeitrags (Satz 2). Ausweislich der Gesetzesbegründung handelt es sich hierbei nicht um eine "Nachholung" der Monatsbeiträge, sondern um eine Vorschrift mit Strafcharakter, mit der das "Einsparen" der Monatsbeiträge geahndet werden soll. Mit dem Prämienzuschlag sollen materielle Vorteile bei Personen begrenzt werden, die sich nicht bereits mit Eintritt der Versicherungspflicht, sondern erst später versichern. "Ein solches Verhalten würde der Versichertengemeinschaft schaden, daher soll durch den Prämienzuschlag auch ein Ausgleich für diesen Schaden geschaffen werden" (BT-Drs. 16/4247, S. 67). Der Prämienzuschlag kommt auch nicht allein der Versicherung, sondern der Versichertengemeinschaft zugute. Der Strafcharakter des Prämienzuschlags spricht eindeutig gegen die Annahme eines Beitrags i.S.v. § 26 Abs. 2 SGB II und ist daher nicht im Rahmen dieser Vorschrift vom Beklagten zu übernehmen.

2. Ein Anspruch nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II scheidet schon deshalb aus, weil es sich vorliegend nicht um einen laufenden Bedarf handelt.

3. Auch ein Anspruch nach § 73 SGB XII scheidet aus.

Der Anspruch nach § 73 SGB XII würde sich auch nicht gegen den Beklagten, sondern gegen den zuständigen Sozialhilfeträger richten. Das Gericht verzichtet jedoch auf die notwendige Beiladung der Stadt Freiburg (§ 75 Abs. 2 SGG), weil auch in der Sache ein Anspruch auf Übernahme des Prämienzuschlags nicht besteht.

Nach § 73 Satz 1 SGB XII, der nach § 5 Abs. 2 SGB II, § 21 Satz 1 SGB XII auch auf Leistungsberechtigte nach dem SGB II grundsätzlich Anwendung findet (vgl. nur BSG, Urt. v. 18.02.2010 - B 4 AS 29/09 R -, zit. in Juris) können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Daran fehlt es hier. Die Frage, ob der Mitteleinsatz "gerechtfertigt" ist, stellt eine wertende Entscheidung dar. Hierbei hat unter Einbeziehung der allgemeinen Funktion der Sozialhilfe als Nothilfe ein Vergleich mit den genannten gesetzlichen Notlagen sowie einer Beurteilung von Ausmaß und Schwere der unbenannten Bedarfslage und deren gesellschaftlicher Relevanz, der betroffenen Grundrechte und auch fiskalisch-volkswirtschaftlicher Aspekte stattzufinden (ausf. Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 73 Rn. 7 m.w.N.; Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, § 74 Rn. 10 ff.). Zwar stellt der von der Krankenversicherung geforderte Prämienzuschlag eine nicht unerhebliche Summe dar. Es ist jedoch nicht Aufgabe der Gemeinschaft, die Klägerin von diesen Kosten zu entlasten. Eine Übernahme des Prämienzuschlages würde zum einen dessen Sanktionscharakter konterkarieren. Der Prämienzuschlag dient gerade dazu, der Versicherungspflicht in § 193 Abs. 3 VVG rechtzeitig nachzukommen. Dem würde es diametral entgegenlaufen, wenn durch einen verspäteten Vertragsabschluss nicht nur Beiträge gespart werden, sondern auch noch nicht einmal Sanktionen zu tragen sind. Dass der Prämienzuschlag zu einer erheblichen Kostenbelastung führen kann, hat der Gesetzgeber im Übrigen auch gesehen. Nach § 193 Abs. 4 Satz 4 VVG kann der Versicherungsnehmer die Stundung verlangen. Das dies vorliegend versucht worden ist, kann das Gericht nicht erkennen. Nach Auffassung des Gesetzgebers ist es dem Versicherungsnehmer darüber hinaus sogar zuzumuten, einen entsprechenden Kredit aufzunehmen, um den Prämienzuschlag zu tilgen (BT-Drs. 16/4247, S. 68). Zum anderen sind Nachteile für die Klägerin nicht zu erkennen. Die Klägerin ist kranken- und pflegeversichert und damit im Krankheitsfall abgesichert. Ihr droht bei Ausbleiben der Zahlung auch kein Verlust des Versicherungsschutzes. Gem. § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG sind entsprechende ordentliche und außerordentliche Kündigungsrechte der Versicherung ausgeschlossen (vgl. dazu auch OLG Celle, Urt. v. 06.05.2011 - I-20 U 153/10, 20 U 153/10 -, zit. in Juris). Auch ein Ruhen der Leistungsansprüche der Klägerin aus der Versicherung ist gem. § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG ausgeschlossen (vgl. dazu LSG Bad.-Württ., Beschl. v. 16.08.2011 - L 7 AS 1953/11 ER-B -, zit. in Juris m.w.N.).

Im Übrigen ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin nicht in der Lage sein soll, zumindest einen Teilbetrag des Prämienzuschlags zu begleichen. Mit Bescheid vom 21.05.2010 hat der Beklagte die Klägerin ab Stellung des Grundsicherungsantrags (29.11.2009) als kranken- und pflegeversichert gestellt und ihr die Beiträge bis einschließlich Mai 2010 i.H.v. 891,83 EUR nachbezahlt. Gegenüber ihrer Krankenversicherung wurde die Klägerin aber erst seit 01.06.2010 beitragspflichtig. Sie hätte daher diesen Betrag - wie auch im Bescheid vom 21.05.2010 insoweit ausgeführt - für die Deckung der Versicherungskosten verwenden können und auch müssen.

Die Klage ist daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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