Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 22 R 6312/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1. Es besteht grundsätzlich keine Verpflichtung des Adressaten, einen Verwaltungsakt umfassend auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Eine grob fahrlässige Unkenntnis ist mithin anzunehmen, wenn der Adressat aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht in dieser Höhe besteht (vgl. BSG, Urt. v. 07.07.2005, SozR 1300 § 48 Nr. 39). Ein solches liegt nur dann vor, wenn die Fehler augenfällig sind und die Fehlerhaftigkeit ohne weitere Nachforschungen und mit ganz naheliegenden Überlegungen einleuchten und auffallen muss. 2. Allein der Umstand, dass die Klägerin Kenntnis davon hatte, dass mit Erstattungsforderungen anderer Leistungsträger abgerechnet wird, führt nicht dazu, dass sie hätte wissen müssen, in welcher Höhe zwischen den Leistungsträgern in korrekter Weise hätte abgerechnet werden müssen.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 01.10.2009 und der Widerspruchsbescheid vom 18.11.2009 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 21.10.2008 und den Widerspruchsbescheid vom 11.02.2009 aufzuheben. 2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung einer Rentennachzahlung.
Der am XXX geborenen Klägerin wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 23.11.2006 ab dem 01.04.2003 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt. Mit Schreiben vom 04.12.2006 machte die ARGE XXX für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.11.2006 einen Ersatzanspruch gegen die Beklagte wegen gewährter Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gem. § 103 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.H.v. 7.561,94 EUR geltend. Aufgrund eines Rechenfehlers überwies die Beklagte lediglich Erstattungszahlungen i.H.v. 4.261,54 EUR und zahlte an Klägerin die verbleibende Rentennachzahlung i.H.v. 16.434,27 EUR aus.
Mit Schreiben vom 25.09.2008 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Rückforderung der Überzahlung i.H.v. 3.300,40 EUR an. Mit Schreiben vom 14.10.2008 führte die Klägerin aus, dass ihr nicht bekannt gewesen sei, welche Beträge nachzuzahlen seien. Sie könne keine Rückzahlungen leisten. Mit Bescheid vom 21.10.2008 forderte die Beklagte den Betrag zurück; Vertrauensschutzgesichtspunke seien nicht ersichtlich. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2009 wurde die Forderung auf 1650,20 EUR reduziert und der am 21.11.2008 erhobene Widerspruch zurückgewiesen. Ausweislich der Empfangsbestätigung wurde der als Einschreiben versendete Widerspruchsbescheid der Klägerin am 16.02.2009 zugestellt.
Mit Schreiben vom 24.03.2009, eingegangen beim Sozialgericht Freiburg am selben Tag, erhob die Klägerin Klage gegen die Rückforderung. Mit Gerichtsbescheid vom 03.09.2009 (S 12 R 1525/09) wurde die Klage als unzulässig wegen Versäumung der Klagefrist abgewiesen.
Die Klägerin stellte daraufhin einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 01.10.2009 lehnte die Beklagte die Aufhebung des Erstattungsbescheides vom 21.10.2008 ab. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2009 zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 09.12.2009, eingegangen beim Sozialgericht Freiburg am 11.12.2009, hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Nachzahlung ihrerseits bestehe. Sie habe die Unrechtmäßigkeit nicht gekannt und habe auch nicht grob fahrlässig gehandelt. Es sei nicht ersichtlich gewesen, dass die Beklagte einen Abrechnungsfehler gemacht habe. Zudem sei ihre private Situation nicht berücksichtigte worden. Sie und auch ihr Sohn seien schwer krank. Zudem prozessiere sie seit zwei Jahren gegen ihren Vermieter, der ihnen gekündigt habe. Sie sei davon ausgegangen, dass die Beklagte richtig gerechnet habe. Dies sei Aufgabe der ARGE und der Beklagten. Die Erläuterungen zum Rentenbescheid habe sie nicht gelesen. Sie hätte diese auch nicht verstanden.
Die Klägerin beantragt - sachdienlich ausgelegt -,
den Bescheid der Beklagten vom 01.10.2009 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 21.10.2008 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird auf den Widerspruchsbescheid vom 18.11.2009 verwiesen sowie ergänzend ausgeführt, dass die Klägerin gewusst habe, welche Leistungen sie von der ARGE XXX erhalten habe.
Mit Verfügung vom 11.01.2012 hat das Gericht die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 01.10.2009 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Aufhebung des Rückforderungsbescheides vom 20.10.2008 und des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2009.
Streitgegenstand ist vorliegend die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 01.10.2009 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2009, mit dem die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 20.10.2008 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2009 abgelehnt hat.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Vorschrift ist nach allgemeiner Auffassung (analog) anwendbar auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheide (vgl. nur BSG, Urt. v. 04.02.1998 - B 9 V 16/96 R -, zit. in Juris; Merten, in Hauck/Noftz, SGB X, K § 44 Rn. 70 m.w.N.).
Mit dem Rückforderungsbescheid vom 20.10.2008 hob die Beklagte die als Bescheid bezeichnete Abrechnung der Rentennachzahlung vom 01.02.2007 teilweise i.H.v. 3.300,40 EUR auf und forderte diesen Betrag zurück. Rechtsgrundlage für diesen Bescheid sind mithin § 45 und § 50 SGB X. Dabei kann offen belieben, ob es sich bei der Rentennachzahlungsabrechnung vom 01.02.2007 um einen Verwaltungsakt i.S.v. § 31 SGB X handelt. Denn fraglich könnte sein, inwieweit die Abrechnung überhaupt Regelungscharakter enthält. Nach § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X findet § 45 SGB X auch Anwendung, soweit ohne Verwaltungsakt Leistungen zu Unrecht erbracht worden sind.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nachdem er unanfechtbar geworden ist nur unter Einschränkungen zurückgenommen werden. Nach Abs. 2 der Vorschrift darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Nach § 45 Abs. 4 SGB X wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Vorliegend fehlt es an den Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt bzw. über § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X jede behördliche Leistungserbringung nur unter den Voraussetzungen des Absatz 2 Satz 3 oder Absatz 3 Satz 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann. Denn ein Ausschluss des Vertrauensschutzes ist vorliegend nicht gegeben. Das Gericht folgt nicht dem Vorbringen der Beklagten, wonach die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Rentennachzahlungsabrechnung und damit der Höhe der an sie ausbezahlten Rentennachzahlung gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Eine dem Vertrauensschutz entgegenstehende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis würde nur dann anzunehmen sein, wenn die Klägerin wusste oder hätte wissen müssen, dass der in der Abrechnung vom 01.02.2007 aufgeführte Betrag i.H.v. 4.261,54 EUR falsch ist und eine Nachforderung der ARGE XXX i.H.v. 7.561,94 EUR besteht. Dabei ist davon auszugehen, dass grundsätzlich keine Verpflichtung des Adressaten - hier der Klägerin - besteht, einen Verwaltungsakt umfassend auf seine Richtigkeit zu überprüfen; er ist lediglich gehalten, den Bescheid zu lesen und dessen Inhalt zur Kenntnis zu nehmen (BSG, Urt. v. 08.02.2001, SozR 3-1300 § 45 Nr. 45; ausf. SG Karlsruhe, Urt. v. 27.08.2009 - S 1 SO182/09 -, zit. in Juris m.w.N.). Eine grob fahrlässige Unkenntnis ist mithin anzunehmen, wenn der Adressat aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht in dieser Höhe besteht (vgl. BSG, Urt. v. 07.07.2005, SozR 1300 § 48 Nr. 39). Ein solches liegt nur dann vor, wenn die Fehler augenfällig sind und die Fehlerhaftigkeit ohne weitere Nachforschungen und mit ganz naheliegenden Überlegungen einleuchten und auffallen muss. Dies kann vorliegend nicht angenommen werden. Aus der Abrechnung vom 01.02.2007 selbst kann nicht entnommen werden, dass dem Betrag von 4.261,54 EUR ein Rechenfehler zugrunde liegt. In der Abrechnung ist lediglich der Betrag und der (korrekte) Erstattungszeitraum aufgeführt. Es sind weder die einzelnen Monatsbeträge bzw. Abrechnungsposten noch die Rechenschritte aufgeführt. Nach Auffassung des Gerichts ist mithin nicht erkennbar, wie die Klägerin aus der Abrechnung vom 01.02.2007 hätte erkennen können, dass diese falsch ist. Soweit die Beklagte ausführt, dass die Klägerin auch aus dem Rentenbescheid vom 23.11.2006 gewusst habe, dass mit Erstattungsforderungen abgerechnet werden würde, ist dem entgegenzuhalten, dass sich daraus nicht ergibt, in welcher Höhe Erstattungsansprüche bestehen. Auch das Vorbringen der Beklagten, die Klägerin hätte aus dem Aufhebungsbescheid und aus dem Anschreiben der ARGE XXX vom 04.12.006 den Berechnungsfehler erkennen können, führt nach Auffassung des Gerichts nicht zu einem Verlust des Vertrauensschutz. Denn darin ist lediglich ausgeführt, dass die Leistungsbewilligung dieser Behörde rückwirkend zum 01.01.2005 aufgehoben werde und die Klägerin keine Zahlungen zu leisten habe. Aus den genannten Schreiben ergibt sich für die Klägerin lediglich, dass Rückzahlungsforderungen der ARGE XXX bestehen und diese mit der Beklagten abgerechnet werden würden. Wenn die Beklagte diesbezüglich vorträgt, dass die Klägerin gewusst habe, in welcher Höhe sie monatlich Leistungen der ARGE XXX im Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.11.2006 bezogen habe, so dürfte dies zwar zutreffend sein. In welcher Höhe jedoch eine Forderungsverrechnung zwischen den beiden Behörden besteht und eine Fehlerhaftigkeit der Abrechnung vom 01.02.2007 für die Klägerin zu erkennen gewesen wäre, hätte jedoch vorausgesetzt, dass 1. die Klägerin Kenntnis darüber gehabt hätte oder haben müssen, nach welchen Vorschriften Erstattungsansprüche geltend gemacht werden und wie deren Höhe rechtmäßiger berechnet wird, wenn sie 2. das Erstattungsverlangen der ARGE XXX im Schreiben vom 04.12.2006 hinzugezogen hätte und 3. die rechtliche und rechnerische Schlussfolgerung hätte ziehen müssen, dass einzig der dort genannte Betrag richtig und somit der Betrag in der Abrechnung vom 01.202.3007 falsch sein müsse. Dies kann jedoch von der Klägerin nicht verlangt werden.
Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Rentennachzahlung und Rückforderung waren daher nicht gegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 20.10.2008 war somit anfänglich, d.h. nach der im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe gegebenen Sach- und Rechtslage rechtswidrig und hat die Klägerin somit einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2009.
Der Klage war daher stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung einer Rentennachzahlung.
Der am XXX geborenen Klägerin wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 23.11.2006 ab dem 01.04.2003 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt. Mit Schreiben vom 04.12.2006 machte die ARGE XXX für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.11.2006 einen Ersatzanspruch gegen die Beklagte wegen gewährter Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gem. § 103 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.H.v. 7.561,94 EUR geltend. Aufgrund eines Rechenfehlers überwies die Beklagte lediglich Erstattungszahlungen i.H.v. 4.261,54 EUR und zahlte an Klägerin die verbleibende Rentennachzahlung i.H.v. 16.434,27 EUR aus.
Mit Schreiben vom 25.09.2008 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Rückforderung der Überzahlung i.H.v. 3.300,40 EUR an. Mit Schreiben vom 14.10.2008 führte die Klägerin aus, dass ihr nicht bekannt gewesen sei, welche Beträge nachzuzahlen seien. Sie könne keine Rückzahlungen leisten. Mit Bescheid vom 21.10.2008 forderte die Beklagte den Betrag zurück; Vertrauensschutzgesichtspunke seien nicht ersichtlich. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2009 wurde die Forderung auf 1650,20 EUR reduziert und der am 21.11.2008 erhobene Widerspruch zurückgewiesen. Ausweislich der Empfangsbestätigung wurde der als Einschreiben versendete Widerspruchsbescheid der Klägerin am 16.02.2009 zugestellt.
Mit Schreiben vom 24.03.2009, eingegangen beim Sozialgericht Freiburg am selben Tag, erhob die Klägerin Klage gegen die Rückforderung. Mit Gerichtsbescheid vom 03.09.2009 (S 12 R 1525/09) wurde die Klage als unzulässig wegen Versäumung der Klagefrist abgewiesen.
Die Klägerin stellte daraufhin einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 01.10.2009 lehnte die Beklagte die Aufhebung des Erstattungsbescheides vom 21.10.2008 ab. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2009 zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 09.12.2009, eingegangen beim Sozialgericht Freiburg am 11.12.2009, hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Nachzahlung ihrerseits bestehe. Sie habe die Unrechtmäßigkeit nicht gekannt und habe auch nicht grob fahrlässig gehandelt. Es sei nicht ersichtlich gewesen, dass die Beklagte einen Abrechnungsfehler gemacht habe. Zudem sei ihre private Situation nicht berücksichtigte worden. Sie und auch ihr Sohn seien schwer krank. Zudem prozessiere sie seit zwei Jahren gegen ihren Vermieter, der ihnen gekündigt habe. Sie sei davon ausgegangen, dass die Beklagte richtig gerechnet habe. Dies sei Aufgabe der ARGE und der Beklagten. Die Erläuterungen zum Rentenbescheid habe sie nicht gelesen. Sie hätte diese auch nicht verstanden.
Die Klägerin beantragt - sachdienlich ausgelegt -,
den Bescheid der Beklagten vom 01.10.2009 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 21.10.2008 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird auf den Widerspruchsbescheid vom 18.11.2009 verwiesen sowie ergänzend ausgeführt, dass die Klägerin gewusst habe, welche Leistungen sie von der ARGE XXX erhalten habe.
Mit Verfügung vom 11.01.2012 hat das Gericht die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 01.10.2009 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Aufhebung des Rückforderungsbescheides vom 20.10.2008 und des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2009.
Streitgegenstand ist vorliegend die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 01.10.2009 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2009, mit dem die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 20.10.2008 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2009 abgelehnt hat.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Vorschrift ist nach allgemeiner Auffassung (analog) anwendbar auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheide (vgl. nur BSG, Urt. v. 04.02.1998 - B 9 V 16/96 R -, zit. in Juris; Merten, in Hauck/Noftz, SGB X, K § 44 Rn. 70 m.w.N.).
Mit dem Rückforderungsbescheid vom 20.10.2008 hob die Beklagte die als Bescheid bezeichnete Abrechnung der Rentennachzahlung vom 01.02.2007 teilweise i.H.v. 3.300,40 EUR auf und forderte diesen Betrag zurück. Rechtsgrundlage für diesen Bescheid sind mithin § 45 und § 50 SGB X. Dabei kann offen belieben, ob es sich bei der Rentennachzahlungsabrechnung vom 01.02.2007 um einen Verwaltungsakt i.S.v. § 31 SGB X handelt. Denn fraglich könnte sein, inwieweit die Abrechnung überhaupt Regelungscharakter enthält. Nach § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X findet § 45 SGB X auch Anwendung, soweit ohne Verwaltungsakt Leistungen zu Unrecht erbracht worden sind.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nachdem er unanfechtbar geworden ist nur unter Einschränkungen zurückgenommen werden. Nach Abs. 2 der Vorschrift darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Nach § 45 Abs. 4 SGB X wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Vorliegend fehlt es an den Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt bzw. über § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X jede behördliche Leistungserbringung nur unter den Voraussetzungen des Absatz 2 Satz 3 oder Absatz 3 Satz 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann. Denn ein Ausschluss des Vertrauensschutzes ist vorliegend nicht gegeben. Das Gericht folgt nicht dem Vorbringen der Beklagten, wonach die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Rentennachzahlungsabrechnung und damit der Höhe der an sie ausbezahlten Rentennachzahlung gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Eine dem Vertrauensschutz entgegenstehende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis würde nur dann anzunehmen sein, wenn die Klägerin wusste oder hätte wissen müssen, dass der in der Abrechnung vom 01.02.2007 aufgeführte Betrag i.H.v. 4.261,54 EUR falsch ist und eine Nachforderung der ARGE XXX i.H.v. 7.561,94 EUR besteht. Dabei ist davon auszugehen, dass grundsätzlich keine Verpflichtung des Adressaten - hier der Klägerin - besteht, einen Verwaltungsakt umfassend auf seine Richtigkeit zu überprüfen; er ist lediglich gehalten, den Bescheid zu lesen und dessen Inhalt zur Kenntnis zu nehmen (BSG, Urt. v. 08.02.2001, SozR 3-1300 § 45 Nr. 45; ausf. SG Karlsruhe, Urt. v. 27.08.2009 - S 1 SO182/09 -, zit. in Juris m.w.N.). Eine grob fahrlässige Unkenntnis ist mithin anzunehmen, wenn der Adressat aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht in dieser Höhe besteht (vgl. BSG, Urt. v. 07.07.2005, SozR 1300 § 48 Nr. 39). Ein solches liegt nur dann vor, wenn die Fehler augenfällig sind und die Fehlerhaftigkeit ohne weitere Nachforschungen und mit ganz naheliegenden Überlegungen einleuchten und auffallen muss. Dies kann vorliegend nicht angenommen werden. Aus der Abrechnung vom 01.02.2007 selbst kann nicht entnommen werden, dass dem Betrag von 4.261,54 EUR ein Rechenfehler zugrunde liegt. In der Abrechnung ist lediglich der Betrag und der (korrekte) Erstattungszeitraum aufgeführt. Es sind weder die einzelnen Monatsbeträge bzw. Abrechnungsposten noch die Rechenschritte aufgeführt. Nach Auffassung des Gerichts ist mithin nicht erkennbar, wie die Klägerin aus der Abrechnung vom 01.02.2007 hätte erkennen können, dass diese falsch ist. Soweit die Beklagte ausführt, dass die Klägerin auch aus dem Rentenbescheid vom 23.11.2006 gewusst habe, dass mit Erstattungsforderungen abgerechnet werden würde, ist dem entgegenzuhalten, dass sich daraus nicht ergibt, in welcher Höhe Erstattungsansprüche bestehen. Auch das Vorbringen der Beklagten, die Klägerin hätte aus dem Aufhebungsbescheid und aus dem Anschreiben der ARGE XXX vom 04.12.006 den Berechnungsfehler erkennen können, führt nach Auffassung des Gerichts nicht zu einem Verlust des Vertrauensschutz. Denn darin ist lediglich ausgeführt, dass die Leistungsbewilligung dieser Behörde rückwirkend zum 01.01.2005 aufgehoben werde und die Klägerin keine Zahlungen zu leisten habe. Aus den genannten Schreiben ergibt sich für die Klägerin lediglich, dass Rückzahlungsforderungen der ARGE XXX bestehen und diese mit der Beklagten abgerechnet werden würden. Wenn die Beklagte diesbezüglich vorträgt, dass die Klägerin gewusst habe, in welcher Höhe sie monatlich Leistungen der ARGE XXX im Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.11.2006 bezogen habe, so dürfte dies zwar zutreffend sein. In welcher Höhe jedoch eine Forderungsverrechnung zwischen den beiden Behörden besteht und eine Fehlerhaftigkeit der Abrechnung vom 01.02.2007 für die Klägerin zu erkennen gewesen wäre, hätte jedoch vorausgesetzt, dass 1. die Klägerin Kenntnis darüber gehabt hätte oder haben müssen, nach welchen Vorschriften Erstattungsansprüche geltend gemacht werden und wie deren Höhe rechtmäßiger berechnet wird, wenn sie 2. das Erstattungsverlangen der ARGE XXX im Schreiben vom 04.12.2006 hinzugezogen hätte und 3. die rechtliche und rechnerische Schlussfolgerung hätte ziehen müssen, dass einzig der dort genannte Betrag richtig und somit der Betrag in der Abrechnung vom 01.202.3007 falsch sein müsse. Dies kann jedoch von der Klägerin nicht verlangt werden.
Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Rentennachzahlung und Rückforderung waren daher nicht gegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 20.10.2008 war somit anfänglich, d.h. nach der im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe gegebenen Sach- und Rechtslage rechtswidrig und hat die Klägerin somit einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2009.
Der Klage war daher stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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