L 3 AS 1118/13 B PKH

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 22 AS 4039/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 1118/13 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Es werden weder das Sozialgeheimnis noch der Sozialdatenschutz verletzt, wenn entsprechend § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO dem Beklagten die Äußerungsmöglichkeit durch das Gericht eingeräumt wird und der Beklagte von seinem Äußerungsrecht Gebrauch macht.
2. In einer unterbliebenen Zinsentscheidung kann eine sinngemäße oder stillschweigende Ablehnung des Zinsanspruchs durch Verwaltungsakt zu sehen sein. Erforderlich sind besondere Einzelfallumstände, die dem Schweigen zum Zinsanspruch klar und unmissverständlich einen ablehnenden Inhalt geben könnten.
I. Die Beschwerden der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 19. April 2013 werden zurückgewiesen.

II. Außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Über die Beschwerden vom 30. Mai 2013, mit denen sich die Kläger gegen die Ablehnung ihrer Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren, in dem höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Monate August und September 2011 streitig waren, wenden, kann nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates auch noch nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens, hier des Klageverfahrens, entschieden werden (vgl. z. B. Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Mai 2013 – L 3 AS 391/13 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 9, m. w. N.).

II. Die Beschwerden vom 30. Mai 2013 sind zulässig, insbesondere statthaft.

Maßgebend ist § 172 Abs. 3 Nr. 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der vom 11. August 2010 bis zum 24. Oktober 2013 geltenden Fassung (vgl. Artikel 6 des Gesetzes vom 5. August 2008 [BGBl. I S. 1127]). Die seit 25. Oktober 2013 geltende Fassung von § 172 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SGB II (vgl. Artikel 7 Nr. 11 Buchst. c des Gesetzes vom 19. Oktober 2013 [BGBl. I S. 3836]) findet nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechtes keine Anwendung. Dieses gebietet, dass bei einem gesetzlich festgelegten Rechtsmittelausschluss ein bereits eingelegtes Rechtsmittel zulässig bleibt, sofern das Gesetz nicht mit hinreichender Deutlichkeit etwas Abweichendes bestimmt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 2 BvR 1631/90, 2 BvR 1728/90 = BVerfG 87, 48 = NJW 1993, 1123; Sächs. LSG, Beschluss vom 20. November 2009 – L 3 B 261/08 AS-PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 15).

Die Beschwerde ist nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG a. F. ausgeschlossen, weil das Sozialgericht bei der Ablehnung der Prozesskostenhilfe nicht ausschließlich die persön-lichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneinte. Sie ist auch nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Halbsatz 2 SGG a. F. ausgeschlossen. Gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 Halbsatz 1 SGG a. F. war die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Dies galt gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 Halbsatz 1 SGG a. F. auch für Entscheidungen über einen Prozesskostenhilfeantrag im Rahmen dieser Verfahren. Der Wortlaut dieses zweiten Halbsatzes war eindeutig. Die Regelung konnte deshalb nicht erweiternd ausgelegt und auf Klageverfahren, in denen in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre, ausgedehnt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates ist auch ein Rückgriff auf die Beschwerdeausschlussregelung in § 127 Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO), sei es in Verbindung mit § 73a Abs. 1 SGG oder in Verbindung mit § 202 SGG oder in analoger Anwendung, nicht möglich (vgl. z. B. Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Juni 2012 – L 3 Sächs. LSG, Beschluss vom 20. November 2009 – L 3 AS 158/12 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 11). Aus diesem Grund ist vorliegend der Wert des Beschwerdegegenstandes in einem etwaigen Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich.

III. Das Beschwerdeverfahren leidet an keinem Verfahrensmangel. Insbesondere wurde entgegen den Rügen des Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 9. April 2014 weder das Sozialgeheimnis noch der Sozialdatenschutz dadurch verletzt, dass dem Beklagten des Klageverfahrens Gelegenheit gegeben wurde, im Verfahren der Prozesskostenhilfe-beschwerde eine Stellungnahme abzugeben. Zwar ist Beschwerdegegner in einem Beschwerdeverfahren, das die Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrages zum Gegenstand hat, die Staatskasse (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 4. Januar 2011 – L 3 AS 260/09 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 17). Jedoch war gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung (vgl. Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 [BGBl. I S. 3202]) vor der Bewilligung der Prozesskostenhilfe dem Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn dies nicht aus besonderen Gründen unzweckmäßig erscheint. Nach der seit 1. Januar 2014 geltenden Fassung von § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. Artikel 1 Nr. 6 Buchst. a des Gesetzes vom 31. August 2013 [BGBl. I S. 3533]) ist dem Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ob er die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für gegeben hält, soweit dies aus besonderen Gründen nicht unzweckmäßig erscheint. Wenn also vorliegend dem Beklagten diese Äußerungsmöglichkeit durch das Gericht eingeräumt wurde und der Beklagte von seinem Äußerungsrecht Gebrauch machte, hielten sich sowohl das Gericht als auch der Beklagte im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Die behauptete Verletzung von Rechten der Kläger kann mithin nicht vorliegen.

IV. Die Beschwerden sind nicht begründet.

1. Soweit die Kläger eine Verzinsung der mit Änderungsbescheid vom 30. Mai 2012 bewilligten Nachzahlung begehrten, neigt der erkennende Senat zwar entgegen dem Sozialgericht der Auffassung zu, dass eine Verzinsung durch den Beklagten im Änderungsbescheid vom 30. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2012 konkludent abgelehnt wurde.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes kann in einer unterbliebenen Zinsentscheidung eine sinngemäße oder stillschweigende Ablehnung des Zinsanspruchs durch Verwaltungsakt zu sehen sein (vgl. BSG, Urteil vom 11. September 1980 – 5 RJ 108/79 –JURIS-Dokument Rdnr. 17; BSG, Urteil vom 25. Januar 2011 – B 5 R 14/10 R – SozR 4-1300 § 63 Nr. 15 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 15 ff.). Erforderlich sind besondere Einzelfallumstände, die dem Schweigen zum Zinsanspruch klar und unmissverständlich einen ablehnenden Inhalt geben könnten (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 2011, a. a. O., jeweils Rdnr. 16). Vorliegend ist im Änderungsbescheid vom 30. Mai 2012 die Frage einer etwaigen Verzinsung der Nachzahlung nicht angesprochen. Allerdings wird im Widerspruchsbescheid vom 15. August 2012 am Ende der Bescheidbegründung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Verzinsung nicht gegeben seien. Da nach § 95 SGG Gegenstand der Klage, wenn ein Vorverfahren stattgefunden hat, der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, ist, lässt sich vertreten, dass vorliegend der Beklagte eine ablehnende Entscheidung über die Verzinsung der Nachzahlung getroffen hat.

Die Frage nach einer konkludenten Ablehnungsentscheidung kann aber dahingestellt bleiben, weil die Voraussetzungen für eine Verzinsung nicht vorliegen. Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) beginnt die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger. Nach den – von den Klägern nicht bestrittenen – Feststellungen im Widerspruchsbescheid vom 15. August 2012 wandte sich die Klägerin zu 1 erst am 24. April 2012 an den Beklagten wegen der ihrer Meinung nach zu geringerer Zahlungen für Unterkunft und Heizung. Erst zu diesem Zeitpunkt teilte sie auch die Veränderungen in ihren Wohnverhältnissen mit. Mithin lagen auch erst ab dem 24. April 2012 die vollständigen Angaben für eine Änderung der Leistungsbewilligung vor, sodass der Änderungsbescheid vom 30. Mai 2012 noch innerhalb der 6-Mpnatsfrist des § 44 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB I erlassen wurde.

2. Nachdem der Klägerbevollmächtigte seine weitere Rüge, die Kosten für Unterkunft und Heizung seien untersetzt, mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2012 nicht mehr aufrecht erhalten hatte, verblieb nur noch die Rüge, die seit 1. Januar 2011 geltenden Regelbedarfsregelungen seien nicht verfassungsgemäß. Diesbezüglich hat der erkennende Senat im Beschluss vom 15. Mai 2013 entschieden, dass für eine Klage, in der unter anderem geltend die Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfsregelungen für Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres geltend gemacht wurrde, eine hinreichende Erfolgsaussicht im prozesskostenhilferechtlichen Sinne bestehe (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Mai 2013 – L 3 AS 391/13 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 15). Ob vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zur Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfsermittlung bei Alleinstehenden (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 – B 14 AS 153/11 RBSGE 111, 211 ff. = SozR 4-4200 § 20 Nr. 17; BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 – B 14 AS 189/11 R – JURIS-Dokument; BSG, Urteil vom 28. März 2013 – B 4 AS 47/12 R – JURIS-Dokument) sowie bei Alleinstehenden und erwachsenen Ehepartner (vgl. BSG, Urteil vom 28. März 2013 – B 4 AS 12/12 R –SozR 4-4200 § 20 Nr. 18) einerseits und den diesbezüglichen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (Az. 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13) andererseits etwas anderes zu geltend hatte, wenn ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs für einen erwachsenen Leistungsberechtigten im Streit stand, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls fehlte das Rechtsschutzbedürfnis für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren, weil die Kläger darauf verwiesen werden konnten, den Ausgang eines bereits anhängigen, sogenannten unechten Musterverfahrens (hier der genannten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht) abzuwarten (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Mai 2013, a. a. O., Rdnr. 16).

Der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht inzwischen mit Beschluss vom 23. Juli 2014 die streitbefangenen Regelbedarfsregelungen nur "nach Maßgabe der Gründe mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikels 20 Absatz 1 des Grundgesetzes vereinbar" angesehen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13BGBl I 2014, 1581 = JURIS-Dokument), führt für das vorliegende Beschwerdeverfahren zu keinem anderen Ergebnis. Denn das Klageverfahren Az. S 22 AS 4039/12, auf das sich das Prozesskostenhilfebegehren bezieht, wurde bereits durch Urteil vom 19. April 2013 beendet. Prozess-kostenhilferechtliche Folgerungen aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 23. Juli 2014 können für das zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossene Klageverfahren nicht mehr gezogen werden.

V. Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei (vgl. § 183 SGG). Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (vgl. § 202 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).

VI. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG).

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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