Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 6 AS 2922/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 320/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines Verwaltungsaktes.
2. Zur Frage der Möglichkeit einer Teilrechtswidrigkeit eines Auskunftsverlangens gegenüber dem Partner einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten.
2. Zur Frage der Möglichkeit einer Teilrechtswidrigkeit eines Auskunftsverlangens gegenüber dem Partner einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 15.03.2013 sowie der Bescheid des Beklagten vom 15.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2011 aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 8/10.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wehrt sich nach erfolglos durchgeführtem Widerspruch- und Klageverfahren weiter gegen ein Auskunftsverlangen des Beklagten.
Der Kläger und die zu diesem Zeitpunkt bei dem Beklagten im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) stehende C K sind seit Dezember 2009 gemeinschaftlich Mieter der Wohnung E in O.
Unter dem 15. März 2011 richtete der Beklagte folgendes Schreiben an den Kläger:
"Sehr geehrter Herr L ,
im Rahmen der Leistungsgewährung nach SGB II für Frau K werden Sie zur Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen, an die das SGB II seine Leistungspflicht knüpft, gebeten, Auskünfte über Ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen. Zu diesem Zweck bitte ich Sie, die beigefügten Abdrucke ausgefüllt und unter Beilegung der entsprechenden Nachweise bis zum 01.04.11 vorzulegen.
Nach § 60 Abs. 4 Nr. 1 SGB II haben Partner Auskünfte über Einkommen und Vermögen zu erteilen, soweit es zur Durchführung der Aufgaben nach dem SGB II erforderlich ist.
Wer sich weigert dieser Verpflichtung nachzukommen, handelt ordnungswidrig und ist gemäß § 62 SGB II zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet."
Dem Schreiben waren das Formblatt "Einkommensbescheinigung-Nachweis über die Höhe des Arbeitsentgelts-", das Formblatt "Anlage VM zur Feststellung der Vermögensverhältnisse der Antragstellerin/des Antragstellers und der in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen" sowie das Formblatt "Anlage WEP zur Eintragung weiterer Personen der Bedarfsgemeinschaft ab 15 Jahren" beigefügt.
Den dagegen geführten Widerspruch des Klägers vom 23. März 2011 verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2011 als unzulässig. Mit dem angegriffenen Schreiben vom 15. März 2011 werde in Rechte des Klägers nicht eingegriffen.
Die Klage vom 22. Juni 2011 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 15. März 2012 nach Beweiserhebung durch Vernehmung von C K als Zeugin mit Urteil vom 15. März 2012 abgewiesen. Das Auskunftsverlangen des Beklagten sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 60 Abs. 4 Satz Nr. 1 SGB II seien erfüllt. Im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme lebten der Kläger und die Zeugin K nicht als bloße Wohngemeinschaft zusammen. Anhand vielfältiger Indizien ergebe sich vielmehr das Bild einer auch nach außen gelebten Partnerschaft im Sinne einer Einstandsgemeinschaft. Die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB II habe der Kläger nach alldem nicht wiederlegen können. Er sei daher nach § 60 Abs. 4 SGB II auskunftspflichtig. Der Umfang der verlangten Auskünfte sei nicht zu beanstanden. Nur auf der Grundlage der abgeforderten Informationen könne der Beklagte prüfen, in welchem Umfang C K hilfebedürftig sei.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 23. April 2012. Er lebe mit der Zeugin K nicht in einer Partnerschaft, sondern lediglich in einer Wohngemeinschaft, ohne dass ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, bestehe. Das Sozialgericht habe die Aussage der Zeugin K in rechtsfehlerhafter Weise gewürdigt. Auch überschreite das Auskunftsverlangen des Beklagten die gesetzlich zulässigen Grenzen.
Mit Ablauf des 31. August 2012 hat der Leistungsbezug der Zeugin K geendet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 15.03.2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die Begründung seines Widerspruchsbescheides und das aus seiner Sicht zutreffende erstinstanzliche Urteil. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigzogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 15. März 2011 und der Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2011 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten. Sie sind, ebenso wie das zu einem anderen Ergebnis gelangende Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 15. März 2012, aufzuheben.
Nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II haben, wenn Einkommen oder Vermögen des Partners (seit 1. April 2011: der Partnerin oder des Partners) zu berücksichtigen sind, dieser Partner der Agentur für Arbeit auf Verlangen hierüber Auskunft zu erteilen, soweit es zur Durchführung der Aufgaben nach diesem Buch erforderlich ist.
Die Regelung ist Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines Verwaltungsaktes (vgl. LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 20. April 2007 – L 13 AS 40/07 ER – JURIS-Dokument Rdnr. 14; Meyerhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [3. Aufl., 2012], § 60 Rdnr. 32; Steinmeyer, in: Gagel, SGB II/SGB III [50. Erg.-Lfg., 2013], § 60 Rdnr. 12; im Ergebnis ebenso: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Dezember 2007 – L 5 B 1556/07 AS ER – JURIS-Dokument; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18. März 2010 – L 5 AS 487/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 31; a. A.: Eicher, SGB II [3. Aufl., 2013], § 60 Rdnr. 48)
Wenngleich dem Schreiben des Beklagten vom 15. März 2011 die äußeren Anzeichen eines Verwaltungsaktes fehlen, weil ihm etwa eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht beigegeben ist und der Begriff "Bescheid" in ihm nicht enthalten ist, handelt es sich dennoch um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Eine Regelung liegt vor, wenn die Behörde eine potentiell verbindliche Rechtsfolge gesetzt hat, das heißt durch die Maßnahme ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt hat oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte abgelehnt hat (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 4. Oktober 1994 – 7 KlAr 1/93 – BSGE 75, 97 [107] = JURIS-Dokument Rdnr. 78, m. w. N.; Engelmann, in: von Wulffen, SGB X [7. Aufl., 2010], § 31 Rdnr. 24, m. w. N.). Ob auch nach den Umständen des konkreten Einzelfalls eine Regelung in diesem Sinne vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Hierbei ist entsprechend der Auslegungsregelungen in §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vom Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten auszugehen, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 27. August 2011 1994 – B 4 AS 1/10 – BSGE 109, 70 = SozR 4-4200 § 16 Nr. 9 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 31, m. w. N.; Engelmann, a. a. O., § 31 Rdnr. 24, m. w. N.). Mit dem Schreiben wird gegenüber dem Kläger die in § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II normierte Pflicht konkretisiert und zur Erfüllung des Auskunftsverlangens eine Frist gesetzt. Dies und der in dem Schreiben enthaltene Hinweis, dass die Weigerung, der Verpflichtung nachzukommen, eine Ordnungswidrigkeit darstellt und eine Schadensersatzpflicht begründen kann, lässt nur den Schluss zu, dass der Beklagte selbst das Schreiben von vornherein nicht lediglich als eine rechtlich unverbindliche Anfrage angesehen hat, deren Beachtung oder Nichtbeachtung im Belieben des Adressaten steht.
Der Grundsicherungsträger kann vom Partner einer Leistungen nach dem SGB II beantragenden (oder beziehenden) Person aber nach § 60 Abs. 4 SGB II Auskunft nur dann verlangen, wenn die Grundvoraussetzungen für die Anwendung der Regelung – das Vorliegen einer Partnerschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II – gegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 87/09 R – BSGE 107, 255 ff. = SozR 4-4200 § 60 Nr. 1 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 14).
Das Sozialgericht ist nach Beweiserhebung durch Vernehmung der Leistungsempfängerin C K als Zeugin zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger und die Zeugin nicht lediglich im Sinne einer bloßen Wohngemeinschaft, sondern in einer Partnerschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II zusammen leben. Soweit der Kläger den Wertungen des Sozialgerichts mit der Begründung entgegentritt, der Sachverhalt sei fehlerhaft festgestellt, unzutreffend erfasst und rechtsfehlerhaft gewürdigt worden, teilt der Senat diese Bedenken nicht. Die Beweiswürdigung des Sozialgerichts ist konsistent, die gezogenen Rückschlüsse sind argumentativ mit – überwiegend durch die Beweiserhebung gewonnenen – Tatsachen unterlegt. Wertungsfehler sind nicht ersichtlich.
Allerdings bedarf die Frage, ob eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vorliegt, in diesem Verfahren, das ausschließlich die Frage der rechtlichen Tragfähigkeit des Auskunftsverlangens zum Gegenstand hat, nicht der abschließenden Klärung. Selbst wenn nämlich der Kläger nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II als Mitglied einer solchen Gemeinschaft, also als "Partner", zur Auskunft verpflichtet wäre, bedürfte es darüber hinaus der rechtsfehlerfreien Aufforderung zur Erteilung der Auskunft. Die von dem Beklagten gewählte Vorgehensweise hält aber der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2011, a. a. O., jeweils Rdnr. 19) ist geklärt, dass der Leistungsträger von einem Partner, der selbst keine Leistungen beantragt, nach dem insoweit klaren Wortlaut des § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II nur die Erteilung von Auskünften, nicht aber die Vorlage von Belegen verlangen kann. Jedenfalls bei der "Einkommensbescheinigung – Nachweis über die Höhe des Arbeitsentgelts –", die vom Arbeitgeber auszufüllen und zu unterschreiben ist, handelt es sich um einen "Beleg" im vorgenannten Sinne. Zu ihrer Vorlage hätte der Kläger nicht aufgefordert werden dürfen.
Offen bleiben kann, ob der Umstand, dass der Kläger mit dem Bescheid des Beklagten vom 15. März 2011 dennoch zur Vorlage der Einkommensbescheinigung aufgefordert wurde, bereits für sich gesehen die Rechtswidrigkeit des Bescheides zur Folge hat. Allerdings scheint das Bundessozialgericht davon auszugehen, dass es sich bei einem Auskunftsverlangen regelmäßig um einen "einheitlichen Verwaltungsakt" handelt, der nicht (lediglich) teilrechtswidrig sein kann (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2011, a. a. O., jeweils Rdnr. 23). Ob dieser Auffassung auch dann zu folgen wäre, wenn der rechtswidrige Teil des Auskunftsersuchens nicht so wesentlich ist, dass der Bescheid ohne ihn nicht erlassen worden wäre (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1993 – 5 C 43/90 – BVerwGE 92, 330 [335] = NJW 1994, 66 [67] = JURIS-Dokument Rdnr. 28), kann vorliegend aber deshalb offen bleiben, weil der Beklagte den Kläger auch nicht zur Auskunftserteilung durch Ausfüllen der "Anlage VM" und der "Anlage WEP" hätte auffordern dürfen. Die Formblätter richten sich, wie sich aus den jeweiligen Fragestellungen sowie aus den Unterschriftsleisten ("Unterschrift Antragstellerin/Antragsteller") ergibt, lediglich an solche Personen, die selbst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II begehren. Der Kläger ist aber nicht Antragsteller und daher auch nicht zur Mitwirkung nach § 60 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) verpflichtet. Gegen seinen Willen könnte er selbst dann nicht zum Antragsteller gemacht werden, wenn er Inhaber eines Anspruchs wäre. Der Aufforderung an den Kläger, der selbst die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II nicht anstrebt, die zu einem Leistungsantrag gehörenden Anlagen auszufüllen, fehlt es damit an der Rechtsgrundlage (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2011, a. a. O., jeweils Rdnr. 21, 22). Hinzu tritt, dass in den geforderten Anlagen eine Vielzahl von Fragen gestellt werden, die deutlich über das hinausgehen, was der Beklagte im konkreten Stadium des Verfahrens zu Durchführung der Aufgabe nach dem SGB II benötigt hat.
Ist der Kläger nach alldem nicht verpflichtet, die dem Bescheid vom 15. März 2011 beigefügten Vordrucke auszufüllen oder ausfüllen zu lassen und dem Beklagten vorzulegen, kann der Bescheid keinen Bestand haben, weil er zu unbestimmt ist. Der Verwaltungsakt hätte lediglich noch zum Inhalt, der Kläger möge über seine "Einkommens- und Vermögensverhältnisse" Auskunft erteilen. Damit ist aber der Kläger nicht in die Lage versetzt, dem Auskunftsersuchen sinnvoll Folge zu leisten. Da er nicht selbst einzuschätzen vermag, welche konkreten Informationen der Beklagte im Sinne von § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II "zur Durchführung der Aufgaben nach diesem Buch" benötigt, bedarf es einer Konkretisierung, die aber, wie ausgeführt, nicht dazu führen darf, dass der Auskunftsverpflichtete wie ein Antragsteller oder Leistungsbezieher zur Einreichung von Antragsunterlagen oder Belegen herangezogen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe dafür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Dr. Scheer Krewer Höhl
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 8/10.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wehrt sich nach erfolglos durchgeführtem Widerspruch- und Klageverfahren weiter gegen ein Auskunftsverlangen des Beklagten.
Der Kläger und die zu diesem Zeitpunkt bei dem Beklagten im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) stehende C K sind seit Dezember 2009 gemeinschaftlich Mieter der Wohnung E in O.
Unter dem 15. März 2011 richtete der Beklagte folgendes Schreiben an den Kläger:
"Sehr geehrter Herr L ,
im Rahmen der Leistungsgewährung nach SGB II für Frau K werden Sie zur Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen, an die das SGB II seine Leistungspflicht knüpft, gebeten, Auskünfte über Ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen. Zu diesem Zweck bitte ich Sie, die beigefügten Abdrucke ausgefüllt und unter Beilegung der entsprechenden Nachweise bis zum 01.04.11 vorzulegen.
Nach § 60 Abs. 4 Nr. 1 SGB II haben Partner Auskünfte über Einkommen und Vermögen zu erteilen, soweit es zur Durchführung der Aufgaben nach dem SGB II erforderlich ist.
Wer sich weigert dieser Verpflichtung nachzukommen, handelt ordnungswidrig und ist gemäß § 62 SGB II zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet."
Dem Schreiben waren das Formblatt "Einkommensbescheinigung-Nachweis über die Höhe des Arbeitsentgelts-", das Formblatt "Anlage VM zur Feststellung der Vermögensverhältnisse der Antragstellerin/des Antragstellers und der in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen" sowie das Formblatt "Anlage WEP zur Eintragung weiterer Personen der Bedarfsgemeinschaft ab 15 Jahren" beigefügt.
Den dagegen geführten Widerspruch des Klägers vom 23. März 2011 verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2011 als unzulässig. Mit dem angegriffenen Schreiben vom 15. März 2011 werde in Rechte des Klägers nicht eingegriffen.
Die Klage vom 22. Juni 2011 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 15. März 2012 nach Beweiserhebung durch Vernehmung von C K als Zeugin mit Urteil vom 15. März 2012 abgewiesen. Das Auskunftsverlangen des Beklagten sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 60 Abs. 4 Satz Nr. 1 SGB II seien erfüllt. Im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme lebten der Kläger und die Zeugin K nicht als bloße Wohngemeinschaft zusammen. Anhand vielfältiger Indizien ergebe sich vielmehr das Bild einer auch nach außen gelebten Partnerschaft im Sinne einer Einstandsgemeinschaft. Die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB II habe der Kläger nach alldem nicht wiederlegen können. Er sei daher nach § 60 Abs. 4 SGB II auskunftspflichtig. Der Umfang der verlangten Auskünfte sei nicht zu beanstanden. Nur auf der Grundlage der abgeforderten Informationen könne der Beklagte prüfen, in welchem Umfang C K hilfebedürftig sei.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 23. April 2012. Er lebe mit der Zeugin K nicht in einer Partnerschaft, sondern lediglich in einer Wohngemeinschaft, ohne dass ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, bestehe. Das Sozialgericht habe die Aussage der Zeugin K in rechtsfehlerhafter Weise gewürdigt. Auch überschreite das Auskunftsverlangen des Beklagten die gesetzlich zulässigen Grenzen.
Mit Ablauf des 31. August 2012 hat der Leistungsbezug der Zeugin K geendet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 15.03.2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die Begründung seines Widerspruchsbescheides und das aus seiner Sicht zutreffende erstinstanzliche Urteil. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigzogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 15. März 2011 und der Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2011 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten. Sie sind, ebenso wie das zu einem anderen Ergebnis gelangende Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 15. März 2012, aufzuheben.
Nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II haben, wenn Einkommen oder Vermögen des Partners (seit 1. April 2011: der Partnerin oder des Partners) zu berücksichtigen sind, dieser Partner der Agentur für Arbeit auf Verlangen hierüber Auskunft zu erteilen, soweit es zur Durchführung der Aufgaben nach diesem Buch erforderlich ist.
Die Regelung ist Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines Verwaltungsaktes (vgl. LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 20. April 2007 – L 13 AS 40/07 ER – JURIS-Dokument Rdnr. 14; Meyerhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [3. Aufl., 2012], § 60 Rdnr. 32; Steinmeyer, in: Gagel, SGB II/SGB III [50. Erg.-Lfg., 2013], § 60 Rdnr. 12; im Ergebnis ebenso: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Dezember 2007 – L 5 B 1556/07 AS ER – JURIS-Dokument; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18. März 2010 – L 5 AS 487/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 31; a. A.: Eicher, SGB II [3. Aufl., 2013], § 60 Rdnr. 48)
Wenngleich dem Schreiben des Beklagten vom 15. März 2011 die äußeren Anzeichen eines Verwaltungsaktes fehlen, weil ihm etwa eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht beigegeben ist und der Begriff "Bescheid" in ihm nicht enthalten ist, handelt es sich dennoch um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Eine Regelung liegt vor, wenn die Behörde eine potentiell verbindliche Rechtsfolge gesetzt hat, das heißt durch die Maßnahme ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt hat oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte abgelehnt hat (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 4. Oktober 1994 – 7 KlAr 1/93 – BSGE 75, 97 [107] = JURIS-Dokument Rdnr. 78, m. w. N.; Engelmann, in: von Wulffen, SGB X [7. Aufl., 2010], § 31 Rdnr. 24, m. w. N.). Ob auch nach den Umständen des konkreten Einzelfalls eine Regelung in diesem Sinne vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Hierbei ist entsprechend der Auslegungsregelungen in §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vom Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten auszugehen, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 27. August 2011 1994 – B 4 AS 1/10 – BSGE 109, 70 = SozR 4-4200 § 16 Nr. 9 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 31, m. w. N.; Engelmann, a. a. O., § 31 Rdnr. 24, m. w. N.). Mit dem Schreiben wird gegenüber dem Kläger die in § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II normierte Pflicht konkretisiert und zur Erfüllung des Auskunftsverlangens eine Frist gesetzt. Dies und der in dem Schreiben enthaltene Hinweis, dass die Weigerung, der Verpflichtung nachzukommen, eine Ordnungswidrigkeit darstellt und eine Schadensersatzpflicht begründen kann, lässt nur den Schluss zu, dass der Beklagte selbst das Schreiben von vornherein nicht lediglich als eine rechtlich unverbindliche Anfrage angesehen hat, deren Beachtung oder Nichtbeachtung im Belieben des Adressaten steht.
Der Grundsicherungsträger kann vom Partner einer Leistungen nach dem SGB II beantragenden (oder beziehenden) Person aber nach § 60 Abs. 4 SGB II Auskunft nur dann verlangen, wenn die Grundvoraussetzungen für die Anwendung der Regelung – das Vorliegen einer Partnerschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II – gegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 87/09 R – BSGE 107, 255 ff. = SozR 4-4200 § 60 Nr. 1 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 14).
Das Sozialgericht ist nach Beweiserhebung durch Vernehmung der Leistungsempfängerin C K als Zeugin zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger und die Zeugin nicht lediglich im Sinne einer bloßen Wohngemeinschaft, sondern in einer Partnerschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II zusammen leben. Soweit der Kläger den Wertungen des Sozialgerichts mit der Begründung entgegentritt, der Sachverhalt sei fehlerhaft festgestellt, unzutreffend erfasst und rechtsfehlerhaft gewürdigt worden, teilt der Senat diese Bedenken nicht. Die Beweiswürdigung des Sozialgerichts ist konsistent, die gezogenen Rückschlüsse sind argumentativ mit – überwiegend durch die Beweiserhebung gewonnenen – Tatsachen unterlegt. Wertungsfehler sind nicht ersichtlich.
Allerdings bedarf die Frage, ob eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vorliegt, in diesem Verfahren, das ausschließlich die Frage der rechtlichen Tragfähigkeit des Auskunftsverlangens zum Gegenstand hat, nicht der abschließenden Klärung. Selbst wenn nämlich der Kläger nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II als Mitglied einer solchen Gemeinschaft, also als "Partner", zur Auskunft verpflichtet wäre, bedürfte es darüber hinaus der rechtsfehlerfreien Aufforderung zur Erteilung der Auskunft. Die von dem Beklagten gewählte Vorgehensweise hält aber der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2011, a. a. O., jeweils Rdnr. 19) ist geklärt, dass der Leistungsträger von einem Partner, der selbst keine Leistungen beantragt, nach dem insoweit klaren Wortlaut des § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II nur die Erteilung von Auskünften, nicht aber die Vorlage von Belegen verlangen kann. Jedenfalls bei der "Einkommensbescheinigung – Nachweis über die Höhe des Arbeitsentgelts –", die vom Arbeitgeber auszufüllen und zu unterschreiben ist, handelt es sich um einen "Beleg" im vorgenannten Sinne. Zu ihrer Vorlage hätte der Kläger nicht aufgefordert werden dürfen.
Offen bleiben kann, ob der Umstand, dass der Kläger mit dem Bescheid des Beklagten vom 15. März 2011 dennoch zur Vorlage der Einkommensbescheinigung aufgefordert wurde, bereits für sich gesehen die Rechtswidrigkeit des Bescheides zur Folge hat. Allerdings scheint das Bundessozialgericht davon auszugehen, dass es sich bei einem Auskunftsverlangen regelmäßig um einen "einheitlichen Verwaltungsakt" handelt, der nicht (lediglich) teilrechtswidrig sein kann (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2011, a. a. O., jeweils Rdnr. 23). Ob dieser Auffassung auch dann zu folgen wäre, wenn der rechtswidrige Teil des Auskunftsersuchens nicht so wesentlich ist, dass der Bescheid ohne ihn nicht erlassen worden wäre (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1993 – 5 C 43/90 – BVerwGE 92, 330 [335] = NJW 1994, 66 [67] = JURIS-Dokument Rdnr. 28), kann vorliegend aber deshalb offen bleiben, weil der Beklagte den Kläger auch nicht zur Auskunftserteilung durch Ausfüllen der "Anlage VM" und der "Anlage WEP" hätte auffordern dürfen. Die Formblätter richten sich, wie sich aus den jeweiligen Fragestellungen sowie aus den Unterschriftsleisten ("Unterschrift Antragstellerin/Antragsteller") ergibt, lediglich an solche Personen, die selbst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II begehren. Der Kläger ist aber nicht Antragsteller und daher auch nicht zur Mitwirkung nach § 60 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) verpflichtet. Gegen seinen Willen könnte er selbst dann nicht zum Antragsteller gemacht werden, wenn er Inhaber eines Anspruchs wäre. Der Aufforderung an den Kläger, der selbst die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II nicht anstrebt, die zu einem Leistungsantrag gehörenden Anlagen auszufüllen, fehlt es damit an der Rechtsgrundlage (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2011, a. a. O., jeweils Rdnr. 21, 22). Hinzu tritt, dass in den geforderten Anlagen eine Vielzahl von Fragen gestellt werden, die deutlich über das hinausgehen, was der Beklagte im konkreten Stadium des Verfahrens zu Durchführung der Aufgabe nach dem SGB II benötigt hat.
Ist der Kläger nach alldem nicht verpflichtet, die dem Bescheid vom 15. März 2011 beigefügten Vordrucke auszufüllen oder ausfüllen zu lassen und dem Beklagten vorzulegen, kann der Bescheid keinen Bestand haben, weil er zu unbestimmt ist. Der Verwaltungsakt hätte lediglich noch zum Inhalt, der Kläger möge über seine "Einkommens- und Vermögensverhältnisse" Auskunft erteilen. Damit ist aber der Kläger nicht in die Lage versetzt, dem Auskunftsersuchen sinnvoll Folge zu leisten. Da er nicht selbst einzuschätzen vermag, welche konkreten Informationen der Beklagte im Sinne von § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II "zur Durchführung der Aufgaben nach diesem Buch" benötigt, bedarf es einer Konkretisierung, die aber, wie ausgeführt, nicht dazu führen darf, dass der Auskunftsverpflichtete wie ein Antragsteller oder Leistungsbezieher zur Einreichung von Antragsunterlagen oder Belegen herangezogen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe dafür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Dr. Scheer Krewer Höhl
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