Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 46 SF 1086/12 E
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AS 951/13 B KO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
In Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, fällt nach der bis 31.07.2013 geltenden Rechtslage keine sog. fiktive Terminsgebühr an, wenn ein schriftlicher Vergleich geschlossen worden ist. Weder weist Nr. 3106 VV RVG (in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung) eine planwidrige Regelungslücke auf, die im Wege der Analogie zu schließen ist, noch gebietet Art. 12 Abs. 1 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG eine solche Auslegung.
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 30. April 2013 geändert und die dem Beschwerdegegner aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen auf 226,10 EUR festgesetzt.
II. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung eines im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) in einem sozialgerichtlichen Verfahren beigeordneten Rechtsanwalts.
Die Kläger führten vor dem Sozialgericht Dresden (SG) – bereits im Widerspruchsverfahrens durch den Beschwerdegegner anwaltlich vertreten – das Verfahren S 34 AS 1834/11, in dem die Rechtmäßigkeit einer Teilaufhebung von nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bewilligten Leistungen einschließlich einer damit korrespondieren Erstattungsforderung über 204,68 EUR sowie die Höhe der für den Bewilligungszeitraum vom 01.04.2010 bis 30.09.2010 zustehenden Grundsicherungsleistungen streitig waren. Mit Beschluss vom 22.03.2012, geändert durch Beschluss vom 27.06.2012, bewilligte das SG den Klägern ab 09.12.2011 ratenfreie PKH unter Beiordnung des Beschwerdegegners. Im Juni 2012 nahmen die Beteiligten des Klageverfahrens einen vom SG schriftlich unterbreiteten Vergleichsvorschlag zur Erledigung des Rechtstreits an, nach dem das beklagte Jobcenter die außergerichtlichen Kosten der Kläger zur Hälfte übernahm.
Am 09.07.2012 hat der Beschwerdegegner beantragt, seine aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen wie folgt festzusetzen: Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV RVG) 170,00 EUR Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) 200,00 EUR Einigungsgebühr (Nr. 1006 VV RVG) 190,00 EUR Pauschale für Post und Telekommunikation (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR Dokumentenpauschale für Ablichtungen (Nr. 7000 VV RVG) 15,00 EUR Zwischensumme 595,00 EUR Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 113,05 EUR zu zahlender Betrag 708,05 EUR Abzug Zahlung Gegner 50 % 354,02 EUR Erstattungsbetrag 354,03 EUR
Mit Beschluss vom 28.11.2012 setzte die Urkundsbeamtin des SG die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen wie folgt fest: Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV RVG) 170,00 EUR Einigungs-/Erledigungsgebühr (Nr. 1006 VV RVG) 190,00 EUR Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 72,20 EUR Gesamtsumme 452,20 EUR davon ½ 226,10 EUR Die Terminsgebühr sei nach der Rechtsprechung des Sächsischen Landessozialgerichts (LSG) abzusetzen gewesen, da die Gebührenziffer Nr. 3104 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) nicht anwendbar sei (vgl. Beschluss vom 09.12.2010 – L 6 AS 438/10 B KO – juris). Eine Analogie scheide aus. Die Kopiergebühren seien nicht erstattungsfähig, da die Ablichtungen anlässlich der Akteneinsicht im Juni 2011 und damit vor der im Rahmen der PKH-Bewilligung erfolgten Beiordnung gefertigt worden seien.
Der Beschwerdegegner hat hiergegen am 12.12.2012 Erinnerung eingelegt, mit der er weiterhin die Festsetzung einer Terminsgebühr für den geschlossenen schriftlichen Vergleich begehrt hat.
Mit Beschluss vom 30.04.2013 hat das SG den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 28.11.2012 geändert, die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 326,10 EUR festgesetzt und die Beschwerde zugelassen. Die Ansetzung einer Terminsgebühr durch den Beschwerdegegner sei berechtigt. Der Rechtsprechung des Sächsischen LSG sowie u.a. des LSG Nordrhein-Westfalen schließe sich die Kammer nicht an. Die Annahme des Sächsischen LSG, das sozialgerichtliche Verfahren sehe den Abschluss eines schriftlichen Vergleiches nicht vor, sei überholt. Der mit Wirkung zum 26.07.2012 in § 202 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingefügte Verweis auf § 278 Abs. 5 und § 278a Zivilprozessordnung (ZPO) belege, dass entgegen der Auffassung des Sächsischen LSG in dessen Beschluss vom 09.12.2010 (L 6 AS 438/10 B KO – juris) dem SGG das Güteverfahren nach § 278 ZPO nicht unbekannt sei. Im Übrigen verweise die Kammer auf die Entscheidung des SG Oldenburg vom 02.04.2012 (S 10 SF 170/11 E – juris), der sie sich anschließe. In Anbetracht dessen, dass der Gesetzgeber einen Anreiz für außergerichtliche Einigungen habe schaffen wollen, sei kein Grund ersichtlich, weshalb eine vom Gericht initiierte schriftsätzliche Verständigung, die im Ergebnis ebenfalls zur Vermeidung eines Termins geführt habe, gebührenrechtlich anders behandelt werden solle als eine Mitwirkung an einer auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG.
Gegen den ihm am 30.04.2013 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 08.05.2013 Beschwerde erhoben. Eine fiktive Terminsgebühr sei nicht entstanden. Nr. 3106 VV RVG (in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung) erwähne den Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nicht. Eine analoge Anwendung der Nr. 3104 VV RVG scheide nach der Rechtsprechung des Sächsischen LSG sowie weiterer LSG aus. Auch den Gesetzesmaterialien zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23.07.2013 (BGBl. I S. 2586) könne nicht entnommen werden, dass die Neufassung der Nr. 3106 VV RVG zum 01.08.2013 "klarstellend" erfolgt sei.
Dem Senat die Akten des Vergütungsfestsetzungsverfahrens einschließlich des Erinnerungsverfahrens und des PKH-Beiheftes sowie die Akten des SG-Verfahrens vorgelegen.
II.
1. Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat der an sich nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG zuständige Einzelrichter die Sache zur Entscheidung auf den Senat übertragen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG). Das Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes zum 01.08.2013 einschließlich der damit erfolgten Änderung der Nr. 3106 VV RVG hat an der grundsätzlichen Bedeutung nichts geändert, da noch eine nicht unerhebliche Anzahl von Verfahren anhängig sind, für die das RVG in seiner bisherigen Fassung anwendbar bleibt. Insbesondere die Rechtsfrage, ob eine sog. fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 1 VV RVG in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung auch dann entsteht, wenn in einem Verfahren, in dem Betragsrahmengebühren entstehen, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird, ist daher über den Einzelfall hinaus weiter klärungsbedürftig.
2. Die Beschwerde ist zulässig. Das SG hat sie in seinem Beschluss gemäß § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG zugelassen. Hieran ist der Senat gebunden (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 4 Satz 4 RVG), ohne dass es auf das Überschreiten des Beschwerdewertes von 200,00 EUR (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG) ankommt. Die Beschwerde ist auch fristgerecht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.
3. Die Beschwerde ist begründet. Das SG hat die dem Beschwerdegegner aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen zu hoch festgesetzt.
Der im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwalt erhält die gesetzliche Vergütung in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der Staatskasse (§ 45 Abs. 1 RVG). Der Vergütungsanspruch bestimmt sich nach den Beschlüssen, durch die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet wurde (§ 48 Abs. 1 Satz 1 RVG). Für die Höhe der Vergütung ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG auf das VV RVG zurückzugreifen, wobei in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen – wie hier – das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist (§ 183 SGG), Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG).
a) Die hier allein streitige Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG (in der bis 31.07.2013 geltenden, hier weiter anzuwendenden Fassung, vgl. § 60 Abs. 1 RVG) ist nicht entstanden. Die entsprechende Gebührenbestimmung des Beschwerdeführers auf die Terminsmittelgebühr war daher unbillig und ist von der Urkundsbeamtin des SG zu Recht abgesetzt worden.
Nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 zu Teil 3 VV RVG (in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung) entsteht die Terminsgebühr für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Gerichts. In Verfahren, in denen – wie hier – Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), entsteht die Terminsgebühr auch, wenn 1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entscheiden wird, 2. nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird oder 3. das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
Nicht vom ausdrücklichen Wortlaut des VV RVG (in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung) erfasst ist der Abschluss eines schriftlichen Vergleichs in Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen. Zwar bestimmt Nr. 3104 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG, dass eine Terminsgebühr u.a. auch dann entsteht, wenn in Verfahren, für die mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Nr. 3104 VV RVG gilt jedoch ausdrücklich nur, soweit in Nr. 3106 VV RVG nichts anderes bestimmt ist. Dies ist hier für die streitige Konstellation der Fall, denn für Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, hat Nr. 3106 VV RVG die Regelung in Nr. 3104 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG gerade nicht übernommen.
Eine Schließung dieser Regelungslücke im Wege richterlicher Rechtsfortbildung ist nicht geboten. Zur Ausfüllung von Regelungslücken sind Gerichte in drei Konstellationen berufen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 07.10.2009 – B 11 AL 31/08 R – juris RdNr. 19): 1. Bei Schweigen des Gesetzes, weil es der Gesetzgeber der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht in Detailfragen zu finden. 2. Bei Schweigen des Gesetzes aufgrund eines Versehens oder Übersehens eines Tatbestandes. 3. Bei Veränderung der Lebensverhältnisse nach Erlass des Gesetzes, die der Gesetzgeber deshalb noch nicht berücksichtigen konnte.
Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden zweiten Variante sind nicht erfüllt. Es ist nicht ersichtlich, dass nach dem, dem Gesetz zugrundeliegenden Regelungsplan eine über eine bloße Unvollständigkeit hinausgehende, also planwidrige, Regelungslücke vorliegt, die über eine analoge Anwendung der Nr. 3104 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG geschlossen werden müsste. Der Senat hält insoweit an der Rechtsprechung des vormaligen Kostensenats des Sächsischen LSG (vgl. Beschluss vom 09.02.2010 – L 6 AS 438/10 B KO – juris) im Ergebnis fest. Der Senat sieht sich weiterhin gehindert, mittels analoger Normanwendung in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers einzugreifen. Denn der Befugnis der Gerichte zur Fortbildung des Rechts sind durch Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz (GG) Grenzen gesetzt (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14.01.1987 – 1 BvR 1052/79 – juris RdNr. 63 ff.; Beschluss vom 17.06.2004 – 2 BvR 383/03 – juris RdNr. 170 ff.). Eine richterliche Rechtsfortbildung, die den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (BVerfG, Beschluss vom 14.06.2007 – 2 BvR 1447/05 u.a. – juris RdNr. 121). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Regelung getroffen, darf sie vom Richter nicht deshalb verändert und durch eine judikative Regelung ersetzt werden, weil sie z. B. eigenen rechtspolitischen Vorstellungen entspricht oder für sachgerechter erachtet wird.
So liegt es hier. Nach dem Wortlaut der hier maßgeblichen, bis 31.07.2013 geltenden Regelungen ist das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr in Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren anfallen, ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs in Nr. 3104 Nr. 1 VV RVG positiv geregelt, zugleich jedoch bestimmt, dass abweichende Regelungen in Nr. 3106 VV RVG vorgehen. Die daher speziellere Regelung der Nr. 3106 VV RVG hat in ihrer Ziffer 1 – insoweit mit der Alternative 1 der Nr. 3104 Nr. 1 VV RVG der Sache nach und weitestgehend wörtlich übereinstimmend – ein Entstehen der Terminsgebühr nur insoweit aufgenommen, als im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (vgl. § 124 SGG). Der Abschluss eines schriftlichen Vergleichs ist damit für Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, ausdrücklich ausgenommen. Aus den maßgeblichen Gesetzesmaterialien zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 05.05.2004 (BGBl. I S. 718), in dessen Zuge die hier fraglichen Regelungen des VV RVG geschaffen worden sind, ergeben sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für ein Redaktionsversehen und eine deshalb erkennbar planwidrige Regelungslücke (so im Ergebnis ebenfalls die überwiegende Rechtsprechung, vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.02.2011 – L 19 AS 1522/10 B – juris RdNr. 31; Beschluss vom 30.03.2009 – L 2 B 20/08 KN P – juris RdNr. 13 ff.; Bayerisches LSG, Beschluss vom 22.06.2007 – L 15 B 200/07 P KO – juris RdNr. 17; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 17.03.2014 – L 5 SF 43/14 B E – juris RdNr. 16; Beschluss vom 14.11.2007 – L 1 B 513/07 R SK – juris RdNr. 9; Thüringer LSG, Beschluss vom 19.06.2007 – L 6 B 80/07 SF – juris RdNr. 27 f.). Der Gesetzgeber hat die Konstellation insbesondere nicht übersehen. Dies liegt schon aufgrund der skizzierten Regelungstechnik innerhalb des Abschnittes 1 des Teils 3 der VV RVG fern. Der Gesetzgeber hat vielmehr, obschon die allgemeine Gebührenstruktur grundsätzlich auch für die Sozialgerichtsbarkeit in Anwendung gebracht wurde (vgl. BT-Drs. 15/1971 S. 212), für schriftliche Vergleiche einen weiteren Gebührenanreiz zur vergleichsweisen Erledigung in Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, offensichtlich nicht für nötig gehalten, zumal beim Vergleichsschluss – wie auch im hier zugrundeliegenden Fall – regelmäßig bereits neben der Verfahrensgebühr eine Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG entsteht (hierzu SG Stuttgart, Beschluss vom 14.01.2011 – S 20 SF 7180/10 E – juris RdNr. 22).
Dahinstehen kann daher, ob die fehlende Erwähnung des schriftlichen Vergleichs in Nr. 3106 VV RVG (auch) darauf beruhte, dass es – bis zur Anfügung des § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG durch das BUK-Neuordnungsgesetz vom 19.10.2013 (BGBl. I S. 3836) mit Wirkung vom 25.10.2013 – den schriftlichen Vergleich im sozialgerichtlichen Verfahren nicht gab; § 278 Abs. 6 ZPO also über § 202 SGG keine Anwendung fand (so Sächsisches LSG, Beschluss vom 09.02.2010 – L 6 AS 438/10 B KO RdNr. 41 ff.). Zwar spricht aus Sicht des erkennenden Senats Überwiegendes dafür, dass § 202 SGG auch § 278 Abs. 6 ZPO erfasst, weil unbeschadet der Regelung des § 101 SGG, die in der bis 24.10.2013 geltenden Fassung den schriftlichen Vergleich nicht nennt, sonst keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen sozial- und zivilgerichtlichen Verfahren ersichtlich sind, die eine Anwendbarkeit ausschließen würden (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 101 RdNr. 9). Dem folgend wurde von § 278 Abs. 6 ZPO in der sozialgerichtlichen Praxis auch weitgehend Gebrauch gemacht (vgl. etwa BSG, Urteil vom 23.08.2013 – B 8 SO 17/12 R – juris RdNr. 33; Urteil vom 28.02.2013 – B 8 SO 12/11 R – juris RdNr. 8; Urteil vom 12.12.2013 – B 4 AS 17/13 R – juris RdNr. 22; Müller, NZS 2014, 166). Unumstritten war die Anwendbarkeit gleichwohl nicht (dagegen etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.08.2013 – L 20 SO 50/12 – juris), sodass sich der Gesetzgeber zu der oben erwähnten, ausdrücklich auch der "Klarstellung" dienenden, Neuregelung veranlasst sah (vgl. BT-Drs. 17/12297 S. 39 (Zu Nr. 9)). Ob diese den Streit über die Anwendbarkeit des § 278 Abs. 6 ZPO endgültig zu klären vermocht hat, ist hier nicht entscheidungserheblich (kritisch insoweit Hahn, NZS 2014, 368, 372 ff.).
Dass der (aktuelle) Gesetzgeber im Zuge des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 23.07.2013 (BGBl. I S. 2586) nunmehr mit Wirkung vom 01.08.2013 in Nr. 3106 Nr. 1 VV RVG eine Nr. 3104 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG entsprechende Regelung auch für Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, übernommen hat, weil es sachgerechter sei, den schriftlichen Abschluss eines Vergleichs gebührenrechtlich nicht deshalb anders zu behandeln, wenn statt Wertgebühren Betragsrahmengebühren erhoben werden (vgl. BT-Drs. 14/11471 S. 274), ändert an der bis 31.07.2013 geltenden Rechtslage nichts. Eine klare Aussage zum maßgeblichen Willen des Gesetzgebers im Zeitpunkt des Erlasses der hier streitigen Norm oder eine ausdrückliche Billigung der vereinzelt vorgenommenen Analogie kann der Neuregelung zum 01.08.2013 nicht entnommen werden.
Zuletzt ist eine erweiternde Auslegung auch nicht von Verfassung wegen geboten. Weder die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Beschwerdegegners, mit der die Freiheit, eine angemessene Vergütung zu fordern, untrennbar verbunden ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.08.2011– 1 BvR 2473/10 u.a. – juris RdNr. 15), noch der allgemeine Gleichheitssatz gebieten eine analoge Anwendung der Nr. 3104 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG im Wege richterlicher Rechtsfortbildung. Denn die Ablehnung einer Terminsgebühr für einen schriftlichen Vergleich in Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.12.2006 – 1 BvR 2091/06 – juris RdNr. 9). Dies überzeugt nicht zuletzt deshalb, weil ein zusätzlicher Gebührenanfall des Rechtsanwalts immer auch mit einer Verkürzung der Rechtspositionen des Auftraggebers der anwaltlichen Dienstleistung einhergeht, der sich einer zusätzlichen Forderung ausgesetzt sieht (vgl. grundsätzlich zum deshalb auf § 1 GKG gründenden Analogieverbot im Kostenrecht: BSG, Beschluss vom 07.09.2010 – B 1 KR 1/10 D – juris RdNr. 6; ferner BVerfG, Kammerbeschluss vom 20.04.2010 – 1 BvR 1670/09 – juris RdNr. 19), selbst wenn dies bei einem – wie hier – im Wege der PKH beigeordneten Anwalts nur eingeschränkt gilt, da Ansprüche des Anwalts gegenüber der Mandantschaft suspendiert sind (§ 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO).
b) Die weiteren Gebühren- und Auslagentatbestände (Verfahrensgebühr, Einigungsgebühr, Auslagenpauschale, Umsatzsteuer auf Vergütung) sind nicht streitig und der Höhe nach zutreffend festgesetzt.
c) Insgesamt stehen dem Beschwerdegegner daher Zahlungen aus der Staatskasse wie folgt zu:
Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV RVG) 170,00 EUR Einigungsgebühr (Nr. 1006 VV RVG) 190,00 EUR Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 72,20 EUR Gesamtsumme 452,20 EUR davon ½ 226,10 EUR
III.
Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG). Sie ist nicht weiter anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Dr. Wahl Stinshoff Kirchberg
II. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung eines im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) in einem sozialgerichtlichen Verfahren beigeordneten Rechtsanwalts.
Die Kläger führten vor dem Sozialgericht Dresden (SG) – bereits im Widerspruchsverfahrens durch den Beschwerdegegner anwaltlich vertreten – das Verfahren S 34 AS 1834/11, in dem die Rechtmäßigkeit einer Teilaufhebung von nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bewilligten Leistungen einschließlich einer damit korrespondieren Erstattungsforderung über 204,68 EUR sowie die Höhe der für den Bewilligungszeitraum vom 01.04.2010 bis 30.09.2010 zustehenden Grundsicherungsleistungen streitig waren. Mit Beschluss vom 22.03.2012, geändert durch Beschluss vom 27.06.2012, bewilligte das SG den Klägern ab 09.12.2011 ratenfreie PKH unter Beiordnung des Beschwerdegegners. Im Juni 2012 nahmen die Beteiligten des Klageverfahrens einen vom SG schriftlich unterbreiteten Vergleichsvorschlag zur Erledigung des Rechtstreits an, nach dem das beklagte Jobcenter die außergerichtlichen Kosten der Kläger zur Hälfte übernahm.
Am 09.07.2012 hat der Beschwerdegegner beantragt, seine aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen wie folgt festzusetzen: Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV RVG) 170,00 EUR Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) 200,00 EUR Einigungsgebühr (Nr. 1006 VV RVG) 190,00 EUR Pauschale für Post und Telekommunikation (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR Dokumentenpauschale für Ablichtungen (Nr. 7000 VV RVG) 15,00 EUR Zwischensumme 595,00 EUR Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 113,05 EUR zu zahlender Betrag 708,05 EUR Abzug Zahlung Gegner 50 % 354,02 EUR Erstattungsbetrag 354,03 EUR
Mit Beschluss vom 28.11.2012 setzte die Urkundsbeamtin des SG die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen wie folgt fest: Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV RVG) 170,00 EUR Einigungs-/Erledigungsgebühr (Nr. 1006 VV RVG) 190,00 EUR Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 72,20 EUR Gesamtsumme 452,20 EUR davon ½ 226,10 EUR Die Terminsgebühr sei nach der Rechtsprechung des Sächsischen Landessozialgerichts (LSG) abzusetzen gewesen, da die Gebührenziffer Nr. 3104 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) nicht anwendbar sei (vgl. Beschluss vom 09.12.2010 – L 6 AS 438/10 B KO – juris). Eine Analogie scheide aus. Die Kopiergebühren seien nicht erstattungsfähig, da die Ablichtungen anlässlich der Akteneinsicht im Juni 2011 und damit vor der im Rahmen der PKH-Bewilligung erfolgten Beiordnung gefertigt worden seien.
Der Beschwerdegegner hat hiergegen am 12.12.2012 Erinnerung eingelegt, mit der er weiterhin die Festsetzung einer Terminsgebühr für den geschlossenen schriftlichen Vergleich begehrt hat.
Mit Beschluss vom 30.04.2013 hat das SG den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 28.11.2012 geändert, die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 326,10 EUR festgesetzt und die Beschwerde zugelassen. Die Ansetzung einer Terminsgebühr durch den Beschwerdegegner sei berechtigt. Der Rechtsprechung des Sächsischen LSG sowie u.a. des LSG Nordrhein-Westfalen schließe sich die Kammer nicht an. Die Annahme des Sächsischen LSG, das sozialgerichtliche Verfahren sehe den Abschluss eines schriftlichen Vergleiches nicht vor, sei überholt. Der mit Wirkung zum 26.07.2012 in § 202 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingefügte Verweis auf § 278 Abs. 5 und § 278a Zivilprozessordnung (ZPO) belege, dass entgegen der Auffassung des Sächsischen LSG in dessen Beschluss vom 09.12.2010 (L 6 AS 438/10 B KO – juris) dem SGG das Güteverfahren nach § 278 ZPO nicht unbekannt sei. Im Übrigen verweise die Kammer auf die Entscheidung des SG Oldenburg vom 02.04.2012 (S 10 SF 170/11 E – juris), der sie sich anschließe. In Anbetracht dessen, dass der Gesetzgeber einen Anreiz für außergerichtliche Einigungen habe schaffen wollen, sei kein Grund ersichtlich, weshalb eine vom Gericht initiierte schriftsätzliche Verständigung, die im Ergebnis ebenfalls zur Vermeidung eines Termins geführt habe, gebührenrechtlich anders behandelt werden solle als eine Mitwirkung an einer auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG.
Gegen den ihm am 30.04.2013 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 08.05.2013 Beschwerde erhoben. Eine fiktive Terminsgebühr sei nicht entstanden. Nr. 3106 VV RVG (in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung) erwähne den Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nicht. Eine analoge Anwendung der Nr. 3104 VV RVG scheide nach der Rechtsprechung des Sächsischen LSG sowie weiterer LSG aus. Auch den Gesetzesmaterialien zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23.07.2013 (BGBl. I S. 2586) könne nicht entnommen werden, dass die Neufassung der Nr. 3106 VV RVG zum 01.08.2013 "klarstellend" erfolgt sei.
Dem Senat die Akten des Vergütungsfestsetzungsverfahrens einschließlich des Erinnerungsverfahrens und des PKH-Beiheftes sowie die Akten des SG-Verfahrens vorgelegen.
II.
1. Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat der an sich nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG zuständige Einzelrichter die Sache zur Entscheidung auf den Senat übertragen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG). Das Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes zum 01.08.2013 einschließlich der damit erfolgten Änderung der Nr. 3106 VV RVG hat an der grundsätzlichen Bedeutung nichts geändert, da noch eine nicht unerhebliche Anzahl von Verfahren anhängig sind, für die das RVG in seiner bisherigen Fassung anwendbar bleibt. Insbesondere die Rechtsfrage, ob eine sog. fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 1 VV RVG in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung auch dann entsteht, wenn in einem Verfahren, in dem Betragsrahmengebühren entstehen, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird, ist daher über den Einzelfall hinaus weiter klärungsbedürftig.
2. Die Beschwerde ist zulässig. Das SG hat sie in seinem Beschluss gemäß § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG zugelassen. Hieran ist der Senat gebunden (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 4 Satz 4 RVG), ohne dass es auf das Überschreiten des Beschwerdewertes von 200,00 EUR (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG) ankommt. Die Beschwerde ist auch fristgerecht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.
3. Die Beschwerde ist begründet. Das SG hat die dem Beschwerdegegner aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen zu hoch festgesetzt.
Der im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwalt erhält die gesetzliche Vergütung in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der Staatskasse (§ 45 Abs. 1 RVG). Der Vergütungsanspruch bestimmt sich nach den Beschlüssen, durch die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet wurde (§ 48 Abs. 1 Satz 1 RVG). Für die Höhe der Vergütung ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG auf das VV RVG zurückzugreifen, wobei in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen – wie hier – das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist (§ 183 SGG), Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG).
a) Die hier allein streitige Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG (in der bis 31.07.2013 geltenden, hier weiter anzuwendenden Fassung, vgl. § 60 Abs. 1 RVG) ist nicht entstanden. Die entsprechende Gebührenbestimmung des Beschwerdeführers auf die Terminsmittelgebühr war daher unbillig und ist von der Urkundsbeamtin des SG zu Recht abgesetzt worden.
Nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 zu Teil 3 VV RVG (in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung) entsteht die Terminsgebühr für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Gerichts. In Verfahren, in denen – wie hier – Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), entsteht die Terminsgebühr auch, wenn 1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entscheiden wird, 2. nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird oder 3. das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
Nicht vom ausdrücklichen Wortlaut des VV RVG (in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung) erfasst ist der Abschluss eines schriftlichen Vergleichs in Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen. Zwar bestimmt Nr. 3104 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG, dass eine Terminsgebühr u.a. auch dann entsteht, wenn in Verfahren, für die mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Nr. 3104 VV RVG gilt jedoch ausdrücklich nur, soweit in Nr. 3106 VV RVG nichts anderes bestimmt ist. Dies ist hier für die streitige Konstellation der Fall, denn für Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, hat Nr. 3106 VV RVG die Regelung in Nr. 3104 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG gerade nicht übernommen.
Eine Schließung dieser Regelungslücke im Wege richterlicher Rechtsfortbildung ist nicht geboten. Zur Ausfüllung von Regelungslücken sind Gerichte in drei Konstellationen berufen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 07.10.2009 – B 11 AL 31/08 R – juris RdNr. 19): 1. Bei Schweigen des Gesetzes, weil es der Gesetzgeber der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht in Detailfragen zu finden. 2. Bei Schweigen des Gesetzes aufgrund eines Versehens oder Übersehens eines Tatbestandes. 3. Bei Veränderung der Lebensverhältnisse nach Erlass des Gesetzes, die der Gesetzgeber deshalb noch nicht berücksichtigen konnte.
Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden zweiten Variante sind nicht erfüllt. Es ist nicht ersichtlich, dass nach dem, dem Gesetz zugrundeliegenden Regelungsplan eine über eine bloße Unvollständigkeit hinausgehende, also planwidrige, Regelungslücke vorliegt, die über eine analoge Anwendung der Nr. 3104 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG geschlossen werden müsste. Der Senat hält insoweit an der Rechtsprechung des vormaligen Kostensenats des Sächsischen LSG (vgl. Beschluss vom 09.02.2010 – L 6 AS 438/10 B KO – juris) im Ergebnis fest. Der Senat sieht sich weiterhin gehindert, mittels analoger Normanwendung in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers einzugreifen. Denn der Befugnis der Gerichte zur Fortbildung des Rechts sind durch Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz (GG) Grenzen gesetzt (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14.01.1987 – 1 BvR 1052/79 – juris RdNr. 63 ff.; Beschluss vom 17.06.2004 – 2 BvR 383/03 – juris RdNr. 170 ff.). Eine richterliche Rechtsfortbildung, die den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (BVerfG, Beschluss vom 14.06.2007 – 2 BvR 1447/05 u.a. – juris RdNr. 121). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Regelung getroffen, darf sie vom Richter nicht deshalb verändert und durch eine judikative Regelung ersetzt werden, weil sie z. B. eigenen rechtspolitischen Vorstellungen entspricht oder für sachgerechter erachtet wird.
So liegt es hier. Nach dem Wortlaut der hier maßgeblichen, bis 31.07.2013 geltenden Regelungen ist das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr in Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren anfallen, ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs in Nr. 3104 Nr. 1 VV RVG positiv geregelt, zugleich jedoch bestimmt, dass abweichende Regelungen in Nr. 3106 VV RVG vorgehen. Die daher speziellere Regelung der Nr. 3106 VV RVG hat in ihrer Ziffer 1 – insoweit mit der Alternative 1 der Nr. 3104 Nr. 1 VV RVG der Sache nach und weitestgehend wörtlich übereinstimmend – ein Entstehen der Terminsgebühr nur insoweit aufgenommen, als im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (vgl. § 124 SGG). Der Abschluss eines schriftlichen Vergleichs ist damit für Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, ausdrücklich ausgenommen. Aus den maßgeblichen Gesetzesmaterialien zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 05.05.2004 (BGBl. I S. 718), in dessen Zuge die hier fraglichen Regelungen des VV RVG geschaffen worden sind, ergeben sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für ein Redaktionsversehen und eine deshalb erkennbar planwidrige Regelungslücke (so im Ergebnis ebenfalls die überwiegende Rechtsprechung, vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.02.2011 – L 19 AS 1522/10 B – juris RdNr. 31; Beschluss vom 30.03.2009 – L 2 B 20/08 KN P – juris RdNr. 13 ff.; Bayerisches LSG, Beschluss vom 22.06.2007 – L 15 B 200/07 P KO – juris RdNr. 17; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 17.03.2014 – L 5 SF 43/14 B E – juris RdNr. 16; Beschluss vom 14.11.2007 – L 1 B 513/07 R SK – juris RdNr. 9; Thüringer LSG, Beschluss vom 19.06.2007 – L 6 B 80/07 SF – juris RdNr. 27 f.). Der Gesetzgeber hat die Konstellation insbesondere nicht übersehen. Dies liegt schon aufgrund der skizzierten Regelungstechnik innerhalb des Abschnittes 1 des Teils 3 der VV RVG fern. Der Gesetzgeber hat vielmehr, obschon die allgemeine Gebührenstruktur grundsätzlich auch für die Sozialgerichtsbarkeit in Anwendung gebracht wurde (vgl. BT-Drs. 15/1971 S. 212), für schriftliche Vergleiche einen weiteren Gebührenanreiz zur vergleichsweisen Erledigung in Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, offensichtlich nicht für nötig gehalten, zumal beim Vergleichsschluss – wie auch im hier zugrundeliegenden Fall – regelmäßig bereits neben der Verfahrensgebühr eine Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG entsteht (hierzu SG Stuttgart, Beschluss vom 14.01.2011 – S 20 SF 7180/10 E – juris RdNr. 22).
Dahinstehen kann daher, ob die fehlende Erwähnung des schriftlichen Vergleichs in Nr. 3106 VV RVG (auch) darauf beruhte, dass es – bis zur Anfügung des § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG durch das BUK-Neuordnungsgesetz vom 19.10.2013 (BGBl. I S. 3836) mit Wirkung vom 25.10.2013 – den schriftlichen Vergleich im sozialgerichtlichen Verfahren nicht gab; § 278 Abs. 6 ZPO also über § 202 SGG keine Anwendung fand (so Sächsisches LSG, Beschluss vom 09.02.2010 – L 6 AS 438/10 B KO RdNr. 41 ff.). Zwar spricht aus Sicht des erkennenden Senats Überwiegendes dafür, dass § 202 SGG auch § 278 Abs. 6 ZPO erfasst, weil unbeschadet der Regelung des § 101 SGG, die in der bis 24.10.2013 geltenden Fassung den schriftlichen Vergleich nicht nennt, sonst keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen sozial- und zivilgerichtlichen Verfahren ersichtlich sind, die eine Anwendbarkeit ausschließen würden (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 101 RdNr. 9). Dem folgend wurde von § 278 Abs. 6 ZPO in der sozialgerichtlichen Praxis auch weitgehend Gebrauch gemacht (vgl. etwa BSG, Urteil vom 23.08.2013 – B 8 SO 17/12 R – juris RdNr. 33; Urteil vom 28.02.2013 – B 8 SO 12/11 R – juris RdNr. 8; Urteil vom 12.12.2013 – B 4 AS 17/13 R – juris RdNr. 22; Müller, NZS 2014, 166). Unumstritten war die Anwendbarkeit gleichwohl nicht (dagegen etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.08.2013 – L 20 SO 50/12 – juris), sodass sich der Gesetzgeber zu der oben erwähnten, ausdrücklich auch der "Klarstellung" dienenden, Neuregelung veranlasst sah (vgl. BT-Drs. 17/12297 S. 39 (Zu Nr. 9)). Ob diese den Streit über die Anwendbarkeit des § 278 Abs. 6 ZPO endgültig zu klären vermocht hat, ist hier nicht entscheidungserheblich (kritisch insoweit Hahn, NZS 2014, 368, 372 ff.).
Dass der (aktuelle) Gesetzgeber im Zuge des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 23.07.2013 (BGBl. I S. 2586) nunmehr mit Wirkung vom 01.08.2013 in Nr. 3106 Nr. 1 VV RVG eine Nr. 3104 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG entsprechende Regelung auch für Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, übernommen hat, weil es sachgerechter sei, den schriftlichen Abschluss eines Vergleichs gebührenrechtlich nicht deshalb anders zu behandeln, wenn statt Wertgebühren Betragsrahmengebühren erhoben werden (vgl. BT-Drs. 14/11471 S. 274), ändert an der bis 31.07.2013 geltenden Rechtslage nichts. Eine klare Aussage zum maßgeblichen Willen des Gesetzgebers im Zeitpunkt des Erlasses der hier streitigen Norm oder eine ausdrückliche Billigung der vereinzelt vorgenommenen Analogie kann der Neuregelung zum 01.08.2013 nicht entnommen werden.
Zuletzt ist eine erweiternde Auslegung auch nicht von Verfassung wegen geboten. Weder die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Beschwerdegegners, mit der die Freiheit, eine angemessene Vergütung zu fordern, untrennbar verbunden ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.08.2011– 1 BvR 2473/10 u.a. – juris RdNr. 15), noch der allgemeine Gleichheitssatz gebieten eine analoge Anwendung der Nr. 3104 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG im Wege richterlicher Rechtsfortbildung. Denn die Ablehnung einer Terminsgebühr für einen schriftlichen Vergleich in Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.12.2006 – 1 BvR 2091/06 – juris RdNr. 9). Dies überzeugt nicht zuletzt deshalb, weil ein zusätzlicher Gebührenanfall des Rechtsanwalts immer auch mit einer Verkürzung der Rechtspositionen des Auftraggebers der anwaltlichen Dienstleistung einhergeht, der sich einer zusätzlichen Forderung ausgesetzt sieht (vgl. grundsätzlich zum deshalb auf § 1 GKG gründenden Analogieverbot im Kostenrecht: BSG, Beschluss vom 07.09.2010 – B 1 KR 1/10 D – juris RdNr. 6; ferner BVerfG, Kammerbeschluss vom 20.04.2010 – 1 BvR 1670/09 – juris RdNr. 19), selbst wenn dies bei einem – wie hier – im Wege der PKH beigeordneten Anwalts nur eingeschränkt gilt, da Ansprüche des Anwalts gegenüber der Mandantschaft suspendiert sind (§ 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO).
b) Die weiteren Gebühren- und Auslagentatbestände (Verfahrensgebühr, Einigungsgebühr, Auslagenpauschale, Umsatzsteuer auf Vergütung) sind nicht streitig und der Höhe nach zutreffend festgesetzt.
c) Insgesamt stehen dem Beschwerdegegner daher Zahlungen aus der Staatskasse wie folgt zu:
Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV RVG) 170,00 EUR Einigungsgebühr (Nr. 1006 VV RVG) 190,00 EUR Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 72,20 EUR Gesamtsumme 452,20 EUR davon ½ 226,10 EUR
III.
Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG). Sie ist nicht weiter anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Dr. Wahl Stinshoff Kirchberg
Rechtskraft
Aus
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FSS
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