L 3 AL 142/12

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 24 AL 882/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 142/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Prüfung der Frage, ob bei einem Künstler in der zwischen den Vorstellungen (Auftritten) liegenden Zeiten von einer Verfügungsmacht der Theaterleitung über die Arbeitskraft ausgegangen werden kann, ist eine Betrachtung der zwischen den Vertragsbeteiligten bestehenden Vereinbarungen im Gesamtzusammenhang vorzunehmen. Kann diesen im Wege der Auslegung entnommen werden, dass nach dem Willen der Vertragsparteien in den zwischen den Vorstellungen liegenden Zeiten eine Verpflichtung des Künstlers durch kurzfristigen Dienstbereitschaft (als Teil der geschuldeten Arbeitsleistung) für den Arbeitgeber eine "Verfügungsbefugnis" (innerhalb der vereinbarten Dienstzeit) begründet sein soll, liegt eine dauernde (durchgehende) Beschäftigung vor. Bei der Betrachtung im Gesamtzusammenhang können insbesondere vorbehaltene Änderungen der Vorstellungstermine, das Nichtvereinbaren von "Sperrzeiten" "Aussetzzeiten") und die vertragliche Verpflichtung, sich bei Aufnahmen für Bild- und Tonträger zu theatereigenen Zwecken und bei Aufzeichnungen für Reportagen oder Werbezwecke mitzuwirken, von Bedeutung sein (Anschluss an BSG, Urteil vom 20. März 2013 – B 12 R 13/10 R)
I. Auf die Berufung der Beklagten wir das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 8. Oktober 2012 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Verfahrenszügen nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 1. Mai 2010 bis zum 24. Juni 2010.

Der am 1972 geborene Kläger war vom 1. März 2009 bis zum 31. Dezember 2009 als Puppenspieler beim "Theater J G " in D versicherungspflichtig beschäftigt. Auf der Grundlage eines am 18. Oktober 2009 vom Kläger unterschriebenen Gastvertrages in der Fassung der Nachträge zum Gastvertrag vom 23. Januar 2010, 26. Februar 2010 und 14. Mai 2010 arbeitete er als Puppenspieler beim S Theater C gGmbH (im Folgenden: Theater C ) in einer Inszenierung mit. Die Proben begannen am 8. März 2010 und endeten am 26. April 2010. Die Premiere fand am 27. April 2010 statt. Vorstellungen folgten am 28., 29. und 30. April 2010, am 2., 6. und 23. bis 26. Mai 2010. Weitere Vorstellungen fanden am 17., 18. Juni 2010 sowie vom 20. bis zum 24. Juni 2010 statt.

Am 3. Mai 2010 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld.

Mit Bescheid vom 31. Mai 2010 lehnte die Beklagte den Antrag für den Zeitraum vom 1. Mai 2010 bis zum 24. Juni 2010 ab. Der Kläger stehe als gastspielverpflichteter Künstler bis zum 24. Juni 2010 in einem zeitlich befristeten Arbeitsverhältnis.

Den Widerspruch des Klägers vom 7. Juni 2010 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 2010 zurück. Vom 1. Mai 2010 bis zum 24. Juni 2010 habe der Kläger eine Erwerbstätigkeit ausgeübt, die Arbeitslosigkeit ausschließe. Aus den Regelungen der zwischen dem Kläger und dem Theater C geschlossenen Vereinbarung ergebe sich für die Dauer des Gastvertrages ein generell eingeräumtes und vom Gast akzeptiertes Direktionsrecht des Arbeitgebers. Im leistungsrechtlichen Sinne sei von einem Fortbestand der Beschäftigung bis zum letzten Spieltag auszugehen, der auf den 24. Juni 2010 angesetzt gewesen sei.

Auf die Klage vom 18. Oktober 2010 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 8. Oktober 2010 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2010 verpflichtet, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Mai 2010 bis zum 24. Juni 2010 Arbeitslosengeld zu bewilligen. Der Kläger sei arbeitslos im Sinne der §§ 118 ff. des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) gewesen und habe den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung gestanden. Er habe daher Anspruch auf Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung des in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelts. Am dem 1. Mai 2010 sei der Kläger ohne Beschäftigung von 15 Stunden und mehr pro Woche gewesen. Die im dritten Nachtrag zum Gastvertrag vereinbarten Vorführungen erreichten unter Berücksichtigung der Dauer der einzelnen Puppenspiele diesen Umfang nicht. Der Kläger habe Entgelte auch nur für die tatsächlich durchgeführten Aufführungen erhalten. Er sei auch verfügbar gewesen. Eine in der Zukunft liegende vertragliche Bindung sei für die Verfügbarkeit des Arbeitslosen unbeachtlich, wenn dieser bereits sei, sich unter Inkaufnahme der voraussichtlichen Folgen einer Vertragsverletzung über diese Bindungen hinwegzusetzen. Aufgrund dessen sei nach der Erklärung des Klägers gegenüber der Beklagte zur Arbeitsbereitschaft auszugehen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 30. November 2012 zugestellte Urteil am 20. Dezember 2012 Berufung eingelegt. Der Kläger sei in der Zeit vom ersten Probetag am 8. März 2010 bis zum letzten Gastspieltag am 24. Juni 2010 durchgehend in einem Beschäftigungsverhältnis zum Theater C tätig und folglich nicht an einzelnen Tagen zwischen den Vorstellungen arbeitslos gewesen. Die wesentlichen Merkmale eines Arbeitsverhältnisses hinsichtlich der geschuldeten Leistungen einschließlich des Weisungsrechts des Arbeitgebers hätten fortbestanden, zumal der Gastspielvertrag vorgesehen habe, dass der Kläger für eventuelle Terminänderungen der Vorstellungen erreichbar sein und jegliche andere Tätigkeit habe genehmigen lassen müssen. Dies spreche für ein durchgehendes Beschäftigungsverhältnis.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 8. Oktober 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Er sei arbeitslos gewesen und habe den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung gestanden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 31. Mai 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 16. September 2010 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger war in dem Zeitraum vom 1. Mai 2010 bis zum 24. Juni 2010 nicht arbeitslos und hatte daher keinen Anspruch auf Bewilligung von Arbeitslosengeld. Das zu einer anderen Einschätzung gelangende erstinstanzliche Urteil ist aufzuheben.

Nach § 118 Abs. 1 SGB III (in der vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung von Artikel 1 Nr. 62 des Gesetzes vom 23. Dezember 2003 [BGBl. I S. 2848]) hatten Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wenn sie 1. arbeitslos waren, 2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hatten und 3. die Anwartschaftszeit erfüllt war.

Nach § 119 Abs. 1 SGB III (in der vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung von Artikel 1 Nr. 62 des Gesetzes vom 23. Dezember 2003 [BGBl. I S. 2848]) war ein Arbeitnehmer arbeitslos, der 1. nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand (Beschäftigungslosigkeit), 2. sich bemühte, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen), und 3. den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stand (Verfügbarkeit).

Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum schon nicht arbeitslos. Er stand vielmehr in einem durchgängigen Beschäftigungsverhältnis zum Theater C. Zur Prüfung der Frage, ob bei einem Künstler in der zwischen den Vorstellungen (Auftritten) liegenden Zeiten von einer Verfügungsmacht der Theaterleitung über die Arbeitskraft ausgegangen werden kann, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Betrachtung der zwischen den Vertragsbeteiligten bestehenden Vereinbarungen im Gesamtzusammenhang vorzunehmen. Kann diesen im Wege der Auslegung entnommen werden, dass nach dem Willen der Vertragsparteien in den zwischen den Vorstellungen liegenden Zeiten eine Verpflichtung des Künstlers durch kurzfristigen Dienstbereitschaft (als Teil der geschuldeten Arbeitsleistung) für den Arbeitgeber eine "Verfügungsbefugnis" (innerhalb der vereinbarten Dienstzeit) begründet sein soll, liegt eine dauernde (durchgehende) Beschäftigung vor (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2013 – B 12 R 13/10 R – SozR 4-2400 § 7 Nr. 19 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 28). Bei der Betrachtung im Gesamtzusammenhang können insbesondere vorbehaltene Änderungen der Vorstellungstermine, das Nichtvereinbaren von "Sperrzeiten" ("Aussetzzeiten") und die vertragliche Verpflichtung, sich bei Aufnahmen für Bild- und Tonträger zu theatereigenen Zwecken und bei Aufzeichnungen für Reportagen oder Werbezwecke mitzuwirken, von Bedeutung sein (vgl. BSG, a. a. O., Rdnr. 27).

Vorliegend ergibt die Gesamtschau der vertraglichen Vereinbarungen des Klägers mit dem Theater C , dass auch in den Zeiten zwischen den Vorstellungen einen Verpflichtung des Klägers durch Dienstbereitschaft bestand. In § 1 Nr. 5 des Gastvertrages vom 18. Oktober 2009 war unter anderem bestimmt, dass "eventuelle Terminänderungen" möglich waren. Die Mitwirkungspflicht des Klägers erstreckte sich nach § 2 Nr. 1 Satz 1 des Gastvertrages auch auf Aufführungen an anderen Spielorten im In- und Ausland sowie auf die Mitwirkung bei der Übertragung der Darbietung durch Funk (insbesondere Hörfunk und Fernsehen), bei der öffentlichen Zugänglichmachung und bei der Aufzeichnung auf Ton- und/oder Bildträger sowie Bildtonträger. Nach § 2 Nr. 2c des Gastvertrages war der Kläger außerdem unter anderem verpflichtet, an Umbesetzungsproben und Wiederaufnahmeproben teilzunehmen. Schließlich war nach § 10 des Gastvertrages dem Arbeitgeber die Möglichkeit eingeräumt, jede entgeltliche anderweitige Beschäftigung zu untersagen, wenn sie die Erfüllung der Pflichten aus dem Gastvertrag oder sonstigen berechtigte Interessen des Arbeitgebers verletzte. Auch hatten die Vertragsparteien innerhalb des Vertragszeitraums "Sperrzeiten", also Zeiten, in denen der Kläger der Bühne nicht zur Verfügung stand, nicht vereinbart. Dies in Gesamtschau verdeutlicht, dass der Arbeitgeber sich die Verfügung über die Arbeitskraft des Klägers auch für die Zeiten zwischen den Auftritten sichern wollte.

Der Kläger hätte aber auch, wollte man seine Rechtsauffassung den Betrachtungen zugrunde legen, die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Er hat vom 1. März 2009 bis zum 31. Dezember 2009 für die Dauer von 306 Tagen eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt. Frühere Zeiten in einem Versicherungspflichtverhältnis sind nicht nachgewiesen. Das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis mit dem Theater C dauerte, folgt man der Rechtsauffassung des Klägers sowie des Sozialgerichts und nimmt während des Zeitraumes, in dem die Vorstellungen liegen, Arbeitslosigkeit an, vom 8. März 2010 bis zum 26. April 2010. Damit sind lediglich weitere 50 Tage, insgesamt also 356 Tage in einem Versicherungspflichtverhältnis vorhanden. Voraussetzung zur Begründung des Anspruches war aber nach § 123 Abs. 1 Satz 1 SGB III (in der vom 1. August 2009 bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung von Artikel 2b Nr. 2 Buchst. a des Gesetzes vom 15. Juli 2009 [BGBl. I S. 1939]), dass der Kläger in der (hier unkritischen) Rahmenfrist von zwei Jahren mindestens zwölf Monate in einen Versicherungspflichtverhältnis gestanden hatte. Zwölf Monate entsprachen unter Berücksichtigung von § 339 Satz 2 SGB III, wonach ein Monat 30 Kalendertagen entspricht, 360 Tagen.

Damit kann ein Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld im hier streitgegenständlichen Zeitraum unter keinen Umständen bestehen. Sieht man mit der vom erkennenden Senat vertretenen Rechtsauffassung den Zeitraum der Aufführungen, also den Zeitraum nach dem Abschluss der Proben, als Teil des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses an, ist der Kläger nicht arbeitslos und hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Folgte man hingehen der Auffassung des Klägers, dass im Zeitraum der Aufführungen Arbeitslosigkeit bestanden habe, werden zwölf Monate (360 Tage) in einem Versicherungspflichtverhältnis nicht erreicht. Wiederum besteht kein Anspruch auf die Bewilligung von Arbeitslosengeld. In diesem Fall hätte dem Kläger auch der von der Beklagten bejahte Anspruch auf Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 25. August 2010 nicht zugestanden.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

III. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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