S 15 R 3370/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 3370/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2030/16
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Überschreitet ein Beschäftigter mit seinem Arbeitsentgelt die für die Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung maßgebende Jahresarbeitsentgeltgrenze, ist bei Vorliegen eines privatrechtlichen Krankenversicherungsvertrages mit Anspruch auf ambulante und stationäre Heilbehandlung auch dann eine ausreichende Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit i.S.d. § 7a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 SGB IV gegeben, wenn kein Anspruch auf eine dem Krankengeld entsprechende Entgeltersatzleistung besteht.
1. Der Bescheid vom 22.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2014 wird dahingehend abgeändert, dass der Beginn der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung nicht ab dem 01.09.2013, sondern erst ab dem 25.01.2014 festgestellt wird.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Im Streit steht der Zeitpunkt des Beginns der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) in der Renten- und Arbeitslosenversicherung.

Der Beigeladene zu 1) war bis zum 31.08.2013 Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin. Mit Wirkung zum 01.09.2013 übertrug er alle Gesellschaftsanteile an seinen Sohn und war bis zum 31.03.2014 noch als Fremdgeschäftsführer der Klägerin bei einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 5.800,00 Euro tätig. In § 7 des Anstellungsvertrages vom 03.02.1986 ist geregelt, dass im Falle einer Erkrankung Festgehalt, Weihnachtsgratifikation und Urlaubsgeld auf die Dauer von sechs Monaten weitergezahlt werden. Bezüglich des vollständigen Inhalts des Anstellungsvertrages wird auf Bl. 14 ff. der Verwaltungsakte verwiesen.

Mit der A.-AG (im Folgenden: A. AG) hat der aufgrund des Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtige Beigeladene zu 1) einen privatrechtlichen Kranken- und Pflegeversicherungsvertrag abgeschlossen, zu dessen Leistungsumfang ausweislich des Versicherungsscheines vom 19.11.2012 (vgl. Bl. 23 der Gerichtsakte) unter anderem ambulante und stationäre Heilbehandlung und Krankenhaustagegeld, nicht aber ein Anspruch auf eine dem Krankengeld entsprechende Entgeltersatzleistung gehören.

Am 16.09.2013 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Statusfeststellung für den Zeitraum ab dem 01.09.2013.

Nach vorangegangener Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 22.01.2014 - der Klägerin bekanntgegeben am 25.01.2014 - fest, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Geschäftsführer bei der Klägerin seit dem 01.09.2013 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe.

Den hiergegen mit Schriftsatz vom 07.02.2014 erhobenen und auf die Feststellung zum Beginn der Versicherungspflicht beschränkten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2014 als unbegründet zurück.

Mit Schriftsatz vom 22.07.2014, eingegangen beim Gericht am selben Tag, hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben.

Sie ist der Auffassung, die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) beginne erst mit der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Statusfeststellungsbescheides, da aufgrund des Übersteigens der Jahresarbeitsentgeltgrenze keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe, der Beigeladene zu 1) allerdings über einen privatrechtlichen Krankenversicherungsschutz mit Anspruch auf ambulante und stationäre Heilbehandlung verfüge und daher eine ausreichende Absicherung gegen das finanzielle Risiko der Krankheit gegeben sei. Außerdem habe der Beigeladene zu 1) nach dem Anstellungsvertrag im Falle der Krankheit einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung von sechs Monaten und sei daher auf Entgeltersatzleistungen der Krankenversicherung nicht angewiesen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 22.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2014 dahingehend abzuändern, dass der Beginn der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung nicht ab dem 01.09.2013, sondern erst ab dem 25.01.2014 (Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 22.01.2014) festgestellt wird.

Der Beigeladene schließt sich sowohl dem Vortrag als auch dem Antrag der Klägerin an.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, bei einer privaten Krankenversicherung ohne Anspruch auf eine dem Krankengeld entsprechende Entgeltersatzleistung könne nicht von einer ausreichenden Absicherung gegen das finanzielle Risiko der Krankheit ausgegangen werden. Die Absicherung in dem geforderten Umfang sei auch für Personen erforderlich, die wie der Beigeladene zu 1) die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreiten. Im Falle einer Krankheitsdauer von mehr als sechs Monaten bestehe trotz des Anspruchs des Beigeladenen zu 1) auf Entgeltfortzahlung keine Absicherung für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte im hiesigen Verfahren und auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 29.04.2016 waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

Der Bescheid vom 22.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) als Geschäftsführer bei der Klägerin in der Renten- und Arbeitslosenversicherung bereits am 01.09.2013 begonnen hat. Beginn der Versicherungspflicht ist vorliegend vielmehr der Zeitpunkt der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheides am 25.01.2014.

Nach § 7a Abs. 1 S. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt. Wird eine Versicherungspflicht in der Sozialversicherung festgestellt, entsteht diese dabei grundsätzlich mit der Aufnahme einer Beschäftigung. Wird der Antrag innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt und stellt die Beklagte ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis fest, tritt die Versicherungspflicht nach § 7a Abs. 6 S. 1 SGB IV hingegen erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung ein, wenn der Beschäftigte zustimmt (Nr. 1) und er für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung eine Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge vorgenommen hat, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht (Nr. 2).

Im vorliegenden Fall tritt die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung der Beklagten ein, weil die Voraussetzungen des § 7a Abs. 6 S. 1 SGB IV erfüllt sind.

Der Antrag auf Statusfeststellung wurde vorliegend am 16.09.2013 und damit innerhalb eines Monats nach Aufnahme der für die Statusbeurteilung maßgebenden Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Geschäftsführer ohne Gesellschaftsanteile zum 01.09.2013 gestellt. Die Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 22.01.2014 ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis festgestellt. Der Beigeladene zu 1) hat der Aufschiebung des Beginns der Versicherungspflicht zugestimmt und unbestritten eine ausreichende Absicherung zur Altersvorsorge vorgenommen.

Der Beigeladene zu 1) verfügte für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung auch über eine ausreichende Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit.

Die Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit kann sowohl durch eine freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung als auch durch den Abschluss eines privatrechtlichen Krankenversicherungsvertrages erfolgen. Der privatrechtliche Vertrag muss hierbei Leistungen vorsehen, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen. Nach dem Willen des Gesetzgebers braucht die gewählte Absicherung dabei nicht mit den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung deckungsgleich zu sein. Es genügt vielmehr ein ausreichender sozialer Schutz (BT-Drs. 14/1855, S. 8). Ob hierzu auch ein Anspruch auf eine dem Krankengeld i.S.d. § 21 Abs. 1 Nr. 2g Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) entsprechende Entgeltersatzleistung gehört, ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten (entsprechende Leistung erforderlich: LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 28.03.2012 - L 8 R 108/09, Rn. 49 bei juris; Pietrek, in: jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 7a Rn. 132; entsprechende Leistung nicht erforderlich: LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 18.09.2013 - L 9 KR 384/11, Rn. 45 bei juris; SG Dresden, Urt. v. 16.01.2013 - S 25 KR 225/10, Rn. 63 bei juris).

Nach Auffassung der Kammer kann im vorliegend zu beurteilenden Fall indes dahingestellt bleiben, ob es im Rahmen von § 7a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 SGB IV zusätzlich einer dem Krankengeldanspruch gesetzlich versicherter abhängig Beschäftigter vergleichbaren anderweitigen Absicherung gegen das Risiko des Entgeltausfalls bei Arbeitsunfähigkeit bedarf. Denn aus dem Sinn und Zweck des § 7a Abs. 6 SGB IV ist zu folgern, dass eine Sicherung gegen den Fall von Krankheit jedenfalls dann nicht erforderlich ist, wenn der Beschäftigte - wie vorliegend der Beigeladene zu 1) - mit seinem Arbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) überschreitet (Rittweger, in: BeckOK-SGB IV, § 7a Rn. 28; vgl. auch Seewald, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 7a SGB IV Rn. 22 m.w.N.). Soweit die Beklagte hierzu unter Verweis auf die Vorschrift des § 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) vorträgt, seit dem 01.01.2009 sei eine Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit in dem geforderten Umfang auch für Personen erforderlich, die mit ihrem Arbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung überschreiten, kann die Kammer dies dem Wortlaut der genannten Vorschrift nicht entnehmen. § 193 Abs. 3 S. 1 VVG fordert vielmehr (lediglich) den Abschluss einer Krankenkostenversicherung, die mindestens eine Kostenerstattung für eine ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst.

Durch den Abschluss privatrechtlichen Kranken- und Pflegeversicherungsvertrages mit der A. AG mit einem den Anforderungen des § 193 Abs. 3 VVG genügenden Anspruch auf ambulante und stationäre Heilbehandlung besteht nach Ansicht der Kammer unter Berücksichtigung der zur Versicherungsfreiheit führenden Einkommensverhältnisse des Beigeladenen zu 1) eine ausreichende Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit, wie sie in § 7a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 SGB IV gefordert wird.

Zudem erkennt der Gesetzgeber auch im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung einen Versicherungsschutz ohne Anspruch auf Krankengeld an. Nach § 243 S. 1 SGB V gilt für Mitglieder, die keinen Anspruch auf Krankengeld haben, ein ermäßigter Beitragssatz. Eine freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung ist somit auch ohne Anspruch auf Krankengeld möglich. In der Konsequenz kann somit gerade auch ein privatrechtlicher Krankenversicherungsschutz ohne Anspruch auf eine dem Krankengeld entsprechende Entgeltersatzleistung im Sinne von § 7a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 SGB IV der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen.

Im vorliegenden Fall ist schließlich noch zu berücksichtigen, dass nach dem Anstellungsvertrag im Krankheitsfall ein Anspruch des Beigeladenen zu 1) gegen die Klägerin auf Fortzahlung des Arbeitsentgeltes für die Dauer von sechs Monaten bestand und der Beigeladene zu 1) somit für den weit überwiegenden Teil des streitgegenständlichen Zeitraums überhaupt nicht auf einen parallel bestehenden, aber nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruhenden Krankengeldanspruch angewiesen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
Saved