Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 17 R 1044/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 955/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Rückforderung überzahlter Rente nach § 50 Abs. 2 SGB X aufgrund des Bezuges von Witwenrente; Erfüllungsfiktion nach § 107 Abs. 1 SGB X
Die Vorschrift des § 50 Abs. 2 SGB X ist in Fallkonstellationen, in denen aufgrund eines Erstattungsanspruchs eines Sozialleistungsträgers gegen einen anderen nach §§ 102 ff. SGB X eine Erfüllungsfiktion gemäß § 107 Abs. 1 SGB X mit der Folge eintritt, dass Sozialleistungen doppelt erbracht werden, grundsätzlich anwendbar.
Ein Erstattungsanspruch nach §§ 103 bzw. 104 SGB X setzt jedoch voraus, dass der verpflichtete Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Hieran fehlt es, weshalb die Erfüllungsfiktion nach § 107 Abs. 1 SGB X nicht eingetreten ist.
Die Vorschrift des § 50 Abs. 2 SGB X ist in Fallkonstellationen, in denen aufgrund eines Erstattungsanspruchs eines Sozialleistungsträgers gegen einen anderen nach §§ 102 ff. SGB X eine Erfüllungsfiktion gemäß § 107 Abs. 1 SGB X mit der Folge eintritt, dass Sozialleistungen doppelt erbracht werden, grundsätzlich anwendbar.
Ein Erstattungsanspruch nach §§ 103 bzw. 104 SGB X setzt jedoch voraus, dass der verpflichtete Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Hieran fehlt es, weshalb die Erfüllungsfiktion nach § 107 Abs. 1 SGB X nicht eingetreten ist.
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. November 2013 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rückforderung überzahlter Rente aufgrund des Bezuges von Witwenrente.
Die 1935 geborene Klägerin bezieht aufgrund eines Bescheides vom 25. Oktober 2000 seit dem 1. Januar 2001 Regelaltersrente von der Beklagten (vgl. Bl. 80 VA), die mit Rentenbescheid vom 13. September 2002 neu festgestellt wurde. Mit Bescheid vom 3. August 2009 wurde die Regelaltersrente für die Zeit ab dem 1. Januar 2003 neu festgesetzt, woraus sich für den Zeitraum bis zum 31. August 2009 eine Nachzahlung von 5.922 EUR ergab. Auf Seite 3 des Bescheides ist unter der Überschrift "Nachzahlung" mitgeteilt, dass Ansprüche anderer Stellen auf Erstattung der Leistungen aus der Nachzahlung bisher nicht bekannt seien. Für den Fall, dass für die Zeit vom 1. Januar 2003 bis 31. August 2009 von anderen Stellen Leistungen bezogen worden seien, werde gebeten, diesen Bescheid den entsprechenden Stellen unverzüglich vorzulegen (Bl. 17 f. GA). Der Betrag wurde am 3. August 2009 an die Klägerin ausgezahlt (Bl. 173 VA).
Im Zeitraum 1. Juli 2003 bis 31. August 2009 bezog die Klägerin eine Witwenrente von der Beigeladenen aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2011 teilte diese der Beklagten mit, dass es aufgrund der rückwirkenden Erhöhung der Altersrente im Zeitraum 1. Juli 2003 bis 31. August 2009 zu einer Überzahlung der Witwenrente in Höhe von 1.922,48 EUR gekommen sei. Sie forderte den Betrag unter Berufung auf die Vorschriften der §§ 103 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) von der Beklagten zurück (Bl. 176 VA). Mit Schreiben vom 25. Januar 2012 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs in Höhe der Überzahlung an (Bl. 179 f. VA). Mit Bescheid vom 8. März 2012 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 2012 forderte die Beklagte von der Klägerin den Betrag von 1.922,48 EUR zurück. Die Altersrentennachzahlung von 5.922,68 EUR hätte nicht in voller Höhe, sondern unter Abzug der überzahlten Witwenrente zur Auszahlung gebracht werden dürfen. Der Betrag sei ohne Rechtsgrund gezahlt worden und nunmehr nach § 50 Abs. 2 SGB X zurückzufordern. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X sei entsprechend anwendbar und seine Voraussetzungen würden vorliegen. Auf die Rechtmäßigkeit der Auszahlung der Rentennachzahlung habe sie nicht vertrauen dürfen, weil ihr die Anrechnung der Altersrente auf die Witwenrente aus dem Witwenrentenbescheid der Beigeladenen bekannt gewesen sei. Besondere Umstände, die einer Rückforderung entgegenstünden, seien nicht ersichtlich.
Mit Gerichtsbescheid vom 12. November 2013 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2012 aufgehoben. Rechtsgrundlage der Rückforderung könne nicht § 50 Abs. 2 SGB X sein, weil Grundlage der Auszahlung der ursprüngliche Rentenbescheid vom 25. Oktober 2000 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 3. August 2009 sei. Dieser möge zwar hinsichtlich der Überzahlung rechtswidrig gewesen sein, aber auch ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht aufgehoben worden sei, stelle eine Grundlage für eine gewährte Leistung dar. Außerdem würden die Voraussetzungen von § 45 SGB X nicht vorliegen, weil der Klägerin grobe Fahrlässigkeit nicht vorgeworfen werden könne.
Gegen den am 18. November 2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 11. Dezember 2013 Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des Gerichts sei § 50 Abs. 2 SGB X anwendbar. Die Rente sei im Bescheid vom 3. August 2009 zutreffend bestimmt, weshalb dieser Bescheid nicht unrichtig sei. Fehlerhaft sei allein die Auszahlung der Nachzahlung gewesen, weil diese aufgrund eines Erstattungsanspruchs der Beigeladenen nach § 103 SGB X zugunsten dieser hätte einbehalten werden müssen. In Höhe dieses Erstattungsanspruches sei der Rentenanspruch der Klägerin nach § 107 SGB X bereits erfüllt gewesen, weshalb der Betrag von 1.922,48 EUR ohne Rechtsgrund gezahlt und nach § 50 Abs. 2 SGB X zurückzufordern sei. Der Klägerin sei bekannt gewesen, dass die Altersrente auf die Hinterbliebenenrente anzurechnen sei. Vor diesem Hintergrund habe sie gewusst, dass ihr der Nachzahlungsbetrag nicht in voller Höhe zustand, auch wenn sie nicht habe erkennen können, wie hoch die Überzahlung sei.
Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. November 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Die Problematik liege darin, dass die Klägerin eine zu hohe Witwenrente erhalten habe, die die Beigeladene jedoch aus Rechtsgründen nicht habe zurückverlangen können und diese im Wege der Erstattung gegenüber der Beklagten verlangt habe. Sie habe nicht erkennen können, dass sie aufgrund Erstattungsansprüche der Beigeladenen gegen die Beklagte eine zu hohe Nachzahlung der Altersrente erhalten habe.
Mit Beschluss vom 30. November 2015 hat das Gericht die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn See zum Verfahren beigeladen.
Dem Gericht lagen die Gerichtsakte beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor, worauf zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte, ohne mündlich zu verhandeln, entscheiden, weil die Beteiligten hiermit einverstanden sind, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Chemnitz hat mit Gerichtsbescheid vom 12. November 2013 den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2012 im Ergebnis zutreffend aufgehoben. Dieser ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Anspruchsgrundlage der Erstattung ist § 50 Abs. 2 SGB X. Danach sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten, wobei die §§ 45 und 48 SGB X entsprechend gelten.
1. Die Vorschrift des § 50 Abs. 2 SGB X ist entgegen der Annahme des Sozialgerichts in Fallkonstellationen, in denen aufgrund eines Erstattungsanspruchs eines Sozialleistungsträgers gegen einen anderen nach §§ 102 ff. SGB X eine Erfüllungsfiktion gemäß § 107 Abs. 1 SGB X mit der Folge eintritt, dass Sozialleistungen doppelt erbracht werden, grundsätzlich anwendbar.
Nach der Norm des § 50 SGB X bestimmt sich die Rückabwicklung eines zu Unrecht erfolgten Mittelzuflusses, wenn dem Grunde nach ein Rückabwicklungsverhältnis (nach § 50 SGB X) besteht, die Vermögensmehrung durch eine von einem Sozialleistungsträger "erbrachte Leistung" erfolgt ist und keine nach § 37 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) vorgehende Sonderregelungen bestehen (Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 50 Rn. 3). Der Anwendungsbereich der Norm ist grundsätzlich eröffnet, weil Gegenstand des Anspruchs ein Rückabwicklungsverhältnis zwischen einem Sozialleistungsträger (hier der Beklagten) und einem Leistungsempfänger (hier der Klägerin) ist (vgl. zu dieser Voraussetzung BT-Drs. 7/2034 S. 36). Erstattungsansprüche zwischen Sozialleistungsträgern (hier zwischen der Beigeladenen und der Beklagten) richten sich hingegen ausschließlich nach § 102 ff. SGB X. Auch wurde eine (hier Geld-) Leistung von der Beklagten als Sozialleistungsträger erbracht, nämlich an diese ausgezahlt. Der Klägerin ist der Betrag zugeflossen. Schließlich geschah dies innerhalb eines öffentlich-rechtlichen Sozialleistungsverhältnisses, weil der Klägerin die Zahlung zum Zwecke der Erfüllung ihres Witwenrentenanspruchs zugewandt worden ist (vgl. Schütze a.a.O. Rn. 6). Abweichende Sonderregelungen sind nicht ersichtlich.
Ist der Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet, richtet sich die Rückabwicklung grundsätzlich entweder nach Absatz 1 (Erstattung nach Aufhebung eines Verwaltungsaktes) oder nach Absatz 2 (Erstattung der Leistung ohne Verwaltungsakt). Da kein Verwaltungsakt aufgehoben wurde, ist § 50 Abs. 1 SGB X nicht anwendbar. Die Beklagte kann auch nicht auf eine mögliche Aufhebung verwiesen werden. Denn die Neuberechnung der Rente und damit der dem Nachzahlungsbetrag zugrunde liegende Bescheid vom 3. August 2009 war von Anfang an rechtmäßig und kann daher nicht nach § 45 SGB X zurückgenommen werden. Insbesondere ist die Berechnung des Nachzahlungsbetrages in Höhe von 5.922,68 EUR nicht zu beanstanden, worüber zwischen den Beteiligten auch nicht gestritten wird. Ein Widerruf nach § 47 Abs. 2 SGB X kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil die erbrachte Leistung weder zweckwidrig noch einer Auflage widersprechend verwendet wurde. Eine Aufhebung nach § 48 SGB X kommt schließlich mangels Änderung der Verhältnisse nach Erlass des Bescheides nicht in Betracht.
Der (überschießende) Nachzahlungsbetrag wäre unter den Voraussetzungen der §§ 103 ff. in Verbindung mit § 107 Abs. 1 SGB X auch nicht mit dem Rechtsgrund eines Verwaltungsaktes geleistet worden. Denn der Rechtsgrund für die Zahlung wäre im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides, mit dem ein höherer Rentenbetrag für die Vergangenheit festgestellt wurde, soweit ein Erstattungsanspruch der Beigeladenen gegen die Beklagte besteht, aufgrund der Vorschrift des § 107 Abs. 1 SGB X entfallen. Danach gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch (nach §§ 102 ff. SGB X) besteht.
In diesen Fällen wurde die Leistung ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht im Sinne von § 50 Abs. 2 SGB X. Denn der Rechtsgrund für die Auszahlung entfällt – nach der maßgeblichen ex-post-Betrachtung (vgl. Schütze, a.a.O. Rn. 20) – durch die gesetzliche Regelung in § 107 Abs. 1 SGB X, weil er bereits erfüllt ist. Damit wird die Rente in derartigen Fällen über die Regelung im Verwaltungsakt selbst hinaus geleistet, und zwar in Unkenntnis dessen, dass der Rechtsgrund für Zahlung bereits entfallen ist. Durch die Bezugnahme auf §§ 45 und 48 SGB X soll in diesem Zusammenhang sichergestellt werden, dass auch bei zu Unrecht ohne einen Verwaltungsakt erbrachten Leistungen derselbe Vertrauensschutz gilt wie bei einer Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts (vgl. etwa BayLSG, Urteil vom 7. Oktober 2010 – L 14 R 466/06 –, juris Rn. 39)
2. Hier fehlt es allerdings an einem Erstattungsanspruch der Beigeladenen als Träger der Witwenrente gegen die Beklagte nach den Vorschriften der §§ 103 ff. SGB X, weshalb die Erfüllungsfiktion nach § 107 Abs. 1 SGB X nicht eintreten konnte mit der Folge, dass der Anspruch der Klägerin auf Auszahlung der Nachzahlung nicht in Höhe von 1.922,48 EUR entfallen ist.
Als öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche der Beigeladenen gegen die Beklagte kommen dem Grunde nach ein Anspruch aus § 103 Abs. 1 SGB X oder aus § 104 Abs. 1 SGB X in Betracht (dazu a). Welche Norm einschlägig ist, kann letztlich dahinstehen. Denn diesen Ansprüchen steht jedenfalls entgegen, dass die Beklagte bereits selbst geleistet hat, bevor sie im Sinne des Gesetzes "Kenntnis" von der Leistung der Beigeladenen erlangt hat (dazu b).
a) Die Beigeladene könnte sich lediglich auf Erstattungsansprüche aus § 103 Abs1 SGB X oder aus § 104 Abs1 SGB X berufen. Nach § 103 Abs. 1 SGB X ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger - hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen - erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Die Vorschrift des § 103 Abs. 1 SGB X könnte deshalb grundsätzlich einschlägig sein, weil unter Berücksichtigung der Regelung über die Hinzuverdienstgrenzen gemäß § 97 SGB VI der Anspruch auf Witwenrente nachträglich teilweise entfallen sein könnte und die Beklagte in der Zeit ab dem 1. Juli 2003 für eine entsprechende Leistung zuständig gewesen ist. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X bestimmt: "Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.". Nach welcher Vorschrift ein Erstattungsanspruch in Betracht kommt, kann jedoch dahinstehen.
b) Beide Ansprüche können eine Erstattungspflicht nur begründen, soweit der verpflichtete Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers "Kenntnis" erlangt hat. Hieran fehlt es.
Rechtserhebliche Kenntnis im Sinne von § 103 Abs. 1 und § 104 Abs. 1 SGB X besteht (erst) dann, wenn der erstattungspflichtige Leistungsträger aufgrund der ihm mitgeteilten Tatsachen rechtlich in der Lage ist, dem Leistungsanspruch des (vermeintlich) Sozialleistungsberechtigten die Erfüllungswirkung des § 107 Abs. 1 SGB X entgegenzuhalten, sodass der erstattungspflichtige Leistungsträger die Leistung gegenüber dem Leistungsberechtigten verweigern und anstelle dessen den Erstattungsanspruch des erstattungsberechtigten Trägers befriedigen kann (BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 R – juris Rn. 23; Roos in von Wulffen/Schütze a.a.O. § 103 Rn. 12 und § 104 Rn. 14). Dies folgt aus Regelungszweck und -systematik in Einklang mit den Gesetzesmaterialien, ohne dass der Gesetzeswortlaut entgegensteht. Zweck der gesetzlichen Regelung der Erstattungsansprüche der Leistungsträger ist es, eine einfache sachgerechte Regelung der Erstattungsansprüche und ihres Verhältnisses untereinander zu treffen, wenn anstelle des letztlich verpflichteten Leistungsträgers ein anderer Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat. Zugleich sollen Doppelleistungen vermieden werden. In der Sache geht es um eigenständige Ausgleichsansprüche zwischen Leistungsträgern untereinander, die komplizierte Rückabwicklungen unter Einbeziehung der Leistungsberechtigten vermeiden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Sozialgesetzbuchs - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten - BT-Drucks 9/95 S. 24; BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 R – juris Rn. 24). Rechtssystematisch verklammert die Erfüllungsregelung in § 107 SGB X die Erstattungsansprüche des vorläufig leistenden (§ 102 SGB X), des unzuständigen (§ 105 SGB X), des nachrangig verpflichteten (§ 104 SGB X) und den Anspruch des Leistungsträgers, dessen Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist (§ 103 SGB X). Soweit nach diesen Regelungen ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger nach § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt (Roos, a.a.O § 103 Rn. 12).
§ 107 SGB X spiegelt dabei den notwendigen Ausgleich im gegliederten Sozialsystem zwischen verschiedenen Leistungsträgern wider und vermeidet es, in den geregelten Erstattungskonstellationen jeweils zwischen Berechtigtem und dem Leistungsträger, der tatsächlich zunächst geleistet hat, eine Rückabwicklung vorzunehmen, wenn letztlich ein anderer Leistungsträger verpflichtet ist, eine entsprechende Sozialleistung zeitgleich zu erbringen. Ausgleichsansprüche gemäß § 104 Abs. 1 SGB X zu Gunsten des nachrangig Verpflichteten oder gemäß § 103 Abs. 1 SGB X zu Gunsten des Leistungsträgers, dessen Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist, sollen aber einen eigentlich zuständigen, erstattungsverpflichteten Leistungsträger dann nicht treffen, wenn er in Unkenntnis von der Möglichkeit geleistet hat, sich auf die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X berufen zu können (BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 R – juris Rn. 26). Die Folgen dieses Regelungssystems bewirken, dass zum Beispiel ein Leistungsträger, der von der subsidiären Leistung eines nach dem Rechtssystem aufgrund einer Auffangzuständigkeit nachrangig zur Leistung verpflichteten anderen Leistungsträgers im betroffenen Leistungszeitraum erfährt, allein aufgrund dieser Kenntnis eine sofortige Leistung gegenüber dem Berechtigten verweigern darf, weil er von einer teilweisen Erfüllung nach § 107 Abs. 1 SGB X ausgehen kann. Fehlt es dagegen an hinreichenden Anknüpfungstatsachen, um von einer Erfüllungsfiktion auszugehen, darf der solcher Art zur Leistung verpflichtete Leistungsträger auch nicht im Nachhinein in den Fällen des § 103 oder § 104 SGB X mit Erstattungsansprüchen belastet werden. Er ist im Vergleich zum anderen Leistungsträger nicht gegenüber der Belastung näherstehend, eine überzahlte Leistung vom insoweit nicht berechtigten Empfänger zurückzufordern (BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 R – juris Rn. 27).
Erforderlich ist positive Kenntnis, grob fahrlässige Unkenntnis reicht hingegen nicht aus (BSG, Urteil vom 19. März 1992 – 7 RAr 26/91 – juris Rn. 41 m.w.N.; Roos, a.a.O. § 103 Rn. 12; so im Ergebnis auch: BSG, Beschluss vom 6. März 2000 – B 11 AL 243/99 B – juris Rn. 10). Da sich der Erstattungsanspruch nach §§ 102, 103, 104, 105 SGB X nur im Hinblick auf Leistungen ergeben kann, die von anderen Leistungsträgern zeitgleich zu erbringen waren und von der Leistungsart her vergleichbar sind (BSGE 57, 219, 220 = SozR 1300 § 104 Nr. 3; BSG SozR 1300 § 104 Nr. 4), setzt die Kenntnis nach § 103 Abs. 1 bzw. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X voraus, dass der um Erstattung ersuchte Leistungsträger weiß, welche Leistungen der andere Leistungsträger für welche Zeiträume und in welcher Höhe erbracht hat. Nur dann ist er in der Lage, ohne weitere Nachforschungen zu entscheiden, welche Leistungsbestandteile zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs einzubehalten und welche weiterhin an den Versicherten auszubezahlen sind (BSG, Urteil vom 19. März 1992 – 7 RAr 26/91 – juris Rn. 41). So hat das BSG etwa für den Fall, dass eine Krankenkasse zur Zahlung von Krankengeld verpflichtet ist, ihre bloße Kenntnis von zeitgleich gewährter Berufsunfähigkeitsrente nicht genügen lassen, um die Krankengeldzahlung zunächst einzubehalten und das Eingreifen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X zu überprüfen. Um die Zahlung zunächst einbehalten zu können, müsse die Krankenkasse in solchen Fällen Kenntnis davon haben, dass durch die Auskehrung des Krankengeldes eine Überzahlung eintritt, weil der Rentenversicherungsträger die von ihm zu zahlende Rentenhöhe noch nicht an die Hinzuverdienstgrenzen angepasst hat (BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 R – juris Rn. 28).
Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte die Nachzahlung nicht in Kenntnis einer Überzahlung der Witwenrente an die Klägerin geleistet. Denn das Schreiben der Beigeladenen, mit dem die Klägerin erstmals über das Bestehen eines solchen Anspruchs in Kenntnis gesetzt wurde, ist ihr erst am 19. Dezember 2011, mithin mehr als zwei Jahre nach der Leistung an die Klägerin, zugegangen. Im Bescheid vom 3. August 2009 hat sie ausdrücklich mitgeteilt, dass Ansprüche anderer Stellen nicht bekannt seien. Aber selbst wenn der Witwenrentenanspruch an sich bekannt gewesen wäre, wäre sie nicht über die Höhe und damit über die entsprechende Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI informiert gewesen. Allein dies hätte es ihr jedoch ermöglicht, der Klägerin die Erfüllung ihres Auszahlungsanspruchs nach § 107 Abs. 1 SGB X entgegenzuhalten. Der Leistungsträger ist auch nicht zu eigenen Ermittlungen darüber verpflichtet, ob schon eine Vorleistung erfolgt ist (Roos, a.a.O. § 103 Rn. 13 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.
Jacobi Dr. Schnell Dr. Lau
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rückforderung überzahlter Rente aufgrund des Bezuges von Witwenrente.
Die 1935 geborene Klägerin bezieht aufgrund eines Bescheides vom 25. Oktober 2000 seit dem 1. Januar 2001 Regelaltersrente von der Beklagten (vgl. Bl. 80 VA), die mit Rentenbescheid vom 13. September 2002 neu festgestellt wurde. Mit Bescheid vom 3. August 2009 wurde die Regelaltersrente für die Zeit ab dem 1. Januar 2003 neu festgesetzt, woraus sich für den Zeitraum bis zum 31. August 2009 eine Nachzahlung von 5.922 EUR ergab. Auf Seite 3 des Bescheides ist unter der Überschrift "Nachzahlung" mitgeteilt, dass Ansprüche anderer Stellen auf Erstattung der Leistungen aus der Nachzahlung bisher nicht bekannt seien. Für den Fall, dass für die Zeit vom 1. Januar 2003 bis 31. August 2009 von anderen Stellen Leistungen bezogen worden seien, werde gebeten, diesen Bescheid den entsprechenden Stellen unverzüglich vorzulegen (Bl. 17 f. GA). Der Betrag wurde am 3. August 2009 an die Klägerin ausgezahlt (Bl. 173 VA).
Im Zeitraum 1. Juli 2003 bis 31. August 2009 bezog die Klägerin eine Witwenrente von der Beigeladenen aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2011 teilte diese der Beklagten mit, dass es aufgrund der rückwirkenden Erhöhung der Altersrente im Zeitraum 1. Juli 2003 bis 31. August 2009 zu einer Überzahlung der Witwenrente in Höhe von 1.922,48 EUR gekommen sei. Sie forderte den Betrag unter Berufung auf die Vorschriften der §§ 103 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) von der Beklagten zurück (Bl. 176 VA). Mit Schreiben vom 25. Januar 2012 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs in Höhe der Überzahlung an (Bl. 179 f. VA). Mit Bescheid vom 8. März 2012 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 2012 forderte die Beklagte von der Klägerin den Betrag von 1.922,48 EUR zurück. Die Altersrentennachzahlung von 5.922,68 EUR hätte nicht in voller Höhe, sondern unter Abzug der überzahlten Witwenrente zur Auszahlung gebracht werden dürfen. Der Betrag sei ohne Rechtsgrund gezahlt worden und nunmehr nach § 50 Abs. 2 SGB X zurückzufordern. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X sei entsprechend anwendbar und seine Voraussetzungen würden vorliegen. Auf die Rechtmäßigkeit der Auszahlung der Rentennachzahlung habe sie nicht vertrauen dürfen, weil ihr die Anrechnung der Altersrente auf die Witwenrente aus dem Witwenrentenbescheid der Beigeladenen bekannt gewesen sei. Besondere Umstände, die einer Rückforderung entgegenstünden, seien nicht ersichtlich.
Mit Gerichtsbescheid vom 12. November 2013 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2012 aufgehoben. Rechtsgrundlage der Rückforderung könne nicht § 50 Abs. 2 SGB X sein, weil Grundlage der Auszahlung der ursprüngliche Rentenbescheid vom 25. Oktober 2000 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 3. August 2009 sei. Dieser möge zwar hinsichtlich der Überzahlung rechtswidrig gewesen sein, aber auch ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht aufgehoben worden sei, stelle eine Grundlage für eine gewährte Leistung dar. Außerdem würden die Voraussetzungen von § 45 SGB X nicht vorliegen, weil der Klägerin grobe Fahrlässigkeit nicht vorgeworfen werden könne.
Gegen den am 18. November 2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 11. Dezember 2013 Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des Gerichts sei § 50 Abs. 2 SGB X anwendbar. Die Rente sei im Bescheid vom 3. August 2009 zutreffend bestimmt, weshalb dieser Bescheid nicht unrichtig sei. Fehlerhaft sei allein die Auszahlung der Nachzahlung gewesen, weil diese aufgrund eines Erstattungsanspruchs der Beigeladenen nach § 103 SGB X zugunsten dieser hätte einbehalten werden müssen. In Höhe dieses Erstattungsanspruches sei der Rentenanspruch der Klägerin nach § 107 SGB X bereits erfüllt gewesen, weshalb der Betrag von 1.922,48 EUR ohne Rechtsgrund gezahlt und nach § 50 Abs. 2 SGB X zurückzufordern sei. Der Klägerin sei bekannt gewesen, dass die Altersrente auf die Hinterbliebenenrente anzurechnen sei. Vor diesem Hintergrund habe sie gewusst, dass ihr der Nachzahlungsbetrag nicht in voller Höhe zustand, auch wenn sie nicht habe erkennen können, wie hoch die Überzahlung sei.
Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. November 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Die Problematik liege darin, dass die Klägerin eine zu hohe Witwenrente erhalten habe, die die Beigeladene jedoch aus Rechtsgründen nicht habe zurückverlangen können und diese im Wege der Erstattung gegenüber der Beklagten verlangt habe. Sie habe nicht erkennen können, dass sie aufgrund Erstattungsansprüche der Beigeladenen gegen die Beklagte eine zu hohe Nachzahlung der Altersrente erhalten habe.
Mit Beschluss vom 30. November 2015 hat das Gericht die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn See zum Verfahren beigeladen.
Dem Gericht lagen die Gerichtsakte beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor, worauf zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte, ohne mündlich zu verhandeln, entscheiden, weil die Beteiligten hiermit einverstanden sind, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Chemnitz hat mit Gerichtsbescheid vom 12. November 2013 den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2012 im Ergebnis zutreffend aufgehoben. Dieser ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Anspruchsgrundlage der Erstattung ist § 50 Abs. 2 SGB X. Danach sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten, wobei die §§ 45 und 48 SGB X entsprechend gelten.
1. Die Vorschrift des § 50 Abs. 2 SGB X ist entgegen der Annahme des Sozialgerichts in Fallkonstellationen, in denen aufgrund eines Erstattungsanspruchs eines Sozialleistungsträgers gegen einen anderen nach §§ 102 ff. SGB X eine Erfüllungsfiktion gemäß § 107 Abs. 1 SGB X mit der Folge eintritt, dass Sozialleistungen doppelt erbracht werden, grundsätzlich anwendbar.
Nach der Norm des § 50 SGB X bestimmt sich die Rückabwicklung eines zu Unrecht erfolgten Mittelzuflusses, wenn dem Grunde nach ein Rückabwicklungsverhältnis (nach § 50 SGB X) besteht, die Vermögensmehrung durch eine von einem Sozialleistungsträger "erbrachte Leistung" erfolgt ist und keine nach § 37 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) vorgehende Sonderregelungen bestehen (Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 50 Rn. 3). Der Anwendungsbereich der Norm ist grundsätzlich eröffnet, weil Gegenstand des Anspruchs ein Rückabwicklungsverhältnis zwischen einem Sozialleistungsträger (hier der Beklagten) und einem Leistungsempfänger (hier der Klägerin) ist (vgl. zu dieser Voraussetzung BT-Drs. 7/2034 S. 36). Erstattungsansprüche zwischen Sozialleistungsträgern (hier zwischen der Beigeladenen und der Beklagten) richten sich hingegen ausschließlich nach § 102 ff. SGB X. Auch wurde eine (hier Geld-) Leistung von der Beklagten als Sozialleistungsträger erbracht, nämlich an diese ausgezahlt. Der Klägerin ist der Betrag zugeflossen. Schließlich geschah dies innerhalb eines öffentlich-rechtlichen Sozialleistungsverhältnisses, weil der Klägerin die Zahlung zum Zwecke der Erfüllung ihres Witwenrentenanspruchs zugewandt worden ist (vgl. Schütze a.a.O. Rn. 6). Abweichende Sonderregelungen sind nicht ersichtlich.
Ist der Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet, richtet sich die Rückabwicklung grundsätzlich entweder nach Absatz 1 (Erstattung nach Aufhebung eines Verwaltungsaktes) oder nach Absatz 2 (Erstattung der Leistung ohne Verwaltungsakt). Da kein Verwaltungsakt aufgehoben wurde, ist § 50 Abs. 1 SGB X nicht anwendbar. Die Beklagte kann auch nicht auf eine mögliche Aufhebung verwiesen werden. Denn die Neuberechnung der Rente und damit der dem Nachzahlungsbetrag zugrunde liegende Bescheid vom 3. August 2009 war von Anfang an rechtmäßig und kann daher nicht nach § 45 SGB X zurückgenommen werden. Insbesondere ist die Berechnung des Nachzahlungsbetrages in Höhe von 5.922,68 EUR nicht zu beanstanden, worüber zwischen den Beteiligten auch nicht gestritten wird. Ein Widerruf nach § 47 Abs. 2 SGB X kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil die erbrachte Leistung weder zweckwidrig noch einer Auflage widersprechend verwendet wurde. Eine Aufhebung nach § 48 SGB X kommt schließlich mangels Änderung der Verhältnisse nach Erlass des Bescheides nicht in Betracht.
Der (überschießende) Nachzahlungsbetrag wäre unter den Voraussetzungen der §§ 103 ff. in Verbindung mit § 107 Abs. 1 SGB X auch nicht mit dem Rechtsgrund eines Verwaltungsaktes geleistet worden. Denn der Rechtsgrund für die Zahlung wäre im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides, mit dem ein höherer Rentenbetrag für die Vergangenheit festgestellt wurde, soweit ein Erstattungsanspruch der Beigeladenen gegen die Beklagte besteht, aufgrund der Vorschrift des § 107 Abs. 1 SGB X entfallen. Danach gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch (nach §§ 102 ff. SGB X) besteht.
In diesen Fällen wurde die Leistung ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht im Sinne von § 50 Abs. 2 SGB X. Denn der Rechtsgrund für die Auszahlung entfällt – nach der maßgeblichen ex-post-Betrachtung (vgl. Schütze, a.a.O. Rn. 20) – durch die gesetzliche Regelung in § 107 Abs. 1 SGB X, weil er bereits erfüllt ist. Damit wird die Rente in derartigen Fällen über die Regelung im Verwaltungsakt selbst hinaus geleistet, und zwar in Unkenntnis dessen, dass der Rechtsgrund für Zahlung bereits entfallen ist. Durch die Bezugnahme auf §§ 45 und 48 SGB X soll in diesem Zusammenhang sichergestellt werden, dass auch bei zu Unrecht ohne einen Verwaltungsakt erbrachten Leistungen derselbe Vertrauensschutz gilt wie bei einer Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts (vgl. etwa BayLSG, Urteil vom 7. Oktober 2010 – L 14 R 466/06 –, juris Rn. 39)
2. Hier fehlt es allerdings an einem Erstattungsanspruch der Beigeladenen als Träger der Witwenrente gegen die Beklagte nach den Vorschriften der §§ 103 ff. SGB X, weshalb die Erfüllungsfiktion nach § 107 Abs. 1 SGB X nicht eintreten konnte mit der Folge, dass der Anspruch der Klägerin auf Auszahlung der Nachzahlung nicht in Höhe von 1.922,48 EUR entfallen ist.
Als öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche der Beigeladenen gegen die Beklagte kommen dem Grunde nach ein Anspruch aus § 103 Abs. 1 SGB X oder aus § 104 Abs. 1 SGB X in Betracht (dazu a). Welche Norm einschlägig ist, kann letztlich dahinstehen. Denn diesen Ansprüchen steht jedenfalls entgegen, dass die Beklagte bereits selbst geleistet hat, bevor sie im Sinne des Gesetzes "Kenntnis" von der Leistung der Beigeladenen erlangt hat (dazu b).
a) Die Beigeladene könnte sich lediglich auf Erstattungsansprüche aus § 103 Abs1 SGB X oder aus § 104 Abs1 SGB X berufen. Nach § 103 Abs. 1 SGB X ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger - hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen - erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Die Vorschrift des § 103 Abs. 1 SGB X könnte deshalb grundsätzlich einschlägig sein, weil unter Berücksichtigung der Regelung über die Hinzuverdienstgrenzen gemäß § 97 SGB VI der Anspruch auf Witwenrente nachträglich teilweise entfallen sein könnte und die Beklagte in der Zeit ab dem 1. Juli 2003 für eine entsprechende Leistung zuständig gewesen ist. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X bestimmt: "Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.". Nach welcher Vorschrift ein Erstattungsanspruch in Betracht kommt, kann jedoch dahinstehen.
b) Beide Ansprüche können eine Erstattungspflicht nur begründen, soweit der verpflichtete Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers "Kenntnis" erlangt hat. Hieran fehlt es.
Rechtserhebliche Kenntnis im Sinne von § 103 Abs. 1 und § 104 Abs. 1 SGB X besteht (erst) dann, wenn der erstattungspflichtige Leistungsträger aufgrund der ihm mitgeteilten Tatsachen rechtlich in der Lage ist, dem Leistungsanspruch des (vermeintlich) Sozialleistungsberechtigten die Erfüllungswirkung des § 107 Abs. 1 SGB X entgegenzuhalten, sodass der erstattungspflichtige Leistungsträger die Leistung gegenüber dem Leistungsberechtigten verweigern und anstelle dessen den Erstattungsanspruch des erstattungsberechtigten Trägers befriedigen kann (BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 R – juris Rn. 23; Roos in von Wulffen/Schütze a.a.O. § 103 Rn. 12 und § 104 Rn. 14). Dies folgt aus Regelungszweck und -systematik in Einklang mit den Gesetzesmaterialien, ohne dass der Gesetzeswortlaut entgegensteht. Zweck der gesetzlichen Regelung der Erstattungsansprüche der Leistungsträger ist es, eine einfache sachgerechte Regelung der Erstattungsansprüche und ihres Verhältnisses untereinander zu treffen, wenn anstelle des letztlich verpflichteten Leistungsträgers ein anderer Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat. Zugleich sollen Doppelleistungen vermieden werden. In der Sache geht es um eigenständige Ausgleichsansprüche zwischen Leistungsträgern untereinander, die komplizierte Rückabwicklungen unter Einbeziehung der Leistungsberechtigten vermeiden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Sozialgesetzbuchs - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten - BT-Drucks 9/95 S. 24; BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 R – juris Rn. 24). Rechtssystematisch verklammert die Erfüllungsregelung in § 107 SGB X die Erstattungsansprüche des vorläufig leistenden (§ 102 SGB X), des unzuständigen (§ 105 SGB X), des nachrangig verpflichteten (§ 104 SGB X) und den Anspruch des Leistungsträgers, dessen Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist (§ 103 SGB X). Soweit nach diesen Regelungen ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger nach § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt (Roos, a.a.O § 103 Rn. 12).
§ 107 SGB X spiegelt dabei den notwendigen Ausgleich im gegliederten Sozialsystem zwischen verschiedenen Leistungsträgern wider und vermeidet es, in den geregelten Erstattungskonstellationen jeweils zwischen Berechtigtem und dem Leistungsträger, der tatsächlich zunächst geleistet hat, eine Rückabwicklung vorzunehmen, wenn letztlich ein anderer Leistungsträger verpflichtet ist, eine entsprechende Sozialleistung zeitgleich zu erbringen. Ausgleichsansprüche gemäß § 104 Abs. 1 SGB X zu Gunsten des nachrangig Verpflichteten oder gemäß § 103 Abs. 1 SGB X zu Gunsten des Leistungsträgers, dessen Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist, sollen aber einen eigentlich zuständigen, erstattungsverpflichteten Leistungsträger dann nicht treffen, wenn er in Unkenntnis von der Möglichkeit geleistet hat, sich auf die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X berufen zu können (BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 R – juris Rn. 26). Die Folgen dieses Regelungssystems bewirken, dass zum Beispiel ein Leistungsträger, der von der subsidiären Leistung eines nach dem Rechtssystem aufgrund einer Auffangzuständigkeit nachrangig zur Leistung verpflichteten anderen Leistungsträgers im betroffenen Leistungszeitraum erfährt, allein aufgrund dieser Kenntnis eine sofortige Leistung gegenüber dem Berechtigten verweigern darf, weil er von einer teilweisen Erfüllung nach § 107 Abs. 1 SGB X ausgehen kann. Fehlt es dagegen an hinreichenden Anknüpfungstatsachen, um von einer Erfüllungsfiktion auszugehen, darf der solcher Art zur Leistung verpflichtete Leistungsträger auch nicht im Nachhinein in den Fällen des § 103 oder § 104 SGB X mit Erstattungsansprüchen belastet werden. Er ist im Vergleich zum anderen Leistungsträger nicht gegenüber der Belastung näherstehend, eine überzahlte Leistung vom insoweit nicht berechtigten Empfänger zurückzufordern (BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 R – juris Rn. 27).
Erforderlich ist positive Kenntnis, grob fahrlässige Unkenntnis reicht hingegen nicht aus (BSG, Urteil vom 19. März 1992 – 7 RAr 26/91 – juris Rn. 41 m.w.N.; Roos, a.a.O. § 103 Rn. 12; so im Ergebnis auch: BSG, Beschluss vom 6. März 2000 – B 11 AL 243/99 B – juris Rn. 10). Da sich der Erstattungsanspruch nach §§ 102, 103, 104, 105 SGB X nur im Hinblick auf Leistungen ergeben kann, die von anderen Leistungsträgern zeitgleich zu erbringen waren und von der Leistungsart her vergleichbar sind (BSGE 57, 219, 220 = SozR 1300 § 104 Nr. 3; BSG SozR 1300 § 104 Nr. 4), setzt die Kenntnis nach § 103 Abs. 1 bzw. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X voraus, dass der um Erstattung ersuchte Leistungsträger weiß, welche Leistungen der andere Leistungsträger für welche Zeiträume und in welcher Höhe erbracht hat. Nur dann ist er in der Lage, ohne weitere Nachforschungen zu entscheiden, welche Leistungsbestandteile zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs einzubehalten und welche weiterhin an den Versicherten auszubezahlen sind (BSG, Urteil vom 19. März 1992 – 7 RAr 26/91 – juris Rn. 41). So hat das BSG etwa für den Fall, dass eine Krankenkasse zur Zahlung von Krankengeld verpflichtet ist, ihre bloße Kenntnis von zeitgleich gewährter Berufsunfähigkeitsrente nicht genügen lassen, um die Krankengeldzahlung zunächst einzubehalten und das Eingreifen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X zu überprüfen. Um die Zahlung zunächst einbehalten zu können, müsse die Krankenkasse in solchen Fällen Kenntnis davon haben, dass durch die Auskehrung des Krankengeldes eine Überzahlung eintritt, weil der Rentenversicherungsträger die von ihm zu zahlende Rentenhöhe noch nicht an die Hinzuverdienstgrenzen angepasst hat (BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 R – juris Rn. 28).
Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte die Nachzahlung nicht in Kenntnis einer Überzahlung der Witwenrente an die Klägerin geleistet. Denn das Schreiben der Beigeladenen, mit dem die Klägerin erstmals über das Bestehen eines solchen Anspruchs in Kenntnis gesetzt wurde, ist ihr erst am 19. Dezember 2011, mithin mehr als zwei Jahre nach der Leistung an die Klägerin, zugegangen. Im Bescheid vom 3. August 2009 hat sie ausdrücklich mitgeteilt, dass Ansprüche anderer Stellen nicht bekannt seien. Aber selbst wenn der Witwenrentenanspruch an sich bekannt gewesen wäre, wäre sie nicht über die Höhe und damit über die entsprechende Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI informiert gewesen. Allein dies hätte es ihr jedoch ermöglicht, der Klägerin die Erfüllung ihres Auszahlungsanspruchs nach § 107 Abs. 1 SGB X entgegenzuhalten. Der Leistungsträger ist auch nicht zu eigenen Ermittlungen darüber verpflichtet, ob schon eine Vorleistung erfolgt ist (Roos, a.a.O. § 103 Rn. 13 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.
Jacobi Dr. Schnell Dr. Lau
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