L 1 KR 179/15

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KR 377/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 179/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. zur Verlängerung der Familienversicherung aufgrund einer dienstbedingten Verzögerung
2. Für das Tatbestandsmerkmal der dienstbedingten Verzögerung können die Grundsätze zum Waisenrentenrecht in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung herangezogen werden (s. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. August 2015 - L 5 KR 149/14)
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 23. Juni 2015 sowie der an den Kläger gerichtete Bescheid der Beklagten vom 29. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2012 aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass der Kläger über den 1. Februar 2012 hinaus für weitere neun Monate in der Familienversicherung der Beigeladenen zu 1 kranken- und pflegeversichert war.

III. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten der Sache nach darüber, ob der Kläger über den 1. Februar 2012 hinaus für weitere neun Monate in der Familienversicherung der Beigeladenen zu 1 kranken- und pflegeversichert ist.

Der am 1987 geborene Kläger beendete im Juni 2005 seine Schulausbildung. Vom 1. Juli 2005 bis 31. März 2006 leistete er seinen Grundwehrdienst. Vom 1. April 2006 bis 30. September 2006 ging er keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach und bezog auch keine sonstigen Leistungen. Vom 1. Oktober 2006 bis 30. September 2009 absolvierte er eine Ausbildung zum Krankenpfleger. In der Zeit vom 1. Oktober 2009 bis 30. September 2010 war er in diesem Beruf tätig. Nach anschließender Arbeitslosigkeit vom 1. Oktober 2010 bis 17. Oktober 2010 arbeitete er vom 18. Oktober 2010 bis 16. Mai 2011 als Sprechstundenhelfer in einer ambulanten Arztpraxis. Vom 17. Mai 2011 bis 30. September 2011 war er erneut arbeitslos und bezog zuletzt Krankengeld. Am 1. Oktober 2011 nahm er ein Studium der Chemie auf, dem er auch im streitgegenständlichen Zeitraum noch nachging.

Der Kläger war als Sohn der Beigeladenen zu 1 bei der Beklagten gesetzlich kranken- und bei der Beigeladenen zu 2 sozial pflegeversichert.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2011 teilte die Beklagte der Beigeladenen zu 1 mit, der Kläger vollende am 1. Februar 2012 das 25. Lebensjahr, seine Familienversicherung ende mit diesem Tag. Ein Nachweis des Zugangs dieses Bescheides ist der Beklagten nicht möglich.

Der Kläger beantragte, nachdem ihm der gegenüber der Beigeladenen zu 1 erteilte Bescheid bekannt geworden war, die Beklagte möge ihm gegenüber einen gesonderten seine Familienversicherung betreffenden Bescheid erlassen (Schreiben vom 23. Februar 2012).

Die Beigeladene zu 1 machte durch Widerspruchsschreiben vom 24. Februar 2012 geltend, den Bescheid vom 15. Dezember 2011 nicht erhalten zu haben. Sein Inhalt sei ihr nur durch eine vom Kläger überreichte Kopie am 24. Februar 2012 zur Kenntnis gelangt. Es werde um Erlass eines rechtsbehelfsfähigen Bescheides gegenüber dem Kläger gebeten.

Mit an den Kläger gerichtetem Bescheid vom 29. Februar 2012 teilte die Beklagte mit, er habe am 1. Februar 2012 das 25. Lebensjahr vollendet, seine Familienversicherung ende mit diesem Tag. Nach den gesetzlichen Bestimmungen des § 10 Abs. 2 Nr. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sei die Familienversicherung für Kinder bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres möglich, wenn sich diese in Schul- oder Berufsausbildung befänden. Werde die Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht unterbrochen oder verzögert, bestehe die Versicherung auch für einen der Dauer dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus. Unterbrochen sei eine Schul- oder Berufsausbildung, wenn die Dienstpflicht zwischen Beginn und Ende der Ausbildung liege. Eine Verzögerung liege vor, wenn der Beginn der Ausbildung durch die Erfüllung der gesetzlichen Dienstpflicht hinausgeschoben werde. Der Kläger sei seiner Dienstpflicht vom 1. Juli 2005 bis 31. März 2006 nachgekommen. Sein Studium habe er am 1. Oktober 2011 aufgenommen. Seine Ausbildung sei durch die Dienstpflicht nicht unterbrochen und auch nicht verschoben worden. Deshalb sei eine Verlängerung über das 25. Lebensjahr hinaus nicht möglich.

Mit Schreiben vom 21. März 2012 hielt die Beigeladene zu 1 an ihrem Widerspruch fest.

Gegen den Bescheid vom 29. Februar 2012 legte der Kläger durch anwaltliches Schreiben am 29. März 2012 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, die Ableistung seines Wehrdienstes habe seine Berufsausbildung um neun Monate verzögert. Die von der Beklagten aufgestellte Voraussetzung, dass eine Schul- oder Berufsausbildung nur dann unterbrochenen sei, wenn die Dienstpflicht zwischen Beginn und Ende der Ausbildung liege, finde im Gesetz keine Grundlage. Die weitere von der Beklagten benannte Voraussetzung, dass eine Verzögerung vorliege, wenn der Beginn der Ausbildung durch die Erfüllung der gesetzlichen Dienstpflicht hinausgeschoben werde, sei vorliegend erfüllt. Gesetzgeberisches Ziel sei es gewesen, jegliche Benachteiligung in der Berufsausbildung bei Erfüllung von gesetzlichen Dienstpflichten zu vermeiden. Die Familienversicherung sei daher über den Zeitraum der abgeleisteten Wehrpflicht über das 25. Lebensjahr hinaus zu verlängern.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers (der Sache nach gegen den Bescheid vom 29. Februar 2012) zurück, bezeichnete ihn in der Betreffzeile aber als Widerspruch gegen den Bescheid vom "15.12.2011". Zwar gehöre der Wehrdienst zu den gesetzlichen Dienstpflichten, die von § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V erfasst würden, jedoch müsse der Wehrdienst auch kausal dafür sein, dass die Ausbildung entweder unterbrochen werde, sofern der Dienst in einen Ausbildungsabschnitt falle, oder dass sich die Ausbildung verzögere, sofern ein neuer Ausbildungsabschnitt deswegen nicht begonnen werden könne. An diesem kausalen Zusammenhang fehle es. Das Studium sei nicht durch den Wehrdienst, sondern durch andere Umstände verzögert worden. Die Familienversicherung habe daher am 1. Februar 2012 geendet.

Einen förmlichen Widerspruchsbescheid gegenüber der Beigeladenen zu 1 erließ die Beklagte nicht, nachdem ihr von der Beigeladenen zu 1 fernmündlich mitgeteilt worden war, das Widerspruchsverfahren solle für ihren Sohn geführt werden, sie "möchte nur Kopie des WSB" (Aktenvermerk auf Blatt 24 der Verwaltungsakte der Beklagten unten). Vielmehr übersandte sie der Beigeladenen zu 1 lediglich eine Kopie des gegenüber dem Kläger ergangenen Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2012.

Am 29. Juni 2012 hat der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 29. Februar 2012 (der Sache nach) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2012 erhoben.

Er hat vorgetragen, nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V genüge es, wenn die Ableistung der Wehrpflicht für die Verzögerung einer Berufsausbildung mitursächlich sei. Abgesehen davon bestehe vorliegend sogar eine direkte Ursächlichkeit zwischen der Ableistung der gesetzlichen Wehrpflicht und der Ausbildungsverzögerung. Würde die gesetzliche Dienstpflicht hinweggedacht, wäre dem Kläger ein früherer Studienbeginn möglich gewesen. Ferner sei in § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V nicht von einer Unterbrechung oder Verzögerung einer Erstausbildung die Rede.

Die Beklagte hat an ihrer bisherigen Auffassung festgehalten.

Mit Gerichtsbescheid vom 23. Juni 2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die gegen den Bescheid vom 29. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2012 gerichtete Klage sei unbegründet. Der Kläger sei nicht über den 31. Januar 2012 hinaus entsprechend der Dauer der gesetzlichen Dienstpflicht bis einschließlich 31. Oktober 2012 als Familienangehöriger gesetzlich krankenversichert. Hinsichtlich der Darstellung der Rechtslage werde gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffende Begründung des Widerspruchsbescheides Bezug genommen. Darüber hinaus sei auszuführen, dass es nicht schon genüge, dass ein Student überhaupt vor Vollendung des 25. Lebensjahres den Wehrdienst absolviert habe, um die spätere "Verschiebung" der Ausbildungsbiografie als kausal anzusehen. Denn in dem Falle hätte sich der Gesetzgeber darauf beschränken können, die Altersgrenze generell über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus um Zeiten einer Dienstpflicht zu verlängern. Von dieser deutlich einfacheren Lösung, welche die Krankenkassen und im Streitfall die Gerichte einer wertenden Betrachtung des Einzelfalles entheben würde, habe der Gesetzgeber indes abgesehen. Somit sei über eine rein formale Kausalität hinaus vorauszusetzen, dass die Überschreitung der Altersgrenze für die Verlängerung der Familienversicherung der Dienstpflicht auch zuzurechnen sein müsse und nicht auf der eigenverantwortlichen Lebensplanung des Versicherten beruhe. Umstände, die jenseits des Dienstes und der Ausbildung in der Verantwortung des Versicherten lägen, durchbrächen diesen Zurechnungszusammenhang. Die Beklagte habe den notwendigen Zusammenhang zwischen dem Wehrdienst des Klägers und dem Zeitpunkt seiner Studienaufnahme zu Recht verneint. Denn zur Dauer des Wehrdienstes seien Unterbrechungen der Ausbildungsbiografie durch Zeiten der Berufsausübung und der Arbeitslosigkeit sowie der Krankheit hinzugetreten. Diese seien als prägende Umstände weder dem Ableisten des Wehrdienstes zuzurechnen noch einer Ausbildungsphase, für die § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V den beitragsfreien Schutz in der Familienversicherung gewähre. Wegen dieser Unterbrechungen sei die Überschreitung der Altersgrenze nicht wegen der Ableistung des Wehrdienstes unvermeidbar gewesen.

Gegen den ihm am 29. Juni 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29. Juli 2015 Berufung eingelegt.

Der Kläger trägt vor, entgegen der Auffassung des SG enthalte der Wortlaut von § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V nicht die Voraussetzung eines Zurechnungszusammenhangs zwischen der Verzögerung der Schul- und Berufsausbildung und der gesetzlichen Dienstpflicht. Hätte der Gesetzgeber diesen weiterführenden Versicherungsschutz im SGB V auf eine Erstausbildung oder auf einen ununterbrochenen Ausbildungsabschnitt beschränken wollen, hätte er dies entsprechend den Bestimmungen im Bundeskindergeldgesetz (BKGG) regeln können. Dies habe der Gesetzgeber jedoch gerade nicht getan. Wenn im Rahmen des Familienversicherungsschutzes Unterbrechungen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres grundsätzlich unbeachtlich seien, müsse dies auch für den Zeitraum der Verlängerung aufgrund einer abgeleisteten Dienstpflicht gelten. Andernfalls käme es zu einem Wertungswiderspruch im Vergleich zu solchen Auszubildenden, die – aus welchen Gründen auch immer – keiner gesetzlichen Dienstpflicht nachkämen, aber gleichwohl als Familienversicherte mehrere Ausbildungen durchliefen oder mehrere Ausbildungsversuche unternähmen. Diesem Wertungswiderspruch sei durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V unter Beachtung von Artikel 3 und 12 Grundgesetz (GG) zu begegnen. Es sei daher geboten, den Versicherungsschutz auch im Rahmen einer Ausbildungsunterbrechung um die Zeiten einer Dienstpflicht über das 25. Lebensjahr hinaus zu verlängern.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 23. Juni 2015 und den an den Kläger gerichteten Bescheid der Beklagten vom 29. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2012 aufzuheben

sowie

festzustellen, dass der Kläger über den 1. Februar 2012 hinaus für weitere neun Monate in der Familienversicherung der Beigeladenen zu 1 kranken- und pflegeversichert war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält an ihrer bisherigen Auffassung fest. Zur Begründung nimmt sie insbesondere auf Felix in jurisPK-SGB V, 3. Auflage, § 10 Rn. 23 Bezug. Dort heißt es:

"Die Altersgrenze von 25 Jahren wird unter Umständen nach hinten verschoben, wenn die Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht des Kindes unterbrochen oder verzögert wurde (§ 10 Abs. 2 Nr. 3 HS. 2 SGB V). Hierdurch soll ein Ausgleich geschaffen werden, wenn etwa Kinder, die zunächst den gesetzlichen Wehr- oder Zivildienst absolviert haben, ihre Ausbildung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nicht abschließen konnten. In diesem Fall wird die Zeit der Dienstpflicht ergänzend berücksichtigt, wenn es durch die Erfüllung der Dienstpflicht tatsächlich zu einer Unterbrechung oder Verzögerung gekommen ist ..."

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig.

Es kann dahinstehen, wie hoch die Beitragslast des Klägers für die nach Vollendung des 25. Lebensjahres außerhalb der Familienversicherung zurückgelegten neun Monate gewesen wäre, da die Beschränkung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht für solche Bescheide gilt, denen eine eigenständige Bedeutung zukommt und die erst die Grundlage für spätere Zahlungen bilden können (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 144 Rn. 10b). Einen solchen Fall stellt die Feststellung der Familienversicherung dar (siehe Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 29. Juni 1993 – 12 RK 48/91 – juris Rn. 14). Denn die Klärung des Versicherungsverhältnisses kann zum Beispiel dann Bedeutung gewinnen, wenn es später in anderem Zusammenhang einmal auf die Erfüllung bestimmter Vorversicherungszeiten ankommen sollte.

II. Die Berufung des Klägers ist auch begründet.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 23. Juni 2015 ist zu Unrecht ergangen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig.

1. Zu Recht ist das SG im Ergebnis davon ausgegangen, dass allein der Bescheid vom 29. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2012 streitgegenständlich ist. Denn der Bescheid vom 15. Dezember 2011 ist nicht gegenüber dem Kläger, sondern gegenüber der Beigeladenen zu 1 ergangen. Da allein er die Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen beauftragt hat und sich der durch diese eingelegte Widerspruch ausschließlich auf den Bescheid vom 29. Februar 2012 bezogen hat, konnte sich auch der Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2012 trotz des anders lautenden Betreffs ("Bescheid der AOK PLUS vom 15.12.2011 wegen Beendigung der Familienversicherung zum 01.02.2012") nur auf den – erst in den Gründen genannten – Bescheid vom 29. Februar 2012 erstrecken.

Ob die Beigeladene zu 1 fernmündlich auf die Weiterführung des von ihr eingeleiteten Widerspruchsverfahrens wirksam verzichtet hat, kann vorliegend dahinstehen. Denn jedenfalls gegenüber dem Kläger ist das bei einer Anfechtungsklage gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG notwendige Vorverfahren durchgeführt worden (anders dagegen verhielt es sich in dem dem Urteil des BSG vom 18. März 1999 [B 12 KR 8/98 R – juris Rn. 20] zu Grunde liegenden Sachverhalt, in welchem nur ein Vorverfahren gegenüber der dortigen Beigeladenen [Mutter] – der Stammversicherten – durchgeführt worden war, nicht aber gegenüber dem dortigen Kläger [Sohn] – dem betroffenen Familienangehörigen).

2. Der Kläger war über den 1. Februar 2012 hinaus für weitere neun Monate in der Familienversicherung der Beigeladenen zu 1 kranken- und pflegeversichert.

Nach § 10 Abs. 2 Nr. 3 Teilsätze 1 und 2 SGB V in der hier maßgeblichen und vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2012 gültigen Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungs-strukturgesetz – GKV-VStG) vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2893) sind Kinder bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres versichert, wenn sie sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden oder ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Jugendfreiwilligendienstegesetzes oder Bundesfreiwilligendienst nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz leisten; wird die Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht des Kindes unterbrochen oder verzögert, besteht die Versicherung auch für einen der Dauer dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt.

Der Kläger war ab 1. Oktober 2011 Student in der Fachrichtung Chemie, befand sich ab diesem Zeitpunkt also in einer Berufsausbildung (vgl. zum Begriff der Berufsausbildung nur Felix in jurisPK-SGB V, 3. Auflage, § 10 Rn. 22). Der neunmonatige Grundwehrdienst erfolgte im Jahre 2005 auch zur Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht (§ 5 Abs. 1a Satz 1 Wehrpflichtgesetz in der am 7. Juni 2005 veröffentlichten Neufassung des Wehrpflichtgesetzes vom 30. Mai 2005 [BGBl. I S. 1465]; vgl. hierzu auch Felix in jurisPK-SGB V, 3. Auflage, § 10 Rn. 23). Durch die Erfüllung dieser gesetzlichen Dienstpflicht konnte der Kläger sein Chemiestudium erst neun Monate später – und damit um diesen Zeitraum verzögert – aufnehmen. Der von der Beklagten und dem SG befürwortete Zurechnungszusammenhang im Sinne einer sehr eng verstandenen Kausalität lässt sich dem Gesetzeswortlaut nach Auffassung des Senats nicht entnehmen.

Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz. Danach können für das Tatbestandsmerkmal der dienstbedingten Verzögerung die Grundsätze zum Waisenrentenrecht in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (§ 48 Abs. 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]; § 67 Abs. 4 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]) herangezogen werden (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. August 2015 – L 5 KR 149/15 – juris Rn. 20). Diese Normen enthalten ebenfalls die Voraussetzung einer dienstbedingten Verzögerung; § 48 SGB VI und § 67 SGB VII unterscheiden sich von § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V nur insoweit, als Höchstgrenze des Leistungsbezugs ohne Verlängerungstatbestand nicht das 25., sondern das 27. Lebensjahr ist. Sowohl § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V als auch § 48 Abs. 5 SGB VI und § 67 Abs. 4 SGB VII fordern keinen unmittelbaren Anschluss der Ausbildung an den Dienst, sondern nur einen ursächlichen Zusammenhang im Sinne einer wesentlichen Bedingung zwischen der Absolvierung des Dienstes und der Verzögerung des Abschlusses der Ausbildung. Dieser ursächliche Zusammenhang ist entsprechend den von der Rechtsprechung gebildeten Grundsätzen zu § 48 Abs. 5 SGB VI und § 67 Abs. 4 SGB VII (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 1976 – 8 RU 2/75, juris Rn. 20; siehe insbesondere Gürtner in Kasseler Kommentar, SGB VI, Stand September 2015, § 48 Rn. 54, und Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Juli 2015, § 67 Rn. 48) gegeben, wenn die Ableistung des Dienstes zumindest wesentliche Mitursache für die Verzögerung der Ausbildung ist. Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Dienst und der Verzögerung des Ausbildungsabschlusses wird nicht dadurch beseitigt, dass aus anderen Gründen (hier unter anderem Zeiten der Arbeitslosigkeit und Zeiten von Tätigkeiten im Gesundheitsbereich) eine weitere (zusätzliche) Verzögerung der Ausbildung eingetreten ist. Damit steht in tatsächlicher Hinsicht im Einklang, dass im Waisenrentenrecht eine Verursachung der Verzögerung der Ausbildung durch den Dienst in der Praxis regelmäßig unterstellt wird (so Ringkamp in Hauck/Noftz, Stand Februar 2016, § 48 SGB VI Rn. 89; vgl. insoweit auch Bereiter-Hahn/Mehrtens, 5. Auflage, SGB VII, Stand August 2015, § 67 Rn. 21, der vor dem Hintergrund, dass "allenfalls ganz ausnahmsweise die Ableistung des Dienstes nicht zumindest rechtlich wesentliche Teilursache der Verzögerung der Ausbildung sein wird", es für praxisgerecht hält zu unterstellen, dass die vor Vollendung des 27. Lebensjahres erfolgte oder zumindest begonnene Ableistung des Dienstes ursächlich für die Verzögerung der Ausbildung war).

Für die Rechtsprechung des LSG Rheinland-Pfalz und die noch zur Reichsversicherungsordnung ergangene oben erwähnte Rechtsprechung des BSG spricht auch der Umstand, dass sie sich mit weiteren Regelungsmaterien in Übereinstimmung bringen lässt.

So hat der Gesetzgeber etwa in § 60 Abs. 2 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch in der vom 1. Januar 2009 bis 31. März 2012 gültigen Fassung ausdrücklich geregelt, dass nur die "erstmalige" Ausbildung förderungsfähig ist.

Ferner hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BKGG in der vom 1. Januar 2012 bis 23. Juli 2014 gültigen Fassung bestimmt, dass ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt wird, wenn es noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und a) für einen Beruf ausgebildet wird oder b) sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes, einer vom Wehr- oder Zivildienst befreienden Tätigkeit als Entwicklungshelfer oder als Dienstleistender im Ausland nach § 14b des Zivildienstgesetzes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstaben d liegt. Nach Abschluss einer "erstmaligen" Berufsausbildung oder eines "Erststudiums" wird ein Kind in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG).

In § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V ist dagegen nur von "Schul- oder Berufsausbildung" ohne einen solchen Zusatz die Rede.

Allein durch diese Sichtweise lässt sich auch der ansonsten auftretende Wertungswiderspruch vermeiden, dass bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres eine Familienversicherung zu bejahen ist, auch wenn der Familienangehörige mehrere Ausbildungen nacheinander jeweils abbricht, nach Vollendung des 25. Lebensjahres durch die Etablierung eines Zurechnungszusammenhangs schon ein Ausbildungsabbruch aber zur Verneinung der Familienversicherung führen könnte. Dadurch würde derjenige Personenkreis im Hinblick auf Art. 3 GG gleichheitswidrig benachteiligt, der einer gesetzlichen Dienstpflicht nachgekommen ist. Ob darin auch ein Eingriff in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit liegt, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.

Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen der Ableistung des Grundwehrdienstes und der Verzögerung des Ausbildungsabschlusses gegeben.

Auch die weiteren Voraussetzungen der Familienversicherung des Klägers sind erfüllt.

Entsprechendes hat gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) in Verbindung mit § 48 Abs. 1 SGB XI für die soziale Pflegeversicherung zu gelten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG). Insofern hält der Senat die Gründe des BSG in seinem Urteil vom 27. Januar 1976 (8 RU 2/75 – juris Rn. 20 bis 22) der Sache nach immer noch für maßgeblich.
Rechtskraft
Aus
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