L 2 U 39/14

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 8 U 115/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 39/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine chronische Hepatitis-B-Infektion bereits bei der ersten nachgewiesenen Nadelstichverletzung steht der Feststellung einer BK 3101 bei Krankenhauspersonal nicht entgegen, wenn die besondere Infektionsgefahr unter Beachtung der Inkubationszeit auch schon vor der ersten dokumentierten Verletzung bestand.
I. Das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 17. Dezember 2013 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 7. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2013 verpflichtet, bei dem Kläger die Infektion mit Hepatitis B als Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage I zur Verordnung über die Anerkennung von Berufskrankheiten mit Leistungsfall 1. Juli 1992 anzuerkennen.

III. Die Beklagte hat die notwendigen Auslagen des Klägers für beide Rechtszüge zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Hepatitis B-Erkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 3101 (BK 3101) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Der 1962 geborene Kläger ist wegen Aniridie seit Geburt stark sehbehindert. Anfang der 1990er Jahre war dem Kläger eine Sehleistung von ca. 25 % bei starker Gesichtsfeldeinschränkung verblieben. Er war deswegen schwerbehindert mit einem festgestellten Grad der Behinderung (GdB) von 70. Seit 31.03.2011 ist ihm aufgrund Verringerung der Sehleistung auf nur noch 10 % und weiterer Leiden ein GdB von 100 zuerkannt. Der Kläger war von April 1990 an im Krankenhaus E ... beschäftigt. Zunächst arbeitete er als Gärtner und Hilfsarbeiter innerhalb einer sogenannten "geschützten Brigade", d. h. als wegen seiner Schwerbehinderung leistungsgeminderter Arbeitnehmer im Bereich Gärtnerei und Außenpflege, wo er gärtnerische Aufgaben erfüllte. Betriebsärztlich war dabei festgelegt, dass der Kläger wegen seines Augenleidens keine betrieblichen Arbeitsmittel wie E-Karre, Rasenmäher, elektrische Heckenschere und Straßenkehrmaschine bedienen durfte. Zur eigenen Sicherheit sollte er aus betriebsärztlicher Sicht auch nicht mit Fahrrad oder Mofa am Straßenverkehr teilnehmen. Anteilig nahm der Kläger bereits ab 1991 auch Aufgaben im sog. Hol- und Bringedienst wahr. Seit Auflösung der "geschützten Brigade" im Zeitraum 1991/1992 war der Kläger ausschließlich im Hol- und Bringedienst eingesetzt. Die Arbeitsaufgabe bestand dabei gemeinsam mit jeweils einem weiteren Kollegen im Umfang von ca. 2,5 Stunden täglich auch in der Abholung von jeweils 25 bis 45 Müllsäcken von den Stationen und deren zentraler Verladung. Dabei erlitt der Kläger am 30.06.1992, am 07.06.1993 und am 09.06.1993 jeweils Kanülenstichverletzungen bei der Entsorgung von medizinischen Krankenhausmüllsäcken. Grundsätzlich wurden Kanülen gesondert entsorgt, durch Fehlwürfe gelangten sie jedoch auch gelegentlich in die Klinikmüllsäcke aus Folie. Diese Foliensäcke wurden beim Handtransport oder beim Auf- und Abladen sporadisch von Kanülen durchstochen, woraus Stichverletzungen des Personals insbesondere an Händen, Unterarmen und Beinen resultierten. Praktikable persönliche Schutzausrüstung für die Mitarbeiter gab es zunächst nicht. Erst ab 1993 führte das Klinikum zur Minderung der Verletzungsgefahr für das Reinigungspersonal schrittweise ein strenges Entsorgungsregime für Kanülen, beginnend mit stichfesten Sammelbehältern, ein.

Am 01.07.1992 waren bei einer Blutuntersuchung die HBsAg- und Anti-HBc-Werte positiv und der Anti-HBs-Wert bei dem Kläger negativ. Nach Simultanimpfungen am 03.07.1992 und am 18.06.1993 erfolgte eine stationäre Behandlung vom 25.06. bis 02.07.1993, wo der Verdacht auf einen Hepatitis-B-Virusträger geäußert wurde. 1990 hatte sich der Kläger einer Blinddarm-Operation und 1992 einer Gallen-Operation unterzogen, wobei es jedoch nicht zu Transfusionen gekommen war.

Der Kläger beantragte mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 07.09.2011 die Einleitung von Ermittlungen zum Vorliegen einer BK 3101. In einem von der Beklagten bei Prof. Dr. M ... eingeholten Gutachten vom 17.10.2012 wurde aufgrund der durchgeführten Untersuchungen eine chronische Hepatitis-B-Virus-Infektion diagnostiziert. Die dokumentierten Nadelstichverletzungen des Klägers seien jedoch nicht ursächlich für diese Infektion. Die Inkubationszeit der Hepatitis B betrage im Mittel 60 – 90 Tage. Der Nachweis HBsAg gelinge nach einer Infektion frühestens nach 30 und spätestens nach 180 Tagen. Bei dem Kläger habe der Nachweis der HBV-Infektion bereits einen Tag nach der ersten Nadelstichverletzung erbracht werden können. Ein Zusammenhang bestehe daher nicht.

Mit Bescheid vom 07.12.2012 lehnte die Beklagte hierauf die Anerkennung einer BK 3101 ab. Die Ursache für die Hepatitis-B-Erkrankung sei nicht feststellbar.

Auf den Widerspruch des Klägers holte die Beklagte im Widerspruchsverfahren eine Stellungnahme des Sicherheitsingenieurs im Städtischen Krankenhaus E ..., K ..., ein. Dieser teilte mit, dass keinerlei Nachweise zu Nadelstichverletzungen im Zeitraum vor 1992 existierten, obwohl sonstige Unfallmeldungen im Hause für die Zeit ab 1990 vorhanden seien. Ähnliches gelte zu BK-Verdachtsmeldungen. So lägen Meldungen für HIV ab 1990 vor, für Hepatitis hingegen erst ab 1992. Infolge der organisatorischen Umstellungen von 1990 bis 1992 sei nicht auszuschließen, dass Verletzungen innerbetrieblich nicht gemeldet oder in einem nicht mehr auffindbaren Unfallbuch aufgezeichnet worden seien. Es sei nicht gänzlich auszuschließen, dass Nadelstichverletzungen vorgekommen seien, die nicht gemeldet wurden. Mit Bescheid vom 13.03.2013 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Mit der am 18.04.2013 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage brachte der Kläger vor, er sei einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen. Dies ergebe sich insbesondere aus den Ausführungen des Sicherheitsingenieurs K ... vom 22.02.2013.

Das SG hat die auf Feststellung der BK 3101 gerichtete Klage mit Urteil vom 17.12.2013 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die vier dokumentierten Stichverletzungen ließen angesichts des Durchseuchungsgrades der Normalbevölkerung von 0,3 bis 0,8 % und dem Übertragungsrisiko bei einer Verletzung durch Nadelstiche von 20 bis 30 % nicht auf ein besonders erhöhtes Infektionsrisiko des Klägers im Sinne des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 02.04.2009, Az. B 2 U 30/07 R, schließen. Der erste bekannte Nadelstich vom 30.06.1992 habe nach dem aktuellen medizinischen Erkenntnisstand nicht zu der festgestellten Infektion führen können, wie das Sachverständigengutachten von Prof. Dr. M ... zeige. Weitere Nadelstichverletzungen des Klägers seien nicht bekannt. Die bloße Möglichkeit einer Verletzung genüge nicht.

Gegen das am 11.01.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Telefax vom 11.02.2014 Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt.

Der Kläger macht geltend, der Durchseuchungsgrad im Krankenhaus lasse sich durchaus aufklären. Es sei nicht vom Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung mit dem HBV, der im Übrigen 7,4 % betrage, sondern von dem des mit dem Kläger gleichzustellenden medizinischen Personals mit 13,9 % auszugehen. Bei einer Zeugenvernehmung des Sicherheitsingenieurs K ... und des früheren Leiters des Hol- und Bringedienstes Z ... lasse sich auch feststellen, dass es weitere Nadelstichverletzungen im gesamten Krankenhaus ab 1992 gegeben habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 17.12.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 07.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, beim Kläger den Versicherungsfall einer Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Berufskrankheitenliste (Hepatitis B) festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe die erhöhte Infektionsgefahr konkret nachzuweisen. Eine Nadelstichverletzung des Klägers vor dem 30.06.1992 sei jedoch nicht erwiesen.

Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen, die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Schwerbehindertenakte des Klägers und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung seiner Infektion mit dem Hepatitis B-Virus (HBV) als BK 3101 gegen die Beklagte.

I.

Der Feststellungsanspruch des Klägers richtet sich nach § 539 Abs. 1 Nr. 1, § 551 Reichversicherungsordnung (RVO), da die HBV-Infektion im Juli 1992 festgestellt worden ist und der geltend gemachte Versicherungsfall damit vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten ist (§ 212 SGB VII).

§ 551 RVO in der hier maßgeblichen, vom 01.01.1964 bis 31.12.1996 geltenden Fassung lautet, soweit von Belang: "(1) Als Arbeitsunfall gilt ferner eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch die Arbeit in bestimmten Unternehmen verursacht worden sind. [ ] (3) Für die Berufskrankheiten gelten die für Arbeitsunfälle maßgebenden Vorschriften entsprechend. Als Zeitpunkt des Arbeitsunfalls gilt der Beginn der Krankheit im Sinne der Krankenversicherung, oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, der Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit. [ ]."

Nr. 3101 der im Zeitraum 1992 bis 1997 geltenden Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vom 20.06.1968 (BGBl. I S. 721) lautet: "Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war."

1. Hepatitis B ist eine Infektionskrankheit, an der der Kläger seit Sommer 1992 tatsächlich erkrankt ist. Der Kläger war von 1990 an auch im Gesundheitsdienst tätig. Denn in Krankenhäusern als Einrichtungen der geschlossenen Gesundheitsfürsorge ist das gesamte Hauspersonal "im Gesundheitsdienst" beschäftigt (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31.05.2006 – L 17 U 206/05 –, Rn. 23, juris).

2. Der Kläger war hierdurch auch einer besonderen Infektionsgefahr für Hepatitis B ausgesetzt.

a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist die besondere Infektionsgefahr bei Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKVO nicht Bestandteil eines Ursachenzusammenhanges zwischen versicherter Tätigkeit und Infektionskrankheit. Sie ersetzt vielmehr als eigenständiges Tatbestandsmerkmal die "Einwirkungen" und ist mit dem weiteren Tatbestandsmerkmal "Verrichtung einer versicherten Tätigkeit" durch einen wesentlichen Kausalzusammenhang, hingegen mit der Erkrankung nur durch die Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs verbunden. Abzustellen ist dabei auf die Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit und die den verrichteten Tätigkeiten innewohnende Übertragungsgefahr. Lässt sich der Durchseuchungsgrad nicht feststellen, kann aber das Vorliegen des Krankheitserregers im Arbeitsumfeld auch nicht ausgeschlossen werden, ist vom Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung auszugehen. Das Kriterium der Übertragungsgefahr ist nach dem spezifischen Übertragungsweg eines bestimmten Krankheitserregers nach aktuell gesichertem wissenschaftlichen Erkenntnisstand und den individuellen Arbeitsvorgängen, die im Hinblick auf den Übertragungsweg besonders gefährdend sind, zu bestimmen, weil keine schlichte Infektionsgefahr genügt (BSG, Urteil vom 02.05.2009 – B 2 U 30/07 R –, Rn. 19 ff., juris).

b) Nach diesen Grundsätzen ist hier vom Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung mit HBV auszugehen, weil eine erhöhte Durchseuchung der Patienten im Krankenhaus E ... insgesamt ebenso wenig belegt werden kann wie das völlige Fehlen von infektiösen Patienten. Dabei kann dahinstehen, ob im vorliegenden Fall die Durchseuchung mit 0,3 bis 0,8 % der Gesamtbevölkerung als Virusträger ("Carrier", vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 710) oder mit 7,4 % als mit durchgestandener Infektion lebend (so Schönberger/Mehrtens/Valentin a. a. O. S. 716) anzusetzen ist.

Bei der konkreten Tätigkeit des Klägers bestand auch eine gegenüber der Allgemeinbevölkerung besonders erhöhte Infektionsgefahr. Die Übertragung von Hepatitis B erfolgt durch den Austausch von Körperflüssigkeiten, überwiegend durch Blut (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.). Im medizinischen Bereich birgt die Verletzung mit Nadelstich oder andere spitze und scharfe Gegenstände ein Infektionsrisiko von 20 bis 30 % (vgl. Schönberger(Mehrtens/Valentin, a. a. O.). Die grundsätzliche Eignung von bereits im Abfall gelegenen Kanülen als Übertragungsweg hat auch der im Verwaltungsverfahren herangezogene Prof. Dr. M ... in seinem Zusammenhangsgutachten vom 17.10.2012 nicht in Zweifel gezogen. Die Verletzung durch eine in einem Müllsack verborgene, kontaminierte Injektionskanüle stellt damit zur Überzeugung des Senats einen geeigneten Infektionsweg dar.

Die objektive Gefahr von Stichverletzungen des zur Müllentsorgung eingesetzten Personals durch Kanülen in den Müllsäcken wird durch die Eintragungen im Unfallbuch bis 1993 belegt. Sie hat sich (auch) bei dem Kläger mehrfach – sogar in sehr kurzen zeitlichen Abständen – tatsächlich realisiert. Der zuständige Sicherheitsingenieur K ... hat schriftlich mitgeteilt, erst ab 1993 sei die Verletzungsgefahr sukzessive u. a. durch die Einführung durchstichsicherer Behälter reduziert worden. Der Senat geht daher trotz fehlender Eintragungen im Unfallbuch zu Kanülenstichverletzungen vor 1992 davon aus, dass wegen einheitlicher Arbeitsabläufe und Arbeitsbedingungen jedenfalls bis zur vollständigen Einführung jener Schutzmaßnahmen ein allgemein erhöhtes Risiko für derartige Stichverletzungen beim Hol- und Bringedienst im Krankenhaus E ... bestanden hat.

Der Kläger, der nach seinen plausiblen, sich mit dem Ergebnis der Expositionsermittlung der Beklagten deckenden Angaben bei seiner Arbeit im Hol- und Bringedienst regelmäßig bis zu 45 Müllsäcke von sämtlichen Stationen des Krankenhauses einzusammeln und zu verladen hatte, war diesem erhöhten Infektionsrisiko durch seine versicherte Tätigkeit auch tatsächlich ausgesetzt. Des Nachweises einzelner Stichverletzungen bei dem Kläger bedarf es dabei nicht, vielmehr ist es für den Infektionsweg der streitigen BK 3101 geradezu typisch, dass sich der genaue Infektionsweg nachträglich nicht mehr aufklären lässt. Dass das absolute Risiko einer Infektion durch den Stich einer kontaminierten Nadel dabei gering war, ist dem Senat bewusst. Allerdings war es für die Gesamtbevölkerung, die nicht mit gelegentlich stichgefährlichen Müllsäcken wegen ungesicherter, kontaminierter Kanülen umzugehen hat, noch deutlich geringer. Allein hierauf kommt es an.

Im konkreten Fall erhöhte sich zur Überzeugung des Senats das individuelle Verletzungsrisiko des Klägers zudem erheblich durch dessen starke Sehbehinderung. Denn er konnte etwaige "verdächtige" Stellen bei den Müllbeuteln schwerer erkennen als ein nicht sehbehinderter Beschäftigter, wie sich für den Senat aus den Schwerbehindertenakten des Klägers mit entsprechenden augenärztlichen Befunden und aus der in der Beklagtenakte dokumentierten Anfrage der Personalabteilung des Krankenhauses von 1993 bei der Beklagten eindrucksvoll erschließt. Die Personalabteilung sorgte sich gegenüber der Beklagten um ihre Unfallverhütungspflichten und den Versicherungsschutz des Klägers auf dem Weg zur Arbeit. Er dürfe wegen seiner starken Sehbehinderung zwar nicht mit Maschinen umgehen, fahre aber seit kurzem mit dem Mofa zur Arbeit. Nach alldem erscheint dem Senat die Verletzungsgefahr und damit die Gefahr einer HBV-Infektion durch kontaminierte Kanülen bei der konkreten Tätigkeit des Klägers in Zusammenschau der objektiv bestehenden Arbeitsbedingungen bereits gegenüber Mitarbeitern ohne Müllkontakt und erst recht im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung als wesentlich gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöht. Wegen des individuell durch die starke Sehbehinderung erheblich eingeschränkten Gefahrerkennungsvermögens bei dem Kläger hält der Senat dieses wesentlich erhöhte Verletzungs- und damit Infektionsrisiko bei dem Kläger für zusätzlich gesteigert.

Auf den von der Beklagten in den Mittelpunkt ihrer Argumentation gestellten Umstand, dass sich der Kläger bei seiner ersten dokumentierten Stichverletzung im Juli 1992 nicht (mehr) infiziert haben konnte, kommt es dabei nicht an. Denn es ist kein Arbeitsunfall, sondern eine Berufskrankheit festzustellen. Auch der Senat geht dem Gutachten von Prof. Dr. M ... folgend davon aus, dass sich der Kläger nicht erst im Juli 1992, sondern bereits vorher mit dem HBV infiziert hat. Die beruflich bedingte Infektion bereits in 1991 oder im ersten Quartal 1992 durch unbemerkte Stichverletzungen erscheint dem Senat dabei als im hier vorliegenden Einzelfall überwiegend wahrscheinlich. Denn die erhöhte Verletzungsgefahr für den Kläger mit der entsprechenden wesentlichen Risikoerhöhung für eine HBV-Infektion bestand bereits seit 1991 mit Aufnahme seiner Tätigkeit im Hol- und Bringedienst.

3. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass bereits zu Beginn dieser Risikotätigkeit eine HBV-Infektion bei dem Kläger bestanden hätte oder auch besondere außerbetriebliche Risiken vorlagen, bestehen demgegenüber nicht. Operationen ohne Bluttransfusion erhöhen das Infektionsrisiko gegenüber der Allgemeinbevölkerung nicht wesentlich.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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