L 3 AS 710/15 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 21 AS 1549/15 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 710/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Eine Vollmacht im Sinne von § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG kann auch in der Form einer Generalvollmacht erteilt werden.
2. Gerichtsakten im Sinne von § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG sind nicht im Gericht schlechthin vorhandene Akten. Grundsätzlich sind Gerichtsakten aber die zur jeweiligen Streitsache gehörenden Akten, das heißt die Prozessakten.
3. Der Nachweis der Bevollmächtigung kann unter bestimmten Voraussetzungen auch durch Bezugnahme auf eine Vollmacht, die in einem anderen Verfahren beigebracht ist, geführt werden. Die Bezugnahme ist als ausreichender Nachweis einer Bevollmächtigung zu werten, wenn dem Gericht eine Einsicht in diese Vollmachtsurkunde ohne weiteres möglich ist und aus der Urkunde ersichtlich ist, dass sie auch für das Verfahren, in dem die Bezugnahme erfolgt, bestimmt ist.
4. Zu einem Begehren, eine Behörde zur (Wieder-)Beschaffung von Unterlagen, die auf Grund eines behaupteten schuldhaften Verhaltens dieser Behörde abhanden gekommen sind, zu verpflichten.
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 11. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

II. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 11. Juni 2015, mit dem ihr Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist.

Der Bevollmächtigte der Antragstellerin, die vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) bezogen hatte, hat am 7. Mai 2015 "im Auftrag und im Namen der Klägerin" Klage erhoben mit dem Antrag, den Antragsgegner zur Wiederbeschaffung von Rechnungen zu verpflichten. Er, der Bevollmächtigte, habe vor geraumer Zeit "diverse Rechnungen" für die Kosten der Unterkunft der Antragstellerin beim Antragsgegner eingereicht. Dieser habe sie an die Antragstellerin mit dem Hinweis zurückgesandt, dass der Bevollmächtigte zurückgewiesen worden sei. Der Antragstellerin seien diese Unterlagen außer Kontrolle geraten. Er, der Bevollmächtigte, habe sich auch keine Kopien gefertigt. Die Zurückweisung sei nie rechtskräftig geworden. Es werde ein Eilantrag gestellt, da die Aufbewahrungsfrist für die Rechnungsunterlagen ende. Auch sonstige Wahrscheinlichkeiten des Verlustes wie Feuer wüchsen mit der Zeitdauer.

Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, dass weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sei.

Das Sozialgericht hat sowohl die Antragstellerin als auch ihren Bevollmächtigten mit Schreiben vom 26. Mai 2015 mit Frist bis zum 26. Mai 2015 und mit Schreiben vom 2. Juni 2015 mit Frist bis zum 8. Juni 2015 aufgefordert, eine Vollmacht vorzulegen. Hierauf hat der Antragstellerbevollmächtigte mit Schreiben vom 3. Juni 2015 die Kopie "eines Schreibens an den Präsidenten" übersandt und erklärt, dass es sich seiner Kenntnis entziehe, "wo der Präsident mit der Generalvollmacht abgeblieben ist." Bei dem übersandten Dokument handelt es um eine Kopie eines Schreibens an den Präsidenten des Sächsischen Landessozialgerichtes vom 16. November 2014, wonach eine "Prozessgeneralvollmacht" überreicht werde.

Auf die Anfrage der Kammervorsitzenden an den Präsidenten des Sozialgerichtes Leipzig nach einer Generalvollmacht der Antragstellerin für den Bevollmächtigten findet sich in der Gerichtsakte ein Schreiben des Sächsischen Landessozialgerichtes vom 8. Juni 2015, dem eine Generalvollmacht "für meine Verfahren vor dem Landessozialgericht Chemnitz" vom 20. Oktober 2014 beigefügt war. Der Antragstellerbevollmächtigte hat mit Schreiben vom 7. Juni 2015, beim Sozialgericht eingegangen am 10. Juni 2015, mitgeteilt, dass eine Generalvollmacht einem Schreiben im Verfahren Az. S 28 AL 176/14 beigeschlossen gewesen sei. Ferner hat der Präsident des Sozialgerichtes mit Schreiben vom 12. Juni 2015 mitgeteilt, dass nach Durchsicht der Verwaltungsvorgänge keine Generalvollmacht für den Antragstellerbevollmächtigten vorliege.

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 11. Juni 2015 abgelehnt. Der Antrag sei unzulässig, weil entgegen den gesetzlichen Vorgaben keine Vollmacht vorgelegt worden sei. Die vom Landessozialgericht vorgelegte Vollmacht genüge nicht den Anforderungen an eine verfahrensbezogene Vollmacht. Im Übrigen sei sie nicht für Verfahren vor dem Sozialgericht erteilt.

Der Antragstellerbevollmächtigte hat am 9. Juli 2015 Beschwerde eingelegt und auf die Generalvollmacht vom 20. Oktober 2014 verwiesen. Mit Schreiben vom 16. August 2015 hat er beantragt, das Verfahren an das Sozialgericht zurückzuverweisen, weil keine Sachaufklärung erfolgt sei.

Der Beklagte hat sich im Schriftsatz vom 1. September 2015 der Rechtsauffassung des Sozialgerichtes angeschlossen und ergänzend vorgetragen. Er vertritt zudem weiterhin die Auffassung, dass weder Anordnungsanspruch noch -grund glaubhaft gemacht seien.

Zwischen den Beteiligten sind im Beschwerdeverfahren Fragen zu den Kosten für Unterkunft und Heizung kontrovers diskutiert worden.

Aus den vom Antragsgegner auf eine gerichtliche Anfrage hin vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass die 1956 geborene Klägerin auf Grund des Rentenbescheides vom 12. Mai 2011 seit 1. März 2010 eine Versichertenrente bezieht. Der Antragsgegner bewilligte der Antragstellerin letztmalig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bis zum 30. Juni 2011.

Ferner ist anlässlich einer Dienstaufsichtsbeschwerde (Az. E313-31/15) in der Akte des Sozialgerichtes Az. S 28 AL 176/14 ein an den Präsidenten des Sozialgerichtes adressiertes Schreiben des Antragstellerbevollmächtigten vom 26. Oktober 2014, dem eine "Generalvollmacht" der Antragstellerin vom 20. Oktober 2014 "für meine Verfahren vor dem Sozialgericht Leipzig" beigefügt gewesen ist, aufgefunden worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

II.

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss vom 11. Juni 2015 ist zulässig. Insbesondere befindet sich die gemäß § 73 Abs. 6 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einzureichende Prozessvollmacht in der Gerichtsakte.

2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Zwar hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht als unzulässig erachtet. Denn als Prozessvollmacht ist auch eine Generalvollmacht ausreichend, wenn sie auch den konkreten Rechtsstreit mitumfasst (a). Die von der Antragstellerin erteilte Generalvollmacht ist auch zu den Gerichtsakten eingereicht worden (b). Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch unbegründet (c).

a) Die Beteiligten können gemäß § 73 Abs. 1 SGG vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht den Rechtsstreit selbst führen oder sich von einer in § 73 Abs. 2 SGG genannten Person als Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Antragstellerin und ihr Bevollmächtigter haben, wie dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist, auf Anfrage des Sozialgerichtes erklärt, verlobt zu sein. Damit konnte die Antragstellerin ihn gemäß § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGG i. V. m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) bevollmächtigen. Anhaltpunkte dafür, dass die Vertretung durch den Antragstellerbevollmächtigten im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht (vgl. § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Halbsatz 2 SGG), liegen nicht vor.

Wenn von der Möglichkeit, sich vor dem Sozialgericht oder dem Landessozialgericht vertreten zu lassen, Gebrauch gemacht wird, ist gemäß § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Diese Regelung entspricht wörtlich derjenigen in § 67 Abs. 6 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 62 Abs. 6 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Sonderregelung in § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG, wonach bei Ehegatten oder Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie unterstellt werden kann, dass sie bevollmächtigt sind, erfasst nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht Verlobte und ist deshalb vorliegend nicht anwendbar.

Zu § 62 Abs. 6 Satz 1 FGO fordert der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung, dass aus der schriftlichen Vollmacht hervorgehen muss, wer bevollmächtigte hat, wer bevollmächtigt ist und wozu bevollmächtigte wurde (vgl. z. B. BFH, Urteil vom 15. März 1991 – III R 112/89BFHE 164, 210 = BB 1991, 2361 [2363] = juris Rdnr. 19, m. w. N.; BFH, Beschluss vom 7. Mai 2014 – II B 117/13 – juris Rdnr. 6, m. w. N.). Diese Rechtsprechung ist in der sozialgerichtlichen Instanzrechtsprechung und Kommentarliteratur auf für § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG übernommen worden (vgl. z. B. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Juli 1999 – L 6 SB 512/99 – juris Rdnr. 20; Hess. LSG, Urteil vom 23. September 2009 – L 6 AS 275/08 – juris Rdnr. 21; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Dezember 2013 – L 29 AL 88/13– juris Rdnr. 64; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. Januar 2014 – L 2 AS 605/13 NZB – juris Rdnr. 1; Arndt, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, [2. Aufl., 2014], § 73 Rdnr. 48 und 49; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [11. Aufl., 2014], § 73 Rdnr. 61; Ulmer, in: Hennig: Sozialgerichtsgesetz [31. Erg.-Lfg., Juni 2015], § 73 Rdnr. 10). Dass die drei Elemente der Bevollmächtigung vorliegen, muss aus sich heraus zu erkennen sein und nicht nur in Kenntnis der Gesamtvorgänge (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Juli 1999, a. a. O.).

Eine Vollmacht im Sinne von § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG kann auch in der Form einer Generalvollmacht erteilt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. August 1983 – 1 CB 19/81MDR 1984, 256 = ZfSH/SGB 1984, 78 = juris Rdnr. 3; BFH, Urteil vom 16. November 2000 – XI R 93, 94/98, XI R 93/98, XI R 94/98 – juris Rdnr. 12; BFH, Beschluss vom 7. Mai 2014 – II B 117/13 – juris Rdnr. 6; Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung [36. Aufl., 2015], § 80 Rdnr. 9; Vollkommer, in: Zöller, Zivilprozessordnung [30. Aufl., 2014], § 80 Rdnr. 10; Kopp/Schenke, VwGO [21. Aufl., 2015], § 67 Rdnr. 47). Denn eine bestimme Form, insbesondere eine Vollmachtsurkunde, ist für die Erteilung einer Vollmacht nicht vorgeschrieben (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 1972 – 12/3 RK 26/69 – SozR Nr. 4 zu § 73 SGG = juris Rdnr. 22; BSG, Urteil vom14. Juni 1978 – 9 RV 74/77 –juris Rdnr. 15; Arndt, a. a. O., Rdnr. 49; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung [28. Erg.-Lfg., März 2015], § 67 Rdnr. 90). Entscheidend ist, ob die Generalvollmacht den jeweiligen konkreten Rechtsstreit umfasst. Dies muss gegebenenfalls durch die Auslegung der Generalvollmacht ermittelt werden (vgl. hierzu z. B. BVerwG, Urteil vom 16. Juli 1998 –7 C 36/97BVerwGE 107, 156 ff. = juris Rdnr. 16; BFH, Urteil vom 16. September 1998 – VI R 37/98 –juris Rdnr. 12; Schlesw.-Holst. LSG, Beschluss vom 12. Juni 2014 – L 6 AS 522/13 B PKH – juris Rdnr. 8).

Aus diesem Grund hat das Bundesverwaltungsgericht bereits im Beschluss vom 16. August 1983 festgehalten, dass es das Prozessrecht nicht verbiete, dass ein Mandant seinem Rechtsanwalt mehrere unterschriebene, im übrigen aber unausgefüllte Vollmachtsformulare übergibt und ihn ermächtigt, sie nach eigener Entscheidung von Fall zu Fall zu ergänzen und zu verwerten. Praktisch komme eine solche Handhabung der Erteilung einer Generalvollmacht nahe, die ebenfalls prozessrechtlich nicht zu beanstanden sei (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. August 1983, a. a. O.). Der Bundesfinanzhof hat es im Urteil vom 16. November 2000 als nicht erforderlich erachtet, dass sich der Bezug auf ein bestimmtes Gerichtsverfahren unmittelbar aus der Vollmacht ergibt. Ein Prozessbevollmächtigter sei vielmehr befugt, für eine ihm überlassene Blankovollmacht oder ein zunächst unvollständig ausgefülltes Vollmachtsformular – entsprechend seiner internen Ermächtigung – den erforderlichen Bezug zum konkreten Rechtsstreit selbst herzustellen, indem er die notwendigen Angaben in das Formular eintrage oder dieses zwar unvollständig belasse, aber einem dem Gericht übersandten Schriftsatz beihefte, der den konkreten Rechtsstreit bezeichne (vgl. BFH, Urteil vom 16. November 2000, a. a. O.; zu letzterem auch Hess. LSG, Urteil vom 2. Dezember 2003 – L 2 RJ 949/03 – juris Rdnr. 37; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2015 – L 20 AS 2202/14 B – juris Rdnr. 14). Ähnlich hat er im Beschluss vom 7. Mai 2014 formuliert. Danach muss sich die dem Gericht vorzulegende Vollmacht auf das konkrete gerichtliche Verfahren beziehen, "sofern keine Generalvollmacht vorliegt" (vgl. BFH, Beschluss vom 7. Mai 2014, a. a. O.). Gründe dafür, weshalb bei übereinstimmenden Regelungen in den Fachgerichtsordnungen zur Erteilung und zum Nachweis einer Vollmacht diese Rechtsprechung zur Zulässigkeit einer Generalvollmacht gerade im sozialgerichtlichen Verfahren nicht geltend soll, sind nicht ersichtlich.

Soweit in einigen sozialgerichtlichen Entscheidungen gleichwohl eine Generalvollmacht nicht akzeptiert wird, fehlt es zum Teil an einer Auseinandersetzung mit der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung. In der Regel sind es jedoch bei genauerer Lektüre der jeweiligen Entscheidungen die Umstände des Einzelfalles, die im Ergebnis ausschlaggebend dafür waren, dass eine Generalvollmacht als nicht ausreichende Vollmacht angesehen worden ist. So monierte das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 7. Januar 2014, dass es bei der für allgemeine Zwecke erteilten Generalvollmacht an der hinreichenden Individualisierung des Willens der Kläger, den als Prozessbevollmächtigten auftretenden Rechtsanwalt im konkreten Streitverfahren mit ihrer Vertretung zu beauftragen, fehle (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. Januar 2014 – L 2 AS 605/13 NZB – juris Rdnr. 1). Dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg genügte im Beschluss vom 27. Januar 2015 für eine Untätigkeitsklage eine Vollmacht nicht, die die dortige Klägerin dem Rechtsanwalt "wegen sämtlicher in Betracht kommender Ansprüche " gegen die beklagte Behörde erteilt hatte und die sich auf Verwaltungs-, Widerspruchs- und gerichtliche Verfahren, und zwar auf alle Verfahren und alle Instanzen, bezog. Denn die Generalvollmacht sei nicht in einem zeitlichen Zusammenhang zu der erhobenen Untätigkeitsklage ausgestellt worden und enthalte keinen Hinweis darauf, dass der Auftrag "wegen sämtlicher in Betracht kommender Ansprüche " auch die Erhebung einer Untätigkeitsklage, die nicht auf die Durchsetzung eines Zahlungsanspruchs gerichtet sei, miterfasse (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2015 – L 20 AS 2202/14 B – juris Rdnr. 16; bestätigend: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Juli 2015 – L 29 AS 1028/15 NZB – juris). Maßgebend dürfte in dem entschiedenen Fall allerdings gewesen sein, dass das Gericht wohl den Verdacht hegte, dass das Betreiben des konkreten Verfahrens nicht dem Interesse des Vertretenen diente, und es deshalb die prozessuale Fürsorgepflicht gebiete, die Vorlage einer vom angeführten Kläger selbst auf das konkrete gerichtliche Verfahren bezogenen Vollmacht anzufordern (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2015, a. a. O., Rdnr. 14). Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hatte im Beschluss vom 23. Juni 2015 Zweifel, ob von der einem Steuerberater von einem Inhaber eines Arbeitnehmerüberlassungsunternehmens erteilte Vollmacht, ihn "in allen Rentenangelegenheiten gegenüber der Deutschen Rentenversicherung Bund zu vertreten", auch Betriebsprüfungs- und Beitragsnachforderungsangelegenheiten erfasst sein sollte (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. Juni 2015 – L 4 R 3235/14NZS 2015, 720 = juris Rdnr. 33). In dem von ihm in Bezug genommenen Beschluss hatte das Schleswig-Holsteineinische Landessozialgericht ausgeführt, dass die Rechtsauffassung des Beklagten, dass eine Generalvollmacht generell nicht ausreiche, um den Bevollmächtigten für das konkrete Verwaltungsverfahren zu legitimieren, in dieser Pauschalität nicht zutreffe (vgl. Schlesw.-Holst. LSG, Beschluss vom 12. Juni 2014 – L 6 AS 522/13 B PKH – juris Rdnr. 6). Allerdings erbringe eine Vollmachtsurkunde, die wegen "Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II" erteilt sei, nicht ohne Weiteres den Nachweis dafür, dass der Vertreter im Sinne einer General- oder Gattungsvollmacht für alle im Zusammenhang mit dem Leistungsbezug stehenden Verwaltungsverfahren bevollmächtigt sein solle (vgl. Schlesw.-Holst. LSG, Beschluss vom 12. Juni 2014, a. a. O. Rdnr. 8). Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt ließ im Beschluss vom 26. November 2014 die vorgelegte Generalvollmacht nicht ausreichen, weil nicht das Original, sondern eine Fotokopie übersandt worden war (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26. November 2014 – L 5 AS 452/13– juris Rdnr. 15; für die Zulässigkeit eines Vollmachtnachweises durch Vorlage einer Kopie: Arndt, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, [2. Aufl., 2014], § 73 Rdnr. 50).

Soweit eine reservierte Haltung in Bezug auf die Zulässigkeit einer Generalvollmacht durch die Sorge motiviert ist, diese könne durch den Bevollmächtigten missbräuchlich ausgenutzt werden, rechtfertigt dies eine solche Haltung nicht. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat zwar grundsätzlich der Vertretene das Risiko des Vollmachtsmissbrauches zu tragen. Den Vertragspartner trifft keine Prüfungspflicht, ob und inwieweit der Vertreter im Innenverhältnis gebunden ist, von seiner nach außen unbeschränkten Vertretungsmacht nur begrenzt Gebrauch zu machen. Der Vertretene ist jedoch gegen einen erkennbaren Missbrauch der Vertretungsmacht im Verhältnis zum Vertragspartner dann geschützt, wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch gemacht hat, so dass beim Vertragspartner begründete Zweifel bestehen mussten, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters gegenüber dem Vertretenen vorliege. Notwendig ist dabei eine massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Missbrauchs (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2010 – XI ZR 389/09NJW 2011, 66 ff. = juris Rdnr. 29, m. w. N.). Diese Rechtsprechung ist auf Prozessvollmachten in finanzgerichtlichen, verwaltungsgerichtlichen und sozialgerichtlichen Verfahren übertragen worden (vgl. zu § 62 FGO: BFH, Beschluss vom 13. Juni 2006 – III B 23/95 – juris Rdnr. 12; zu § 73 SGG: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2015 – L 20 AS 2202/14 B – juris Rdnr. 14; Arndt, a. a. O., Rdnr. 55)

Für den vorliegenden Fall folgt aus den vorstehenden Ausführungen, dass die von der Antragstellerin am 20. Oktober 2014 ausgestellte Generalvollmacht, auf die sich der Bevollmächtigte zunächst bezog, keine geeignete Vollmacht für das erstinstanzliche Verfahren war. Denn die Vollmacht enthielt eine nach § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 83 der Zivilprozessordnung (ZPO) zulässige instanzielle Beschränkung "für meine Verfahren vor dem Landessozialgericht Chemnitz". Verfahren vor anderen Gerichten einschließlich des Sozialgerichtes Leipzig waren wegen des eindeutigen Vollmachtstextes deshalb nicht erfasst.

Hingegen genügt die von der Antragstellerin ebenfalls am 20. Oktober 2014 zugunsten ihres Bevollmächtigten ausgestellte Vollmacht "für meine Verfahren vor dem Sozialgericht Leipzig" den Anforderungen aus § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG jedenfalls in Bezug auf den vorliegenden Rechtsstreit. Denn aus der Vollmachtsurkunde ergibt sich, dass diese von der Antragstellerin ausgestellt und unterschrieben wurde. Die Generalvollmacht gilt für die Vertretung im vorliegenden, nach der Vollmachterteilung anhängig gemachten Verfahren. Die gesundheitlich angeschlagene Antragstellerin will die Prozessvertretung vor dem Sozialgericht einer Vertrauensperson, nämlich dem Antragstellerbevollmächtigten, übertragen. Der Umfang der Prozessvollmacht, die über die instanzielle Beschränkung keine weiteren Einschränkungen enthält, ergibt sich aus § 73 Abs. 6 Satz 6 SGG i. V. m. § 81 ZPO. Demzufolge ist der Antragstellerbevollmächtigte auch befugt, für die Antragstellerin ein Verfahren des vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes zu betreiben.

b) Dass eine Vollmacht zum Führen eines Gerichtsverfahrens erteilt wurde, ist allerdings nicht ausreichend (vgl. BFH, Urteil vom 15. März 1991 – III R 112/89BFHE 164, 210 = BB 1991, 2361 [2363] = juris Rdnr. 21). Denn der Gesetzgeber fordert, dass die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen ist (vgl. § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG, § 62 Abs. 6 Satz 1 FGO, § 67 Abs. 6 Satz 1 VwGO, § 80 Satz 1 ZPO). Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen (vgl. § 73 Abs. 6 Satz 2 SGG, § 62 Abs. 6 Satz 2 FGO, § 67 Abs. 6 Satz 2 VwGO, § 80 Satz 2 ZPO). Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden (vgl. § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG, § 62 Abs. 6 Satz 3 FGO, § 67 Abs. 6 Satz 3 VwGO; ähnlich: § 88 Abs. 1 ZPO). Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt (vgl. § 73 Abs. 6 Satz 4 SGG, § 62 Abs. 6 Satz 4 FGO, § 67 Abs. 6 Satz 4 VwGO, § 88 Abs. 2 ZPO).

Gerichtsakten in diesem Sinne sind nicht im Gericht schlechthin vorhandene Akten (vgl. BFH, Urteil vom 10. April 1990 – V R 49/85 – juris Rdnr. 9; BFH, Urteil vom 30. Juli 1991 – VIII B 88/89– BFHE 165, 22 = BB 1991, 2365 = juris Rdnr. 20; BFH, Urteil vom 17. April 1998 – VI R 107/97NVwZ-RR 1998, 528 = juris Rdnr. 12; Weth, in: Musielak/Voit, ZPO [12. Aufl., 2015], § 80 Rdnr. 17). Grundsätzlich sind Gerichtsakten aber die zur jeweiligen Streitsache gehörenden Akten, das heißt die Prozessakten (vgl. BFH, Urteil vom 15. März 1991 – III R 112/89BFHE 164, 210 = BB 1991, 2361 [2363] = juris Rdnr. 21; BFH, Urteil vom 30. Juli 1991, a. a. O.; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [11. Aufl., 2014], § 73 Rdnr. 62, m. w. N; Weth, a. a. O.). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes kann der Nachweis der Bevollmächtigung unter bestimmten Voraussetzungen auch durch Bezugnahme auf eine Vollmacht, die in einem anderen Verfahren beigebracht ist, geführt werden. Die Bezugnahme ist als ausreichender Nachweis einer Bevollmächtigung zu werten, wenn dem Gericht eine Einsicht in diese Vollmachtsurkunde ohne weiteres möglich ist und aus der Urkunde ersichtlich ist, dass sie auch für das Verfahren, in dem die Bezugnahme erfolgt, bestimmt ist (vgl. BFH, Urteil vom 30. Juli 1991, a. a. O.; ebenso: Ulmer, in: Hennig: Sozialgerichtsgesetz [31. Erg.-Lfg., Juni 2015], § 73 Rdnr. 15; Kopp/Schenke, VwGO [21. Aufl., 2015], § 67 Rdnr. 47; a. A. wohl Vollkommer, in: Zöller, Zivilprozessordnung [30. Aufl., 2014], § 80 Rdnr. 8). Der erkennende Senat teilt diese Rechtsauffassung, weil andernfalls die Verwendung der grundsätzlich zulässigen Generalvollmacht nicht möglich wäre (vgl. BFH, Urteil vom 30. Juli 1991, a. a. O., Rdnr. 21; Ulmer, a. a. O.).

Soweit für die Auffassung, Gerichtsakten seien nur die Prozessakten des jeweiligen Rechtsstreites, auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 27. Mai 1986 verwiesen wird, lässt sich ein solcher Rechtssatz nicht aus dieser Entscheidung herleiten. Denn Gegenstand dieses Verfahrens war ein Anspruch mit der Behauptung der Kläger, der Beklagte habe durch sein Verhalten als Verwalter im Konkurse über den Nachlas eines Dritten ihnen zustehende Rechte vereitelt. Der Bundesgerichtshof entschied in diesem Fall, dass sich der Prozessbevollmächtigte der Pflicht zur Vorlage der behaupteten Generalvollmacht seines Auftraggebers nicht durch den Hinweis habe entziehen können, Ausfertigungen befänden sich "bei den Akten des Amtsgerichts – Nachlaßgericht – Passau" und "möglicherweise in den Akten des Beklagten" (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 1986 – IX ZR 152/85NJW-RR 1986, 1252 = juris Rdnr. 15). Dem Revisionsverfahren war jedoch ein Verfahren vor dem Landgericht Passau und nicht des Amtsgerichtes Passau vorausgegangen. Auf Grund dieser Sachverhaltskonstellation hatte der Bundesgerichtshof keine Veranlassung, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob Gerichtsakten im Sinne von § 80 Abs. 1 ZPO nur die Prozessakten oder auch weitere Akten des angerufenen Gerichtes sein können.

Soweit der Ansatz des Bundesfinanzhofes teilweise in der Kommentarliteratur dahingehend eingeschränkt wird, dass die ohne weiteres mögliche Einsicht in diese Vollmachtsurkunde in der Regel nur dann gegeben sei, wenn beide Verfahren vor demselben Spruchkörper stattfinden (vgl. Weth, a. a. O., m. w. N.), sieht der Senat für eine solche Einschränkung kein Bedürfnis. Denn wenn das Verfahren, auf das wegen der Vollmacht verwiesen wird, konkret bezeichnet ist, hält sich der Aufwand für die Beiziehung der Vollmacht oder der gesamten Gerichtsakte unabhängig davon, ob es eine Akte des eigenen oder eines anderen Spruchkörpers ist, in Grenzen. Auf eine Beiziehung kann nicht verzichtet werden, weil der Beleg für eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung Gegenstand des laufenden Verfahrens wird mit der Folge, dass dem Prozessgegner auf Antrag Einsicht in die Vollmacht zu gewähren ist.

In dem beschriebenen Sinne hat der Antragstellerbevollmächtigte die ihm erteilte Vollmacht "zu den Gerichtsakten" eingereicht. Denn er gab gegenüber dem Sozialgericht im Schreiben vom 7. Juni 2015, das heißt noch vor dem Erlass des Beschlusses vom 11. Juni 2015, an, dass die Generalvollmacht einem Schreiben im Verfahren Az. S 28 AL 176/14 beigeschlossen gewesen sei. In der bezeichneten Gerichtsakte war sie auch tatsächlich enthalten, wie sich im Rahmen der Dienstaufsichtsbeschwerde ergab. Das Sozialgericht zog aber diese Gerichtsakte nicht bei. Im Übrigen unterrichtete es den Antragstellerbevollmächtigten auch weder darüber, dass eine Einsicht in diese Vollmachtsurkunde nicht ohne weiteres möglich gewesen wäre, noch darüber, dass es im Gegensatz zu der zitierten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes einen Verweis auf eine andere Gerichtsakte am Gericht nicht als ausreichend ansehe, und dass deshalb eine Vollmacht vorzulegen sei. Dadurch wurde der Anspruch auf faires Verfahren verletzt.

Da aus den genannten Gründen der Antragsteller seine Bevollmächtigung nachgewiesen hat, ist nicht auf die Frage einzugehen, ob der Verpflichtung, die Vollmacht zu den Gerichtsakten zu reichen, auch Genüge getan ist, wenn sie sich bei den Generalakten des Gerichtes, die sich sofort beschaffen lassen, befindet (so z. B. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Juni 2009 – OVG 60 PV 18.08 – juris Rdnr. 30; OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. Mai 2010 – 5 L 6/09– juris Rdnr. 31; Vollkommer, a. a. O., Rdnrn. 8 und 10; Weth, a. a. O.; ablehnend z. B Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung [73. Aufl., 2015], § 80 Rdnr. 13, m. w. N.)

Auch muss wegen des ausreichenden Nachweises des Vollmacht nicht, wie vom Antragstellerbevollmächtigten gefordert, die Verwaltungsakte des Sozialgerichtes Leipzig Az. E 307 B – 11/15 zur weiteren Sachaufklärung beigezogen werden.

c) Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist jedoch unbegründet.

(1) Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren der Antragstellerin, den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zur (Wieder-)Beschaffung von "diversen Rechnungen" für die Kosten der Unterkunft der Antragstellerin zu verpflichten. Soweit die Beteiligten im Beschwerdeverfahren eine Kontroverse über die Höhe der anzuerkennenden Unterkunftskosten austragen, steht dies in keinem Zusammenhang mit dem beschriebenen Begehren. Es ist auch nicht zu erkennen, dass die Antragstellerin, der ab 1. März 2010 eine Versichertenrente bewilligt worden ist, für einen bestimmten Zeitraum im Rahmen eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes die Anerkennung höhere Unterkunftskosten begehrt.

(2) Es ist bereits fraglich, ob die Antragstellerin für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis besitzt.

Das Rechtsschutzbedürfnis ist eine allgemeine Sachurteilsvoraussetzung, die bei jeder Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gegeben sein muss. Der Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses bedeutet, dass nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 27. März 2014 – L 3 AS 187/14 B ER – info also 2014, 125 = juris Rdnr. 15, m. w. N.; Sächs. LSG, Beschluss vom 24. September 2015 – L 3 AS 1738/13– juris Rdnr. 33, m. w. N.). Ein Rechtsschutzbedürfnis ist nicht gegeben, wenn es einen einfacheren Weg gibt oder mit einer anderen Rechtsschutzform ein weitergehender Rechtsschutz erlangt werden kann (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 24. September 201, a. a. O., Rdnr. 44; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG [11. Aufl., 2014], Vor § 51 Rdnr. 16a; Ehlers, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung [28. Erg.-Lfg., März 2015], Vor § 40 Rdnr. 89).

Der Antragstellerin ist es daran gelegen, die von ihrem Bevollmächtigten vorgelegten, vom Antragsgegner zurückgesandten und sodann abhanden gekommenen Dokumente wiederzuerhalten. Da nicht bekannt ist, wo sich die Original der vom Antragstellerbevollmächtigten vorgelegten Unterlagen befinden, kann es nur um die Beschaffung von Ersatzunterlagen gehen. Diesbezüglich fehlt jeglicher Vortrag von Seiten der Antragstellerin, weshalb es ihr nicht möglich ist, die "diversen Rechnungen" selbst bei dem jeweiligen Rechnungsteller zu beschaffen. Sofern eine Verantwortung des Antragsgegners für den Verlust der vorgelegten Unterlagen festzustellen wäre, könnte von ihm eventuell nach Maßgabe der amtshaftungsrechtlichen Regelungen die Erstattung der mit der Beschaffung verbundenen Aufwendungen verlangt werden.

(3) Unabhängig von der Frage nach dem Rechtsschutzbedürfnis steht dem Erfolg des Antrages jedenfalls bereits entgegen, dass auf Grund des Antrages des Antragstellerbevollmächtigten und der hierzu gegebenen Begründung kein Tenor mit einem vollstreckbaren Inhalt formuliert werden kann.

Bei jeder Entscheidung muss das Gericht im Blick behalten, dass gegebenenfalls ein Bedürfnis für die Vollstreckung aus der Entscheidung, hier der begehrten einstweiligen Anordnungen (vgl. § 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG), entstehen kann. Unter anderem auch aus diesem Grund muss der zu vollstreckende Titel einen vollstreckbaren Inhalt haben. Dies setzt neben anderem voraus, dass der Titel inhaltlich hinreichend bestimmt ist. Der Bundesgerichtshof hat diesbezüglich im Urteil vom 7. Dezember 2005 ausgeführt: "Ein Titel ist nur dann bestimmt genug und zur Zwangsvollstreckung geeignet, wenn er den Anspruch des Gläubigers ausweist und Inhalt und Umfang der Leistungspflicht bezeichnet. [ ] Notfalls hat das Vollstreckungsorgan den Inhalt des Titels durch Auslegung festzustellen. Dabei muss der Titel jedoch aus sich heraus für eine Auslegung genügend bestimmt sein oder jedenfalls sämtliche Kriterien für seine Bestimmbarkeit eindeutig festlegen. Es genügt nicht, wenn auf Urkunden Bezug genommen wird, die nicht Bestandteil des Titels sind, oder wenn sonst die Leistung nur aus dem Inhalt anderer Schriftstücke ermittelt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2005 – XII ZR 94/03BGHZ 165, 223 ff. = NJW 2006, 695 ff. = juris Rdnr. 25, m. w. N.).

Hieran gemessen kann vorliegend kein Tenor mit einem vollstreckbaren Inhalt formuliert werden. Die Bezeichnung der vom Antragsgegner wiederzubeschaffenden Dokumente mit "diverse Rechnungen" für die Kosten der Unterkunft der Antragstellerin ist viel zu unbestimmt. Es wäre erforderlich gewesen, die Dokumente konkret zu bezeichnen (z. B. Rechnung von vom für die Lieferung von Heizöl).

(4) Schließlich sind für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung auch nicht die vom Gesetzgeber vorgegebenen Anordnungsvoraussetzungen glaubhaft gemacht.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung so dringlich ist, dass dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden muss (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Vorliegend sind weder Anordnungsanspruch noch -grund glaubhaft gemacht.

(4.1) Für das Begehren der Antragstellerin, den Antragsgegner zur (Wieder-)Beschaffung von Unterlage, die auf Grund eines behaupteten schuldhaften Verhaltens des Antragsgegners abhanden gekommen sind, zu verpflichten, bietet das SGB II unmittelbar keine Anspruchsgrundlage. In Bezug auf das Verfahren wird in § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II pauschal auf das Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) verwiesen. Soweit das SGB II hiervon abweichende Regelungen (vgl. z. B. § 40 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 bis 5 SGB II) oder Sonderregelungen (vgl. z. B ... § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II [trotz Aufforderung], § 44e Abs. 2 Satz 1 SGB II [nach Anhörung]) enthält, betreffen sie nicht die streitbefangene Thematik. Entsprechendes gilt für die Verweisungen im SGB II auf Regelungen im Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III), insbesondere die Verweisung in § 40 Abs. 2 SGB II.

Das in § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Bezug genommene SGB X enthält ebenfalls keine ausdrücklichen Regelungen über das Führen von Verwaltungsakten und den Umgang mit vorgelegten Unterlagen. Vorgaben ergeben sich lediglich mittelbar zum Beispiel aus den Regelungen über den Sozialdatenschutz (vgl. §§ 67 ff. SGB X). So ist die Aufbewahrung von Kontoauszügen im Original oder in Kopie in der Verwaltungsakte eine Speicherung von Daten im Sinne von § 67c Abs. 1 Satz 1 SGB X (vgl. Bay. LSG, Beschluss vom 21. Mai 2014 – L 7 AS 347/14 B ER – juris Rdnr. 16; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. April 2015 – L 25 AS 111/15 B PKH – juris Rdnr. 7). Der Anspruch auf Löschen von Sozialdaten bestimmt sich nach § 84 Abs. 2 SGB X i. V. m. § 67 Abs. 6 Satz 2 Nr. 5 SGB X. Zur Frage, ob und gegebenenfalls welche rechtlichen Konsequenzen es haben kann, wenn Unterlagen, die eine Behörde versendet hat, verloren gehen, verhält sich das SGB X hingegen nicht.

Interne Regelungen hat die Bundesagentur für Arbeit in den Hinweisen zum Aufbau und Führen einer Leistungsakte & verbindliche Regelungen zu den Aufbewahrungsfristen im Rechtskreis SGB II (Az. HEGA 03/13 – 09) getroffen. Dort ist zum Beispiel festgelegt, dass Schriftstücke chronologisch in Buchform abgeheftet werden, dass nur erforderliche Kopien gefertigt werden, oder welche Unterlagen zur Akte genommen werden sollten, grundsätzlich nicht zur Akte zu nehmen sind und wann ein Vermerk darüber, dass Unterlagen vorgelegen haben, ausreichend ist (Nummer 4). Für die Aufbewahrungsfristen wird vorbehaltlich von Sonderregelungen auf die Aufbewahrungsbestimmungen für die Unterlagen für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes (ABestB-HKR) verwiesen (Nummer 5). Bestimmungen zur Rückgabe von Unterlagen finden sich aber auch in diesen internen Regelwerken nicht.

Als mögliche Anspruchsgrundlage verbleibt der richterrechtlich entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch. Dieser setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung (vgl. § 14 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – [SGB I]) und Auskunft (vgl. § 15 SGB I), verletzt hat. Weiter ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2010 – B 13 R 15/10 R – SozR 4-1500 § 193 Nr. 6 = juris, jeweils Rdnr. 39; m. w. N.; BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 29/10 R – SozR 4-1200 § 14 Nr. 15 = juris, jeweils Rdnr. 12; m. w. N.; Hassel, in: Brand, SGB III [7. Aufl., 2015], § 323 Anh Rdnr. 28, ff.).

Die Anspruchsvoraussetzungen müssen vorliegend nicht im Einzelnen geprüft werden, weil jedenfalls zum einen der Antragstellerin kein über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auszugleichender Nachteil entstanden ist, und zum anderen vom Antragsgegner subjektiv unmögliches verlangt wird.

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist darauf gerichtet, den Zustand herzustellen, der eingetreten wäre, wenn die Verwaltung sich nicht rechtswidrig verhalten hätte (vgl. Seewald, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht [Stand: 87. Erg.-Lfg., September 2015], vor §§ 38–47 Rdnr. 120). Es soll der Schaden ausgeglichen werden, der darin besteht, dass ein soziales Recht nicht verwirklicht worden ist, oder mit anderen Worten ein sozialrechtlich begründeter Anspruch nicht erfüllt worden ist (vgl. Seewald, a. a. O., Rdnr. 168). Ein Schaden in Gestalt eines rechtlichen oder wirtschaftlichen Nachteils liegt zum Beispiel beim Verlust von Ansprüchen, der Gewährung von Leistungen zu einem späteren Zeitpunkt oder der Leistung nicht in der möglichen Höhe vor (vgl. Mönch-Kalina, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I [2. Auflage 2011], § 14 Rdnr. 52, m. w. N.; vgl. auch Seewald, a. a. O., Rdnr. 170 ff.). Der Antragstellerbevollmächtigte hat keinen solchen Schaden glaubhaft gemacht. Er hat noch nicht einmal vorgetragen, welcher sozialrechtlich begründete Anspruch der Antragstellerin nicht erfüllt worden sein sollte. Sofern die Antragstellerin in einem etwaigen Rechtsstreit einen Anspruch auf höhere Unterkunftskosten nicht nachweisen können sollte, weil erforderliche Belegen zu den abhanden gekommenen Unterlagen gehörten, wäre über die Frage, ob die Nachweise für den geltend gemachten Anspruch erbracht wurden, nach den allgemeinen Beweislastregeln einschließlich einer zu möglicherweise zu prüfenden Beweislastumkehr zu entscheiden. Für den Ausgleich etwaiger Schäden, die einem Antragsteller aus Anlass eines Verwaltungsverfahrens entstehen, die aber nicht den sozialrechtlichen Anspruch betreffen, ist der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht der richtige Anknüpfungspunkt.

Der Antragstellerbevollmächtigte hat zudem nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner überhaupt in der Lage ist, die "diversen Rechnungen" zu beschaffen. Aus seinen knappen Ausführungen ergibt sich, dass es sich um Unterlagen handeln muss, die für die Ermittlung der nach § 22 SGB II anzuerkennenden Unterkunftskosten von Bedeutung sind. Solche Rechnungen resultieren aus Rechtsverhältnissen zum Beispiel des Mieters zum Vermieter oder des Mieters/des Hauseigentümers zu privaten Unternehmen oder zu Behörden (z. B. wegen der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, der Gebäudereinigung, der Schornsteinreinigung oder der Grundsteuer). Im Verhältnis zu solchen privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen des Mieters oder Hauseigentümers ist ein Jobcenter ein Dritter. Das Jobcenter hat nur Anspruch auf Vorlage von Unterlagen oder Erteilung von Auskünften, wenn es hierfür eine Rechtsgrundlage gibt (z. B. §§ 56 ff. SGB II). Denn mit einem Vorlage- oder Auskunftsverlangen greift das Jobcenter in die Rechte des in Anspruch Genommenen ein. Eine Rechtgrundlage, die ein Jobcenter ermächtigen würde, Rechnungen, die die Unterkunftskosten betreffen, von Rechnungstellern anzufordern, gibt es aber nicht. Vielmehr ist derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, verpflichtet, Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen (vgl. 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I). Eine Rechtsgrundlage für ein Jobcenter gibt es erst Recht nicht, wenn die Unterlagen nicht zu Verwaltungszwecken benötigt werden. Wenn es aber für ein Handeln, das von einer Behörde verlangt wird, keine Rechtsgrundlage gibt, wird von der Behörde subjektiv unmögliches gefordert. Ein Gericht darf aber eine Behörde nicht zu subjektiv unmöglichem Handeln verpflichten.

Ob der Anspruch der Antragstellerin mit Aussicht auf Erfolg auf den Amtshaftungsanspruch nach Artikel 34 des Grundgesetzes (GG), § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gestützt werden kann, kann dahingestellt bleiben. Denn für einen Anspruch auf Schadensersatz ist der ordentliche Rechtsweg eröffnet (vgl. Artikel 34 Satz 3 GG, § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Dort sind die Landgerichte zuständig (vgl. § 71 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes [GVG]). Das Sächsische Landessozialgericht ist nicht ausnahmsweise kraft eigener Kompetenz berufen, über einen etwaigen Amtshaftungsanspruch zu entscheiden (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 20. Oktober 2010 – B 13 R 63/10 B – SozR 4-1500 § 153 Nr. 11 = juris, jeweils Rdnr. 26). Die Antragstellerin kann sich deshalb, wenn sie den gegen den Antragsgegner geltend gemachten Anspruch auf den Amtshaftungsanspruch stützen will, an das zuständige Landgericht wenden (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 20. Oktober 2010, a. a. O., Rdnr. 23 f.).

(4.2) In Bezug auf den Anordnungsgrund, das heißt die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Entscheidung, hat der Antragstellerbevollmächtigte lediglich allgemein vorgetragen, dass die Aufbewahrungsfrist für die Rechnungsunterlagen auslaufe, mithin der endgültige Verlust von Unterlagen zu befürchten sei. Er hat jedoch weder vorgetragen, um welche Unterlagen es sich konkret handelt, noch wer aufbewahrungspflichtig ist oder welche Aufbewahrungszeiten vorliegend maßgebend sind. Es lässt sich deshalb nicht beurteilen, ob eine konkrete und aktuelle Gefahr droht, dass für die verlorenen gegangenen Dokumente kein adäquater Ersatz beschafft werden kann, und dass deshalb Nachweisschwierigkeiten zu befürchten sind. Damit ist auch ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.

3. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

4. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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