L 1 KR 252/13

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 10 KR 126/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 252/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein suprapubischer Verweilkatheter ist ein Implantat im Sinne der Ziffer T83.- des Kapitels XIX der ICD-10-GM (a.A. LSG Berlin Brandenburg, Urteil vom 14.09.2017 - L 1 KR 238/15).
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 23. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 1.526,68 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist die korrekte Kodierung der Hauptdiagnose bei der Abrechnung einer stationären Krankenhausbehandlung.

Der am 4. August 1933 geborene, bei der Beklagten versicherte Z ... wurde vom 5. August 2009 bis 11. August 2009 stationär im Krankenhaus der Klägerin behandelt. Er wurde mit dem Rettungswagen wegen Schmerzen im Unterbauch links und Durchfällen am Vortag bei leichter Übelkeit und leichter Exsikkose eingeliefert. Der im Pflegeheim lebende Versicherte war mit einem suprapubischen Dauerkatheter (Überlaufblase bei benigner Prostatahyperplasie) versorgt. Er litt außerdem an Asthma bronchiale, cerebrovaskulärer Insuffizienz, Hypertonie; bekannt waren ein Zustand nach Myocard¬infarkt, eine koronare Herzerkrankung, Z.n. Magenperforation, Magen-OP und Gallen-OP. Im Zusammenhang erhielt der Versicherte Infusionen und Sauerstoff.

Nach dem urologischen Konzil bestand ein Verdacht auf Harnwegsinfekt bei liegendem suprapubischen Katheter. Die Laboruntersuchungen vom 5. August 2009 ergaben u.a. einen pathologischen Urinbefund (Hämaturie, Leukozyten, Eiweiß) sowie eine Infektion mit Extended-Spectrum-Betalaktamase (ESBL). Es erfolgten am 6. August 2009 Röntgenuntersuchungen des Thorax und des Abdomen. Zum Ausschluss einer Divertikulitis fand am 7. August 2009 eine CT-Untersuchung des Abdomens statt, die Leberzysten und eine Sigmadiverticulose ohne eindeutige Entzündungsreaktion ergab. Am 8. August 2009 erfolgt die Vorstellung in der Urologie, am 10. August 2009 in der HNO (indirekte Larynoskopie). Nachdem die Beschwerden nachgelassen hatten, wurde der Versicherte am 11. August 2009 entlassen. Zu einem Katheterwechsel kam es nicht.

Laut Epikrise vom 11. August 2009 konnte der Verdacht auf Sigmadivertikulitis nach Diagnostik ausgeschlossen werden. Bei nachgewiesenem Harnwegsinfekt durch ESBL sei der Patient nach Antibiogramm behandelt worden.Nach urologischem Konzil ergebe sich keine weitere Therapiekonsequenz.

Zur Abrechnung der erbrachten Behandlungsleistungen kodierte die Klägerin als Hauptdiagnose: T83.5 (Infektion und entzündliche Reaktion durch Prothesenimplantate und Transplantate) sowie U80.4 (ESBL-Resistenz) und N18.81 (Chronische Niereninsuffizienz, Stadium I) als Nebendiagnosen und stellte der Beklagten unter dem 18. August 2009 und der DRG L69B 2.984,82 EUR in Rechnung. Dieser Betrag wurde von der Beklagten zunächst bezahlt.

Mit Schreiben vom 16. September 2009 zeigte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung im Freistaat Sachsen (MDK) der Klägerin eine Prüfung gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Hinblick auf die Kodierung an. Die Beklagte teilte der Klägerin am 24. Februar 2010 mit, als Hauptdiagnose sei N39.0 (allgemeiner Harnwegsinfekt) zu kodieren, Die Nebendiagnose U80.4 sei ressourcenrelevant belegt. Daraus ergebe sich die DRG L63F mit einer Verweildauer von sechs Tagen. Dagegen erhob die Klägerin unter dem 11. Mai 2010 Widerspruch, weil die Ursache des Harnwegsinfektes durch multiresistente Keime in dem liegenden suprapubischen Blasenkatheter zu sehen sei.

Der MDK folgte dem in seinem Gutachten vom 26. Juli 2010 nicht, weil es sich bei dem Katheter einer suprapubischen Blasenfistel nicht um ein Transplantat oder Implantat handele und zum anderen für Harnwegsinfekte die Nummern N30 bis N39 vorgesehen seien. Ausnahmen von dieser Kodierung seien eindeutig erläutert. Darin sei ein liegender Katheter nicht enthalten. Darauf führten die Ärzte der Klägerin abermals aus, als Ursache des Harnwegsinfekts sei der liegende Katheter zu sehen. Ohne diesen wäre ein solcher Infekt, zumal noch durch diesen multiresistenten Keim (ESBL), mit hoher Sicherheit nicht aufgetreten. Es bilde sich eine Ungenauigkeit in der ICD-10-Kodierung ab. Entgegen der mechanischen Komplikation durch einen Harnwegsverweilkatheter (T83.0) werde die Infektion durch Aszension (T83.5) weder gesondert ein- noch ausgeschlossen. Unter dem 20. Oktober 2010 begründete die Klägerin nochmals ausführlich, dass beim Patienten ein katheterassoziierter Harnwegsinfekt bestanden habe.

Am 30. April 2010 verrechnete die Beklagte, den überzahlten Betrag von 1.526,68 EUR.

Am 17. März 2011 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Chemnitz erhoben. Sie hat sich auf die vorliegenden medizinischen Stellungnahmen bezogen und vorgetragen, die Abänderung der Hauptdiagnose durch den MDK beruhe auf einer MDK-eigenen Kodierregel der SEG-4-Gruppe. Die Kodierempfehlung Nr. 212 regele die Frage der Kodierung der Harnwegsinfektion bei einem liegenden suprapubischen Katheter. Diese stelle kein verbindliches Regelwerk dar und leide an dem Problem, dass sie über die Systematik der ICD-10-Kodierung hinaus gehe und keine Definition bezüglich der Forderung der "spezifischen Kodierung" bei Komplikationen aufstelle. Diese nicht nachvollziehbare Kodier-empfehlung werde nicht nur seitens der Deutschen Gesellschaft für Medizincontrolling sondern auch vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) abgelehnt. Hierzu ist ein Auszug aus dem alphabetischen Verzeichnis der ICD-10-Systematik übersandt worden. Dieses belege, dass bei Stichworten Harnwegskatheter und Entzündungen die Diagnose T83.5 zu kodieren sei. Hier sei der Versicherte unstreitig mit liegendem suprapubischen Katheter und Bakteriennachweis aufgenommen worden. Die klinischen Beschwerden seinen nahezu klassisch für eine Harnblasenentzündung. Folglich bilde die Kodierung mit T 83.5 den Sachverhalt auch viel spezifischer ab als die von der Beklagten favorisierte N39.0. Die Ursache für diese Harnblasenentzündung sei im liegenden suprapubischen Blasenkatheter zu sehen. Das DIMDI habe diese Auffassung bestätigt.

Dem ist die Beklagte entgegen getreten und hat unter Bezugnahme auf ein Gutachten des MDK vom 26. Juli 2011 ausgeführt, es sei zwischen der Erkrankung (als Ursache von Symptomen) und der Ursache der Erkrankung zu unterscheiden. Dass die Erkrankung "Harnwegsinfektion" konkret genannt sei, gebe ihr bei korrekter Auslegung der DKR den Vorrang gegenüber T83.5 aus dem Kapitel " Folgen äußerer Ursachen". Die dokumentierten, zum Aufnahmezeitpunkt vorliegenden und die Aufnahme veranlassenden Symptome würden die konkrete Zuordnung der Lokalisation der Harnwegsinfektion ermöglichen, sodass die spezifische Kodierung mit der Hauptdiagnose N30.0 (akute Zystitis) vorgenommen werden könne.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholen eines ärztlichen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Innere Medizin, Dr. Hans-Peter Volkmann. In seinem Gutachten vom 1. April 2012 kommt der gerichtlich bestellte Sachverständige zu der Einschätzung, dass als Hauptdiagnose: T83.5 (Infektion und entzündliche Reaktion durch Prothese, Implantat oder Transplantat im Harntrakt) zu kodieren sei, weil diese Diagnose die bei dem Versicherten vorliegende Gesundheitsstörung - in Übereinstimmung mit den diesbezüglichen Vorgaben der Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) - deutlich spezifischer beschreibe als die von der Beklagten befürworteten Diagnosen. Die Diagnose T83.5 weise spezifischer auf das Vorliegen einer durch einen Verweilkatheter bedingten Komplikation in Bereich des Urogenitalbereichs hin, während die Diagnosen N30.0 bzw. N39.0 weder die Lokalisation der Harnwegsinfektion noch deren mögliche Ursachen beschreibe. Diese Auffassung werde gestützt durch die Kodierempfehlungen der DRG-Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie, der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Nephrologie und der Gesellschaft für Nephrologie.

Dagegen hat die Beklagte bezugnehmend auf das Gutachten des MDK vom 4. Juli 2012 eingewandt, dass die Kodierung N30.0 die Erkrankung deutlich konkreter und spezifischer als die Kodierung T83.5 bezeichne, sowohl was die Art der Infektion (akute Infektion) als auch die Lokalisation (Harnblase) angehe. Nach den DKR seien als Hauptdiagnose spezifischere Kodes aus den Organkapiteln den Kodes aus T80-T88 vorzuziehen. Bei Aufnahme des Patienten bei der Beklagten habe lediglich eine akute Zystitis vorgelegen. Spezifischer sei in diesem Fall der spezifische Kode für die Erkrankung. Die Begleitumstände der Erkrankung beschrieben zwar die näheren Umstände, beträfen aber gerade nicht die Erkrankung an sich, wie es von den DKR gefordert werde. Dem werde nur die N30.0 gerecht, die die Erkrankung (Infektion), deren Art (akute Infektion) und auch die Lokalisation (Harnblase) beschreibe.

Im Einverständnis der Beteiligten hat das Sozialgericht der Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2013 stattgegeben. Als Hauptdiagnose sei T83.5 zu kodieren. Unstreitig sei im vorliegenden Fall, dass sich die Kodierung der Hauptdiagnose daran auszurichten habe, welche Kodierung die Erkrankung am spezifischsten beschreibe. Dabei räume der MDK ein, dass die ursprünglich benannte Kodierung N39.0 (Harnwegsinfektion, Lokalisation nicht näher bezeichnet) unzutreffend gewesen sei. Nunmehr werde die Kodierung N30.0 (akute Zystitis) als zutreffende Kodierung angesehen. Das Gericht schließe sich der Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen an. Es sei schon bei stationärer Aufnahme des Patienten bekannt gewesen, dass ein liegender Blasenkatheter eingesetzt gewesen sei. Damit sei die Erkrankung lokalisiert gewesen. Diese Lokalisation halte das Gericht auch für genauer als die Lokalisation "Harnblase". Darüber hinaus erscheine zur Behandlung einer Erkrankung wesentlich, die Ursache für die Erkrankung zu erkennen. Auch eine "akute" Erkrankung habe eine Ursache. Im Gegensatz zur Diagnose N30.0 enthalte die Diagnose T83.5 den Hinweis auf die Ursache der Erkrankung. Das Gericht sehe daher die Diagnose T83.5 im vorliegenden Fall als Hauptdiagnose an.

Gegen das ihr am 18. Oktober 2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. November 2013 Berufung eingelegt.

Sie trägt vor, nach D002f der DKR, Version 2009, bezeichne der Begriff "nach Analyse" die Evaluation der Befunde des stationären Aufenthalts, um die Krankheit festzustellen, die hauptsächlich verantwortlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthalts gewesen sei. Dies sei hier die akute Zystitis gewesen; nicht maßgeblich für die Bestimmung der Hauptdiagnose sei die Ursache der Krankheit. T80-T88 komme als Hauptdiagnose nur dann in Betracht, wenn kein spezifischer Kode für die Erkrankung vorliege. Die N30.0 bilde das vorliegende Krankheitsbild zutreffend ab, Die durchgeführte Antibiose entspreche zweifelsfrei der allgemeinen Behandlung einer akuten Zystitis. Dass die Hauptdiagnose nicht zutreffend kodiert worden sei, zeige auch der Folgeaufenthalt des Versicherten in der Zeit vom 8. Oktober 2009 bis 19. Oktober 2009. In diesem Fall sei vom Krankenhaus wiederum T83.5 kodiert worden. In diesem Fall sei es allerdings korrekt gewesen, denn während des Aufenthalts habe der medizinische Sachverhalt anders gelegen. Die Klägerin habe den OPS 8-133.0 gemeldet "Wechsel und Entfernung eines suprapubischen Katheters". Hier habe sich keine spezifischere Kodiermöglichkeit ergeben. Nach dem eindeutigen Wortlaut forderten die Kodierrichtlinien 2009 die Kodierung der N30.0 als Hauptdiagnose. T83.5 stelle unspezifisch lediglich auf die Ursache der Erkrankung ab und sei für die Bestimmung der Hauptdiagnose ohne Relevanz. Hierzu beziehe sie – die Beklagte – sich auf ein Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 5. März 2013 (S 8 KR 103/11). Das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 14. September 2017 (L 1 KR 238/15) widerlege zudem die Argumentation der Klägerin.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 23. Mai 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält das Urteil für zutreffend und hat zur Begründung u.a. ein fachärztliches urologisches Sachverständigengutachten des Chefarztes der Klinik für Urologie und Kinderurologie des Klinikums Worms vom 12. Januar 2011 aus einem Verfahren vor dem Sozialgericht Mainz (S 14 KR 143/09) überreicht, wonach bei einer katheterassozierten Infektion der Kode T83.5 die spezifischste Abbildung des Krankheitsbildes und den meisten Informationsgehalt biete. Ein Katheter sei als Prothese, Implantat oder Transplantat im Harntrakt zu werten. Der Kode N39.0 biete nur eine geringe Aussagekraft und sei unzureichend. Sie bezieht sich ferner auf Entscheidungen der Sozialgerichte Mainz (S 14 KR 143/09) und Stralsund (S 3 KR 96/09) sowie eine Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (L 1 KR 238/15).

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten, die Patientenakte der Klägerin und die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 23. Mai 2013 ist zu Recht ergangen. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf die geltend gemachte Zahlung weiterer 1.526,68 EUR nebst Zinsen im beantragten Umfang für die Krankenhausbehandlung des Versicherten Z ... vom 5. August 2009 bis 11. August 2009 zu.

Die Klage war nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, da es sich bei der auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse um einen so genannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis handelt, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 28. November 2013 – B 3 KR 33/12 R – juris Rn. 9 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Der Klägerin stehen sowohl der noch geltend gemachte Vergütungsanspruch als auch die Zinsansprüche zu. Ihr ist aus der Behandlung des Versicherten ein Vergütungsanspruch gegen die Beklagte entstanden, der im Umfang von 1.526,68 EUR noch nicht erfüllt ist.

Die Klägerin erfüllte die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung, indem sie den Versicherten vom 5. August 2009 bis 11. August 2009 stationär behandelte. Die Zahlungsverpflichtung der Krankenversicherung entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 S 2 SGB V erforderlich ist (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2016 – B 1 KR 40/15 R – juris Rn. 10 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind zwischen den Beteiligten unstreitig erfüllt.

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin gegen die Beklagte geltend gemachten weiteren Vergütungsanspruch für die im Jahre 2009 erbrachten stationären Krankenhausleistungen ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V in der vom 1. Juli 2008 bis 31. Dezember 2015 geltenden Fassung i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG - in der vom 25. März 2009 bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung des Krankenhausfinanzierungsreformgesetz – KHRG – vom 17. März 2009; BGBl. I 534) und § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG in der vom 25. März 2009 bis 31. Juli 2012 geltenden Fassung sowie § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) in der vom 21. Dezember 2004 bis 7. November 2011 geltenden Fassung i.V.m. dem Fallpauschalen-Katalog der G-DRG-Version 2009 (Anlage 1 der FPV 2009) sowie dem am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen, zwischen der Krankenhausgesellschaft Sachsen e.V., zu deren Mitgliedern die Klägerin gehört, und der Beklagten geschlossenen Vereinbarung zu den allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB V (Vereinbarung nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB V).

Die Beklagte war nicht befugt, die Aufrechnung mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zur Erfüllung des Vergütungsanspruchs der Klägerin gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu erklären. Vorliegend sind die Voraussetzungen für eine Aufrechnung nicht erfüllt, weil der zur Aufrechnung gestellte Erstattungsanspruch der Beklagten nicht bestand. Denn die Klägerin hat zu Recht nach der DRG-Fallgruppe L69B abgerechnet. Zutreffend hat sie ihrer Abrechnung die Hauptdiagnose T83.5 zu Grunde gelegt.

Die Anwendung der DKR und der in der FPV enthaltenen Abrechnungsbestimmungen einschließlich des ICD-10-GM und des OPS ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Diese sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (st. Rspr. z.B. BSG, Urteil vom 21. April 2015 – B 1 KR 8/15 R – juris Rn. 18 mit zahlreichen Nachweisen). Auch den in den DKR enthaltenen Erläuterungen zu den einzelnen Kodierrichtlinien kommt normative Wirkung zu, soweit sie ergänzende Regelungen enthalten (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2016, a.a.O., Rn. 14).

Nach D002f der DKR, Version 2009, wird Hauptdiagnose als die Diagnose definiert, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist. Bei der Festlegung der Hauptdiagnose haben die vorliegenden Kodierrichtlinien Vorrang vor allen anderen Richtlinien. Die in Tabelle 1 auf Seite 6 unter D002f genannten Kodes sind nur dann als Hauptdiagnose zu verschlüsseln, wenn kein spezifischerer Kode in Bezug auf die Erkrankung bzw. Störung existiert. Gleiches gilt für die Kategorien T80 bis T88.

Danach kommt T83.5 nur dann als Hauptdiagnose in Betracht, wenn kein spezifischerer Kode in Bezug auf die Erkrankung bzw. Störung existiert. N30.0 (akute Zystitis = Blasenentzündung) ist dem gegenüber jedoch unspezifischer, weil zwar die Erkrankung (Entzündung) und die Lokalisation im Harnsystem (Harnblase), nicht aber deren Ursache abgebildet wird. T83.5 ist insofern präziser (Infektion und entzündliche Reaktion durch Prothese, Implantat oder Transplantat im Harntrakt), weil neben der Erkrankung (Entzündung) auch die Ursache (durch Prothese, Implantat ) angegeben wird, wenn gleich die Lokalisation "im Harntrakt" geringfügig ungenauer ist.

Die Ausführungen der Beklagten zur korrekten Hauptdiagnose N30.0 sind schon deswegen unschlüssig, weil sie selbst beim Folgeaufenthalt des Versicherten im Oktober 2009 die Kodierung der Erkrankung desselben Versicherten durch die Klägerin mit T83.5 anerkannt hat. Sie bleibt eine Erklärung dafür schuldig, warum die Art und Weise der Behandlung (im August 2009: Antibiose; im Oktober 2009: Wechsel und Entfernung eines suprapubischen Katheters) bei derselben Erkrankung eine anderen medizinischen Sachverhalt im Hinblick auf die Kodierung der Hauptdiagnose darstellen soll.

Soweit die Beklagte vorbringt, dass es sich bei einem liegenden suprapubischen Katheter, einem Verweilkatheter, weder um eine Prothese noch um ein Implantat oder ein Transplantat handele, kann dem nicht gefolgt werden (a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. September 2017 – L 1 KR 238/15 – juris).

Dies ergibt sich zum einen ohne weiteres aus der Systematik der Kodes des Kapitels T83.-, die Komplikationen durch Prothesen, Implantate oder Transplantate im Urogenitaltrakt bezeichnen, weil unter T.83.0 sogleich als erstes "Mechanische Komplikationen durch einen Harnwegskatheter (Verweilkatheter)" genannt wird. Damit folgt aus der systematischen Stellung der spezifischeren Diagnosen T83.0 " Harnwegskatheter " und T83.1 "mechanische Komplikationen durch sonstige Geräte oder Implantate im Harntrakt", dass ein Harnwegskatheter (Verweilkatheter) als Prothese, Implantat oder Transplantat in Sinne dieses Kapitels anzusehen ist. Zum anderen wird Prothese als künstliches Ersatzstück von Körperteilen, das Implantat als Bezeichnung für Stoffe und Teile, die zur Erfüllung bestimmter Ersatzfunktionen für eine begrenzten Zeitraum oder auf Lebenszeit in den menschlichen Körper eingebracht werden, bezeichnet (jeweils Pschyrembel, 245. Aufl. 2014). Unter beide Begriffe lässt sich der beim Versicherten vorhandene suprapubische Blasenkatheter subsumieren. Dem entsprechend hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 25. Mai 2016 – L 1 KR 177/11 – dem im dortigen Verfahren eingeholten Gutachten von Dr. Volkmann folgend entschieden, dass ein Dauerkatheter als Prothese, Implantat oder Transplantat anzusehen ist, so dass auch im dortigen Verfahren T83.5 als spezifischere (Neben)Diagnose gegenüber N39.0 angesehen worden ist.

Soweit das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 14. September 2017 (L 1 KR 238/15, a.a.O. Rn. 37) eine am allgemeinen Sprachgebrauch angelehnte Auslegung nach dem Wortlaut vornimmt und meint, die systematische Stellung der T83.0 verweise auf einen relevanten Unterschied zur Kapitelüberschrift T83.-, ist dies nicht nachvollziehbar. Denn nach der Systematik der ICD-10-GM stellen die jeweiligen Unterziffern stets einen Unterfall der Kapitelüberschriften dar. So folgt beispielsweise unter der Überschrift "N30.- Zystitis" die akute Zystitis (N30.0), die interstitielle Zystitis (N30.1), die sonstige chronische Zystitis (N30.2) und so fort. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diese Systematik im Kapitel XIX T85.- anders beurteilt werden müsste.

Aus den Speziellen Kodierrichtlinien ergibt sich nichts anderes.

Der von der Beklagten ursprünglich ins Feld geführten Kodierempfehlung Nr. 212 der SEG 4 kann schon wegen des Vorrangs der DKR bei der Festlegung der Hauptdiagnose keinerlei Bedeutung zukommen.

Der Zinsanspruch beruht auf § 13 Abs. 3 der Vereinbarung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1, 3 Satz 1 und § 47 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz.

-
Rechtskraft
Aus
Saved