L 1 KR 66/18 B

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 KR 224/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 66/18 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach § 411 Abs. 2 Satz 1 ZPO setzt voraus, dass der Sachverständige zwei Fristen versäumt hat: zuerst die gemäß § 411 Abs. 1 ZPO in der Beweisanordnung oder in einem späteren gerichtlichen Schreiben gesetzte Frist zur Übermittlung des schriftlichen Gutachtens und zum zweiten die nach § 411 Abs. 2 Satz 2 ZPO gesetzte Nachfrist.
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 18. Januar 2017 aufgehoben.

II. Die Staatskasse trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers des Beschwerdeverfahrens. Im Übrigen werden keine Kosten erhoben.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen ein ihm auferlegtes Ordnungsgeld.

In einem Rechtsstreit zur Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung hat das Sozialgericht Leipzig den Beschwerdeführer mit Beweisanordnung vom 16. Februar 2015 gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt. Weder in der Beweisanordnung vom 16. Februar 2015 noch in dem Anschreiben dazu hat das Sozialgericht eine Frist gesetzt oder einen Zeitraum benannt, in dem das Sachverständigengutachten zu erstellen sei.

Im Juni und Juli 2015 ergingen Erinnerungsschreiben an den Sachverständigen, im September und November 2015 sowie Januar 2016 jeweils mit dem Zusatz "Sie hatten eine Vorlage bis " angekündigt. Mit gerichtlichem Schreiben vom 5. April 2016 wurde an die Erledigung des Gutachtensauftrages zum 6. Mal erinnert; es solle laut Schreiben des Beschwerdeführers bis 10. Februar 2016 fertiggestellt werden. Mit richterlichem Schreiben vom 17. Juni 2016 wurde um umgehende Nachreichung des Gutachtens gebeten. Im August 2016 wurde beim Beschwerdeführer angefragt, wann definitiv mit der Gutachtenerstellung gerechnet werden könne, im Februar 2017 nochmals um umgehende Vorlage gebeten und im Mai 2017 angefragt, wann mit Eingang des Gutachtens gerechnet werden könne. Der Beschwerdeführer teilte immer wieder Termine mit, zu denen er das Gutachten vorlegen werde.

Mit Schreiben vom 3. August 2017 hat der Kammervorsitzende dem Beschwerdeführer "zur Erstellung und Übersendung des Gutachtens eine Nachfrist bis 10.09.2017 gesetzt" und im Falle der Nichtvorlage des Gutachtens die Festsetzung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 1.000,00 EUR gemäß § 118 SGG i.V.m. § 411 Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) angekündigt. Auch auf dieses Schreiben hat der Beschwerdeführer – wie bereits mehrfach zuvor – mitgeteilt, dass das Gutachten bis zum 10. September 2017 eingehen werde; er bitte die Verspätung zu entschuldigen.

Mit Beschluss vom 18. Januar 2018 hat das Sozialgericht gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR festgesetzt (Ziffer I.), zugleich eine weitere Nachfrist bis zum 1. März 2017 gesetzt und ein erneutes Ordnungsgeld in Höhe von 3.000,00 EUR angekündigt (Ziffer II.).

Am 6. Februar 2018 hat der Beschwerdeführer gegen den ihm am 26. Januar 2018 zugestellten Beschluss Beschwerde eingelegt aufgrund akuter Veränderungen seiner familiären Lebensumstände durch lebensbedrohlichen Gesundheitszustand seiner Frau nach Komplikation und Notoperation und bestehender Pflegebedürftigkeit seit April 2017. Erst im September 2017 habe auch er eine schwere Erkrankung überwunden. Er werde den neu festgesetzten Termin für die Erstellung des Gutachtens einhalten. Sodann hat er Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit vom 15. Mai bis 4. September 2017 und die ärztliche Bestätigung einer 24-Stunden-Betreuung seiner Ehefrau für drei Monate ab 17. Mai 2017.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 18. Januar 2018 aufzuheben.

Bis dato ist kein Gutachten beim Sozialgericht Leipzig eingegangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens wird auf den Inhalt der Gerichtskate im Beschwerdeverfahren verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 172, 173 SGG statthafte und zulässige Beschwerde ist begründet.

Der Ordnungsgeldbeschluss vom 18. Januar 2018 ist aufzuheben, weil die formellen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes (noch) nicht vorlagen.

Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 2 Satz 1 ZPO (in der seit 15. Oktober 2016 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Gerichtskostengesetzes vom 11. Oktober 2016; BGBl. I S. 2222 (n.F.)) soll ein Ordnungsgeld festgesetzt werden, wenn ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist versäumt. Dementsprechend sieht § 411 Abs. 1 ZPO n.F. nunmehr in der seit 15. Oktober 2016 geltenden Fassung auch zwingend vor, dass das Gericht eine Frist setzt, innerhalb derer der Sachverständigen das von ihm unterschriebene schriftliche Gutachten zu übermitteln hat. Bis 15. Oktober 2016 bestimmte § 411 Abs. 1 ZPO a.F. lediglich, das Gericht solle eine Frist setzen. Während § 411 Abs. 2 Satz 1 ZPO a.F. die Festsetzung eines Ordnungsgeldes für den Fall der Fristversäumnis noch in das Ermessen des Gerichts stellte, soll nunmehr bei versäumter Vorlagefrist ein Ordnungsgeld festgesetzt werden.

Voraussetzung für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen einen Sachverständigen war und ist nach dem Gesetzeswortlaut stets, dass dem Sachverständigen das Ordnungsgeld unter Setzung einer Nachfrist angedroht wurde (§ 411 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. und n.F.). Daher ist in einem zweistufigen Verfahren vorzugehen (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG), Beschluss vom 21. Dezember 2017 – L 7 SB 100/17 B – juris, Rn. 14): Zunächst ist gemäß § 411 Abs. 1 Satz 1 ZPO bei der Anordnung einer schriftlicher Begutachtung dem Sachverständigen eine Frist zu setzen, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat (1. Stufe). Erst wenn die Frist zur Erstattung des Gutachtens versäumt wurde, soll ein Ordnungsgeld festgesetzt werden, wenn dies vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht worden ist (2. Stufe). Denn nur wenn der Sachverständige die erste Frist versäumt hat, kann ihm eine Nachfrist unter Androhung eines Ordnungsgeldes gesetzt werden (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 411 ZPO Rn. 8; LSG Sachsen-Anhalt, a.a.O., Rn. 16; Oberlandesgericht (OLG) München, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 28 W 19/17 – Rn. 21; Bayrisches LSG, Beschluss vom 6. Februar 2014 – L 2 R 466/12 – Rn. 15; OLG Koblenz, Beschluss vom 20. Januar 2014 – 3 W 695/13 – Rn. 7; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 2. August 2012 7 W 26/12 – Rn. 5; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. März 2012 – L 27 P 84/10 B – Rn. 3, alle juris).

Vorliegend fehlt es an einer wirksamen Nachfristsetzung zur Übermittlung des Gutachtens.

Das Sozialgericht hat dem Beschwerdeführer weder in der Beweisanordnung vom 16. Februar 2015 selbst noch im Anschreiben dazu, noch in den zahlreichen Sachstandsanfragen eine Frist zur Übermittlung des beauftragten schriftlichen Gutachtens gesetzt. Auch in der Formulierung, um "umgehende" Nachreichung bzw. Gutachtenerstellung werde gebeten, in den gerichtlichen Schrieben vom 17. Juni 2016 und vom 3. Februar 2017 ist – abgesehen von der lediglich geäußerten Bitte – keine konkrete Fristsetzung zu sehen. Die übrigen Erinnerungen erfüllen ebenfalls mangels Fristsetzung nicht die Voraussetzungen des § 411 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F ... Erstmals mit dem Schreiben vom 3. August 2017 hat das Sozialgericht gegenüber dem Beschwerdeführer eine Frist zur Übersendung des Gutachtens bis zum 10. September 2017 gesetzt.

Zwar hat das Sozialgericht dem Beschwerdeführer in diesem Schreiben eine "Nachfrist" gesetzt. Tatsächlich erfolgte im Schreiben vom 3. August 2017 allerdings die erste Fristsetzung gemäß § 411 Abs. 1 ZPO. Somit fehlt es an einer wirksamen Nachfristsetzung gemäß § 411 Abs. 2 Satz 2 ZPO.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass inzwischen die formellen Voraussetzungen für eine Festsetzung von Ordnungsgeld vorliegen, weil der Beschwerdeführer auch die weitere Frist am 1. März 2018 hat verstreichen lassen und immer noch kein schriftliches Gutachten beim Sozialgericht Leipzig vorliegt.

Eine Kostenentscheidung hat zu ergehen (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 8. November 2012 – L 7 AS 1065/11 – m.w.N.) und beruht auf entsprechender Anwendung des § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach demjenigen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen sind, der unterliegt bzw. der ohne Erfolg ein Rechtsmittel einlegt. § 197a SGG ist anzuwenden, weil der Beschwerdeführer als Sachverständiger nicht zu dem kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört (Leitherer in Meyer-Ladewig/-Keller/¬Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 176 Rn. 5). Von der Erhebung von Gerichtskosten ist gemäß § 21 Gerichtskostengesetz (GKG) abzusehen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).

Klotzbücher Stinshoff Wagner
Rechtskraft
Aus
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