Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 20 KR 1130/04
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 441/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 26. Februar 2007 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger das Arzneimittel Dronabinol zukünftig als Sachleistung zu gewähren hat.
Der 1982 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger erlitt am 17. April 2003 als Wehrdienstleistender auf dem Heimweg einen Verkehrsunfall. Vom 19. April bis 25. August 2003 und vom 1. September bis 12. November 2003 befand er sich in stationärer Behandlung in der W.-W.-Klinik Schwerpunktklinikum Zentrum für Rückenmarkverletzte. Im Entlassungsbericht vom 11. November 2003 werden u.a. folgende Diagnosen genannt: Querschnittslähmung, motorisch inkomplett unterhalb C6, komplett unterhalb C7, sensibel inkomplett unterhalb C7, komplett unterhalb Th3, Kachexie und Spastik der Extremitäten. Durch eine hochkalorische Ernährung habe der initial deutlich untergewichtige Kläger während der ersten Wochen des stationären Aufenthaltes merklich an Gewicht zunehmen können. Die therapeutischen Maßnahmen seien rezidivierend von Phasen mit deutlich vermehrtem spastischem Tonus behindert worden. Unter oraler spasmolytischer Medikation habe sich nur eine ungenügende Spastikreduktion ergeben. Am 31. Juli 2003 sei zur Vorbereitung einer eventuellen Implantation einer Baclofenpumpe ein intrathekaler Probebolus mit Lioresal durchgeführt worden. Nachfolgend habe jedoch keine zufrieden stellende Reduktion der Spastik verzeichnet werden können. Der weitere stationäre Verlauf sei geprägt gewesen von vermehrten Phasen mit jetzt deutlich verstärkter Spastik. Die medikamentöse spasmolytische Therapie sei forciert worden, letztendlich habe ein kompensierter Status der Spastik bestanden.
Im Januar 2004 ging bei der Beklagten eine privatärztliche Verordnung der Fachärztin für Allgemeinmedizin K. vom 30. Dezember 2003 für Dronabinol-Tropfen wegen spastischer Querschnittslähmung ein. Therapieziel sei die Reduzierung der Spastik. Die üblichen Therapiemöglichkeiten hätten diese nicht beeinflussen können. Sie verweist auf den Entlassungsbericht der W.-W.-Klinik vom 11. November 2003.
Bei Dronabinol handelt es sich um ein aus der Hanfpflanze gewonnenes Cannabinoid, das in der Bundesrepublik Deutschland in Form von Kapseln, Tropfen oder als ölige Lösung in Apotheken erhältlich ist. In den USA ist der Wirkstoff als Fertigarzneimittel unter dem Namen Marinol® für die Indikationen Anorexie mit Gewichtsverlust bei Aids-Patienten, Übelkeit und Erbrechen bei Krebs-Chemotherapiepatienten, die nicht auf eine adäquate Therapie mit konventionellen Antiemetika ansprechen, zugelassen.
Nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Thüringen e. V. (MDK) vom 29. Januar 2004 ist eine Empfehlung zur Versorgung des Klägers mit Dronabinol-Tropfen nicht möglich, weil die Schwere der Erkrankung und die hieraus resultierende Lebensbeeinträchtigung und Pflegebedürftigkeit nicht primär auf dem schweren spastischen Syndrom gründen und darüber hinaus bisher die Wirksamkeit des Inhaltsstoffes Tetrahydrocannabinol in ausreichend validierten und kontrollierten Studien bei schweren spastischen Syndromen nicht hinreichend belegt werden konnte.
Mit Bescheid vom 10. März 2004 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für Dronabinol-Tropfen ab. Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger einen Bericht der W.-W.-Klinik vom 15. März 2004 vor. Danach konnte mit den Medikamenten Lioresal und Dantamacrin keine ausreichende Spastikreduzierung erzielt werden. Vorübergehend habe er Diazepam erhalten. Dieses Medikament sei aufgrund der möglichen Abhängigkeitserzeugung für die Dauerbehandlung nicht geeignet. Neben der erheblichen spinalen Spastik bestehe auch eine ausgeprägte Kachexie. Der Kläger wiege aktuell bei einer Körpergröße von 185 Zentimetern, 43,9 Kilogramm. Der Einsatz von Dronabinol zur Appetitstimulation sei durch klinische Studien mit einem hohen Evidenzgrad belegt. Sollte bei dem Kläger ein weiterer Gewichtsverlust auftreten, könne dies zu einer lebensbedrohlichen Situation führen. Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Im Klageverfahren hat die Beklagte die Antwort der Bundesregierung vom 12. Januar 2004 auf eine kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Bundesdrucksache 15/2331), eine Auskunft des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen - Arbeitsausschuss Arzneimittel - vom 24. Oktober 2003 und des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 10. April 2006 sowie ein weiteres Gutachten des MDK vom 14. August 2006 vorgelegt; der Kläger hat einen Bericht der W.-W.-Klinik vom 31. Januar 2006 eingereicht. Das Sozialgericht hat eine Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 20. Oktober 2004 und einen Befundbericht der W.-W.-Klinik vom 19. Mai 2006 beigezogen. Danach erfolgt der Einsatz von Dronabinol derzeit noch als Off-Label-Use, d.h. als individueller Heilversuch außerhalb amtlich zugelassener Indikationen. Ein Zusammenhang zwischen der Kachexie und der Spastik bestehe insofern, als die heftigen spastischen Muskelanspannungen und Bewegungen, auch wenn sie ohne wirkliche Kontrolle des Betroffenen erfolgten, dennoch wie jede willkürliche Muskelaktivität mit einem definierten Kalorienverbrauch einhergingen. Bei geringer Nahrungsmittelzufuhr (im Rahmen der Esstörung) und großer körperlicher Aktivität (der Spastik) resultiere bei dem Kläger aufgrund der negativen Energiebilanz eine Gewichtsreduktion, die bei ihm das Ausmaß der Kachexie erreiche. Die Spastik sei nicht lebensbedrohlich in dem Sinne, dass sie unbehandelt zum Tod führe, sie stelle jedoch ein erhebliches Risiko für die Restgesundheit dar. Im Frühjahr 2004 sei zusätzlich eine Infiltrationsbehandlung mit Botulinumtoxin vorgenommen worden, die die Spastik der besonders betroffenen Muskelgruppe im Bereich des Oberschenkels deutlich reduziert habe. Auch nach Abschluss dieser Behandlung sei jedoch die orale antispastische Medikation mit Dantamacrin und Dronabinol aufrechterhalten worden. Die Kachexie sei insofern lebensbedrohlich, als der Kläger keinerlei Reserven habe, um Erkrankungen, die ein normalgewichtiger Mensch "wegstecke", zu überstehen und, da er förmlich nur aus Haut und Knochen bestehe, ein erhebliches Dekubitusrisiko in sich berge. Grundsätzlich gebe es noch die Möglichkeit des Einsatzes von Anabolika, um eine Gewichtszunahme herbeizuführen, darüber hinaus auch die Zufuhr von Nahrungsergänzungsmitteln. Diese wirkten sich jedoch nicht auf den Appetit aus, was Voraussetzung dafür sei, dass dem Stoffwechsel die zur Gewichtszunahme erforderlichen Nährstoffe überhaupt zugeführt werden. Vorrangige Intention bei der Verordnung von Dronabinol sei jedoch nicht die Inappetenz, sondern die Spastikdämpfung gewesen.
Mit Urteil vom 26. Februar 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, der Kläger könne eine Versorgung mit Dronabinol weder nach den Grundsätzen des so genannten Off-Label-Use noch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beanspruchen.
Im Berufungsverfahren vertritt der Kläger die Ansicht, die Voraussetzungen für die Versorgung mit Dronabinol lägen vor. Hinsichtlich dessen Einsatzes zur Appetitstimulation lägen Studien mit hohem Evidenzgrad vor. Im Rahmen der Spastik seien sämtliche anderen Behandlungsalternativen erfolglos ausgeschöpft worden. Aufgrund der Datenlage bestehe die begründete Aussicht, dass mit Dronabinol ein Behandlungserfolg hinsichtlich der Kachexie erzielt werden könne. Bezüglich der Spastiken lägen ebenfalls auf hohem Evidenzniveau basierende Studien vor. Der Freistaat Thüringen - Thüringer Landesverwaltungsamt - habe die Kosten für die Versorgung mit Dronabinol Tropfen nach § 18 Abs. 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) i.V.m. § 89 BVG bisher und jedenfalls bis Ende April 2011 übernommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 26. Februar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Dronabinol ab dem 1. Mai 2011 in dem ärztlich verordneten Umfang als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und auf die Gründe des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. März 2007 - Az.: B 1 KR 30/06 R. Nach der Stellungnahme des MDK vom 20. November 2008 komme bei einer Spastik in erster Linie Physiotherapie als Behandlung zum Einsatz. Daneben werde die orale antispastische Therapie medikamentös geführt. Das Medikament Tizanidin, das zur Standardtherapie gehöre, sei bisher bei dem Kläger nicht eingesetzt worden. Die Wirksamkeit der Gabe von Dronabinol bei Spastik sei in großen Studien nicht nachweisbar gewesen.
Der Kläger hat den Entlassungsbericht der W.-W.-K. vom 10. Januar 2008 über die stationäre Behandlung vom 17. September bis zum 14. November 2007 aktuell wegen einer Druckstelle am linken Sitzbein eingereicht, nach dem er mit einer entlastenden Lagerungstherapie, einer Hyperalimentation sowie Steroidgabe behandelt worden ist. Unter der Therapie ist es zur konservativen Ulcusabheilung sowie zu einer Zunahme des Körpergewichtes von 34 auf 42 Kilogramm gekommen. Der Senat hat einen Befundbericht der Dipl.-Med. K. vom 15. September 2008 mit Anlagen sowie den Bericht der Zentralklinik B. B. vom 5. Oktober 2004 über die stationäre Behandlung vom 6. August bis 7. Oktober 2004 beigezogen. Danach erfolgte eine notfallmäßige Aufnahme wegen schmerzhafter Spastik der unteren Extremitäten, vor allem des linken Beines. Nach initialer Applikation von Faustan (Diazepam) ist eine deutliche Minderung der Spastik und der initial geschilderten Schmerzen zu verzeichnen gewesen. Am 24. August 2004 erfolgte eine Injektion von 80E Botox in den linken Unterschenkel. Die hinzugezogene Psychologin äußert den Verdacht einer psychischen Fehlentwicklung der Krankheitsverarbeitung. Derzeit bestehe jedoch keine Krankheitseinsicht und folglich würden jegliche Therapieangebote abgelehnt. Nach dem Bericht der Klinik für Neuro-Urologie vom 9. September 2004 hat sich im Rahmen des neuro-psychiatrischen Konsiliargespräches am 1. April 2004 der deutlich untergewichtige Klage vorgestellt. Hinsichtlich dieser Problematik zeigte er sich bei guter Compliance im Gesprächsverlauf eher nicht einsichtig und wolle auch Möglichkeiten der pharmakologischen Beeinflussung durch appetitanregende Medikamente nicht wahrnehmen. Des Weiteren hat der Senat eine Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel (BfArM) vom 20. Januar 2011 und des Gemeinsamen Bundesausschusses Unterausschuss Arzneimittel vom 18. Februar 2011 eingeholt und den Beteiligten einen Auszug aus der Bundesdrucksache 17/4326 übersandt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Soweit die Klage im Berufungsverfahren nur noch auf eine künftige Leistung gerichtet ist, ist dies nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 259 der Zivilprozessordnung (ZPO) statthaft, weil die Besorgnis des Klägers gerechtfertigt ist, dass die Beklagte sich der rechtzeitigen Leistung entziehen wird (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juli 1990 - Az.: 4 RA 47/89, nach juris). Die Klage ist aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte muss ihm cannabinoidhaltige Arzneimittel künftig nicht als Sachleistung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gewähren.
Die Beklagte ist grundsätzlich nach § 27 Abs. 1 SGB V i. V. m. § 31 Abs. 1 SGB V zur ärztlichen Behandlung des bei ihr versicherten Klägers einschließlich der Versorgung mit den für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 SGB V und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistung, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Insoweit besteht nicht bereits dann eine Leistungspflicht der Beklagten, wenn die streitige Therapie von einzelnen Ärzten befürwortet wird (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - Az.: B 1 KR 27/02 R m.w.N., nach juris).
Es bedarf hier keiner Entscheidung darüber, ob Dronabinol als Fertigarzneimittel - so die Vorinstanz - oder als Rezepturarzneimittel - so das BSG - zu qualifizieren ist, weil es nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfasst ist.
Handelt es sich bei Dronabinol um ein Fertigarzneimittel im Sinne des § 4 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG), darf dieses nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG im Geltungsbereich des AMG nur in den Verkehr gebracht werden, wenn es durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen worden ist oder eine europaweite Zulassung erteilt worden wäre. Eine solche Arzneimittelzulassung liegt nach der Auskunft des BfArM vom 20. Januar 2011 weder in Deutschland noch europaweit vor. Die u.a. in den USA unter dem Handelsnamen Marinol erfolgte Zulassung von Dronabinol für die Behandlung chemotherapiebedingter Übelkeit sowie zur Kachexie und Appetitstimulation von Aidspatienten entfaltet nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland. Weder das deutsche Recht noch das Europarecht sehen eine solche Erweiterung der Rechtswirkungen der nur von nationalen Behörden erteilten Zulassungen ohne ein entsprechendes vom Hersteller eingeleitetes sowie positiv beschiedenes Antragsverfahren vor (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 - Az.: B 1 KR 21/02 R - Immmucothel -, nach juris). Damit käme mangels Zulassung von Dronabinol seine zulassungsüberschreitende Anwendung im Sinne des so genannten Off-Label-Use ebenfalls von vornherein nicht in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2004, a.a.O).
Nach dem Urteil des BSG vom 27. März 2007 - Az.: B 1 KR 30/06 R wird Dronabinol in Deutschland als Rezeptursubstanz hergestellt und an Apotheken geliefert. Die Verordnung ist - wie der Einzelimport nach § 73 Abs. 3 AMG - unter Beachtung des Betäubungsmittelrechts (insbesondere § 13 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) sowie Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG) betäubungsmittelrechtlich zulässig. Die Beklagte darf ihren Versicherten eine neuartige Therapie mit einem Rezepturarzneimittel, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss bisher nicht empfohlen ist, grundsätzlich nicht gewähren, weil sie an das Verbot des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V und die das Verbot konkretisierenden Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gebunden ist (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007, a.a.O., m.w.N.). Für die neuartige, vom Kläger begehrte Therapie der Spastiken bzw. der Kachexie mit Appetitstimuation fehlt es an den erforderlichen Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses.
Auch ein Ausnahmefall, in dem trotz fehlender Empfehlung eine neuartige Therapie nach der gesetzlichen Konzeption beansprucht werden kann, liegt nicht vor. Es bestehen hierfür weder Anhaltspunkte noch hat der Kläger vorgetragen, dass es sich bei der Spastik und Kachexie mit Appetitlosigkeit um einen so genannten Seltenheitsfall handelt, der sich systematischer Erforschung entzieht (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - Az.: B 1 KR 27/02 R - Visudyne -, nach juris). Die Voraussetzungen eines so genannten Systemversagens sind ebenfalls nicht erfüllt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 1 KR 24/06 R - Litt - , nach juris). Danach kann ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. In solchen Fällen ist die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben. Deshalb muss die Möglichkeit bestehen, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007, a.a.O., m.w.N.).
Ein Prüfantrag für cannabinoidhaltige Rezepturarzneimittel steht bei dem Gemeinsamen Bundesausschuss nach der Auskunft vom 16. Februar 2011 nicht zur Prüfung an, weil ein Antrag auf Zulassung für ein Arzneimittel, das Dronabinol enthält, beim BfArM gestellt worden ist. Dies ergibt sich auch aus der Bundestagsdrucksache 17/4326.
Ein Sachleistungsanspruch ist auch nicht ausnahmsweise unter Berücksichtigung der mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 entwickelten Grundsätze gerechtfertigt. Danach sind diejenigen Normen des SGB V, die einem verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf Arzneimittelversorgung entgegenstehen, verfassungskonform auszulegen. Eine solche Auslegung hat zur Folge, dass nicht nur die Anspruchsvoraussetzungen nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V und § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V, sondern auch Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ausnahmsweise bejaht werden müssen, obwohl das begehrte Arzneimittel bloß nach § 73 Abs. 3 AMG im Wege des Einzelimports über einen Apotheker aus dem Ausland beschafft werden kann und deshalb an sich von der Versorgung ausgeschlossen ist. Die verfassungskonforme Auslegung setzt aber voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl. hierzu, BSG, Urteil vom 4. April 2006 - Az.: B 1 KR 12/04 R - D-Ribose -, nach juris), bezüglich dieser Krankheit eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine "auf Indizien gestützte "nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (vgl. BSG, Urteil vom 4. April 2006 - Az.: B 1 KR 7/05 - Tomudex - m.w.N., nach juris).
Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche verlaufende Erkrankung für die eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, liegt nicht vor.
Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 27. März 2007, a.a.O.) ist mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenen Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist. Insoweit weist das BSG darauf hin, dass hieran weitergehende Folgen anknüpfen und sich ohne einschränkende Auslegung fast beliebig vom Gesetzgeber bewusst gezogene Grenzen überschreiten ließen. Entscheidend ist, dass das vom Bundesverfassungsgericht herangezogene Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit oder therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohliche Konsequenzen nach sich zieht. Dies kann aber nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu bestehende untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 2006 - Az.: B 1 KR 3/06 R - Neuropsychologische Therapie -, nach juris).
Insoweit hat das BSG bei der Beurteilung dieser Frage mit einbezogen, ob sich die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs schon in näherer oder erst in ganz ferner, noch nicht genau absehbarer Zeit zu konkretisieren droht (vgl. Urteil vom 14. Dezember 2006 - Az.: B 1 KR 14/06 R, nach juris) und eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik gefordert. Ähnliches hat es für den gegebenenfalls gleichzustellenden nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehoben Körperfunktionen erwogen.
Die behandelnden Ärzte in den W.-W.-Kliniken setzen bei dem Kläger Dronabinol-Tropfen zur Behandlung der schweren spinalen Spastik zusammen mit dem zugelassenen Medikament Dantrolen® (Dantamacrin) ein. In dem Befundbericht vom 19. Mai 2006 wird ausgeführt, dass es sich bei den Spastiken nicht um eine unmittelbar lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handelt. Diese können auch nicht mit einer solchen Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden.
Außerdem stehen andere medizinischem Standard entsprechende Behandlungsmethoden zur Behandlung zur Verfügung. Nach dem Gutachten des MDK vom 20. November 2008 ist Basis einer Spastikbehandlung eine lebenslange physiotherapeutische Behandlung. Dies dürfte zwischen den Beteiligten unstreitig sein. Daneben wird die orale antispastische Therapie medikamentös durchgeführt. Hierfür stehen für diese Indikation zugelassene Medikamente zur Verfügung. Teilweise haben diese nach den vorhandenen Entlassungsbriefen der W.-W.-Klinik im Jahr 2003 bei dem Kläger nicht zu der angestrebten Reduzierung der Spastik geführt. Mit dem Medikament Diazepam® ließ sich allerdings ein Behandlungserfolg erzielen (Entlassungsbericht der W.-W.-Klinik vom 15. März 2004 und der Zentralklinik Bad Berka vom 5. Oktober 2004). Eine Behandlung mit den Wirkstoffen Tizanidin und Tolperison (Gutachten des MDK vom 14. August 2006) lässt sich den vorhandenen Unterlagen nicht entnehmen, sodass diese Möglichkeiten dem Kläger noch offen stehen. Daneben erfolgen laut Entlassungsbericht der Zentralklinik B. B. vom 5. Oktober 2004 und dem Befundbericht der Dres. M. und F. vom 19. Mai 2006 Infiltrationsbehandlungen mit Botox. Es stehen also durchaus andere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Den weiteren Vortrag im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens, die Behandlung mit Dronabinol sei zur Appetitstimulation bei Kachexie notwendig, haben die behandelnden Ärzte des Klägers so nicht bestätigt. Nach dem Befundbericht der Dres. M. und F. vom 19. Mai 2006 war die vorrangige Intention bei der Verordnung von Dronabinol nicht die Appetitlosigkeit, sondern die Spastikdämpfung. Die Appetit anregende Wirkung von Dronabinol war lediglich ein erwünschter Begleiteffekt.
Die Kachexie führt bei dem Kläger zu lebensbedrohlichen Situationen. So lässt sich dem Entlassungsbericht der W.-W.-Klinik vom 10. Januar 2008 entnehmen, dass dieser mit einem Körpergewicht zwischen 34 und 37 Kilogramm in die stationäre Behandlung aufgenommen wurde. Eine Behandlung in diesen Situationen erfolgt jedoch nicht mit Dronabinol, sondern durch Insulingabe (Befundbericht vom 19. Mai 2006), Hyperalimentation und Steroidgabe (Entlassungsbericht der W.-W.-Klinik vom 10. Januar 2008). Der MDK verweist bereits in dem Gutachten vom 14. August 2006 darauf, dass zur Behandlung der Essstörung, eine hochkalorische Ernährung sowie eine psychiatrische Mitbetreuung medizinischer Standard ist. Es ist nicht ersichtlich und nicht vorgetragen, dass für die der Aufnahme hochkalorischer Nahrungsmittel vorausgehende wünschenswerte Appetitanregung keine anderen Medikamente zur Verfügung stehen. Laut Bericht der Klinik für Neuro-Urologie vom 9. September 2004 lehnte der Kläger die pharmakologische Beeinflussung seines Untergewichts durch appetitanregende Medikamente ab.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung und Erläuterung zur Prozesskostenhilfe
I. Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann nicht mit der Revision angefochten werden, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Landessozialgericht nicht zugelassen worden ist.
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision nur zu, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde muss von einem beim Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt werden.
Als Prozessbevollmächtigte sind zugelassen
1. Rechtsanwälte,
2. Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt,
3. selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zweck¬setzung für ihre Mitglieder,
4. berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
5. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
6. Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessen¬vertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
7. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nrn. 3 bis 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrich¬tung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organi¬sation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Die Organisationen zu Nrn. 3 bis 7 müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflege¬versicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Nrn. 1 bis 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten; er muss durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
Die Beschwerde ist schriftlich einzureichen. Sie muss innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim
Bundessozialgericht
Postfach 410 220 Graf-Bernadotte-Platz 5 34114 Kassel 34119 Kassel
eingehen.
Die Beschwerde kann auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundessozialgerichts mit qualifizierter elektronischer Signatur eingelegt und begründet werden. Die dafür erforderliche Zugangs- und Übertragungssoftware kann über die Internetseite "www.bundessozialgericht.de" lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Dort befinden sich auch Informationen hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen für eine Einreichung elektronischer Schriftsätze bei Gericht, für elektronische Zustellungen vom Gericht an einen festgelegten Personenkreis und über weitere Einzelheiten des Verfahrens.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten schriftlich zu begründen. In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, bezeichnet werden.
Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht und eine Verletzung des § 103 SGG nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Bei Zustellungen ins Ausland gilt anstelle der oben genannten Beschwerdeeinlegungsfrist von einem Monat eine Frist von drei Monaten und anstelle der oben genannten Beschwerdebegründungsfrist von zwei Monaten eine Frist von vier Monaten.
II. Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
Für das Beschwerdeverfahren kann Prozesskostenhilfe mit Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt werden.
Der Antrag kann von dem Beteiligten persönlich gestellt werden; er ist beim Bundessozialgericht schriftlich oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle zu stellen.
Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen; hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen Gerichten und ggf. durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.
Falls die Beschwerde nicht schon durch einen zugelassenen Bevollmächtigten eingelegt ist, müssen der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden Belegen bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung der Beschwerde (ein Monat nach Zustellung des Urteils) beim Bundessozialgericht eingehen.
Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen soll je eine Abschrift für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger das Arzneimittel Dronabinol zukünftig als Sachleistung zu gewähren hat.
Der 1982 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger erlitt am 17. April 2003 als Wehrdienstleistender auf dem Heimweg einen Verkehrsunfall. Vom 19. April bis 25. August 2003 und vom 1. September bis 12. November 2003 befand er sich in stationärer Behandlung in der W.-W.-Klinik Schwerpunktklinikum Zentrum für Rückenmarkverletzte. Im Entlassungsbericht vom 11. November 2003 werden u.a. folgende Diagnosen genannt: Querschnittslähmung, motorisch inkomplett unterhalb C6, komplett unterhalb C7, sensibel inkomplett unterhalb C7, komplett unterhalb Th3, Kachexie und Spastik der Extremitäten. Durch eine hochkalorische Ernährung habe der initial deutlich untergewichtige Kläger während der ersten Wochen des stationären Aufenthaltes merklich an Gewicht zunehmen können. Die therapeutischen Maßnahmen seien rezidivierend von Phasen mit deutlich vermehrtem spastischem Tonus behindert worden. Unter oraler spasmolytischer Medikation habe sich nur eine ungenügende Spastikreduktion ergeben. Am 31. Juli 2003 sei zur Vorbereitung einer eventuellen Implantation einer Baclofenpumpe ein intrathekaler Probebolus mit Lioresal durchgeführt worden. Nachfolgend habe jedoch keine zufrieden stellende Reduktion der Spastik verzeichnet werden können. Der weitere stationäre Verlauf sei geprägt gewesen von vermehrten Phasen mit jetzt deutlich verstärkter Spastik. Die medikamentöse spasmolytische Therapie sei forciert worden, letztendlich habe ein kompensierter Status der Spastik bestanden.
Im Januar 2004 ging bei der Beklagten eine privatärztliche Verordnung der Fachärztin für Allgemeinmedizin K. vom 30. Dezember 2003 für Dronabinol-Tropfen wegen spastischer Querschnittslähmung ein. Therapieziel sei die Reduzierung der Spastik. Die üblichen Therapiemöglichkeiten hätten diese nicht beeinflussen können. Sie verweist auf den Entlassungsbericht der W.-W.-Klinik vom 11. November 2003.
Bei Dronabinol handelt es sich um ein aus der Hanfpflanze gewonnenes Cannabinoid, das in der Bundesrepublik Deutschland in Form von Kapseln, Tropfen oder als ölige Lösung in Apotheken erhältlich ist. In den USA ist der Wirkstoff als Fertigarzneimittel unter dem Namen Marinol® für die Indikationen Anorexie mit Gewichtsverlust bei Aids-Patienten, Übelkeit und Erbrechen bei Krebs-Chemotherapiepatienten, die nicht auf eine adäquate Therapie mit konventionellen Antiemetika ansprechen, zugelassen.
Nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Thüringen e. V. (MDK) vom 29. Januar 2004 ist eine Empfehlung zur Versorgung des Klägers mit Dronabinol-Tropfen nicht möglich, weil die Schwere der Erkrankung und die hieraus resultierende Lebensbeeinträchtigung und Pflegebedürftigkeit nicht primär auf dem schweren spastischen Syndrom gründen und darüber hinaus bisher die Wirksamkeit des Inhaltsstoffes Tetrahydrocannabinol in ausreichend validierten und kontrollierten Studien bei schweren spastischen Syndromen nicht hinreichend belegt werden konnte.
Mit Bescheid vom 10. März 2004 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für Dronabinol-Tropfen ab. Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger einen Bericht der W.-W.-Klinik vom 15. März 2004 vor. Danach konnte mit den Medikamenten Lioresal und Dantamacrin keine ausreichende Spastikreduzierung erzielt werden. Vorübergehend habe er Diazepam erhalten. Dieses Medikament sei aufgrund der möglichen Abhängigkeitserzeugung für die Dauerbehandlung nicht geeignet. Neben der erheblichen spinalen Spastik bestehe auch eine ausgeprägte Kachexie. Der Kläger wiege aktuell bei einer Körpergröße von 185 Zentimetern, 43,9 Kilogramm. Der Einsatz von Dronabinol zur Appetitstimulation sei durch klinische Studien mit einem hohen Evidenzgrad belegt. Sollte bei dem Kläger ein weiterer Gewichtsverlust auftreten, könne dies zu einer lebensbedrohlichen Situation führen. Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Im Klageverfahren hat die Beklagte die Antwort der Bundesregierung vom 12. Januar 2004 auf eine kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Bundesdrucksache 15/2331), eine Auskunft des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen - Arbeitsausschuss Arzneimittel - vom 24. Oktober 2003 und des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 10. April 2006 sowie ein weiteres Gutachten des MDK vom 14. August 2006 vorgelegt; der Kläger hat einen Bericht der W.-W.-Klinik vom 31. Januar 2006 eingereicht. Das Sozialgericht hat eine Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 20. Oktober 2004 und einen Befundbericht der W.-W.-Klinik vom 19. Mai 2006 beigezogen. Danach erfolgt der Einsatz von Dronabinol derzeit noch als Off-Label-Use, d.h. als individueller Heilversuch außerhalb amtlich zugelassener Indikationen. Ein Zusammenhang zwischen der Kachexie und der Spastik bestehe insofern, als die heftigen spastischen Muskelanspannungen und Bewegungen, auch wenn sie ohne wirkliche Kontrolle des Betroffenen erfolgten, dennoch wie jede willkürliche Muskelaktivität mit einem definierten Kalorienverbrauch einhergingen. Bei geringer Nahrungsmittelzufuhr (im Rahmen der Esstörung) und großer körperlicher Aktivität (der Spastik) resultiere bei dem Kläger aufgrund der negativen Energiebilanz eine Gewichtsreduktion, die bei ihm das Ausmaß der Kachexie erreiche. Die Spastik sei nicht lebensbedrohlich in dem Sinne, dass sie unbehandelt zum Tod führe, sie stelle jedoch ein erhebliches Risiko für die Restgesundheit dar. Im Frühjahr 2004 sei zusätzlich eine Infiltrationsbehandlung mit Botulinumtoxin vorgenommen worden, die die Spastik der besonders betroffenen Muskelgruppe im Bereich des Oberschenkels deutlich reduziert habe. Auch nach Abschluss dieser Behandlung sei jedoch die orale antispastische Medikation mit Dantamacrin und Dronabinol aufrechterhalten worden. Die Kachexie sei insofern lebensbedrohlich, als der Kläger keinerlei Reserven habe, um Erkrankungen, die ein normalgewichtiger Mensch "wegstecke", zu überstehen und, da er förmlich nur aus Haut und Knochen bestehe, ein erhebliches Dekubitusrisiko in sich berge. Grundsätzlich gebe es noch die Möglichkeit des Einsatzes von Anabolika, um eine Gewichtszunahme herbeizuführen, darüber hinaus auch die Zufuhr von Nahrungsergänzungsmitteln. Diese wirkten sich jedoch nicht auf den Appetit aus, was Voraussetzung dafür sei, dass dem Stoffwechsel die zur Gewichtszunahme erforderlichen Nährstoffe überhaupt zugeführt werden. Vorrangige Intention bei der Verordnung von Dronabinol sei jedoch nicht die Inappetenz, sondern die Spastikdämpfung gewesen.
Mit Urteil vom 26. Februar 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, der Kläger könne eine Versorgung mit Dronabinol weder nach den Grundsätzen des so genannten Off-Label-Use noch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beanspruchen.
Im Berufungsverfahren vertritt der Kläger die Ansicht, die Voraussetzungen für die Versorgung mit Dronabinol lägen vor. Hinsichtlich dessen Einsatzes zur Appetitstimulation lägen Studien mit hohem Evidenzgrad vor. Im Rahmen der Spastik seien sämtliche anderen Behandlungsalternativen erfolglos ausgeschöpft worden. Aufgrund der Datenlage bestehe die begründete Aussicht, dass mit Dronabinol ein Behandlungserfolg hinsichtlich der Kachexie erzielt werden könne. Bezüglich der Spastiken lägen ebenfalls auf hohem Evidenzniveau basierende Studien vor. Der Freistaat Thüringen - Thüringer Landesverwaltungsamt - habe die Kosten für die Versorgung mit Dronabinol Tropfen nach § 18 Abs. 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) i.V.m. § 89 BVG bisher und jedenfalls bis Ende April 2011 übernommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 26. Februar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Dronabinol ab dem 1. Mai 2011 in dem ärztlich verordneten Umfang als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und auf die Gründe des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. März 2007 - Az.: B 1 KR 30/06 R. Nach der Stellungnahme des MDK vom 20. November 2008 komme bei einer Spastik in erster Linie Physiotherapie als Behandlung zum Einsatz. Daneben werde die orale antispastische Therapie medikamentös geführt. Das Medikament Tizanidin, das zur Standardtherapie gehöre, sei bisher bei dem Kläger nicht eingesetzt worden. Die Wirksamkeit der Gabe von Dronabinol bei Spastik sei in großen Studien nicht nachweisbar gewesen.
Der Kläger hat den Entlassungsbericht der W.-W.-K. vom 10. Januar 2008 über die stationäre Behandlung vom 17. September bis zum 14. November 2007 aktuell wegen einer Druckstelle am linken Sitzbein eingereicht, nach dem er mit einer entlastenden Lagerungstherapie, einer Hyperalimentation sowie Steroidgabe behandelt worden ist. Unter der Therapie ist es zur konservativen Ulcusabheilung sowie zu einer Zunahme des Körpergewichtes von 34 auf 42 Kilogramm gekommen. Der Senat hat einen Befundbericht der Dipl.-Med. K. vom 15. September 2008 mit Anlagen sowie den Bericht der Zentralklinik B. B. vom 5. Oktober 2004 über die stationäre Behandlung vom 6. August bis 7. Oktober 2004 beigezogen. Danach erfolgte eine notfallmäßige Aufnahme wegen schmerzhafter Spastik der unteren Extremitäten, vor allem des linken Beines. Nach initialer Applikation von Faustan (Diazepam) ist eine deutliche Minderung der Spastik und der initial geschilderten Schmerzen zu verzeichnen gewesen. Am 24. August 2004 erfolgte eine Injektion von 80E Botox in den linken Unterschenkel. Die hinzugezogene Psychologin äußert den Verdacht einer psychischen Fehlentwicklung der Krankheitsverarbeitung. Derzeit bestehe jedoch keine Krankheitseinsicht und folglich würden jegliche Therapieangebote abgelehnt. Nach dem Bericht der Klinik für Neuro-Urologie vom 9. September 2004 hat sich im Rahmen des neuro-psychiatrischen Konsiliargespräches am 1. April 2004 der deutlich untergewichtige Klage vorgestellt. Hinsichtlich dieser Problematik zeigte er sich bei guter Compliance im Gesprächsverlauf eher nicht einsichtig und wolle auch Möglichkeiten der pharmakologischen Beeinflussung durch appetitanregende Medikamente nicht wahrnehmen. Des Weiteren hat der Senat eine Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel (BfArM) vom 20. Januar 2011 und des Gemeinsamen Bundesausschusses Unterausschuss Arzneimittel vom 18. Februar 2011 eingeholt und den Beteiligten einen Auszug aus der Bundesdrucksache 17/4326 übersandt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Soweit die Klage im Berufungsverfahren nur noch auf eine künftige Leistung gerichtet ist, ist dies nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 259 der Zivilprozessordnung (ZPO) statthaft, weil die Besorgnis des Klägers gerechtfertigt ist, dass die Beklagte sich der rechtzeitigen Leistung entziehen wird (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juli 1990 - Az.: 4 RA 47/89, nach juris). Die Klage ist aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte muss ihm cannabinoidhaltige Arzneimittel künftig nicht als Sachleistung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gewähren.
Die Beklagte ist grundsätzlich nach § 27 Abs. 1 SGB V i. V. m. § 31 Abs. 1 SGB V zur ärztlichen Behandlung des bei ihr versicherten Klägers einschließlich der Versorgung mit den für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 SGB V und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistung, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Insoweit besteht nicht bereits dann eine Leistungspflicht der Beklagten, wenn die streitige Therapie von einzelnen Ärzten befürwortet wird (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - Az.: B 1 KR 27/02 R m.w.N., nach juris).
Es bedarf hier keiner Entscheidung darüber, ob Dronabinol als Fertigarzneimittel - so die Vorinstanz - oder als Rezepturarzneimittel - so das BSG - zu qualifizieren ist, weil es nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfasst ist.
Handelt es sich bei Dronabinol um ein Fertigarzneimittel im Sinne des § 4 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG), darf dieses nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG im Geltungsbereich des AMG nur in den Verkehr gebracht werden, wenn es durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen worden ist oder eine europaweite Zulassung erteilt worden wäre. Eine solche Arzneimittelzulassung liegt nach der Auskunft des BfArM vom 20. Januar 2011 weder in Deutschland noch europaweit vor. Die u.a. in den USA unter dem Handelsnamen Marinol erfolgte Zulassung von Dronabinol für die Behandlung chemotherapiebedingter Übelkeit sowie zur Kachexie und Appetitstimulation von Aidspatienten entfaltet nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland. Weder das deutsche Recht noch das Europarecht sehen eine solche Erweiterung der Rechtswirkungen der nur von nationalen Behörden erteilten Zulassungen ohne ein entsprechendes vom Hersteller eingeleitetes sowie positiv beschiedenes Antragsverfahren vor (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 - Az.: B 1 KR 21/02 R - Immmucothel -, nach juris). Damit käme mangels Zulassung von Dronabinol seine zulassungsüberschreitende Anwendung im Sinne des so genannten Off-Label-Use ebenfalls von vornherein nicht in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2004, a.a.O).
Nach dem Urteil des BSG vom 27. März 2007 - Az.: B 1 KR 30/06 R wird Dronabinol in Deutschland als Rezeptursubstanz hergestellt und an Apotheken geliefert. Die Verordnung ist - wie der Einzelimport nach § 73 Abs. 3 AMG - unter Beachtung des Betäubungsmittelrechts (insbesondere § 13 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) sowie Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG) betäubungsmittelrechtlich zulässig. Die Beklagte darf ihren Versicherten eine neuartige Therapie mit einem Rezepturarzneimittel, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss bisher nicht empfohlen ist, grundsätzlich nicht gewähren, weil sie an das Verbot des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V und die das Verbot konkretisierenden Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gebunden ist (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007, a.a.O., m.w.N.). Für die neuartige, vom Kläger begehrte Therapie der Spastiken bzw. der Kachexie mit Appetitstimuation fehlt es an den erforderlichen Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses.
Auch ein Ausnahmefall, in dem trotz fehlender Empfehlung eine neuartige Therapie nach der gesetzlichen Konzeption beansprucht werden kann, liegt nicht vor. Es bestehen hierfür weder Anhaltspunkte noch hat der Kläger vorgetragen, dass es sich bei der Spastik und Kachexie mit Appetitlosigkeit um einen so genannten Seltenheitsfall handelt, der sich systematischer Erforschung entzieht (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - Az.: B 1 KR 27/02 R - Visudyne -, nach juris). Die Voraussetzungen eines so genannten Systemversagens sind ebenfalls nicht erfüllt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 1 KR 24/06 R - Litt - , nach juris). Danach kann ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. In solchen Fällen ist die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben. Deshalb muss die Möglichkeit bestehen, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007, a.a.O., m.w.N.).
Ein Prüfantrag für cannabinoidhaltige Rezepturarzneimittel steht bei dem Gemeinsamen Bundesausschuss nach der Auskunft vom 16. Februar 2011 nicht zur Prüfung an, weil ein Antrag auf Zulassung für ein Arzneimittel, das Dronabinol enthält, beim BfArM gestellt worden ist. Dies ergibt sich auch aus der Bundestagsdrucksache 17/4326.
Ein Sachleistungsanspruch ist auch nicht ausnahmsweise unter Berücksichtigung der mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 entwickelten Grundsätze gerechtfertigt. Danach sind diejenigen Normen des SGB V, die einem verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf Arzneimittelversorgung entgegenstehen, verfassungskonform auszulegen. Eine solche Auslegung hat zur Folge, dass nicht nur die Anspruchsvoraussetzungen nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V und § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V, sondern auch Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ausnahmsweise bejaht werden müssen, obwohl das begehrte Arzneimittel bloß nach § 73 Abs. 3 AMG im Wege des Einzelimports über einen Apotheker aus dem Ausland beschafft werden kann und deshalb an sich von der Versorgung ausgeschlossen ist. Die verfassungskonforme Auslegung setzt aber voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl. hierzu, BSG, Urteil vom 4. April 2006 - Az.: B 1 KR 12/04 R - D-Ribose -, nach juris), bezüglich dieser Krankheit eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine "auf Indizien gestützte "nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (vgl. BSG, Urteil vom 4. April 2006 - Az.: B 1 KR 7/05 - Tomudex - m.w.N., nach juris).
Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche verlaufende Erkrankung für die eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, liegt nicht vor.
Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 27. März 2007, a.a.O.) ist mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenen Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist. Insoweit weist das BSG darauf hin, dass hieran weitergehende Folgen anknüpfen und sich ohne einschränkende Auslegung fast beliebig vom Gesetzgeber bewusst gezogene Grenzen überschreiten ließen. Entscheidend ist, dass das vom Bundesverfassungsgericht herangezogene Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit oder therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohliche Konsequenzen nach sich zieht. Dies kann aber nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu bestehende untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 2006 - Az.: B 1 KR 3/06 R - Neuropsychologische Therapie -, nach juris).
Insoweit hat das BSG bei der Beurteilung dieser Frage mit einbezogen, ob sich die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs schon in näherer oder erst in ganz ferner, noch nicht genau absehbarer Zeit zu konkretisieren droht (vgl. Urteil vom 14. Dezember 2006 - Az.: B 1 KR 14/06 R, nach juris) und eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik gefordert. Ähnliches hat es für den gegebenenfalls gleichzustellenden nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehoben Körperfunktionen erwogen.
Die behandelnden Ärzte in den W.-W.-Kliniken setzen bei dem Kläger Dronabinol-Tropfen zur Behandlung der schweren spinalen Spastik zusammen mit dem zugelassenen Medikament Dantrolen® (Dantamacrin) ein. In dem Befundbericht vom 19. Mai 2006 wird ausgeführt, dass es sich bei den Spastiken nicht um eine unmittelbar lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handelt. Diese können auch nicht mit einer solchen Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden.
Außerdem stehen andere medizinischem Standard entsprechende Behandlungsmethoden zur Behandlung zur Verfügung. Nach dem Gutachten des MDK vom 20. November 2008 ist Basis einer Spastikbehandlung eine lebenslange physiotherapeutische Behandlung. Dies dürfte zwischen den Beteiligten unstreitig sein. Daneben wird die orale antispastische Therapie medikamentös durchgeführt. Hierfür stehen für diese Indikation zugelassene Medikamente zur Verfügung. Teilweise haben diese nach den vorhandenen Entlassungsbriefen der W.-W.-Klinik im Jahr 2003 bei dem Kläger nicht zu der angestrebten Reduzierung der Spastik geführt. Mit dem Medikament Diazepam® ließ sich allerdings ein Behandlungserfolg erzielen (Entlassungsbericht der W.-W.-Klinik vom 15. März 2004 und der Zentralklinik Bad Berka vom 5. Oktober 2004). Eine Behandlung mit den Wirkstoffen Tizanidin und Tolperison (Gutachten des MDK vom 14. August 2006) lässt sich den vorhandenen Unterlagen nicht entnehmen, sodass diese Möglichkeiten dem Kläger noch offen stehen. Daneben erfolgen laut Entlassungsbericht der Zentralklinik B. B. vom 5. Oktober 2004 und dem Befundbericht der Dres. M. und F. vom 19. Mai 2006 Infiltrationsbehandlungen mit Botox. Es stehen also durchaus andere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Den weiteren Vortrag im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens, die Behandlung mit Dronabinol sei zur Appetitstimulation bei Kachexie notwendig, haben die behandelnden Ärzte des Klägers so nicht bestätigt. Nach dem Befundbericht der Dres. M. und F. vom 19. Mai 2006 war die vorrangige Intention bei der Verordnung von Dronabinol nicht die Appetitlosigkeit, sondern die Spastikdämpfung. Die Appetit anregende Wirkung von Dronabinol war lediglich ein erwünschter Begleiteffekt.
Die Kachexie führt bei dem Kläger zu lebensbedrohlichen Situationen. So lässt sich dem Entlassungsbericht der W.-W.-Klinik vom 10. Januar 2008 entnehmen, dass dieser mit einem Körpergewicht zwischen 34 und 37 Kilogramm in die stationäre Behandlung aufgenommen wurde. Eine Behandlung in diesen Situationen erfolgt jedoch nicht mit Dronabinol, sondern durch Insulingabe (Befundbericht vom 19. Mai 2006), Hyperalimentation und Steroidgabe (Entlassungsbericht der W.-W.-Klinik vom 10. Januar 2008). Der MDK verweist bereits in dem Gutachten vom 14. August 2006 darauf, dass zur Behandlung der Essstörung, eine hochkalorische Ernährung sowie eine psychiatrische Mitbetreuung medizinischer Standard ist. Es ist nicht ersichtlich und nicht vorgetragen, dass für die der Aufnahme hochkalorischer Nahrungsmittel vorausgehende wünschenswerte Appetitanregung keine anderen Medikamente zur Verfügung stehen. Laut Bericht der Klinik für Neuro-Urologie vom 9. September 2004 lehnte der Kläger die pharmakologische Beeinflussung seines Untergewichts durch appetitanregende Medikamente ab.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung und Erläuterung zur Prozesskostenhilfe
I. Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann nicht mit der Revision angefochten werden, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Landessozialgericht nicht zugelassen worden ist.
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision nur zu, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde muss von einem beim Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt werden.
Als Prozessbevollmächtigte sind zugelassen
1. Rechtsanwälte,
2. Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt,
3. selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zweck¬setzung für ihre Mitglieder,
4. berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
5. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
6. Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessen¬vertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
7. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nrn. 3 bis 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrich¬tung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organi¬sation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Die Organisationen zu Nrn. 3 bis 7 müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflege¬versicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Nrn. 1 bis 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten; er muss durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
Die Beschwerde ist schriftlich einzureichen. Sie muss innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim
Bundessozialgericht
Postfach 410 220 Graf-Bernadotte-Platz 5 34114 Kassel 34119 Kassel
eingehen.
Die Beschwerde kann auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundessozialgerichts mit qualifizierter elektronischer Signatur eingelegt und begründet werden. Die dafür erforderliche Zugangs- und Übertragungssoftware kann über die Internetseite "www.bundessozialgericht.de" lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Dort befinden sich auch Informationen hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen für eine Einreichung elektronischer Schriftsätze bei Gericht, für elektronische Zustellungen vom Gericht an einen festgelegten Personenkreis und über weitere Einzelheiten des Verfahrens.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten schriftlich zu begründen. In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, bezeichnet werden.
Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht und eine Verletzung des § 103 SGG nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Bei Zustellungen ins Ausland gilt anstelle der oben genannten Beschwerdeeinlegungsfrist von einem Monat eine Frist von drei Monaten und anstelle der oben genannten Beschwerdebegründungsfrist von zwei Monaten eine Frist von vier Monaten.
II. Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
Für das Beschwerdeverfahren kann Prozesskostenhilfe mit Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt werden.
Der Antrag kann von dem Beteiligten persönlich gestellt werden; er ist beim Bundessozialgericht schriftlich oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle zu stellen.
Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen; hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen Gerichten und ggf. durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.
Falls die Beschwerde nicht schon durch einen zugelassenen Bevollmächtigten eingelegt ist, müssen der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden Belegen bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung der Beschwerde (ein Monat nach Zustellung des Urteils) beim Bundessozialgericht eingehen.
Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen soll je eine Abschrift für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.
Rechtskraft
Aus
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