Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 20 KR 132/04
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 439/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei § 27a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V kommt eine Zusammenrechnung von zwei unterschiedlichen Behandlungsmethoden zur künstlichen Befruchtung (hier: In-Vitro-Fertilisation und Intracytoplasmatische Spermieninjektion ) nicht in Betracht.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 28. Februar 2007 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für eine Maßnahme der künstlichen Befruchtung mittels Intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI).
Die 1966 geborene, bei der Beklagten versicherte Klägerin beantragte am 9. April 2003 eine Kostenzusage für die Durchführung einer weiteren ICSI-Behandlung zwecks Herbeiführung einer Schwangerschaft. Ihr Frauenarzt befürwortete in seiner Stellungnahme vom 16. April 2003 gegenüber der Beklagten die Durchführung eines weiteren Behandlungszyklus. Zwar seien bereits zwei In-Vitro-Fertilisationen (IVF) sowie zwei Intracytoplasmatische Spermien-injektionen (ICSI) durchgeführt worden, dennoch könne eine positive Prognose hinsichtlich eines weiteren Behandlungszyklus abgegeben werden. Nach Auswertung der bisherigen Behandlungsversuche stehe fest, dass mit Ausnahme des einen ICSI-Behandlungszyklus nie die Voraussetzungen für den Eintritt einer Schwangerschaft bestanden hätten. Daher sei es sinnvoll, mit den Behandlungsmaßnahmen fortzufahren. Die Beklagte schaltete daraufhin den MDK ein. Dieser kam in seiner Stellungnahme vom 12. Juni 2003 zu dem Ergebnis, dass im Fall der Klägerin vier vollständig durchgeführte Behandlungszyklen vorliegen würden. Nach den Richtlinien seien damit die Möglichkeiten zur Behandlung zu Lasten der GKV ausgeschöpft. Aus medizinischer Sicht sei bei der vorliegenden extrem schlechten Befruchtungsrate von einer weit unterdurchschnittlichen Erfolgsaussicht weiterer Behandlungen auszugehen. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Juni 2003 die Kostenübernahme für eine weitere ICSI-Behandlung ab.
Hiergegen legte die Klägerin am 8. Juli 2003 Widerspruch ein. Zur Begründung verwies sie auf ein Schreiben der Laborärzte L. vom 4. Juli 2003, wonach in ihrem Fall eine sogenannte aktive Immunmodulationstherapie durchgeführt worden sei.
Der beantragte dritte Behandlungszyklus ICSI wurde beginnend mit einer privatärztlichen Verordnung vom 16. Juli 2003 durchgeführt; es entstanden Gesamtkosten in Höhe von 4.671,53 EUR.
Der erneut um Begutachtung gebetene MDK stellte in seiner Stellungnahme vom 14. Juli 2003 fest, dass die Immunisierung mit den Lymphozyten des Ehemannes eine Behandlung ist, die sich im experimentellen Stadium befindet und daher nicht Bestandteil der Richtlinien sei. Aufgrund der Ergebnisse der vorausgegangenen fünf Behandlungszyklen könne nach wie vor nicht von einer hinreichenden Erfolgsaussicht ausgegangen werden. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Juli 2003 erneut die Kostenübernahme einer weiteren ICSI-Behandlung ab.
Hiergegen legte die Klägerin am 5. August 2003 Widerspruch ein und verwies zur Begründung auf ein Schreiben ihres behandelnden Frauenarztes, wonach die zunächst durchgeführten Behandlungszyklen im IVF-Verfahren nach dem seinerzeitigen Kenntnisstand korrekt gewesen seien. Nunmehr habe sich herausgestellt, dass eine subtilere Fertilisationsstörung vorliege, welche mit einem üblichen Spermiogramm nicht zu erfassen gewesen sei. Daher sei auf das Verfahren ICSI umgestellt worden und dies habe auch tatsächlich zu einer Befruchtung der Eizellen geführt. Damit sei der Nachweis gegeben, dass bei dem Ehepaar die Grundlage für eine Schwangerschaft vorhanden sei. Dass es bei einem ICSI-Verfahren zu keiner Befruchtung komme, sei nicht weiter außergewöhnlich. Entscheidend sei, dass es sich um einen gangbaren Weg handele. Der eigentliche Behandlungsbeginn sei auf den Beginn der ICSI-Maßnahme zu datieren. Die IVF-Methode sei von Anfang an nicht geeignet gewesen, das Grundproblem zu beseitigen. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen sei nach § 27a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) auf vier abgeschlossene Therapieversuche begrenzt, wobei vorher abgebrochene Behandlungen nicht berücksichtigt würden. Nach den Feststellungen des MDK sei eine entsprechende Anzahl von Therapieversuchen erfolglos unternommen worden. Das Vorliegen eines medizinisch begründeten Ausnahmefalles habe dieser verneint.
Hiergegen hat die Klägerin am 10. November 2003 beim Sozialgericht Meiningen Klage erhoben. Dieses hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 9. Dezember 2003 an das Sozialgericht Gotha verwiesen. Mit Urteil vom 28. Februar 2007 hat dieses Sozialgericht die Bescheide der Beklagten vom 19. Juni 2003 und vom 22. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 2003 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Kosten für die durchgeführte ICSI (dritter Behandlungszyklus) dem Grunde nach zu übernehmen. Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die selbst beschaffte Behandlung sei § 13 Abs. 3 Alternative 2 SGB V. Die Voraussetzungen dieser Norm lägen vor. Nach § 27a Abs. 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung sei die Beklagte verpflichtet, die Kosten für den dritten ICSI-Behandlungszyklus zu übernehmen. Zwischen den Beteiligten sei lediglich streitig, ob die Maßnahme im Sinne des § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V viermal ohne Erfolg durchgeführt worden sei. Die bei der Klägerin bis zum Jahr 2003 durchgeführten zwei IVF- und ICSI-Behandlungen könnten nicht zusammengerechnet werden, denn es handele sich um unterschiedliche Behandlungsmethoden zur künstlichen Befruchtung. Die ICSI-Behandlung gehöre nach den Richtlinien über künstliche Befruchtungen in der Fassung vom 26. Februar 2002 zu den von der Krankenkasse zu übernehmenden Maßnahmen der künstlichen Befruchtung. Sowohl in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als auch in den Richtlinien zur künstlichen Befruchtung werde zwischen den verschiedenen Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung unterschieden. Eine Zusammenrechnung der Maßnahmen sei im Hinblick auf die unterschiedliche Indikation für die jeweilige Maßnahme nicht möglich. Im Jahre 2003 hätten daher unter Berücksichtigung der in den Richtlinien zur künstlichen Befruchtung genannten Kriterien hinreichende Erfolgsaussichten bezüglich des dritten Behandlungsversuches mit ICSI bestanden.
Gegen das ihr am 4. April 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25. April 2007 Berufung eingelegt. Allein entscheidungserheblich sei die Frage, ob unterschiedliche Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nach der gesetzlichen Vorschrift des § 27a SGB V zu addieren seien oder nicht. Das Sozialgericht sei der Auffassung, dass unterschiedliche Methoden einer Zusammenrechnung mit der Folge des gesetzlichen Leistungsausschlusses für weitere Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nicht zugänglich seien. Diese Rechtsansicht finde in der Gesetzesnorm keine Stütze. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift werde zwischen den verschiedenen Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nicht differenziert. Das Gesetz spreche ganz allgemein von "medizinischen Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft". Der Gesetzgeber habe bewusst den Versicherten eine Bandbreite an möglichen Therapien unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts zur Verfügung stellen wollen. Es sei widersprüchlich, wenn das Urteil einerseits beide Maßnahmen der künstlichen Befruchtung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung charakterisiere, aber im Hinblick auf die Anzahl der zu finanzierenden Versuche eine Zusammenzählung ablehne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 28. Februar 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Ihr behandelnder Frauenarzt habe nach zwei erfolglosen ICSI-Behandlungen noch Erfolgschancen gesehen; deshalb habe sie die Durchführung eines dritten ICSI-Behandlungszyklus beantragt. Unabhängig von der Ablehnung der Beklagten hätten sie sich dann entschieden, den dritten Behandlungszyklus auf Grund der positiven Prognosen der Ärzte zu starten. Am 30. April 2004 habe sie gesunde Zwillinge geboren.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang, die Gegenstand der Beratung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der notwendigen Kosten für einen dritten ICSI-Behandlungszyklus. Anspruchsgrundlage ist § 13 Abs. 3 SGB V. Danach sind dem Versicherten Kosten zu erstatten, die dadurch entstehen, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann (Alternative 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alternative 2) und der Versicherte sich deshalb die Leistung selbst beschafft.
Als Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die selbst beschaffte Leistung kommt nur § 13 Abs. 3 Alternative 2 SGB V in Betracht. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. nur BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 - Az.: B 1 KR 21/02 R, zitiert nach juris). Der für einen Anspruch auf Kostenerstattung erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der Ablehnung und der Kostenlast des Versicherten ist gegeben. Ein Anspruch nach § 13 Abs. 3 Alternative 2 SGB V ist ausgeschlossen, wenn die Entscheidung der Krankenkasse das weitere Geschehen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme einer Leistung nicht mehr beeinflussen konnte, weil der Betroffene sich bereits unabhängig vom Verhalten seiner Krankenkasse endgültig auf eine bestimmte Leistungsform festgelegt hatte. Vor einer Inanspruchnahme einer Behandlung außerhalb des Sachleistungssystems ist der Versicherte grundsätzlich gehalten, sich an seine Krankenkasse zu wenden und die Leistungsgewährung zu beantragen und die Entscheidung der Krankenkasse darüber abzuwarten (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2005 - Az.: B 1 KR 3/04 R, zitiert nach juris). Diese Voraussetzung ist vorliegend gegeben. Die Klägerin hat sich das erste Privatrezept erst nach Erlass des ablehnenden Bescheides der Beklagten, welcher am 22. Juni 2003 erging, am 16. Juli 2003 ausstellen lassen. Dass die Beklagte auf den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. Juni 2003 hin am 22. Juli 2003 erneut einen ablehnenden Bescheid erließ, kann in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. Ausreichend ist insoweit die ablehnende Entscheidung vom 19. Juni 2003.
Im Zeitpunkt der Leistungsverschaffung ab dem 16. Juli 2003 hatte die Klägerin einen Anspruch auf Leistungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mittels ICSI nach Maßgabe des § 27a SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung in Verbindung mit den Richtlinien über künstliche Befruchtung in der Fassung vom 26. Februar 2002 (Bundesanzeiger Nr. 92 vom 22. Mai 2002, in Kraft getreten am 1. Juli 2002). Nach § 27a Abs. 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn 1. diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind, 2. nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht in der Regel nicht mehr, wenn die Maßnahme vier Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist, 3. die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind, 4. ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und 5. sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach § 121a erteilt worden ist.
Entscheidungserheblich für den vorliegenden Fall ist allein, ob die Maßnahme im Sinne des § 27a Abs. 1 Nr. 2 2.Halbsatz SGB V vier Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist. Nach dem Akteninhalt hatte sich die Klägerin vor Beantragung des hier in Rede stehenden dritten ICSI-Behandlungszyklus bereits zwei IVF-Behandlungen und zwei ICSI-Behandlungen erfolglos unterzogen. Eine Zusammenrechnung dieser beiden unterschiedlichen Behandlungsmethoden zur künstlichen Befruchtung kommt nicht in Betracht. Soweit § 27a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V eine hinreichende Aussicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft verneint, wenn die Maßnahme vier Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist, so ist die vorgegebene Obergrenze dahin gehend zu verstehen, dass damit eine bestimmte Methode zur künstlichen Befruchtung gemeint ist und nicht unterschiedliche Methoden zur künstlichen Befruchtung zusammengefasst werden sollten.
Diese Auslegung der Vorschrift des § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und den weiteren Auslegungskriterien.
Der Wortlaut des § 27a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V verneint in der Regel eine hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn "die Maßnahme vier Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist". An dieser Stelle hat der Gesetzgeber ausdrücklich den Singular verwandt, so dass der singuläre Begriff der Maßnahme sich auf eine bestimmte Behandlungsmethode bezieht. Ansonsten wird in § 27a Abs. 1 SGB V immer von "medizinischen Maßnahmen" gesprochen. Der Gesetzgeber verwendet an diesen Stellen bewusst den Plural.
Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. § 27a SGB V ist durch das KOV-Anpassungsgesetz vom 26. Juni 1990 (KOV-AnpG 1990 BGBl. I S. 1211) in das SGB V eingefügt worden. Gemäß § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V sollte ein Anspruch auf Zurverfügungstellung dieser Maßnahmen nur bestehen, wenn die Maßnahmen mit hinreichender Erfolgsaussicht zu einer Schwangerschaft führen. Grund für die zahlenmäßige Begrenzung in § 27a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V war für den Gesetzgeber, dass nach medizinischen Erkenntnissen die Erfolgsaussichten nach vier vergeblichen Versuchen deutlich (z.B. bei Follikelpunktion mit anschließendem Embryotransfer von 47 Prozent beim ersten Versuch auf 7 Prozent beim vierten Versuch) zurückgehen (vgl. BT-Drs. 11/6760 S. 15). Das in der Gesetzesbegründung gewählte Beispiel belegt, dass der Gesetzgeber die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht auf die jeweilige künstliche Befruchtungsmethode bezogen festlegen wollte. Diese Auffassung wird durch die spätere Änderung von § 27a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190) bestätigt. Danach besteht eine hinreichende Aussicht auf Erfolg nicht mehr, wenn die Maßnahme drei Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist. Die Regelvermutung wurde abgeschafft und zugleich die Zahl der zu übernehmenden Behandlungen auf drei begrenzt. Grund für die Neufassung war nach der Gesetzesbegründung eine Begrenzung der Ausgaben für künstliche Befruchtungen auf Fälle medizinischer Notwendigkeit. Der Gesetzgeber ging insoweit von der Richtlinie über die künstliche Befruchtung, erlassen vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, aus und verwies darauf, dass eine hinreichende Erfolgsaussicht nach diesen Richtlinien für die jeweilige Behandlungsmaßnahme in der Regel dann nicht bestehe, wenn sie bei der In-Vitro-Fertilisation (Nr. 10.3) bis zu vier Mal vollständig durchgeführt worden sei, ohne dass eine klinisch nachgewiesene Schwangerschaft eingetreten ist (vgl. BT-Drs. 1525 S. 83). Der Gesetzgeber hat insoweit an Ziffer 8 der Richtlinie über die künstliche Befruchtung angeknüpft, in dessen Satz 2 zahlenmäßige Vorgaben für die höchstzulässige Zahl der Durchführung jeweils bezogen auf bestimmte Behandlungsmaßnahmen erfolgt sind. Diese Anknüpfung zeigt, dass die zahlenmäßige Begrenzung sich auf eine bestimmte Behandlungsmaßnahme im Rahmen der künstlichen Befruchtung und nicht generell auf alle Behandlungsmöglichkeiten bezieht. Dies verdeutlicht zudem, dass es sich bei der Verwendung des Singular in § 27 a Abs.1 Nr.2 2. Halbsatz SGB V nicht um ein Versehen handelt. Es hätte nahegelegen, ein solches im Rahmen der Gesetzesänderung, welche die Leistungspflicht der GKV begrenzen sollte, zu bereinigen.
Auch die systematische Auslegung spricht für dieses Ergebnis. § 27a Abs. 2 Satz 2 SGB V nimmt andere Inseminationen vom Anwendungsbereich des § 27 a Abs. 1 Nr. 2 SGB V ausdrücklich aus. Dies verdeutlicht, dass der Gesetzgeber die hinreichende Aussicht auf Erfolg bezogen auf die jeweilige Behandlungsmaßnahme festgelegt haben will.
Nicht zuletzt spricht auch der Sinn und Zweck des § 27a SGB V dafür, eine Zusammenrechnung aller durchgeführten Maßnahmen nicht zuzulassen. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, Ehepaaren einen Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung im homologen System einzuräumen. Der Gesetzgeber hat sich dabei entschlossen, nicht bestimmte Maßnahmen vorzugeben, sondern die Vorschrift des § 27a SGB V offenzuhalten. So heißt es in der Gesetzesbegründung ausdrücklich, dass mit der Vorschrift Maßnahmen der künstlichen Befruchtung (insbesondere Inseminationsbehandlung, In-Vitro-Fertilisation mit Embryotransfer, Intratubarer Gametentransfer) in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden sollen (vgl. BT-Drs. 11/6760 S. 14). Folglich hat auch das Bundessozialgericht später entschieden, dass der Ausschluss der Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung in den Richtlinien über künstliche Befruchtung gegen die Vorgaben des § 27a SGB V verstößt (vgl. BSG, Urteil vom 3. April 2001 - Az.: B 1 KR 40/00 R, BSGE 88,62-75).
Weiter ist zu beachten, dass die bei diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen zu beachtenden Qualitätskriterien des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V für die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung durch § 27a SGB V modifiziert werden. Während ansonsten eine neue Behandlungsmethode nicht dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne von § 2 Abs.1 S.3 SGB V entspricht, solange ihre Wirkungen und Risiken noch der Überprüfung bedürfen, ist dieser Standard im Rahmen der künstlichen Befruchtung jedenfalls nicht in gleicher Weise anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juni 2011- Az.: B 1 KR 18/10 R, zitiert nach juris). Der ansonsten erforderliche Wirksamkeitsnachweis ist bei Methoden der künstlichen Befruchtung nicht im herkömmlichen Sinne zu führen. So führt z.B. ein Embryotransfer günstigstenfalls in einem Viertel der Fälle zu einer Schwangerschaft (vgl. BSG, Urteil vom 3. April 2001 - Az.: B 1 KR 40/00 R, zitiert nach juris Rn.24). Viele Methoden der künstlichen Befruchtung würden den üblichen Anforderungen an Behandlungsmaßnahmen zum Beispiel hinsichtlich des verlangten therapeutischen Nutzens nicht standhalten. Angesichts der nicht unerheblichen Risiken hat sich der Gesetzgeber entschlossen, den Versicherten zu verpflichten, sich vor Durchführung der Maßnahmen, von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über die medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte beraten zu lassen (§ 27 a Abs.1 Nr.5 SGB V). Ohne diese Beratung ist eine Kostenübernahme ausgeschlossen. Nach der Gesetzesbegründung soll die Leistungspflicht der GKV nur davon abhängen, dass der Arzt das Ehepaar über die Risiken unterrichtet (vgl. BT-Drs. 11/6760 S.15). Daraus folgert das Bundessozialgericht, dass es abweichend von den Grundsätzen des Leistungsrechts der Entscheidung der Eheleute überlassen bleibt, ob der Kinderwunsch trotz der bestehenden Risiken und der mäßigen Erfolgsaussichten weiter verfolgt wird (vgl. BSG, Urteil vom 3. April 2001 - Az.: B 1 KR 40/00 R, zitiert nach juris Rn.27).Vor diesem Hintergrund macht es durchaus Sinn, hinsichtlich der Höchstzahl der zu übernehmenden Behandlungen auf die jeweilige Maßnahme der künstlichen Befruchtung und nicht auf alle Methoden insgesamt abzustellen. Bei einer Zusammenrechnung aller Methoden der künstlichen Befruchtung im Rahmen des § 27a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V würde die gesetzgeberische Entscheidung, den gesetzlich Versicherten grundsätzlich alle Methoden der künstlichen Befruchtung als Sachleistung zur Verfügung zu stellen, unterlaufen.
Dies führt nicht zu einer uferlosen Ausdehnung von Leistungsansprüchen Versicherter. Nach der Konzeption des Gesetzes hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nach § 27 a Abs.4 SGB V i.V.m. § 92 Abs.1 S.2 Nr.10 SGB V die Aufgabe, im Einzelnen festzulegen, in welchen Fällen die jeweilige Methode der künstlichen Befruchtung zu Lasten der GKV angewandt werden kann. Entsprechend hat der Bundesausschuss in Ziffer 11 der Richtlinie über künstliche Befruchtung in der hier maßgebenden ab 1. Juli 2002 geltenden Fassung medizinische Indikationen für die einzelnen Methoden festgelegt. Damit ist es ausgeschlossen, dass die verschiedenen Methoden ohne medizinische Indikation hintereinander auf Kosten der GKV zur Anwendung gelangen.
Die Richtlinien über die künstliche Befruchtung gehen ausweislich Ziffer 8 Satz 2 von einem derartigen Verständnis der Vorschrift des § 27a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V aus. In Ziffer 8 S.2 der Richtlinie wird bezüglich der hinreichenden Erfolgsaussicht für die jeweilige Behandlungsmaßnahme an die einzelne Methode angeknüpft. Zwar verbleibt dem Richtliniengeber, soweit der gesetzliche Regelungsgehalt reicht, kein Gestaltungsspielraum. Dennoch ist festzuhalten, dass der Richtliniengeber die Vorschrift ebenfalls in diesem Sinne interpretiert. Daher waren hinreichende Erfolgsaussichten hinsichtlich eines dritten ICSI Behandlungszyklus zu bejahen und die Beklagte hat die notwendigen Kosten zu übernehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für eine Maßnahme der künstlichen Befruchtung mittels Intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI).
Die 1966 geborene, bei der Beklagten versicherte Klägerin beantragte am 9. April 2003 eine Kostenzusage für die Durchführung einer weiteren ICSI-Behandlung zwecks Herbeiführung einer Schwangerschaft. Ihr Frauenarzt befürwortete in seiner Stellungnahme vom 16. April 2003 gegenüber der Beklagten die Durchführung eines weiteren Behandlungszyklus. Zwar seien bereits zwei In-Vitro-Fertilisationen (IVF) sowie zwei Intracytoplasmatische Spermien-injektionen (ICSI) durchgeführt worden, dennoch könne eine positive Prognose hinsichtlich eines weiteren Behandlungszyklus abgegeben werden. Nach Auswertung der bisherigen Behandlungsversuche stehe fest, dass mit Ausnahme des einen ICSI-Behandlungszyklus nie die Voraussetzungen für den Eintritt einer Schwangerschaft bestanden hätten. Daher sei es sinnvoll, mit den Behandlungsmaßnahmen fortzufahren. Die Beklagte schaltete daraufhin den MDK ein. Dieser kam in seiner Stellungnahme vom 12. Juni 2003 zu dem Ergebnis, dass im Fall der Klägerin vier vollständig durchgeführte Behandlungszyklen vorliegen würden. Nach den Richtlinien seien damit die Möglichkeiten zur Behandlung zu Lasten der GKV ausgeschöpft. Aus medizinischer Sicht sei bei der vorliegenden extrem schlechten Befruchtungsrate von einer weit unterdurchschnittlichen Erfolgsaussicht weiterer Behandlungen auszugehen. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Juni 2003 die Kostenübernahme für eine weitere ICSI-Behandlung ab.
Hiergegen legte die Klägerin am 8. Juli 2003 Widerspruch ein. Zur Begründung verwies sie auf ein Schreiben der Laborärzte L. vom 4. Juli 2003, wonach in ihrem Fall eine sogenannte aktive Immunmodulationstherapie durchgeführt worden sei.
Der beantragte dritte Behandlungszyklus ICSI wurde beginnend mit einer privatärztlichen Verordnung vom 16. Juli 2003 durchgeführt; es entstanden Gesamtkosten in Höhe von 4.671,53 EUR.
Der erneut um Begutachtung gebetene MDK stellte in seiner Stellungnahme vom 14. Juli 2003 fest, dass die Immunisierung mit den Lymphozyten des Ehemannes eine Behandlung ist, die sich im experimentellen Stadium befindet und daher nicht Bestandteil der Richtlinien sei. Aufgrund der Ergebnisse der vorausgegangenen fünf Behandlungszyklen könne nach wie vor nicht von einer hinreichenden Erfolgsaussicht ausgegangen werden. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Juli 2003 erneut die Kostenübernahme einer weiteren ICSI-Behandlung ab.
Hiergegen legte die Klägerin am 5. August 2003 Widerspruch ein und verwies zur Begründung auf ein Schreiben ihres behandelnden Frauenarztes, wonach die zunächst durchgeführten Behandlungszyklen im IVF-Verfahren nach dem seinerzeitigen Kenntnisstand korrekt gewesen seien. Nunmehr habe sich herausgestellt, dass eine subtilere Fertilisationsstörung vorliege, welche mit einem üblichen Spermiogramm nicht zu erfassen gewesen sei. Daher sei auf das Verfahren ICSI umgestellt worden und dies habe auch tatsächlich zu einer Befruchtung der Eizellen geführt. Damit sei der Nachweis gegeben, dass bei dem Ehepaar die Grundlage für eine Schwangerschaft vorhanden sei. Dass es bei einem ICSI-Verfahren zu keiner Befruchtung komme, sei nicht weiter außergewöhnlich. Entscheidend sei, dass es sich um einen gangbaren Weg handele. Der eigentliche Behandlungsbeginn sei auf den Beginn der ICSI-Maßnahme zu datieren. Die IVF-Methode sei von Anfang an nicht geeignet gewesen, das Grundproblem zu beseitigen. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen sei nach § 27a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) auf vier abgeschlossene Therapieversuche begrenzt, wobei vorher abgebrochene Behandlungen nicht berücksichtigt würden. Nach den Feststellungen des MDK sei eine entsprechende Anzahl von Therapieversuchen erfolglos unternommen worden. Das Vorliegen eines medizinisch begründeten Ausnahmefalles habe dieser verneint.
Hiergegen hat die Klägerin am 10. November 2003 beim Sozialgericht Meiningen Klage erhoben. Dieses hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 9. Dezember 2003 an das Sozialgericht Gotha verwiesen. Mit Urteil vom 28. Februar 2007 hat dieses Sozialgericht die Bescheide der Beklagten vom 19. Juni 2003 und vom 22. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 2003 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Kosten für die durchgeführte ICSI (dritter Behandlungszyklus) dem Grunde nach zu übernehmen. Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die selbst beschaffte Behandlung sei § 13 Abs. 3 Alternative 2 SGB V. Die Voraussetzungen dieser Norm lägen vor. Nach § 27a Abs. 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung sei die Beklagte verpflichtet, die Kosten für den dritten ICSI-Behandlungszyklus zu übernehmen. Zwischen den Beteiligten sei lediglich streitig, ob die Maßnahme im Sinne des § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V viermal ohne Erfolg durchgeführt worden sei. Die bei der Klägerin bis zum Jahr 2003 durchgeführten zwei IVF- und ICSI-Behandlungen könnten nicht zusammengerechnet werden, denn es handele sich um unterschiedliche Behandlungsmethoden zur künstlichen Befruchtung. Die ICSI-Behandlung gehöre nach den Richtlinien über künstliche Befruchtungen in der Fassung vom 26. Februar 2002 zu den von der Krankenkasse zu übernehmenden Maßnahmen der künstlichen Befruchtung. Sowohl in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als auch in den Richtlinien zur künstlichen Befruchtung werde zwischen den verschiedenen Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung unterschieden. Eine Zusammenrechnung der Maßnahmen sei im Hinblick auf die unterschiedliche Indikation für die jeweilige Maßnahme nicht möglich. Im Jahre 2003 hätten daher unter Berücksichtigung der in den Richtlinien zur künstlichen Befruchtung genannten Kriterien hinreichende Erfolgsaussichten bezüglich des dritten Behandlungsversuches mit ICSI bestanden.
Gegen das ihr am 4. April 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25. April 2007 Berufung eingelegt. Allein entscheidungserheblich sei die Frage, ob unterschiedliche Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nach der gesetzlichen Vorschrift des § 27a SGB V zu addieren seien oder nicht. Das Sozialgericht sei der Auffassung, dass unterschiedliche Methoden einer Zusammenrechnung mit der Folge des gesetzlichen Leistungsausschlusses für weitere Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nicht zugänglich seien. Diese Rechtsansicht finde in der Gesetzesnorm keine Stütze. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift werde zwischen den verschiedenen Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nicht differenziert. Das Gesetz spreche ganz allgemein von "medizinischen Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft". Der Gesetzgeber habe bewusst den Versicherten eine Bandbreite an möglichen Therapien unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts zur Verfügung stellen wollen. Es sei widersprüchlich, wenn das Urteil einerseits beide Maßnahmen der künstlichen Befruchtung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung charakterisiere, aber im Hinblick auf die Anzahl der zu finanzierenden Versuche eine Zusammenzählung ablehne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 28. Februar 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Ihr behandelnder Frauenarzt habe nach zwei erfolglosen ICSI-Behandlungen noch Erfolgschancen gesehen; deshalb habe sie die Durchführung eines dritten ICSI-Behandlungszyklus beantragt. Unabhängig von der Ablehnung der Beklagten hätten sie sich dann entschieden, den dritten Behandlungszyklus auf Grund der positiven Prognosen der Ärzte zu starten. Am 30. April 2004 habe sie gesunde Zwillinge geboren.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang, die Gegenstand der Beratung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der notwendigen Kosten für einen dritten ICSI-Behandlungszyklus. Anspruchsgrundlage ist § 13 Abs. 3 SGB V. Danach sind dem Versicherten Kosten zu erstatten, die dadurch entstehen, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann (Alternative 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alternative 2) und der Versicherte sich deshalb die Leistung selbst beschafft.
Als Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die selbst beschaffte Leistung kommt nur § 13 Abs. 3 Alternative 2 SGB V in Betracht. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. nur BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 - Az.: B 1 KR 21/02 R, zitiert nach juris). Der für einen Anspruch auf Kostenerstattung erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der Ablehnung und der Kostenlast des Versicherten ist gegeben. Ein Anspruch nach § 13 Abs. 3 Alternative 2 SGB V ist ausgeschlossen, wenn die Entscheidung der Krankenkasse das weitere Geschehen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme einer Leistung nicht mehr beeinflussen konnte, weil der Betroffene sich bereits unabhängig vom Verhalten seiner Krankenkasse endgültig auf eine bestimmte Leistungsform festgelegt hatte. Vor einer Inanspruchnahme einer Behandlung außerhalb des Sachleistungssystems ist der Versicherte grundsätzlich gehalten, sich an seine Krankenkasse zu wenden und die Leistungsgewährung zu beantragen und die Entscheidung der Krankenkasse darüber abzuwarten (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2005 - Az.: B 1 KR 3/04 R, zitiert nach juris). Diese Voraussetzung ist vorliegend gegeben. Die Klägerin hat sich das erste Privatrezept erst nach Erlass des ablehnenden Bescheides der Beklagten, welcher am 22. Juni 2003 erging, am 16. Juli 2003 ausstellen lassen. Dass die Beklagte auf den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. Juni 2003 hin am 22. Juli 2003 erneut einen ablehnenden Bescheid erließ, kann in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. Ausreichend ist insoweit die ablehnende Entscheidung vom 19. Juni 2003.
Im Zeitpunkt der Leistungsverschaffung ab dem 16. Juli 2003 hatte die Klägerin einen Anspruch auf Leistungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mittels ICSI nach Maßgabe des § 27a SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung in Verbindung mit den Richtlinien über künstliche Befruchtung in der Fassung vom 26. Februar 2002 (Bundesanzeiger Nr. 92 vom 22. Mai 2002, in Kraft getreten am 1. Juli 2002). Nach § 27a Abs. 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn 1. diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind, 2. nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht in der Regel nicht mehr, wenn die Maßnahme vier Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist, 3. die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind, 4. ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und 5. sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach § 121a erteilt worden ist.
Entscheidungserheblich für den vorliegenden Fall ist allein, ob die Maßnahme im Sinne des § 27a Abs. 1 Nr. 2 2.Halbsatz SGB V vier Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist. Nach dem Akteninhalt hatte sich die Klägerin vor Beantragung des hier in Rede stehenden dritten ICSI-Behandlungszyklus bereits zwei IVF-Behandlungen und zwei ICSI-Behandlungen erfolglos unterzogen. Eine Zusammenrechnung dieser beiden unterschiedlichen Behandlungsmethoden zur künstlichen Befruchtung kommt nicht in Betracht. Soweit § 27a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V eine hinreichende Aussicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft verneint, wenn die Maßnahme vier Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist, so ist die vorgegebene Obergrenze dahin gehend zu verstehen, dass damit eine bestimmte Methode zur künstlichen Befruchtung gemeint ist und nicht unterschiedliche Methoden zur künstlichen Befruchtung zusammengefasst werden sollten.
Diese Auslegung der Vorschrift des § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und den weiteren Auslegungskriterien.
Der Wortlaut des § 27a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V verneint in der Regel eine hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn "die Maßnahme vier Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist". An dieser Stelle hat der Gesetzgeber ausdrücklich den Singular verwandt, so dass der singuläre Begriff der Maßnahme sich auf eine bestimmte Behandlungsmethode bezieht. Ansonsten wird in § 27a Abs. 1 SGB V immer von "medizinischen Maßnahmen" gesprochen. Der Gesetzgeber verwendet an diesen Stellen bewusst den Plural.
Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. § 27a SGB V ist durch das KOV-Anpassungsgesetz vom 26. Juni 1990 (KOV-AnpG 1990 BGBl. I S. 1211) in das SGB V eingefügt worden. Gemäß § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V sollte ein Anspruch auf Zurverfügungstellung dieser Maßnahmen nur bestehen, wenn die Maßnahmen mit hinreichender Erfolgsaussicht zu einer Schwangerschaft führen. Grund für die zahlenmäßige Begrenzung in § 27a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V war für den Gesetzgeber, dass nach medizinischen Erkenntnissen die Erfolgsaussichten nach vier vergeblichen Versuchen deutlich (z.B. bei Follikelpunktion mit anschließendem Embryotransfer von 47 Prozent beim ersten Versuch auf 7 Prozent beim vierten Versuch) zurückgehen (vgl. BT-Drs. 11/6760 S. 15). Das in der Gesetzesbegründung gewählte Beispiel belegt, dass der Gesetzgeber die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht auf die jeweilige künstliche Befruchtungsmethode bezogen festlegen wollte. Diese Auffassung wird durch die spätere Änderung von § 27a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190) bestätigt. Danach besteht eine hinreichende Aussicht auf Erfolg nicht mehr, wenn die Maßnahme drei Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist. Die Regelvermutung wurde abgeschafft und zugleich die Zahl der zu übernehmenden Behandlungen auf drei begrenzt. Grund für die Neufassung war nach der Gesetzesbegründung eine Begrenzung der Ausgaben für künstliche Befruchtungen auf Fälle medizinischer Notwendigkeit. Der Gesetzgeber ging insoweit von der Richtlinie über die künstliche Befruchtung, erlassen vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, aus und verwies darauf, dass eine hinreichende Erfolgsaussicht nach diesen Richtlinien für die jeweilige Behandlungsmaßnahme in der Regel dann nicht bestehe, wenn sie bei der In-Vitro-Fertilisation (Nr. 10.3) bis zu vier Mal vollständig durchgeführt worden sei, ohne dass eine klinisch nachgewiesene Schwangerschaft eingetreten ist (vgl. BT-Drs. 1525 S. 83). Der Gesetzgeber hat insoweit an Ziffer 8 der Richtlinie über die künstliche Befruchtung angeknüpft, in dessen Satz 2 zahlenmäßige Vorgaben für die höchstzulässige Zahl der Durchführung jeweils bezogen auf bestimmte Behandlungsmaßnahmen erfolgt sind. Diese Anknüpfung zeigt, dass die zahlenmäßige Begrenzung sich auf eine bestimmte Behandlungsmaßnahme im Rahmen der künstlichen Befruchtung und nicht generell auf alle Behandlungsmöglichkeiten bezieht. Dies verdeutlicht zudem, dass es sich bei der Verwendung des Singular in § 27 a Abs.1 Nr.2 2. Halbsatz SGB V nicht um ein Versehen handelt. Es hätte nahegelegen, ein solches im Rahmen der Gesetzesänderung, welche die Leistungspflicht der GKV begrenzen sollte, zu bereinigen.
Auch die systematische Auslegung spricht für dieses Ergebnis. § 27a Abs. 2 Satz 2 SGB V nimmt andere Inseminationen vom Anwendungsbereich des § 27 a Abs. 1 Nr. 2 SGB V ausdrücklich aus. Dies verdeutlicht, dass der Gesetzgeber die hinreichende Aussicht auf Erfolg bezogen auf die jeweilige Behandlungsmaßnahme festgelegt haben will.
Nicht zuletzt spricht auch der Sinn und Zweck des § 27a SGB V dafür, eine Zusammenrechnung aller durchgeführten Maßnahmen nicht zuzulassen. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, Ehepaaren einen Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung im homologen System einzuräumen. Der Gesetzgeber hat sich dabei entschlossen, nicht bestimmte Maßnahmen vorzugeben, sondern die Vorschrift des § 27a SGB V offenzuhalten. So heißt es in der Gesetzesbegründung ausdrücklich, dass mit der Vorschrift Maßnahmen der künstlichen Befruchtung (insbesondere Inseminationsbehandlung, In-Vitro-Fertilisation mit Embryotransfer, Intratubarer Gametentransfer) in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden sollen (vgl. BT-Drs. 11/6760 S. 14). Folglich hat auch das Bundessozialgericht später entschieden, dass der Ausschluss der Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung in den Richtlinien über künstliche Befruchtung gegen die Vorgaben des § 27a SGB V verstößt (vgl. BSG, Urteil vom 3. April 2001 - Az.: B 1 KR 40/00 R, BSGE 88,62-75).
Weiter ist zu beachten, dass die bei diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen zu beachtenden Qualitätskriterien des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V für die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung durch § 27a SGB V modifiziert werden. Während ansonsten eine neue Behandlungsmethode nicht dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne von § 2 Abs.1 S.3 SGB V entspricht, solange ihre Wirkungen und Risiken noch der Überprüfung bedürfen, ist dieser Standard im Rahmen der künstlichen Befruchtung jedenfalls nicht in gleicher Weise anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juni 2011- Az.: B 1 KR 18/10 R, zitiert nach juris). Der ansonsten erforderliche Wirksamkeitsnachweis ist bei Methoden der künstlichen Befruchtung nicht im herkömmlichen Sinne zu führen. So führt z.B. ein Embryotransfer günstigstenfalls in einem Viertel der Fälle zu einer Schwangerschaft (vgl. BSG, Urteil vom 3. April 2001 - Az.: B 1 KR 40/00 R, zitiert nach juris Rn.24). Viele Methoden der künstlichen Befruchtung würden den üblichen Anforderungen an Behandlungsmaßnahmen zum Beispiel hinsichtlich des verlangten therapeutischen Nutzens nicht standhalten. Angesichts der nicht unerheblichen Risiken hat sich der Gesetzgeber entschlossen, den Versicherten zu verpflichten, sich vor Durchführung der Maßnahmen, von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über die medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte beraten zu lassen (§ 27 a Abs.1 Nr.5 SGB V). Ohne diese Beratung ist eine Kostenübernahme ausgeschlossen. Nach der Gesetzesbegründung soll die Leistungspflicht der GKV nur davon abhängen, dass der Arzt das Ehepaar über die Risiken unterrichtet (vgl. BT-Drs. 11/6760 S.15). Daraus folgert das Bundessozialgericht, dass es abweichend von den Grundsätzen des Leistungsrechts der Entscheidung der Eheleute überlassen bleibt, ob der Kinderwunsch trotz der bestehenden Risiken und der mäßigen Erfolgsaussichten weiter verfolgt wird (vgl. BSG, Urteil vom 3. April 2001 - Az.: B 1 KR 40/00 R, zitiert nach juris Rn.27).Vor diesem Hintergrund macht es durchaus Sinn, hinsichtlich der Höchstzahl der zu übernehmenden Behandlungen auf die jeweilige Maßnahme der künstlichen Befruchtung und nicht auf alle Methoden insgesamt abzustellen. Bei einer Zusammenrechnung aller Methoden der künstlichen Befruchtung im Rahmen des § 27a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V würde die gesetzgeberische Entscheidung, den gesetzlich Versicherten grundsätzlich alle Methoden der künstlichen Befruchtung als Sachleistung zur Verfügung zu stellen, unterlaufen.
Dies führt nicht zu einer uferlosen Ausdehnung von Leistungsansprüchen Versicherter. Nach der Konzeption des Gesetzes hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nach § 27 a Abs.4 SGB V i.V.m. § 92 Abs.1 S.2 Nr.10 SGB V die Aufgabe, im Einzelnen festzulegen, in welchen Fällen die jeweilige Methode der künstlichen Befruchtung zu Lasten der GKV angewandt werden kann. Entsprechend hat der Bundesausschuss in Ziffer 11 der Richtlinie über künstliche Befruchtung in der hier maßgebenden ab 1. Juli 2002 geltenden Fassung medizinische Indikationen für die einzelnen Methoden festgelegt. Damit ist es ausgeschlossen, dass die verschiedenen Methoden ohne medizinische Indikation hintereinander auf Kosten der GKV zur Anwendung gelangen.
Die Richtlinien über die künstliche Befruchtung gehen ausweislich Ziffer 8 Satz 2 von einem derartigen Verständnis der Vorschrift des § 27a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V aus. In Ziffer 8 S.2 der Richtlinie wird bezüglich der hinreichenden Erfolgsaussicht für die jeweilige Behandlungsmaßnahme an die einzelne Methode angeknüpft. Zwar verbleibt dem Richtliniengeber, soweit der gesetzliche Regelungsgehalt reicht, kein Gestaltungsspielraum. Dennoch ist festzuhalten, dass der Richtliniengeber die Vorschrift ebenfalls in diesem Sinne interpretiert. Daher waren hinreichende Erfolgsaussichten hinsichtlich eines dritten ICSI Behandlungszyklus zu bejahen und die Beklagte hat die notwendigen Kosten zu übernehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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