L 6 KR 950/12 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 38 KR 5718/11
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 950/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 22. März 2012 aufgehoben und der Rechtsweg zu den Sozialgerichten für zulässig erklärt. Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Streitwert wird auf 240,45 EUR festgesetzt. Die weitere Beschwerde zum Bundessozialgericht wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob für die am 26. August 2011 beim Sozialgericht Gotha erhobene Klage der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet ist.

Der Kläger war Arbeitgeber von zwei Mitgliedern der Beklagten. Über sein Vermögen hat das Amtsgericht Meiningen (Az.: IN 113/11) das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens meldete die Beklagte mit Schreiben vom 6. Mai 2011 eine Forderung aus Sozialversicherungsbeiträgen, Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichgesetz sowie für das Insolvenzgeld und darauf entfallende Säumniszuschläge im Hinblick auf ihre Mitglieder in Höhe von 1.202,24 EUR zur Insolvenztabelle an. Sie teilte mit, dass von den geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Umlagen Forderungen in Höhe von insgesamt 579,86 EUR ihren Forderungsgrund in einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung hätten. Im Prüftermin vom 27. Juli 2011 vor dem Amtsgericht Meiningen widersprach der Kläger der gesamten Forderung der Beklagten.

Mit seiner am 26. August 2011 beim Sozialgericht Gotha eingegangenen Klage begehrt der Kläger, seinen Widerspruch hinsichtlich der angemeldeten Forderung der Beklagten über 1.202,24 EUR für begründet zu erklären und hilfsweise festzustellen, dass die durch Schreiben vom 6. Mai 2011 angemeldete Forderung der Beklagten gegen den Kläger in Höhe eines Teilbetrages von 579,86 EUR nicht aus dem Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung besteht.

Das Sozialgericht Gotha hat sich mit Beschluss vom 22. März 2012 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Meiningen verwiesen. Für die Feststellung des Rechtsgrundes der unerlaubten Handlung sei der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. Grund und Höhe der abzuführenden Gesamtversicherungsbeiträge seien als Vorfrage zu prüfen. Hieran ändere sich nichts, selbst wenn der geltend gemachte Feststellungsanspruch mit der Beantwortung der Vorfrage stehe und falle. Für die Zuständigkeit der Zivilgerichte spreche auch der Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung, da eine zugesprochene oder abgelehnte Feststellung des Schuldgrundes der unerlaubten Handlung den zur Tabelle angemeldeten öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen völlig unberührt lasse.

Mit seiner am 10. Mai 2012 beim Sozialgericht Gotha eingegangenen Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Verweisung. Es gehe vorliegend auch um Grund und Höhe der Gesamtsozialversicherungsbeiträge und nicht nur um die Feststellung des Rechtsgrundes einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Der geltend gemachte Anspruch sei seinem Kern nach dem Sozialrecht zuzuordnen; daher sei der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat den Rechtstreit zu Unrecht an die ordentlichen Gerichte, hier das Amtsgericht Meiningen, verwiesen.

Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges (§ 17a Abs. 2 Satz 1 GVG). Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen (§ 17a Abs. 3 Satz 1 GVG).

Die Voraussetzungen für eine Verweisung an die ordentlichen Gerichte liegen nicht vor, denn der durch den Kläger beschrittene Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung.

Nach der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Beschluss vom 04. Juni 1974 - Az.: GmS-OGB 2/73, nach juris Rn. 4), der sich das Bundessozialgericht (BSG) angeschlossen hat (vgl. Urteil vom 11. Dezember 1986 - Az.: 12 RK 52/84, nach juris, Rn. 14), richtet sich der Rechtsweg nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Maßgeblich ist, wie sich das Rechtsverhältnis nach dem Vorbringen des Klägers objektiv darstellt. Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Feststellung, dass sein Widerspruch gegen die angemeldete Forderung der Beklagten für begründet erklärt wird, § 184 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO). Er wendet sich also gegen die Berechtigung der Forderung an sich. Hilfsweise begehrt er noch die Feststellung, dass er für einen Teil der Forderung nicht (auch) deliktisch gemäß § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) i.V. mit § 266a Abs. 1 des Strafgesetzbuches (StGB) haftet. Dies hat seinen Grund darin, dass Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung von der Erteilung der Restschuldbefreiung nicht berührt werden, wenn der Gläubiger die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes nach § 174 Abs. 2 InsO angemeldet hat (§ 302 Nr. 1 InsO).

Nach nahezu einhelliger Meinung in Rechtsprechung (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. April 2011 - Az.: 16 W 50/11; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31.März 2011 - Az.: L 9 SO 5/09; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. August 2005 - Az.: L 9 SF 863/05 B; alle nach juris) und Literatur (vgl. Herchen in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 4. Auflage 2012, § 184 Rn. 13; Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand: September 2012, § 185 Rn. 8) liegt bei einer isolierten Klage auf Feststellung, dass es sich bei einer Forderung um eine solche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung handelt bzw. nicht handelt (sog. Attributsklage), der Schwerpunkt des Rechtsstreits nicht bei der Anwendung von Vorschriften des Sozialversicherungsrechts. Die deliktische Haftung des Arbeitgebers bei Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung hat ihren Rechtsgrund im bürgerlichen Recht, so dass insoweit nach § 13 GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet wäre.

Anders ist es hingegen, wenn der Schuldner - wie hier - die Forderung insgesamt bestreitet, also auch bezüglich des nicht von einer unerlaubten Handlung betroffen Teils. Hier steht vorrangig die sich aus dem Sozialversicherungsrecht ergebende Forderung als solche im Streit, so dass in die Kompetenz der Fachgerichte eingegriffen würde, wenn auch insoweit die ordentlichen Gerichte zuständig wären (vgl. hierzu Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand: September 2012, § 185 Rn. 9, Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. August 2005 - Az.: L 9 SF 863/05 B, nach juris, Rn. 19).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 197a SGG. In Verfahren über die Rechtswegbeschwerde hat grundsätzlich eine Kostenentscheidung zu ergehen (vgl. BSG, Beschluss vom 1. August 2002 - Az.: B 3 SF 1/02 R, nach juris, Rn.14).

Der Streitwert wird in Anlehnung an den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. Dezember 1996 (Az.: III ZB 105/96, nach juris, Rn. 18) auf ein Fünftel der Hauptforderung, mithin auf 240,45 EUR festgesetzt.

Ein Grund, die weitere Beschwerde zum BSG nach § 17a Abs. 4 Satz 4 und 5 GVG zuzulassen, liegt nicht vor.

Der Beschluss ist unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Saved