L 6 SF 1587/12 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 31 SF 1273/11 E
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 1587/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 13. September 2012 wird zurückgewiesen. Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nordhausen streitig (Az.: S 23 AS 2892/10). Dort wandte sich der von dem Beschwerdeführer vertretene Kläger gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid mit der Begründung, es sei nicht ersichtlich, wie sich die Forderung berechne. Im Erörterungs-termin am 28. Januar 2011, der insgesamt 25 Minuten dauerte, gewährte ihm die Kammer Prozesskostenhilfe (PKH) und ordnete den Beschwerdeführer bei. In der Niederschrift ist wei-ter vermerkt: "Daraufhin schließen die Beteiligten folgenden Vergleich:

1. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der Rechtsstreit für erledigt erklärt wird. 2. Die Beteiligten machen gegenseitig für das Rechtsstreitverfahren keine Kosten gegen- einander geltend."

In seiner Kostenrechnung vom 25. März 2011 machte der Beschwerdeführer für dieses Ver-fahren Gebühren "gem. § 3, 14, 15a, 49 RVG" von insgesamt 799,24 Euro geltend:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG 250,00 Euro Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG 200,00 Euro Erledigungs- /Einigungsgebühr Nr. 1005, 1005 VV-RVG 190,00 Euro Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld 11,63 Euro Post- und Telekommunikation 20,00 Euro Zwischensumme 671,63 Euro Mehrwertsteuer 127,61 Euro Gesamtbetrag 799,24 Euro

Unter dem 7. Oktober 2011 wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Zahlung von 292,13 Euro an und führte u.a. zur Begründung aus, die Verfahrensgebühr sei in Höhe der halben Mittelgebühr der Nr. 3103 VV-RVG festzusetzen; der beantragte § 15a RVG komme nicht in Betracht. Der Umfang der Tätigkeit sei angesichts der Tatsache, dass eine Stellungnahme identisch mit der eines anderen Verfahrens war, weit unterdurchschnittlich gewesen. Die Minderung der Rückforderung sei nicht genau beziffert gewesen, sodass nach der Rechtsprechung des Thüringer LSG (Beschluss vom 18. März 2011 - Az.: L 6 SF 1418/10 B) eine durchschnittliche Bedeutung nicht unterstellt werde könne. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse seien deutlich unterdurchschnittlich gewesen. Hinsichtlich der Ter-minsgebühr sei eine um ein Drittel geminderte Mittelgebühr angemessen; der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei weit unterdurchschnittlich. Eine Erledigungsgebühr komme nicht in Betracht, weil der Vergleich eine bloße Rücknahme beinhaltet habe.

Am 1. November 2011 hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt. Einschlägig sei § 15a RVG, wonach eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG in beantragter Höhe anzuset-zen sei. Der Umfang seiner anwaltlichen Tätigkeit sei zumindest durchschnittlich gewesen; Gleiches gelte für die Schwierigkeit. Nach der Rechtsprechung des Thüringer LSG sei bei einer Verhandlungsdauer von 30 Minuten von einer zumindest durchschnittlichen Angele-genheit auszugehen. Entstanden sei auch eine Gebühr nach Nr. 1006 VV-RVG.

Mit Beschluss vom 13. September 2012 hat das Sozialgericht die Erinnerung zurückgewiesen. Der Ansatz des abgesenkten Gebührenrahmens Nr. 3103 VV-RVG durch die UKB sei in zu-treffender Höhe erfolgt. § 15a RVG sei auf die Nrn. 3102 und 3103 VV-RVG nicht anwend-bar, denn es handle sich um eine separate Kostenregelung. Die Klagebegründung habe weder eine Bezifferung des Begehrens noch eine tiefgehende Auseinandersetzung mit tatsächlichen oder rechtlichen Problemen enthalten. Zudem sei eine Ersparnis dadurch entstanden, dass das Verfahren Az.: S 32 AS 2838/10 einen parallelen Leistungszeitraum betroffen habe Die Be-deutung sei ebenfalls leicht unterdurchschnittlich, weil Gegenstand des Verfahrens eine nicht bezifferte Reduzierung eines Rückforderungsbetrags gewesen sei. Die Kürzung der Mittelge-bühr sei in Anbetracht der Terminsdauer angemessen. Zutreffend sei auch der Nichtansatz der Einigungsgebühr. Insoweit werde auf den Beschluss der UKB Bezug genommen. Zutreffend ermittelt worden seien auch die Fahrtkosten und das Tage- und Abwesenheitsgeld.

Gegen den am 18 ... September 2012 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 1. Oktober 2012 Beschwerde eingelegt und u.a. ausgeführt, mehrere Sozialgerichte setzten für die einfachste Angelegenheit der Untätigkeitsklage bereits 85,00 Euro an. Hier werde dieser Fall mit der Komplexität einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gleichgesetzt. Einschlägig sei zudem § 15a RVG. Hinsichtlich der Bedeutung der Angelegenheit, Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und Schwierigkeit sowie die Terminsgebühr hat er seine Argumen-te im Erinnerungsverfahren wiederholt. Zudem betrage die Entfernung Mühlhausen - Nord-hausen nach dem Routenplaner Map24 nicht 49 sondern 52 Kilometer.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 13. September 2012 aufzuheben und die Vergütung auf 799,24 Euro festzusetzen.

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen im Erinnerungsverfahren und die Aus-führungen der Vorinstanz.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 23. November 2012) und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt.

II.

Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) statthaft (ständige Senatsrecht-sprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 14. Februar 2011 - Az.: L 6 SF 1376/10 B m.w.N.) und zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro und die Beschwerde-frist ist eingehalten.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbar-keit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Beitragsrahmengebüh-ren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskas-se zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Das SG hatte dem Kläger PKH gewährt; er war auch kostenprivilegierter Beteiligte i.S.d. § 183 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG).

Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwie-rigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmen-gebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sogenannte Tole-ranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Senatsbeschluss 14. Februar 2011 - Az.: L 6 SF 1376/10 B); dann erfolgt - wie hier - eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.

Zu Recht hat die Vorinstanz die Anwendung des § 15a RVG abgelehnt. Die Vorschrift ist auf das Verhältnis der Gebührentatbestände Nr. 3102 VV-RVG und Nr. 3103 VV-RVG weder direkt noch analog anwendbar (vgl. Senatsbeschluss vom 4. März.2011 - Az.: L 6 SF 184/11 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. August 2011 - Az. L 19 AS 634/10 B m.w.N.). Bei dem geminderten Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV-RVG wegen Vorbefassung im Widerspruchsverfahren handelt es sich nicht um die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr (wie z.B. bei der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 VV-RVG), sondern um einen Sondergebührentatbestand. Eine analoge Anwendung der Vorschrift scheidet mangels Regelungslücke aus.

Hinsichtlich der Höhe der Gebühren Nr. 3103 und 3106 VV-RVG wird entsprechend § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen. Der Hinweis auf eine Recht-sprechung der Sozialgerichte Dresden, Berlin, Karlsruhe und Düsseldorf zur Untätigkeitskla-ge ist für die Festsetzung im vorliegenden Fall bereits deshalb ohne Belang, weil sie nach den Kriterien des § 14 RVG immer im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu erfol-gen hat. Im Übrigen erfordern die nicht fallbezogenen weiteren Ausführungen in der Be-schwerdebegründung keine weitere inhaltliche Auseinendersetzung. Ein Termin von 25 Mi-nuten liegt nach der Senatsrechtsprechung jedenfalls unter dem Durchschnitt sozialgerichtli-cher Verfahren (vgl. Beschlüsse vom 5. Juli 2011 - Az.: L 6 SF 252/11 B und 18. März 2011 - Az.: L 6 SF 1418/10 B: ).

Zu Recht haben UKB und Vorinstanz die Erledigungsgebühr der Nrn. 1006, 1000 RVG abge-lehnt. Sie entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn er beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Anmerkung 1 S. 1 zu Nr. 1000 VV RVG). Die Gebühr kann auch bei Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts in Betracht kommen, soweit über die Ansprüche vertraglich verfügt werden kann (Anmerkung 4 zu Nr. 1000 VV-RVG), so bei Ermessensentscheidungen (§ 53 Abs. 2 SGB X) und wenn Zweifel über die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs oder die Rechtslage beseitigt werden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 101 Rdnr. 7a). Nr. 1000 VV RVG weicht von der früheren Regelung in § 23 Abs. 1 der Bundesgebührenord-nung für Rechtsanwälte (BRAGO) ab, die durch Verweisung auf § 779 der Zivilprozessord-nung (ZPO) ein gegenseitiges Nachgeben voraussetzte. Der Gesetzgeber verzichtete bewusst darauf, um Streit darüber zu vermeiden, welche Abrede noch als gegenseitiges Nachgeben zu bewerten ist (vgl. BT-Drucks. 15/1971 S. 147, 204). Insofern muss nur eine Einigung vorlie-gen (vgl. BGH, Urteile vom 17. September 2008 - Az.: IV ZB 11/08 und 10. Oktober 2006 - Az.: VI ZR 280/05, nach juris), sofern es sich nicht um ein bloßes Anerkenntnis oder einen bloßen Verzicht handelt. Hier handelt es sich bei der Erklärung des Klägers im "Vergleich" tatsächlich um einen Verzicht, den geltend gemachten Anspruch (einschließlich der Kostener-stattung) gegenüber der Beklagten weiter zu verfolgen. Die Erklärung der Beklagten ist ohne prozessgestaltende Wirkung; sie musste der Klagerücknahme nach § 102 Abs. 1 S. 1 SGG überhaupt nicht zustimmen. In einem solchen Fall kommt es nicht auf die nicht nachvollzieh-bare Bezeichnung als "Vergleich" an (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2011 - Az.: L 6 SF 1376/10 B).

Nach Nr. 7003 VV-RVG sind die Fahrtkosten für jeden gefahrenen Kilometer zu erstatten. Keine Bedenken bestehen gegen deren Überprüfung durch die UKB mit dem Routenplaner Map24. Nachdem der Gesetzeswortlaut auf die (tatsächlich) gefahrenen Kilometer abstellt, ist der Vortrag des Beschwerdeführers ohne Belang, andere Routenplaner berechneten eine ge-ringfügig längere Fahrtstrecke (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Mai 2012 - Az.: L 6 SF 563/12 B).

Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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