Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
29
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 29 R 212/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 45/09
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 05.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2008 verpflichtet, dem Kläger ab dem 01.04.2008 eine Altersrente für langjährig Versicherte ohne Abzug einer fiktiven rumänischen Rente zu gewähren. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zahlung seiner Altersrente ohne Kürzung in Höhe einer von der Beklagten geschätzten rumänischen Altersrente.
Der am 00.00.0000 in Rumänien geborene Kläger siedelte im November 1975 in die Bundesrepublik Deutschland über. Für den Zeitraum vom 01.07.1962 bis zum 09.10.1975 wurden ihm von der Beklagten Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anerkannt. Am 14.12.2007 beantragte er die Zahlung von Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres beginnend ab dem 01.04.2008.
Mit Schreiben vom 12.01.2008 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er die Rentenfeststellung beim rumänischen Sozialversicherungsträger bezüglich der in Rumänien zurückgelegten Versicherungszeiten gemäß § 44 Abs. 2 der Verordnung (EWG) 1408/71 aufschiebe und bat um Feststellung, dass kein Fiktivabzug von seiner Rente erfolgt.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit "Aufklärung zur Anrechnung einer fiktiven ausländischen Rente nach § 31 FRG" tituliertem Schreiben vom 24.01.2008 mit, dass sie beabsichtigte, die ihm aus Rumänien zustehende Rente in ihrer voraussichtlichen Höhe von 37,87 EUR gemäß § 31 FRG anzurechnen, auch wenn er diese tatsächlich nicht beziehe. Soweit bis zum 15.02.2008 keine Mitteilung erfolge, dass das Rentenverfahren in Rumänien durchgeführt werden solle, werde die deutsche Rente ab dem 01.04.2008 entsprechend gemindert.
Der Kläger teilte hierauf mit Schreiben vom 04.02.2008 im Wesentlichen mit, dass die Beklagte kein Recht habe, einen so genannten "Fiktivabzug" vorzunehmen und das der genannte Betrag willkürlich festgelegt worden sei.
Mit Bescheid vom 05.03.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Altersrente für langjährig Versicherte in Höhe von 1.408,07 EUR brutto monatlich. In der Anlage 7 "Zusammentreffen mehrerer Ansprüche" stellte sie fest, dass die Rente von 1.445,94 EUR um 37,87 EUR auf 1.408,07 EUR zu mindern sei, da die Rente in Höhe des Bruttobetrages der Leistung aus der ausländischen Sozialversicherung ruhe. Gemäß Anlage 10 des Bescheides ermittelte sie diesen Betrag auf Basis eines rumänischen Rentenpunkts für die Altersrente eines durchgehend beschäftigten Durchschnittsverdieners, welchen sie mit der Anzahl der in der deutschen Rente berücksichtigten FRG-Zeiten, die voraussichtlich auch der ausländischen Rente zugrunde liegen würden, multiplizierte.
Der Kläger legte am 31.03.2008 Widerspruch gegen den Abzug einer fiktiven rumänischen Rente ein. Bei Inanspruchnahme des Dispositionsrechts aus Art. 44 Verordnung (EWG) 1408/71 sei ein Fiktivabzug nicht zulässig. Zudem sei der ermittelte Betrag willkürlich festgelegt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Zulässigkeit der Minderung der nach dem FRG berechneten Rente um die dem Kläger voraussichtlich zustehende Rente ergebe sich aus dem Sinn des § 31 FRG und stehe insbesondere im Zusammenhang mit § 2 FRG. Aus der Gesetzesbegründung zu Art. 5 Zustimmungsgesetz (ZustG) vom 18.06.1991 zu dem Abkommen vom 08.12.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit (DPSVA 1990) ergebe sich ein Zusammenhang zwischen §§ 2 und 31 FRG dergestalt, dass das FRG bei Abkommensstaaten weiterhin anzuwenden sei, sofern diese durch eine entsprechende "FRG-Weitergeltungsbestimmung" im über- und zwischenstaatlichem Recht ausdrücklich geregelt worden sei. Diese Ausnahmeregelung, welche eine weitere Anrechnung der ausländischen Zeiten nach dem FRG ermögliche, habe der Gesetzgeber aus Gründen des Vertrauensschutzes in das FRG eingeführt. Dieser Vertrauensschutz sei in der Erwartung eingeräumt worden, dass der durch das entsprechende Abkommensrecht ermöglichte Bezug einer ausländischen Rente nach § 31 FRG angerechnet werden könne. Die Anwendung des FRG im Verhältnis zu Rumänien sei in Nr. 13 Schlussprotokoll zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über Soziale Sicherheit vom 08.04.2005 geregelt und gelte im Rahmen des europäischen Gemeinschaftsrechts aufgrund eines Eintrags in Anhang III Buchst. A Nr. 20b VO (EWG) 1408/71 weiter. Aus der Vertrauensschutzregelung ergebe sich eine besondere Verpflichtung für den Berechtigten, seinen ausländischen Rentenanspruch zu realisieren. Tue er dies nicht, sei der deutsche Rentenversicherungsträger im Hinblick auf den Sinn und Zweck der abkommensrechtlichen "FRG-Weitergeltungsbestimmung" berechtigt, seine FRG-Leistung entsprechend zu beschränken. Das Dispositionsrecht des Art. 44 Abs. 2 Satz 2 VO (EWG) Nr. 1408/71, den rumänischen Rentenanspruch auf unbestimmte Zeit aufzuschieben, könne nicht dazu führen, die Anrechnungsvorschrift des § 31 FRG zu umgehen.
Der Kläger hat am 14.07.2008 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass er keine rumänische bzw. ausländische Rente beziehe und es nicht zu einem Doppelbezug kommen könne. Als Vertriebener und politisch Verfolgter hege er aufgrund der Vergangenheit in Rumänien keine Beziehungen mehr. Das Vorgehen der Beklagten sei nicht von § 31 FRG gedeckt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 05.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2008 zu verpflichten, ihm ab dem 01.04.2008 eine Altersrente für langjährig Versicherte ohne Abzug einer fiktiven rumänischen Rente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte wiederholt im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 05.03.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2008 ist rechtswidrig, soweit die Beklagte die dem Kläger zustehende Rente um einen Abzug in Höhe einer fiktiven rumänischen Rente des Klägers vermindert. Der Kläger hat ab dem 01.04.2008 einen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für langjährig Versicherte gemäß § 236 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ohne Abzug einer fiktiven rumänischen Rente.
Die Anrechnung einer fiktiven, tatsächlich nicht bezogenen Rentenleistung auf einen laufenden Rentenanspruch stellt einen Eingriff in die Rechtsposition des Klägers dar. Eine nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (§ 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, SGB I) hierfür erforderliche Ermächtigungsgrundlage vermag die Kammer nicht zu erkennen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Anrechnung einer fiktiven Rentenleistung nicht auf § 31 FRG gestützt werden. § 31 Abs. 1 Satz 1 FRG bestimmt, dass in dem Fall, dass dem Berechtigten von einem Träger der Sozialversicherung oder einer anderen Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland für die nach Bundesrecht anzurechnenden Zeiten eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder anstelle einer solchen eine andere Leistung gewährt wird, die Rente in Höhe des in Euro umgerechneten Betrages, der als Leistung des Trägers der Sozialversicherung oder der anderen Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ausgezahlt wird, ruht.
Nach dem Wortlaut dieser Regelung setzt ein Ruhen des gegenüber der Beklagten bestehenden Rentenanspruchs voraus, dass durch den ausländischen Versicherungsträger eine Rente oder andere Leistung "gewährt" und "ausgezahlt" wird. Die ausländische Rente muss nach dem klaren Gesetzeswortlaut tatsächlich an den Berechtigten geleistet werden. Nach der geltenden Fassung des § 31 Abs. 1 Satz 1 FRG ist somit die Möglichkeit der Anrechnung der ausländischen Rente unmissverständlich auf den Fall beschränkt, dass diese tatsächlich geleistet wird (ebenso Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 07.05.2008, Az.: S 1 R 1232/07; Sozialgericht Stuttgart, Beschluss vom 16.05.2008, Az.: S 9 R 3257/08 ER; Sozialgericht Freiburg, Beschluss vom 17.07.2008, Az.: S 6 3381/08 ER m.w.N.; Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 30.09.2008, Az.: S 14 R 417/08; Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 02.07.2008, Az ... L 14 B 469/08 R ER).
Auch die Entstehungsgeschichte von § 31 FRG spricht gegen die von der Beklagten vertretene Auslegung, wonach die Kürzung des deutschen Rentenanspruchs um eine fiktive ausländische Rente dem Willen des Gesetzgebers entsprechen soll. § 31 FRG ist Nachfolgevorschrift des bis zum 31.12.1958 geltenden § 1 Abs. 5 Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG), nach dem ein Leistungsanspruch erlosch, wenn von einem ausländischen Versicherungsträger für denselben Versicherungsfall "eine Leistung gewährt wird oder auf Antrag gewährt würde". Den Materialien zum Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) vom 25.02.1960 ist nicht zu entnehmen, dass die Alternative "auf Antrag gewährt würde" nur versehentlich keinen Eingang in die Neuregelung des § 31 FRG, der seit 1959 unverändert gilt, gefunden hat. Somit ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von § 31 FRG tatsächlich enger fassen wollte, als in Fassung von § 1 Abs. 5 FAG (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 02.07.2008 - L 14 B 469/08 R ER).
Anders als die Beklagte meint, hat sich an dieser Rechtslage auch nichts durch die Einfügung von § 2 Satz 2 FRG durch Art. 5 ZustG DPSVA 1990 geändert. In dieser Vorschrift ist als Ausnahme vom Vorrang europarechtlicher, abkommensrechtlicher und fremdstaatlicher Regelungen über die Anrechenbarkeit ausländischer Zeiten im Ausland die weitere Anwendbarkeit des FRG normiert. Eine Änderung des materiellen Regelungsgehalts von § 31 ist durch den Gesetzgeber weder anlässlich der Einfügung des § 2 Satz 2 FRG noch in der Folgezeit erfolgt. Wie bereits das Bayerische Landessozialgericht (a.a.O.) zutreffend ausgeführt hat, bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber anlässlich der Einfügung dieser Vorschrift die Erwartung hatte, der betroffene Personenkreis werde stets Rentenansprüche im Ausland geltend machen oder gar von einer entsprechenden Verpflichtung zur Antragstellung ausgegangen ist. Dass der Gesetzgeber eine Verpflichtung zur Antragstellung erwogen hat, ist in keiner Weise belegt. Auch der Begründung zu Art. 5 ZustG DPSVA 1990 kann dies nicht entnommen werden. Darin wird darauf hingewiesen, dass die Notwendigkeit einer Anpassung des Fremdrentenrechts an die sich verändernden Verhältnisse zwischen Ost und West von einer Änderung des § 2 FRG unberührt bleibe. Der Gesetzgeber hat sich bei Änderung des § 2 FRG somit gerade vorbehalten, weitergehende Regelungen zu treffen (Bayerisches Landessozialgericht, a.a.O.).
Eine analoge Anwendung des § 31 FRG auf die vorliegende Fallgestaltung kommt nicht in Betracht. Es ist nicht ersichtlich, dass insoweit eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte, planwidrige Regelungslücke besteht. Zum einen dürfte die Problematik, dass Versicherte, die in zwei Staaten Leistungsansprüche haben, eine Rentenleistung gegebenenfalls nur aus der deutschen Rentenversicherung beantragen, dem Gesetzgeber wohl angesichts der von § 1 Abs. 5 FAG abweichenden Fassung der streitgegenständlichen Norm bekannt gewesen sein. Zum anderen ergibt sich aus der bereits dargestellten Begründung zu Art. 5 ZustG DPSVA 1990, dass das FRG erst zu einem späteren Zeitpunkt den veränderten politischen Verhältnissen angepasst werden sollte. Insofern geht die Kammer davon aus, dass der Gesetzgeber weiterhin eine Anrechnung gem. § 31 FRG auf tatsächlich ausgezahlte Auslandsrenten beschränken wollte (ebenso Bayerisches Landessozialgericht, a.a.O.; Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 30.09.2008, Az.: S 14 R 417/08).
Die Beklagte kann sich auch nicht auf § 46 Abs. 2 SGB I stützen. Nach dieser Vorschrift ist ein Verzicht auf eine Sozialleistung unwirksam, soweit andere Personen oder Leistungsträger durch ihn belastet werden. Einen entsprechenden Verzicht gegenüber dem rumänischen Sozialleistungsträger hat der Kläger gerade nicht erklärt, sondern vielmehr von dem ihm in Art. 44 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EWG) 1408/71 eingeräumten Recht zum Aufschub der Feststellung der Rentenansprüche Gebrauch gemacht. In dem bloßen Aufschub liegt jedoch keine Aufgabe seiner Ansprüche gegen den rumänischen Rentenversicherungsträger im Sinne eines Verzichts. Die bloße Nichtgeltendmachung eines Anspruchs stellt keinen Verzicht dar, vielmehr gewinnt der Versicherte durch die Wahl des Antragszeitpunkts eine Dispositionsmöglichkeit über den Anspruch, die einem Verzicht im Sinne des § 46 nicht gleichzusetzen ist (vgl. nur W. Lilge in: ders.:, SGB I, Handkommentar, Loseblatt, Stand: Ergänzungslieferung 02/07, § 46 Ziff. 1 c) und d); Klose in: Jahn, SGB I/IV, Kommentar, Loseblatt, Stand: 183. Ergänzungslieferung April 2008, § 46 Rn. 4).
Auch aus Art. 44 Abs. 2 Verordnung (EWG) 1408/71 ergibt sich keine Ermächtigungsgrundlage für die fiktive Anrechnung ausländischer Sozialleistungen. Die in dieser Vorschrift normierte Antragsfiktion soll dem EU-Bürger eine gesonderte Antragstellung bezüglich gleichartiger Sozialleistungen in den jeweils betroffenen Mitgliedstaaten ersparen. Gleichzeitig wird ihm jedoch das Recht eingeräumt, die Feststellung von Leistungsansprüchen in anderen Mitgliedstaaten aufzuschieben. Sanktionen für die Ausübung dieses Dispositionsrecht sind in der Verordnung (EWG) 1408/71 nicht vorgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zahlung seiner Altersrente ohne Kürzung in Höhe einer von der Beklagten geschätzten rumänischen Altersrente.
Der am 00.00.0000 in Rumänien geborene Kläger siedelte im November 1975 in die Bundesrepublik Deutschland über. Für den Zeitraum vom 01.07.1962 bis zum 09.10.1975 wurden ihm von der Beklagten Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anerkannt. Am 14.12.2007 beantragte er die Zahlung von Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres beginnend ab dem 01.04.2008.
Mit Schreiben vom 12.01.2008 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er die Rentenfeststellung beim rumänischen Sozialversicherungsträger bezüglich der in Rumänien zurückgelegten Versicherungszeiten gemäß § 44 Abs. 2 der Verordnung (EWG) 1408/71 aufschiebe und bat um Feststellung, dass kein Fiktivabzug von seiner Rente erfolgt.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit "Aufklärung zur Anrechnung einer fiktiven ausländischen Rente nach § 31 FRG" tituliertem Schreiben vom 24.01.2008 mit, dass sie beabsichtigte, die ihm aus Rumänien zustehende Rente in ihrer voraussichtlichen Höhe von 37,87 EUR gemäß § 31 FRG anzurechnen, auch wenn er diese tatsächlich nicht beziehe. Soweit bis zum 15.02.2008 keine Mitteilung erfolge, dass das Rentenverfahren in Rumänien durchgeführt werden solle, werde die deutsche Rente ab dem 01.04.2008 entsprechend gemindert.
Der Kläger teilte hierauf mit Schreiben vom 04.02.2008 im Wesentlichen mit, dass die Beklagte kein Recht habe, einen so genannten "Fiktivabzug" vorzunehmen und das der genannte Betrag willkürlich festgelegt worden sei.
Mit Bescheid vom 05.03.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Altersrente für langjährig Versicherte in Höhe von 1.408,07 EUR brutto monatlich. In der Anlage 7 "Zusammentreffen mehrerer Ansprüche" stellte sie fest, dass die Rente von 1.445,94 EUR um 37,87 EUR auf 1.408,07 EUR zu mindern sei, da die Rente in Höhe des Bruttobetrages der Leistung aus der ausländischen Sozialversicherung ruhe. Gemäß Anlage 10 des Bescheides ermittelte sie diesen Betrag auf Basis eines rumänischen Rentenpunkts für die Altersrente eines durchgehend beschäftigten Durchschnittsverdieners, welchen sie mit der Anzahl der in der deutschen Rente berücksichtigten FRG-Zeiten, die voraussichtlich auch der ausländischen Rente zugrunde liegen würden, multiplizierte.
Der Kläger legte am 31.03.2008 Widerspruch gegen den Abzug einer fiktiven rumänischen Rente ein. Bei Inanspruchnahme des Dispositionsrechts aus Art. 44 Verordnung (EWG) 1408/71 sei ein Fiktivabzug nicht zulässig. Zudem sei der ermittelte Betrag willkürlich festgelegt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Zulässigkeit der Minderung der nach dem FRG berechneten Rente um die dem Kläger voraussichtlich zustehende Rente ergebe sich aus dem Sinn des § 31 FRG und stehe insbesondere im Zusammenhang mit § 2 FRG. Aus der Gesetzesbegründung zu Art. 5 Zustimmungsgesetz (ZustG) vom 18.06.1991 zu dem Abkommen vom 08.12.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit (DPSVA 1990) ergebe sich ein Zusammenhang zwischen §§ 2 und 31 FRG dergestalt, dass das FRG bei Abkommensstaaten weiterhin anzuwenden sei, sofern diese durch eine entsprechende "FRG-Weitergeltungsbestimmung" im über- und zwischenstaatlichem Recht ausdrücklich geregelt worden sei. Diese Ausnahmeregelung, welche eine weitere Anrechnung der ausländischen Zeiten nach dem FRG ermögliche, habe der Gesetzgeber aus Gründen des Vertrauensschutzes in das FRG eingeführt. Dieser Vertrauensschutz sei in der Erwartung eingeräumt worden, dass der durch das entsprechende Abkommensrecht ermöglichte Bezug einer ausländischen Rente nach § 31 FRG angerechnet werden könne. Die Anwendung des FRG im Verhältnis zu Rumänien sei in Nr. 13 Schlussprotokoll zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über Soziale Sicherheit vom 08.04.2005 geregelt und gelte im Rahmen des europäischen Gemeinschaftsrechts aufgrund eines Eintrags in Anhang III Buchst. A Nr. 20b VO (EWG) 1408/71 weiter. Aus der Vertrauensschutzregelung ergebe sich eine besondere Verpflichtung für den Berechtigten, seinen ausländischen Rentenanspruch zu realisieren. Tue er dies nicht, sei der deutsche Rentenversicherungsträger im Hinblick auf den Sinn und Zweck der abkommensrechtlichen "FRG-Weitergeltungsbestimmung" berechtigt, seine FRG-Leistung entsprechend zu beschränken. Das Dispositionsrecht des Art. 44 Abs. 2 Satz 2 VO (EWG) Nr. 1408/71, den rumänischen Rentenanspruch auf unbestimmte Zeit aufzuschieben, könne nicht dazu führen, die Anrechnungsvorschrift des § 31 FRG zu umgehen.
Der Kläger hat am 14.07.2008 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass er keine rumänische bzw. ausländische Rente beziehe und es nicht zu einem Doppelbezug kommen könne. Als Vertriebener und politisch Verfolgter hege er aufgrund der Vergangenheit in Rumänien keine Beziehungen mehr. Das Vorgehen der Beklagten sei nicht von § 31 FRG gedeckt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 05.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2008 zu verpflichten, ihm ab dem 01.04.2008 eine Altersrente für langjährig Versicherte ohne Abzug einer fiktiven rumänischen Rente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte wiederholt im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 05.03.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2008 ist rechtswidrig, soweit die Beklagte die dem Kläger zustehende Rente um einen Abzug in Höhe einer fiktiven rumänischen Rente des Klägers vermindert. Der Kläger hat ab dem 01.04.2008 einen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für langjährig Versicherte gemäß § 236 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ohne Abzug einer fiktiven rumänischen Rente.
Die Anrechnung einer fiktiven, tatsächlich nicht bezogenen Rentenleistung auf einen laufenden Rentenanspruch stellt einen Eingriff in die Rechtsposition des Klägers dar. Eine nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (§ 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, SGB I) hierfür erforderliche Ermächtigungsgrundlage vermag die Kammer nicht zu erkennen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Anrechnung einer fiktiven Rentenleistung nicht auf § 31 FRG gestützt werden. § 31 Abs. 1 Satz 1 FRG bestimmt, dass in dem Fall, dass dem Berechtigten von einem Träger der Sozialversicherung oder einer anderen Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland für die nach Bundesrecht anzurechnenden Zeiten eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder anstelle einer solchen eine andere Leistung gewährt wird, die Rente in Höhe des in Euro umgerechneten Betrages, der als Leistung des Trägers der Sozialversicherung oder der anderen Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ausgezahlt wird, ruht.
Nach dem Wortlaut dieser Regelung setzt ein Ruhen des gegenüber der Beklagten bestehenden Rentenanspruchs voraus, dass durch den ausländischen Versicherungsträger eine Rente oder andere Leistung "gewährt" und "ausgezahlt" wird. Die ausländische Rente muss nach dem klaren Gesetzeswortlaut tatsächlich an den Berechtigten geleistet werden. Nach der geltenden Fassung des § 31 Abs. 1 Satz 1 FRG ist somit die Möglichkeit der Anrechnung der ausländischen Rente unmissverständlich auf den Fall beschränkt, dass diese tatsächlich geleistet wird (ebenso Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 07.05.2008, Az.: S 1 R 1232/07; Sozialgericht Stuttgart, Beschluss vom 16.05.2008, Az.: S 9 R 3257/08 ER; Sozialgericht Freiburg, Beschluss vom 17.07.2008, Az.: S 6 3381/08 ER m.w.N.; Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 30.09.2008, Az.: S 14 R 417/08; Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 02.07.2008, Az ... L 14 B 469/08 R ER).
Auch die Entstehungsgeschichte von § 31 FRG spricht gegen die von der Beklagten vertretene Auslegung, wonach die Kürzung des deutschen Rentenanspruchs um eine fiktive ausländische Rente dem Willen des Gesetzgebers entsprechen soll. § 31 FRG ist Nachfolgevorschrift des bis zum 31.12.1958 geltenden § 1 Abs. 5 Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG), nach dem ein Leistungsanspruch erlosch, wenn von einem ausländischen Versicherungsträger für denselben Versicherungsfall "eine Leistung gewährt wird oder auf Antrag gewährt würde". Den Materialien zum Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) vom 25.02.1960 ist nicht zu entnehmen, dass die Alternative "auf Antrag gewährt würde" nur versehentlich keinen Eingang in die Neuregelung des § 31 FRG, der seit 1959 unverändert gilt, gefunden hat. Somit ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von § 31 FRG tatsächlich enger fassen wollte, als in Fassung von § 1 Abs. 5 FAG (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 02.07.2008 - L 14 B 469/08 R ER).
Anders als die Beklagte meint, hat sich an dieser Rechtslage auch nichts durch die Einfügung von § 2 Satz 2 FRG durch Art. 5 ZustG DPSVA 1990 geändert. In dieser Vorschrift ist als Ausnahme vom Vorrang europarechtlicher, abkommensrechtlicher und fremdstaatlicher Regelungen über die Anrechenbarkeit ausländischer Zeiten im Ausland die weitere Anwendbarkeit des FRG normiert. Eine Änderung des materiellen Regelungsgehalts von § 31 ist durch den Gesetzgeber weder anlässlich der Einfügung des § 2 Satz 2 FRG noch in der Folgezeit erfolgt. Wie bereits das Bayerische Landessozialgericht (a.a.O.) zutreffend ausgeführt hat, bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber anlässlich der Einfügung dieser Vorschrift die Erwartung hatte, der betroffene Personenkreis werde stets Rentenansprüche im Ausland geltend machen oder gar von einer entsprechenden Verpflichtung zur Antragstellung ausgegangen ist. Dass der Gesetzgeber eine Verpflichtung zur Antragstellung erwogen hat, ist in keiner Weise belegt. Auch der Begründung zu Art. 5 ZustG DPSVA 1990 kann dies nicht entnommen werden. Darin wird darauf hingewiesen, dass die Notwendigkeit einer Anpassung des Fremdrentenrechts an die sich verändernden Verhältnisse zwischen Ost und West von einer Änderung des § 2 FRG unberührt bleibe. Der Gesetzgeber hat sich bei Änderung des § 2 FRG somit gerade vorbehalten, weitergehende Regelungen zu treffen (Bayerisches Landessozialgericht, a.a.O.).
Eine analoge Anwendung des § 31 FRG auf die vorliegende Fallgestaltung kommt nicht in Betracht. Es ist nicht ersichtlich, dass insoweit eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte, planwidrige Regelungslücke besteht. Zum einen dürfte die Problematik, dass Versicherte, die in zwei Staaten Leistungsansprüche haben, eine Rentenleistung gegebenenfalls nur aus der deutschen Rentenversicherung beantragen, dem Gesetzgeber wohl angesichts der von § 1 Abs. 5 FAG abweichenden Fassung der streitgegenständlichen Norm bekannt gewesen sein. Zum anderen ergibt sich aus der bereits dargestellten Begründung zu Art. 5 ZustG DPSVA 1990, dass das FRG erst zu einem späteren Zeitpunkt den veränderten politischen Verhältnissen angepasst werden sollte. Insofern geht die Kammer davon aus, dass der Gesetzgeber weiterhin eine Anrechnung gem. § 31 FRG auf tatsächlich ausgezahlte Auslandsrenten beschränken wollte (ebenso Bayerisches Landessozialgericht, a.a.O.; Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 30.09.2008, Az.: S 14 R 417/08).
Die Beklagte kann sich auch nicht auf § 46 Abs. 2 SGB I stützen. Nach dieser Vorschrift ist ein Verzicht auf eine Sozialleistung unwirksam, soweit andere Personen oder Leistungsträger durch ihn belastet werden. Einen entsprechenden Verzicht gegenüber dem rumänischen Sozialleistungsträger hat der Kläger gerade nicht erklärt, sondern vielmehr von dem ihm in Art. 44 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EWG) 1408/71 eingeräumten Recht zum Aufschub der Feststellung der Rentenansprüche Gebrauch gemacht. In dem bloßen Aufschub liegt jedoch keine Aufgabe seiner Ansprüche gegen den rumänischen Rentenversicherungsträger im Sinne eines Verzichts. Die bloße Nichtgeltendmachung eines Anspruchs stellt keinen Verzicht dar, vielmehr gewinnt der Versicherte durch die Wahl des Antragszeitpunkts eine Dispositionsmöglichkeit über den Anspruch, die einem Verzicht im Sinne des § 46 nicht gleichzusetzen ist (vgl. nur W. Lilge in: ders.:, SGB I, Handkommentar, Loseblatt, Stand: Ergänzungslieferung 02/07, § 46 Ziff. 1 c) und d); Klose in: Jahn, SGB I/IV, Kommentar, Loseblatt, Stand: 183. Ergänzungslieferung April 2008, § 46 Rn. 4).
Auch aus Art. 44 Abs. 2 Verordnung (EWG) 1408/71 ergibt sich keine Ermächtigungsgrundlage für die fiktive Anrechnung ausländischer Sozialleistungen. Die in dieser Vorschrift normierte Antragsfiktion soll dem EU-Bürger eine gesonderte Antragstellung bezüglich gleichartiger Sozialleistungen in den jeweils betroffenen Mitgliedstaaten ersparen. Gleichzeitig wird ihm jedoch das Recht eingeräumt, die Feststellung von Leistungsansprüchen in anderen Mitgliedstaaten aufzuschieben. Sanktionen für die Ausübung dieses Dispositionsrecht sind in der Verordnung (EWG) 1408/71 nicht vorgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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