L 6 R 1039/09

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 6 R 3218/05
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 1039/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Restless-Legs-Syptomatik begründet nur in Ausnahmefällen eine quantitative Leistungseinschränkung des Leistungsvermögens. Die Einschränkungen sind unter Beachtung eines strengen Maßstabes (vgl. BSG, Urteil vom 1.07.1964 - 11/1 RA 158/61) nachzuweisen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 20. Juli 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen vermin-derter Erwerbsfähigkeit hat.

Die 1952 geborene Klägerin ist gelernte Kabelmechanikerin (Ausbildung vom 1. September 1969 bis 31. August 1971) und war in diesem Beruf bis 1976 tätig. Anschließend arbeitete sie beim VEB T. K.- und H. vom 1. März 1978 bis Ende 1982 als Korkarbeiterin und anschlie-ßend bis Ende 1991 als Holzbearbeiterin (Entlohnung durchgehend in Lohngruppe IV). In der Zeit vom 1. Januar bis 2. Juni 1988 wurde sie umgeschult und erhielt ein Zeugnis "Facharbei-ter für Holztechnik" Spezialisierungsrichtung Stuhlbau/Gestellbau. Anschließend war sie, unterbrochen von mehreren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, arbeitslos gemeldet bzw. ar-beitsunfähig erkrankt. Seit März 2000 ist sie geringfügig als Raumpflegerin beschäftigt. Seit 1. Februar 2013 bezieht sie eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Ihren Rentenantrag vom April 2005 lehnte die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens des Dr. Kellermann vom 1. Juni 2005 (leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Kör-perhaltung sechs Stunden und mehr möglich) mit Bescheid vom 9. Juni 2005 ab. Im Wider-spruchsverfahren zog sie unter anderem den Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung so-wie einen Reha-Entlassungsbericht der Bad Colberg Kliniken vom 25. August 2005 (Leis-tungsvermögen sechs Stunden und mehr ohne Heben und Tragen und Bewegen von Lasten, ohne häufige wirbelsäulenfixierte Zwangshaltung/Überkopfarbeiten und Arbeiten mit räumli-chem Sehen) bei. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2005 wies sie den Wider-spruch zurück.

Am 24. Oktober 2005 hat die Klägerin Klage erhoben. Das Sozialgericht hat diverse Befund-berichte mit medizinischen Anlagen beigezogen, unter anderem einen Arztbrief des Klini-kums Meiningen GmbH vom 12. Oktober 2006 (Diagnose: schwerstgradiges Restless-Legs-Syndrom (RLS) periodischer Beinbewegungen im Schlaf mit deutlichem Einfluss auf die Schlafqualität). Nach dem Gutachten des Orthopäden Dr. Jung vom 30. Juni 2008 liegen bei der Klägerin eine Anthralgie und Steife der linken Schulter, ein pseudoradikuläres Lumbal-syndrom bei Blockierung ISG beidseits und Maxpunkt L5/S1, Gonalgie links größer als rechts bei Chondromalazie links größer als rechts, ein pseudoradikuläres HWS-Syndrom bei Blockierung C0/C1 und C6/C7 beidseits, ein RLS (Neurologie), eine angebliche Augenblind-heit rechts und Sehschwäche links vor. Sie sei aufgrund zahlreicher Diagnosen multimorbide und seit Antragstellung nur noch in der Lage, weniger als zwei Stunden täglich eine kontinu-ierliche Arbeit zu verrichten. Mit Urteil vom 20. Juli 2009 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. November 2005 zu zah-len und die weitergehende Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf das Gutachten des Dr. J. bezogen. Hinsichtlich des Beginns des eingeschränkten Leistungsvermögens er-scheine dem Gericht das Gutachten des Dr. K. und der Reha-Entlassungsbericht der B. C. Kliniken, in denen ein günstigeres Leistungsvermögen eingeschätzt sei, gegenüber der Ein-schätzung von Dr. J. überzeugend. Für den Zeitraum ab 1. Mai 2005 bestehe kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Die Klägerin könne auf eine Tätigkeit als Poststellenmitarbeiterin verwiesen werden.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 10. November 2009 zugestellte Urteil am 27. November 2009 Berufung eingelegt. Ohne Begutachtung auf neurologischem bzw. neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet könne eine qualitative Leistungsminderung wegen des RLS nicht nachvollzogen werden. Inhaltlich sei dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Dr. O. vom 16. Mai 2011 zu folgen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 20. Juli 2009 aufzuheben und die Klage ins-gesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach ihrer Ansicht bestätigt das Gutachten des Prof. Dr. M. im vollen Umfang die Schwerstgradigkeit ihrer RLS-Krankheit und die dazu gehörenden Begleiterscheinungen. Sie sei nicht in der Lage, die Aufgaben des täglichen Lebens alleine zu erfüllen, geschweige denn einer geregelten Arbeit nachzugehen. Im Haushalt erhalte sie umfangreiche Unterstützung durch ihren Ehemann. Zudem sei die Funktion ihrer Nieren stark eingeschränkt, was der be-handelnde Dr. C. bestätigen könne.

Der Senat hat diverse Befundberichte, u.a. des Dr. C. vom 19. Oktober 2012, beigezogen und den Beteiligten ein berufskundliches Gutachten der H. J. vom 6. Juni 2004 aus einem anderen Verfahren des Senats (Az.: L 6 RJ 301/02) zur Tätigkeit einer Poststellenmitarbeiterin über-sandt. In seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 16. Mai 2011 hat Dr. O. fol-gende Diagnosen gestellt: RLS (ICD G25.81), Migräne (ICD G43.0), leicht- bis mittelgradi-ges Carpaltunnelsyndrom beidseits (ICD G56.0B), leichtgradige Depression (ICD F32.0), Klaustrophobie (ICD F40.2), Synkopen unklarer Genese (ICD R 55), Schulteraffektion links (ICD M 19.9), Amaurosis rechts (ICD H54.4R). Sie sei stärkerem Stress bzw. stärkerer kon-zentrierter Anspannung nicht gewachsen, aber noch in der Lage, leichte Arbeiten regelmäßig mindestens sechs Stunden täglich unter bestimmten Einschränkungen, auch als Poststellenmi-tarbeiterin, zu verrichten. In seiner Ergänzung vom 27. Juli 2011 hat der Sachverständige die-se Einschätzung bekräftigt.

Nach dem nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeholten nervenärztlichen Gutach-ten des Prof. Dr. M. vom 4. Juni 2012 leidet die Klägerin an einem RLS, Depressionen, Syn-kopen ungeklärter Ätiologie, Klaustrophobie, Migräne, angeborener Sehschwäche des rechten Auges, Bewegungseinschränkungen der linken Schulter und Carpaltunnelsyndrom. Sie könne noch mindestens drei Stunden täglich leichte Tätigkeiten ausüben. Die eingeschränkte "Ar-beitsfähigkeit" ergebe sich aus dem Schweregrad der Grunderkrankung der nicht befriedigen-den Behandlungssituation. Auf Rückfrage des Senats hat der Sachverständige unter dem 31. Juli 2012 ausgeführt, die Klägerin könne maximal drei Stunden täglich arbeiten. Der Grund sei das hochgradige RLS, das trotz Therapie nicht komplett unterdrückt werde. Dies bedinge Ein- und Durchschlafstörungen und verstärkte die Symptome Tagesschläfrigkeit und Er-schöpfbarkeit. Wegen dieser Grunderkrankungen könne sie auch keine dauerhaft sitzende Tätigkeit ausüben. Sie sei hochgradig sturzgefährdet und könne öffentliche Verkehrsmittel nur in Begleitung benutzen.

In seiner zusätzlichen Stellungnahme vom 26. September 2012 hat der Sachverständige Dr. O. ausgeführt, die Einschätzung des Prof. Dr. M. stütze sich im Wesentlichen auf eine Selbst-einschätzungsskala, die nicht validiert sei. Er sehe keinen Anlass, von seiner Beurteilung ab-zuweichen.

In seinem augenärztlichen Gutachten vom 16. Januar 2013 hat Dr. A. auf den rechten Auge eine Erblindung durch Kurzsichtigkeitsdegeneration der Netzhaus und Grauen Star (Kata-rakt), am linken Auge einen Ersatz der natürlichen Augenlinse durch ein Kunststoffimplantat (Pseudophakie) festgestellt. Die Klägerin könne noch vollschichtig Tätigkeiten ohne besonde-re Anforderungen an das Sehvermögen und ohne Tätigkeiten, die beidäugige Zusammenarbeit verlangten, ausüben. Eine Tätigkeit als Poststellenmitarbeiterin sei ihr möglich.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Ver-waltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat die Vorinstanz die Beklag-te zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. November 2005 verur-teilt, denn die Klägerin ist noch in der Lage, sechs Stunden täglich an fünf Wochentagen zu arbeiten.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bzw. wegen teilweiser Er-werbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach den §§ 43, 240 des Sechsten Buches Sozialge-setzbuch (SGB VI) scheidet aus, denn die Leistungsfähigkeit der Klägerin ist nicht in dem für eine Rentengewährung erforderlichen Umfang herabgesunken. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teil-weise erwerbsgemindert sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Ar-beitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn die Versicherten voll erwerbsgemindert sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Voll erwerbsgemindert sind sie, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Ar-beitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Be-rufsunfähigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 241 SGB VI) erfüllen.

Die Klägerin ist nicht berufsunfähig im Sinne von § 240 SGB VI, weil ihre Leistungsfähigkeit nicht in erforderlichem Umfang herabgesunken ist. Damit ist sie auch nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 SGB VI, denn dies setzt noch weitergehende Einschrän-kungen des Leistungsvermögens voraus als für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Nach § 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit we-gen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnis-sen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Nach Satz 2 umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der beson-deren Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfä-hig ist nach Satz 4 nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich aus-üben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Berufsunfähig-keit liegt nicht schon dann vor, wenn der Versicherte "seinen Beruf" nicht mehr ausüben kann, sondern erst dann, wenn eine Verweisung auf eine zumutbare andere Tätigkeit nicht mehr möglich ist. Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit wird grundsätzlich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes festgestellt, wozu die Rechtsprechung des Bundessozialge-richts (BSG) das so genannte Mehrstufenschema entwickelt hat. Die verschiedenen Stufen sind nach dem qualitativen Wert des bisherigen Berufes – dieser wird nach Dauer und Um-fang der im Regelfall erforderlichen Ausbildung, nicht anhand von Prestige oder Entlohnung bestimmt – hierarchisch geordnet (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 14. Mai 1996 – 4 RA 60/94 und 24. März 1998 –B 4 RA 44/96 R, beide nach juris). Die Arbeiterberu-fe werden durch das Mehrstufenschema in Gruppen untergliedert, die durch den Leitberuf des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbil-dungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert werden (vgl. BSG, Urteil vom 3. November 1994 – 13 RJ 77/93 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 49). Die Einordnung eines bestimmten Berufsschemas erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der förmlichen Berufsausbildung, sondern auch nach der Qualität der verrichteten Ar-beit, das heißt dem aus der Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnden Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 1994 – 13 RJ 35/93 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufes, besondere An-forderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird. Fachlich-qualitativ gleichwer-tig sind demnach alle Vergleichsberufe, die nach dem "Schema" in die gleiche oder in die nächst niedrigere Stufe einzuordnen sind. Wesentliches Merkmal und Beurteilungsmaßstab für die Qualität eines Berufes ist nach der Rechtsprechung des BSG die tarifliche Einstufung durch die Tarifvertragsparteien. Sie ist einerseits wesentlich für die abstrakte - "tarifvertragli-che" - Qualifizierung (im Sinne eines selbstständigen Berufsbildes) innerhalb eines nach Qua-litätsstufen geordneten Tarifvertrages, zum anderen für die tarifliche Zuordnung der konkre-ten, zuletzt ausgeübten Tätigkeit eines Versicherten zu einer Berufssparte und hierüber zu einer bestimmten Tarifgruppe des jeweils geltenden Tarifvertrages (vgl. BSG, Urteile vom 28. Mai 1991 – 13/5 RJ 69/90 und vom 21. Juni 2001 – B 13 RJ 45/00 R, beide nach juris).

Die Klägerin ist allenfalls als Angelernte des oberen Bereichs einzustufen. Grundsätzlich kommt es für die Beurteilung der Wertigkeit des bisherigen Berufs auf die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Tätigkeit an. Dies ist entgegen der Ansicht der Beklagten allerdings nicht die seit 2000 ausgeübte Tätigkeit als Raumpflegerin, denn sie war als geringfügige Tä-tigkeit versicherungsfrei. Unerheblich ist auch der erlernte Beruf als Kabelmechaniker, denn ihn hat die Klägerin bereits 1976 aus nicht gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Bei der bis 1991 ausgeübten Tätigkeit als Holzbearbeiterin handelte es sich trotz Facharbeiterzeugnis nicht um eine Facharbeitertätigkeit mit einer Regelausbildungszeit von mehr als zwei und regelmäßig drei Jahren. Dagegen spricht bereits, dass die Klägerin dieses Zeugnis nach einer nur halbjährigen Umschulung erhielt und in der gleichen Lohngruppe wie zuvor als Korkar-beiterin entlohnt wurde. Auch betrug die Regelausbildungsdauer in der DDR für diesen Beruf regelmäßig zwei, nicht jedoch drei Jahre. Im alten Bundesgebiet existierte dieser Beruf nicht; damit kommt eine Gleichstellung der Ausbildungszeit nicht in Betracht.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin diese Tätigkeit mit ihren Einschränkungen noch ausüben kann. Nach der Rechtsprechung des BSG sind Angelernte auch auf ungelernte Tätigkeiten verweisbar, es sei denn es handelt sich um solche mit ganz geringem qualitativem Wert. Jedenfalls kann die Klägerin auf die im Gutachten der Sachverständigen J. vom 6. Juni 2004 beschriebene Tätigkeit als Poststellenmitarbeiterin verwiesen werden; sie ist Angelern-ten oberen Ranges zumutbar (vgl. Senatsurteil vom 27. Oktober 2009 - L 6 R 461/05). Die Tätigkeit des Poststellenmitarbeiters gehört zur Berufsgruppe der Bürohilfskräfte, für die im Allgemeinen keine Berufsausbildung erforderlich ist und bei der fehlende Kenntnisse durch Einarbeitung beziehungsweise Anlernen in weniger als drei Monaten erworben werden kön-nen. Es sind einfache wiederkehrende kaufmännisch verwaltende körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen (z.B. Öffnen und Auszeichnen sowie Verteilen von Post, Kuvertie-ren und Frankieren der ausgehenden Post usw.), die überwiegend im Sitzen mit der Möglich-keit zum zeitweisen Gehen und Stehen ausgeführt werden; zum Teil erfordern sie Umgang mit Kommunikationsmitteln. Entlohnt wird sie in der Vergütungsgruppe IX BAT-Bund/Länder (so die Sachverständige J.), teilweise in der Vergütungsgruppe X Nr. 1 BAT-Ost (vgl. Senatsurteil vom 29. November 2000 – L 6 RJ 238/97). Stellen für Bürohilfskräfte sind in ausreichender Menge auf dem Arbeitsmarkt der gesamten Bundesrepublik vorhanden.

Die Anforderungen an den Verweisungsberuf als Poststellenmitarbeiter korrespondieren mit dem in den Gutachten der Dres. K., O. und A. festgestellten Leistungsvermögen der Klägerin. In seinem Gutachten vom 16. Mai 2011 hat der Sachverständige Dr. O. ihr Leistungsvermö-gen von mindestens sechs Stunden täglich für leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Absturzgefahr, ohne Schicht- und Akkordarbeit, ohne besondere nervliche Belastung, ohne besonderen Zeitdruck, ohne besondere Anforderungen an das Sehvermögen und ohne volle Belastbarkeit des linken Arms angenommen und die Möglichkeit der Tätigkeit als Poststellenmitarbeiterin ausdrücklich bejaht. Diese Einschätzung wird durch seine Feststel-lungen untermauert. Auf neurologischem Gebiet hat er einen regelrechten Befund festgestellt; eine Polyneuropathie konnte er nicht objektivieren. Das EEG war regelrecht ohne Hinweis auf cerebrale Genese der Synkopen oder einen intrakraniellen Prozess als Ursache der Kopf-schmerzen. Eine anhaltende Schmerzstörung hat er verneint, die geklagten Synkopen als kreislaufbedingt eingeschätzt und darauf hingewiesen, dass die angegebene Häufigkeit ange-sichts fehlender ärztlicher Unterlagen und fehlender kardialer Abklärung zu relativieren sei. In psychischer Hinsicht hat er eine allenfalls leichtgradige Depressivität festgestellt sowie eine blande Klaustrophobie, die die Klägerin in der Vergangenheit in ihrem Berufleben nicht beeinträchtigt hatte. Die Haupterkrankung der Klägerin, das idiopathisch primäre RLS gehört zu den extrapyramidalen Symptomen (vgl. Muhl/Timmann, "Extrapyramidale Syndrome und Ataxien" in Widder/Gaidzig, Begutachtung in der Neurologie, 2. Auflage 2011, S. 349). Seine Diagnose wird ausschließlich aufgrund der typischen Anamnese mit quälenden Dysästhesien der Extremitäten, die mit motorischer Bewegungsunruhe und ausgeprägtem Bewegungsdrang einhergehen, gestellt. Es kann zu schweren Schlafstörungen und dann zu erhebliche Beein-trächtigungen der Tagesempfindlichkeit und Leistungsfähigkeit führen. Nach der Einschät-zung des Dr. O., der der Senat folgt, wird die Klägerin durch die Erkrankung in den Aktivitä-ten des täglichen Lebens allerdings nicht wesentlich einschränkt. Eine abnorme Tagesmüdig-keit oder im EEG eine Vigilanzminderung hat er verneint. Unter Berücksichtigung des von ihm zitierten aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (u.a. Leitlinie der AWMF zur Begutachtung von Schmerzen) hat er nachvollziehbar ausgeführt, dass die Gesundheitsstö-rungen kein sozial schwerwiegendes Ausmaß erreichen und nicht mit gravierenden Auswir-kungen auf alle Lebensbereiche einhergehen. Auch hat er schwerwiegende Funktions- und Fähigkeitsstörungen nicht feststellen können. Dagegen spricht auch, dass sich die Klägerin um ihren Haushalt und ihre Tiere kümmert, mit ihrem Mann einkauft und Gartenarbeit macht.

Diese Einschätzung wird nicht durch das Gutachten des Prof. Dr. M. vom 4. Juni 2012 und seine Stellungnahme vom 31. Juli 2012 widerlegt. Er hat ausgeführt, dass die Amblyopie des rechten Auges, die Einschränkung der Schulterbeweglichkeit, Rückenbeschwerden ohne über das Altersmaß hinausgehende degenerative Veränderungen und Kniebeschwerden allenfalls hinsichtlich der Gestaltung des Arbeitsplatzes von Bedeutung sind. Seiner Einschätzung, dass die Leistungsfähigkeit Klägerin wegen eines RLS mit subjektiv und objektiv stark verkürzter Schlafzeit und hohem Index periodischer und isolierter Beinbewegungen im SIT auf maximal drei Stunden täglich begrenzt ist, folgt der Senat nicht. Es ist bereits nicht ersichtlich, warum eine solche Einschränkung am Tage vorliegen soll. Die RLS-Symptomatik selbst begründet nur in - hier nicht vorliegenden - Ausnahmefällen eine quantitative Leistungseinschränkung (vgl. Muhl/Timmann, "Extrapyramidale Syndrome und Ataxien" in Widder/Gaidzig, Begut-achtung in der Neurologie, 2. Auflage 2011, S. 354). Diese kommt daher nur bei einge-schränkter kognitiver Leistungsfähigkeit und Beeinträchtigung der Stimmung, des Gedächt-nisses, der Geschicklichkeit, der Reaktionszeit, des Konzentrationsvermögens und der Aus-dauer in Betracht (vgl. Fietzke, "Schlafstörungen" in Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, 7. Auflage 2011, S. 637, 640). Diese Einschränkungen sind hier unter Beachtung des erforderlichen strengen Maßstabes (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 1964 - 11/1 RA 158/61, nach juris) nicht mit dem notwendigen Vollbeweis nachgewiesen. Prof. Dr. Mayer berichtet über Missempfindungen der Arme und Beine (am Nachmittag zu-nehmend) und Störung des Nachschlafes, die aber nur auf Eigenangaben beruhen können und damit nicht validiert sind. Auch die von ihm verwendete RLS-Skala beruht auf subjektiven Angaben der Klägerin und hätte deshalb validiert werden müssen. Darauf weist Dr. O. in sei-ner Stellungnahme vom 26. September 2012 zu Recht hin. Der SIT (Suggested immobilisati-on test) "untermauert" - so Prof. Dr. M. - lediglich die Diagnose des primären RLS, beweist sie aber nicht und belegt vor allem keine Einschränkungen. Im Übrigen verneint Prof. Dr. M. ausdrücklich eine vermehrte Tagesschläfrigkeit und erwähnt im psychischen Befund keine auffallende Müdigkeit oder Erschöpfbarkeit. Seine Einschätzung widerspricht damit der des behandelnden Dr. Sch. im Arztbrief vom 1. April 2008 (Befinden am 19. März 2008 akzepta-bel) und im Befundbericht vom 22. März 2010 ("RLS-Symptome z. Zt. ausreichend kupiert, moderater bis guter Behandlungseffekt"). Die Klaustrophobie der Klägerin bezeichnet Prof. Dr. M. selbst als mäßig ausgeprägt. Entgegen seinen Ausführungen ist nicht belegt, dass sie eine Arbeit mit mehreren Personen verhindert. Dr. O. weist zu Recht darauf hin, dass diese Erkrankung lebenslang vorgelegen und die Klägerin bei der Erwerbstätigkeit bisher nicht be-hindert hat und bisher nicht speziell psychiatrisch oder psychotherapeutisch behandelt worden ist. Ein relevant eingeschränktes Leistungsvermögen kann auch nicht aus den Synkopen her-geleitet werden. Insoweit liegen keine ärztliche Unterlagen über die behauptete Frequenz vor; auch wurden sie bisher kardiologisch diagnostisch nicht abgeklärt. Nachdem die Klägerin eine Gehstrecke bis zu einem Kilometer zurücklegen kann, kommt es nicht darauf an, ob sie ein Kraftfahrzeug führen kann. Die Nutzung öffentlicher Verkehrmittel ist ihr nach den Gut-achten des Prof. Dr. M. und des Dr. O. möglich.

Die Klägerin wird auch nicht durch ihre Sehschwäche an der vollschichtigen Ausübung der Tätigkeit als Poststellenmitarbeiterin gehindert, wie Dr. A. in seinem Gutachten vom 16. Ja-nuar 2013 feststellt. Die Untersuchung des rechten Auges hat eine hochgradige Funktionsein-schränkung im Ausmaß einer Erblindung ergeben, die in erster Linie auf eine hohe Kurzsich-tigkeit mit leichter Augenfeststellung zurückzuführen ist. Beim linken Auge wurde die natür-liche Augenlinse durch ein Kunststoffimplantat ersetzt. Damit sind lediglich besondere An-forderungen durch beidäugiges Sehen ausgeschlossen, die in dem genannten Verweisungsbe-ruf nicht erforderlich sind.

Der Senat folgt auch nicht der Einschätzung im Gutachten des Dr. J. vom 30. Juni 2008. Seine Ausführungen, die Klägerin gelte "aufgrund zahlreicher Diagnosen auf orthopädischem Fach-gebiet sowie außerhalb der Orthopädie als multimorbide", sind völlig allgemein gehalten und nicht im Ansatz schlüssig. Dr. O. weist zu Recht darauf hin, dass sie seine Leistungsbeurtei-lung nicht begründen. Hierfür sind auch seine Ausführungen, das RLS-Syndrom sei von "wichtiger Bedeutung", nicht verwertbar. Im Übrigen hat sich Dr. J. nicht mit dem orthopädi-schen Gutachten des Dr. K. vom 1. Juni 2005 und dem Reha- Entlassungsbericht der B. C. Kliniken vom 25. August 2005 auseinander gesetzt, die ein Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden bejaht haben.

Soweit die Klägerin im Verfahren eine starke Einschränkung der Funktion ihrer Nieren vorge-tragen hat, wird dies durch den Befundbericht des Dr. C. vom 13. Oktober 2012 und die bei-gefügten Unterlagen nicht belegt. Die Diagnose "Flankenschmerzen links ohne neurologische Ursachen" gibt keinen Hinweis auf wesentliche Funktionseinschränkungen. Im beigefügten Arztbrief vom 20. März 2012 verneint Dr. S. den Nachweis einer malignen Nierenverände-rung, röntgendichter Konkremente und eine Harnstauung. Diese Unterlagen begründen somit keine Notwendigkeit einer Begutachtung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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