L 9 AS 1089/13 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 4 AS 174/12
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 1089/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Wert des Beschwerdegegenstandes nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG berechnet sich bei einem Aufrechnungsbescheid zur Rückzahlung eines Darlehens nach dem SGB II grundsätzlich nach der im Bescheid genannten Gesamtaufrechnungssumme und ist nicht auf den Aufrechnungsbetrag für den aktuellen Bewilligungszeitraum beschränkt (entgegen LSG Schleswig, B. v. 3. September 2010 - L 11 AS 152/10 -).
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 05. Juni 2013 aufgehoben. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung und ohne Einsatz von Vermögen unter Beiordnung von Rechtsanwalt A. M., B.straße 2, 0. S., bewilligt. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten. &8195;

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren vor dem Sozialgericht, in dem sie die Rechtswidrigkeit der Aufrechnung einer Darlehensforderung mit der laufenden Regelleistung nach § 20 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) geltend macht.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2011 (Bl. 433 d. VwA.) bewilligte der Beklagte der Klägerin für den Zeitraum Februar bis Juli 2011 vorläufig monatliche Leistungen in Höhe von EUR 627,83, wobei ein monatliches Einkommen von EUR 100,00 zugrundegelegt wurde. Die Klägerin beantragte im Februar 2011 ein Darlehen in Höhe von 1.050,00 für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen für die von ihr ab 01. März 2011 angemietete Wohnung. Mit einer "Erklärung zur Übertragung von Ansprüchen auf Geldleistungen gemäß § 53 Abs. 2 SGB I" vom 11. Februar 2011 (Bl. 463 d. VwA.) übertrug sie ihre Ansprüche auf die Regelleistung gemäß § 20 SGB II in Höhe monatlicher Raten von EUR 35,00 ab dem 01. März 2011 auf den Beklagten und verzichtete - jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerruflich - in Höhe der monatlichen Rate auf ihre Ansprüche auf die Regelleistung (§ 46 SGB I). Der Beklagte bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 14. Februar 2011 (Bl. 467 d. VwA.) unter Hinweis auf die Erklärung vom 11. Februar 2011 ein zinsloses Darlehen in beantragter Höhe. Mit Schreiben vom 15. Mai 2011 (Bl. 551 d. VwA.) widerrief die Klägerin die Übertragungserklärung vom 11. Februar 2011 und forderte mit Schreiben vom 06. Juni 2011 die Auszahlung der ungekürzten Regelleistung.

Am 21. August 2011 gebar die Klägerin einen Sohn, der monatlichen Unterhalt in Höhe von EUR 133,00 nebst EUR 184,00 Kindergeld bezog. Der Klägerin wurde mit Bescheid des Landkreises S.-R. vom 05. September 2011 ab 21. August 2011 Elterngeld in monatlicher Höhe von EUR 300,00 für die Dauer eines Jahres bewilligt, welches der Beklagte nach Abzug von Freibeträgen in Höhe von EUR 30,00 und 47,70 (Kfz-Haftpflicht) berücksichtigte. Mit Bescheid vom 26. September 2011 wurden der Klägerin und ihrem Sohn für die Zeit vom 1. November 2011 bis 31. Januar 2012 vorläufig Leistungen in Höhe von 467,46 EUR gewährt. Nach vorheriger Anhörung mit Schreiben vom 25. August 2011 (Bl. 618 d. VwA.) erließ der Beklagte am 26. September 2011 einen Bescheid (Bl. 658 d. VwA.), mit dem die Darlehensforderung in Höhe von 945,- EUR unter Hinweis auf den neu in Kraft getretenen § 42a Abs. 2 SGB II ab November 2011 in Höhe von monatlich EUR 57,90 (10% der Regelleistung der Klägerin nebst 10 % der Regelleistung des Sohnes) gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet wurde. Auf ihren Widerspruch erließ der Beklagte den Änderungsbescheid vom 15. Dezember 2011 (Bl. 690 d. VwA.), mit dem der monatliche Aufrechnungsbetrag auf 10 % der Regelleistung der Klägerin herabgesetzt wurde. Im Übrigen wurde der Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2012 (Bl. 691 f. d. VwA.) zurückgewiesen.

Gegen die Bescheide erhob die Klägerin am 20. Januar 2012 Klage zum Sozialgericht. Ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten wurde durch Beschluss vom 05. Juni 2013 abgelehnt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung habe keine Aussicht auf Erfolg. Der Vortrag sei "weder durch die Aktenlage, noch durch Unterlagen substantiiert und nachvollziehbar".

Gegen den am 17. Juni 2013 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Klägerin, die am 09. Juli 2013 beim Landessozialgericht eingegangen ist. Der Beklagte hat sich nicht geäußert.

II.

Die Beschwerde ist nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 172 SGG) erhoben.

Der Senat geht zwar in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe unzulässig ist, wenn in der Hauptsache die Berufung nach § 144 Abs. 1 SGG nicht zulässig wäre. Dies kommt hier jedoch deshalb nicht zum Tragen, weil hier um eine Aufrechnung im Hinblick auf eine noch offene Darlehensforderung in Höhe von insgesamt 945,- EUR gestritten wird. Der Senat folgt für den hier vorliegenden Fall nicht der Auffassung, die die Beschwer bei Aufrechnung durch den monatlichen Abzug für den aktuellen Bewilligungszeitraum begrenzt sieht und diesen Betrag an § 144 Abs. 1 SGG misst (vgl. LSG Schleswig, B. v. 3. September 2010 - L 11 AS 152/10 - Rdnr. 13, nach juris). Täte man dies, so ergäben sich nicht gerechtfertigte Rechtsschutzlücken, zumal vom Aufrechnungsbescheid über den aktuellen Bewilligungsabschnitt hinausgehend Rechtswirkungen entstehen, denen die Kontrolle durch die Rechtsmittelinstanz versagt bliebe, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Überprüfung durch das LSG (ein den Betrag von 750 Euro übersteigender Wert des Beschwerdegegenstandes, vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG) an und für sich vorliegen. Dies gilt jedenfalls für den Fall (wie hier), dass nicht für jeden Bewilligungsabschnitt ein gesonderter Aufrechnungsbescheid ergeht, sondern nur ein Bescheid erlassen wird, der die Gesamtaufrechnungssumme aufweist und zukunftsoffen keine Beschränkung der zeitlichen Geltung der Aufrechnung enthält, so dass sich der Aufrechnungsverwaltungsakt nicht nur auf die laufende Bewilligung bezieht (vgl. auch LSG München, B. v. 21. Juni 2103 - L 7 AS 329/13 B ER -).

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Klägerin ist prozesskostenarm i.S.v. § 115 Zivilprozessordnung (ZPO). Zu Unrecht hat das Sozialgerichtsgesetz die nach § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO erforderlichen Erfolgsaussichten verneint. Der Vortrag der Klägerin ist weder unsubstantiiert noch nicht nachvollziehbar. Aus der Klageschrift geht eindeutig hervor, dass sich die Klägerin gegen die Rechtmäßigkeit der Aufrechnung wendet. Dies genügt den Anforderungen des § 73a SGG i. V. m. § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

Zwar war angesichts des Einkommens der Klägerin in Form von Elterngeld, welches der Beklagte unter Abzug der Pauschale von EUR 30,00 berücksichtigte, bei einem monatlichen Aufrechnungsbetrag von EUR 35,90 (noch) nicht von einer verfassungswidrigen Unterdeckung über den mehr als zwei Jahre dauernden Aufrechnungszeitraum auszugehen. Unberücksichtigt geblieben ist jedoch offenbar (auch vom Beklagten) der Umstand, dass der Beklagte aus einer mit Bescheid vom 21. Oktober 2011 (Bl. 677 d. VwA.) geltend gemachten Erstattungsforderung in Höhe von EUR 707,66 monatlich einen weiteren Betrag von EUR 10,00 gegen die Regelleistung aufrechnet. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Ablehnung von Prozesskostenhilfe über kein anrechenbares Einkommen mehr verfügte.

Zwar hat der Gesetzgeber nunmehr mit § 42a SGB II eine gesetzliche Regelung für die Aufrechnung von Ansprüchen aus Mietkautionsdarlehen geschaffen (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012, Az.: B 4 AS 26/10 R). Durch die Aufrechnung ist das verfassungsrechtliche Existenzminimum nach Art. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) betroffen. Auch nach Schaffung der gesetzlichen Grundlage ist daher der in dem vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 09. Februar 2010 (Az.: 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) betonte Grundsatz zu beachten, dass die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein muss. Es ist daher im Einzelfall sicherzustellen, dass durch eine Aufrechnung nicht über einen längeren Zeitraum eine verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Bedarfsunterdeckung erfolgt, etwa weil außer Grundsicherungsleistungen kein weiteres einsetzbares Einkommen vorhanden ist oder weil - wie hier - noch eine weitere Forderung gegen den Anspruch auf die Regelleistung aufgerechnet wird. Dies gilt umso mehr, als es sich bei einem Mietkautionsdarlehen nicht um einen aus der Regelleistung anzusparenden Bedarf handelt.

Völlig außer Acht gelassen hat das Sozialgericht auch die Frage, ob der erst nach Auszahlung des Darlehens in Kraft getretene § 42a SGB II auf diesen "Altfall" überhaupt anwendbar ist.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved