L 8 AY 678/13

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 21 AY 4123/11
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 8 AY 678/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Vorschrift des § 1a Nr. 2 AsylbLG verstößt nicht gegen die Verfassung und ihre verfassungskonforme Auslegung erfordert nicht die Annahme, der unabweisbare Bedarf sei allein das uneingeschränkte soziokulturelle Existenzminimum (so schon Senatsbeschluss vom 17. Januar 2013 - L 8 AY 1801/12 B ER).

2. Minderjährige müssen sich im Rahmen des § 1a Nr. 2 AsylbLG das Verhalten der sorgeberechtigten Eltern zurechnen lassen. Etwas anderes folgt auch nicht aus der UNKRK.

3. Die unabweisbar gebotenen Leistungen sind regelmäßig die zur Sicherung des physischen Existenzminimums notwendigen Leistungen für Bedarfe nach den Abteilungen 1 - 6 RBEG. Nach Maßgabe der jeweiligen konkreten Umstände des Einzelfalls können aber auch Bedarfe nach den Abteilungen 7 - 12 notwendig sein.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 26. März 2013 abgeändert, soweit das Sozialgericht zu einem Betrag zur persönlichen Verfügung von mehr als 16,08 Euro verurteilt hat. Auf Klage wird der Bescheid vom 26. November 2012 dementsprechend abgeändert; die Klage wird im Übrigen abgewiesen. Der Beklagte hat den Klägerinnen 2/15 der außergerichtlichen Kosten für die erste Instanz und 1/5 der außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerinnen begehren nach § 3 AsylbLG für August 2011 einen höheren Betrag zur per-sönlichen Verfügung.

Die Klägerinnen sind nach eigenen Angaben am 5. Oktober 2009 auf dem Landweg zusammen mit ihren Eltern in Deutschland eingereist. Ausweispapiere oder sonstige Identitätsdokumente existieren nicht. Die Namen der Eltern werden mit R. A. (im Folgenden Vater) und F. A. (im Folgenden Mutter), die der Klägerinnen wie im Rubrum angegeben. Des Weiteren wird angegeben, dass die Klägerin zu 1 am 27. September 1996 und die Klägerin zu 2 am in B. geboren wurden. Die Staatsangehörigkeit wird als A. angegeben. Gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BMF) wurde ferner angegeben, dass die Eltern in B. geheiratet haben und die letzte Wohnanschrift B. Siedlung B., P ... , Wohnung 3 laute.

Am 12. Oktober 2009 stellten alle vier Personen einen Asylantrag. Es folgte ihre Zuweisung in die Gemeinschaftsunterkunft Sch. sowie eine Aufenthaltsgestattung nach § 63 AsylVfG für die Dauer des Asylverfahrens. Auf Anfrage des BMF überprüfte in der Folge die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in B. (im Folgenden: Botschaft) die Identität der vier Personen. Mit Schreiben vom 14. April 2010 teilte die Botschaft mit, dass keiner der vier Personen unter den angegebenen Personalien in der nationalen Datenbank festgestellt werden könne. Aussagen über die Staatsangehörigkeit seien daher nicht möglich. Eine Eintragung der Eheschließung sei ebenfalls nicht registriert und die angegebene Wohnanschrift existiere nicht, weshalb mit dieser Identität auch kein Personalausweis für den Vater ausgestellt worden sein könne. Eine entsprechende Registrierung sei daher nicht zu beschaffen.

Gestützt auf diese Auskunft der Botschaft lehnte das BMF unter dem 16. Juli 2010 die Asyl-anträge und die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund der Einreise über einen sicheren Drittstaat und der unbestätigten Identität als offensichtlich unbegründet ab und forderte zur Ausreise binnen einer Woche auf. Der dagegen gerichtete Eilantrag zum VG Meinigen (1 E 20166/10 Me) ist unter dem 28. September 2010 als unbegründet abgelehnt worden; Beschwerde wurde nicht eingelegt. Ab 1. Februar 2011 war der Aufenthalt nur geduldet. Das Hauptsacheverfahren vor dem VG Meiningen mit dem Aktenzeichen 1 K 20165/10 Me wurde mit Beschluss vom 8. Februar 2013 rechtskräftig wegen Rücknahme der Klage als abgeschlossen eingestellt.

Bereits am 1. Februar 2011 wurden die Klägerinnen und ihre Eltern in einem sog. Ausreisege-spräch in der Ausländerbehörde des Beklagten über ihre Ausreiseverpflichtung und die Be-deutung ihrer Pflicht zur Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisepapieren belehrt. Sie haben dazu keine Angaben gemacht. Die vier Personen wurden aufgefordert, bis zum 1. März 2011 Pässe oder ähnliches der Ausländerbehörde vorzulegen bzw. nachzuweisen, dass sie bei der a. Botschaft vorgesprochen und Dokumente beantragt haben. Nach Angaben des Bevollmächtigten der Klägerinnen sprach der Vater im März 2011 im Konsulat A. in B. vor und füllte dort einen Passantrag aus. Aktenkundig ist dies nicht. Aktenkundig ist dagegen, dass anlässlich einer Vorführung in der Botschaft A. am 8. September 2011 ein Antrag auf Ausstellung von Passersatzpapieren unter Angabe der bisherigen, nicht bestätigten Personalien gestellt wurde. Unter dem 17. April 2012 teilte die A. Botschaft daraufhin mit, das Überprüfungsverfahren sei ergebnislos verlaufen, weil die angegebenen Informationen in den Anträgen unvollständig und ungenau seien.

Bis heute liegen keine Identitätspapiere vor. Die Angaben zur Identität der Klägerinnen oder ihrer Eltern sind bisher nicht geändert worden.

Nach Zuweisung in die Gemeinschaftsunterkunft Sch. und auf Antrag der schulpflichtigen Klägerinnen bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Oktober 2009 für Oktober 2009 und 6. November 2009 für Dezember 2009 Leistungen nach § 3 AsylbLG (für alle 650,35 Euro, davon 143,15 Euro Betrag zur persönlichen Verfügung). Nach Anhörung mit an den Vater gerichtetem und auf die gesamte Familie bezogenem Schreiben vom 7. Juli 2011 setzte der Beklagte unter dem 28. Juli 2011 die Leistungen aller für August 2011 beschränkt auf die Gewährung von Wertgutscheinen für Ernährung, Bekleidung, Energie und Pflegemittel im Wert von 507,20 Euro ohne einen Betrag zur persönlichen Verfügung (sog. Taschengeld) nach § 1a AsylbLG fest (sog. Grundlagenbescheid) und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit an. Der dagegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 12. Oktober 2011).

Mit Beschluss vom 22. September 2011 ordnete das Sozialgericht Altenburg (SG) an, den Klägerinnen (dort Antragstellerinnen) im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG ab 25. August 2011 bis 31. August 2011 jeweils 9,24 Euro und anschließend bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2011 monatlich einen Geldbetrag von jeweils 40,90 Euro zu zahlen. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wurde als unstatthaft verworfen (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG).

Unter dem 9. November 2012 haben die Klägerinnen Klage erhoben und die Verpflichtung des Beklagten begehrt, unter Aufhebung der Bescheide vom 28. Juli 2011 und 12. Oktober 2011 ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG zu erbringen. Die Zurechnung des Verhaltens der Eltern sei rechtswidrig. Eine Absenkung von Leistungen sei nach der Rspr. des BVerfG nicht zulässig und verletzte ihre Menschenwürde; zudem verstoße sie gegen die UNKRK. Auf Anfrage des SG haben sie klargestellt, dass Gegenstand es Begehrens allein die das soziokulturelle Existenzminimum der Abteilungen 7 - 12 der RBEG für den Monat August 2011 sei.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 26. März 2013 hat das SG den Beklagten unter (teilweiser) Aufhebung der Bescheide vom 28. Juli 2011 und 12. Oktober 2011 verurteilt, den Klägerinnen für August 2011 jeweils 80 Euro zu gewähren; die Kosten seien wegen der zu-rückgenommenen Klageerweiterung nur zu 2/3 von dem Beklagten zu erstatten. Zur Begründung führt es aus, es fehle schon an einer Rechtsgrundlage für die Zurechnung des elterlichen Verschuldens; darüber hinaus sei die Anwendung des § 1a AsylbLG bei Kindern verfas-sungswidrig, denn die Vorenthaltung von Leistungen, die zur Gewährung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlich seien, sei allenfalls dann zu rechtfertigen, wenn der Betroffene es selbst in der Hand habe, durch sein Verhalten die Einschränkung zu vermeiden. Dies sei bei den Klägerinnen aber nicht der Fall. Zudem habe das BVerfG mit seinem Urteil vom 18. Juli 2012 (1 BvR 10/10) erkannt, dass das soziokulturelle Existenzminimum in keinem Fall unterschritten werden dürfe, auch nicht in den Fällen des § 1a AsylbLG. Etwas anderes sei auch nicht aus dem Gedanken gerechtfertigt, der Betroffene habe es ja in der Hand, durch seine Mitwirkung in den Genuss der vollen Leistung zu gelangen. Die Beeinträchtigung der Menschenwürde dürfe nicht als Druckmittel eingesetzt werden. Dass das SGB II derartige Einwirkungsmöglichkeiten vorsehe, führe zu keinem anderen Ergebnis; vielmehr stelle sich die - hier nicht erhebliche - Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen des SGB II. Eine verfassungskonforme Auslegung bestehe daher in der vollständigen Gewährung des soziokulturellen Existenzminimums.

Hiergegen hat der Beklagte Berufung eingelegt. Er hält die Zurechnung des elterlichen Verhaltens für rechtmäßig. Im Übrigen enthalte das zitierte Urteil des BVerfG keine Aussage zu § 1a AsylbLG. Die Anpassung der Regelsätze sei entsprechend dieses Urteils ab 1. August 2011 erfolgt, so auch bei den Klägern.

Er beantragt daher,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 26. März 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Zudem seien die Vorgaben der UNKRK zu beachten, welche einer Ausklammerung der Bedarfe nach Abt. 7 - 12 der RBEG bei den Klägerinnen ebenfalls entgegenstünde.

Mit Bescheid vom 26. November 2012 hat der Beklagte in Ausführung des Urteils des BVerfG vom 18. Juli 2012 (1 BvR 10/10) von August 2011 bis Dezember 2012 höhere Leistungen unter Berücksichtigung allein der Bedarfe nach den Abt. 1 - 6 RBEG (unter Einschluss von Sachleistungen) bewilligt. Die Geldleistungen belaufen sich für August 2011 auf 178 Euro (aus Abt. 1 - 3, 6 RBEG) je Klägerin. Zudem hat er bei den Klägerinnen in Ausführung des Eilbeschlusses des SG für August 2011 jeweils einen Betrag zur persönlichen Verfügung von 9, 24 Euro und ab September 2011 durchgehend in Höhe von 40, 90 Euro berücksichtigt und der ganzen Familie einen Nachzahlungsbetrag von 2.276,30 Euro zur Auszahlung gebracht.

Nachdem der Klägerin zu 2 zunächst ab Vollendung ihres 18. Lebensjahres am 3. Januar 2013 höhere Leistungen nach § 3 AsylbLG gewährt worden waren (Bescheide vom 9. Januar 2013), hat der Beklagte mit Wirkung ab Mai 2013 ihre Leistungen erneut nach § 1a AsylbLG auf die Abt. 1 - 6 RBEG beschränkt.

Dem Senat haben bei seiner Entscheidung die Gerichtsakte sowie die Ausländerakte und die Leistungsakten des Beklagten vorgelegen, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

I. Die - vom SG zugelassene Berufung - ist zulässig. Insbesondere sind die Klägerinnen von R. A. und F. A. nach § 1629 BGB wirksam bei Einlegung der Berufung (wie im Übrigen auch der Klageerhebung) vertreten worden. Obwohl im Zentrum des Rechtsstreits die Verschleierung der Identität der Klägerinnen und ihrer (gesetzlichen) Vertreter steht, bestehen zur Überzeugung des Senats keine vernünftigen Zweifel daran, dass R. A. und F. A. die sorgeberechtigten Eltern der Klägerinnen im Sinne des § 1629 Abs.1 BGB sind. Die Beteiligten selbst sind stets von dieser Tatsache ausgegangen und entgegenstehende Anhaltspunkte sind nicht zu erkennen.

II. Die Berufung ist überwiegend begründet. Zu Unrecht hat das SG den angefochtenen Bescheid vom 28. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2011 aufgehoben und zur Gewährung eines Geldbetrages von monatlich mehr als 16,08 Euro je Klägerin verurteilt.

A. Die Klage ist zulässig.

1) Klage- und damit Berufungsgegenstand ist aufgrund des Antrags der Klägerinnen und der schriftlichen Erläuterungen ihres Bevollmächtigten nur der mit den Bescheiden vom 28. Juli 2011 und 3. August 2011 geregelte Geldbetrag für soziokulturelle Bedarfe nach den Abteilungen 7 - 12 der RBEG (im Folgenden: Betrag zur persönlichen Verfügung; sog. Taschengeld) für August 2011, wie das SG zutreffend angenommen hat. Obwohl die bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens konkludent mit der Auszahlung der monatlichen Leistung ergangenen Bewilligungen in analoger Anwendung des § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden sind (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 11/07 R, Rn. 10), haben die Klägerinnen auf Nachfrage des SG mit Schreiben vom 23. April 2012 und 14. Januar 2013 ausdrücklich mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 27. April 2012, 24. Oktober 2012 und 16. Januar 2013 klargestellt, nur die Leistungen für das soziokulturelle Existenzminimum nach Abt. 7 - 12 für August 2011 zu begehren. Damit haben sie zugleich in zulässiger Weise (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2013 – B 7 AY 7/12 R) den Streitgegenstand auf den Betrag zur persönlichen Verfügung beschränkt.

Gegenstand des Klageverfahrens ist allerdings nach § 96 SGG auch der Bescheid vom 26. November 2012, mit welchem für den Monat August 2011 anteilig für die Klägerinnen jeweils ein Regelbedarf nach den Abteilungen 1 bis 3, 6 in Höhe von 178 Euro zur Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) nach § 1a AsylbLG bewilligt wird. Ausdrücklich werden die Abt. 4 (Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung) und 5 (Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände) von der Geldleistung ausgenommen, weil diese Leistungen durch Unterbringung der Klägerinnen in der Gemeinschaftsunterkunft als Sachleistung erbracht werden. Zugleich wird mit diesem Bescheid konkludent u.a. auch für August 2011 ein Betrag zur persönlichen Verfügung abgelehnt, denn verfügt wird diesbezüglich nur die Auszahlung des sich aus dem Eilbeschluss des SG vom 22. September 2011 ergebenden Betrages zur persönlichen Verfügung in Höhe von 9,24 Euro für August 2011 pro Klägerin. Damit wird bei verständiger Würdigung des Bescheidinhaltes weiterhin ein Betrag zur persönlichen Verfügung abgelehnt.

Das SG hat diesen Bescheid versehentlich nicht in seiner Entscheidung berücksichtigt. Es ist dem Senat jedoch nicht verwehrt, den Bescheid nach den Grundsätzen des "Heraufholens von Prozessresten" (vgl. hierzu Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 143 Rn. 1b m.w.N.) heraufzuholen und auf Klage darüber zu entscheiden, da die Beteiligten zu dieser Verfahrensweise ihr Einverständnis erklärt haben.

2) Richtige Klageart ist die unechte Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG; nicht ausreichend ist hier in jedem Fall eine isolierte Anfechtungsklage, denn es handelt sich bei den Entscheidungen des Beklagten um keine Sanktions- bzw. Kürzungsbescheide, sondern um die (Grund-)Bewilligungsentscheidungen selbst. Aus diesem Grund geht die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid vom 28. Juli 2011 ins Leere und vermag die Klägerinnen nicht zu beschweren. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um einen Höhenstreit.

B. Der Bescheid vom 28. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2011 und in der Fassung des Bescheides vom 26. November 2012 ist überwiegend rechtmäßig. Ein Anspruch auf höhere Leistung ist lediglich in Höhe von 16,08 Euro je Klägerin gegeben.

1) In formeller Hinsicht bestehen keine Bedenken, denn der Beklagte ist nach § 1 Thüringer Verordnung zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (ThürDVOAsylbLG) vom 5. Mai 2000 (GVBl. S. 102) sachlich und örtlich für die Leistungen nach § 3 AsylbLG zuständig. Die Klägerinnen haben im August 2011 in Sch. und damit im Bezirk des Beklagten ihren tatsächlichen Aufenthalt gehabt. Entsprechend § 124 Nr. 2 Thüringer Kommunalordnung vom 28. Januar 2003 (GVBl. S. 41) ist für die Erteilung des Widerspruchsbescheides in Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises (so hier: § 1 Abs. 4 Thür DVOAsylbLG) das Landesverwaltungsamt als Fachaufsichtsbehörde (§ 118 Abs. 5 Thüringer Kommunalordnung) zuständig, wie hier geschehen.

2) Die Voraussetzungen für einen höheren Anspruch nach § 3 Abs. 1 AsylbLG sind nur im Umfang von 16,08 Euro gegeben; insbesondere waren die Voraussetzungen einer An-spruchseinschränkung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG im August 2011 erfüllt. Die Klägerinnen sind Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG, § 7 AsylbLG (dazu a). Die Voraussetzungen einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Nr. 2AsylbLG liegen ebenfalls vor (dazu b), Es bestehen keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Voraussetzungen einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG; und sie ist auch nicht verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass keine Einschränkung vorgenommen wird (dazu b aa). Bei den Klägerinnen können aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von ihnen zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden, insbesondere müssen sich die zum streitigen Zeitpunkt im August 2011 minderjährigen Klägerinnen das Verhalten ihrer Eltern zurechnen lassen (dazu b bb). Die vom Beklagten gewährten Geld- und Sachleistungen nach Abt. 1 - 6 RBEG sind zusammen mit den Leistungen nach Abt. 8 und 10 RBEG die im vorliegenden Einzelfall nach den Umständen im Sinne des § 1a AsylbLG unabweisbar gebotenen Leistungen nach dem AsylbLG (dazu c).

a) Die Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 1 und 7 AsylbLG waren hier im August 2011 ge-geben. Leistungsberechtigt sind nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AylbLG Ausländer, die sich tat-sächlich im Bundegebiet aufhalten und eine Duldung nach § 60a AufenthG besitzen und/oder (u.a.) vollziehbar ausreiseverpflichtet sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist; weitere Voraussetzung für einen Anspruch nach dem AsylbLG ist die Bedürftigkeit nach § 7 AsylbLG. Die Klägerinnen hielten sich tatsächlich in Deutschland auf. Sie waren als ehemalige (rechtskräftig abgelehnte) Asylbewerberinnen seit Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Ausreiseaufforderung vom 16. Juli 2010 durch Beschluss des VG Meiningen (1 E 20166/10 Me) am 28. September 2010 nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG vollziehbar ausreiseverpflichtet; zudem war ihr Aufenthalt nur geduldet. Es ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sie im August 2011über Einkommen oder Vermögen im Sinne des § 7 AsylbLG verfügten.

b) Die Voraussetzungen einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG liegen ebenfalls vor.

aa) Die Vorschrift des § 1a Nr. 2 AsylbLG verstößt zur Überzeugung des Senats nicht gegen die Verfassung und ihre verfassungskonforme Auslegung erfordert nicht wie das SG meint, die Annahme, der unabweisbare Bedarf sei allein das uneingeschränkte soziokulturelle Exis-tenzminimum (so schon Senatsbeschluss vom 17. Januar 2013 - L 8 AY 1801/12 B ER). Die Vorschrift des § 1a AsylbLG würde damit faktisch abgeschafft. Fordert die Verfassung nicht die Gewährung von bedarfsunabhängigen, voraussetzungslosen Sozialleistungen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 7. Juli 2010 - 1 BvR 2556/09, Rn. 13 zur Einkommensanrechnung), also etwa ein sog. Bürgergeld, so schließt sie auch nicht aus, Leistungen an ausreisepflichtige Berechtigte nach dem AsylbLG an einschränkende Bedingungen zu knüpfen. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Überlegung des BVerfG (Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, Rn. 121), dass die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren ist. Daraus folgt zwar, dass migrationspolitische Erwägungen, Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein international vergleichbares hohes Leistungsniveau zu vermeiden, unzulässig sind (vgl. Oppermann in: jurisPK - SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 79.2); daraus folgt aber nicht, dass bei bereits eingereisten Leistungsberechtigten keine leistungsrechtlichen Konsequenzen zur Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen möglich sind.

Dies wird gerade hier deutlich, da es sich um Personen handelt, die unerlaubt eingereist sind, sich unberechtigt (nur geduldet) in Deutschland aufhalten und überdies durch die Verschleierung ihrer Identität gegen ihre Pflichten aus § 48 Abs. 3 AufenthG (Mitwirkung bei der Passbeschaffung) verstoßen. Andernfalls hätten es diese Personen in der Hand, nicht nur faktisch über ihre Aufenthaltsdauer, sondern auch über die Höhe ihrer Sozialleistungen zu bestimmen. Die Ausreisepflicht wäre nicht mehr staatlich vollziehbar und durch den Wegfall der (drohenden) Anspruchseinschränkung würde ein starker Motivationsschub zur Mitwirkung entfallen. Die Entscheidung, ob dieses Instrument wegfallen soll, muss daher dem Gesetzgeber überlassen bleiben. Mit der Annahme einer allgemeinen Verpflichtung zu uneingeschränkter Leistung nach § 3 AsylbLG im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 1a AsylbLG nimmt das SG daher verfassungsgerichtliche Verwerfungskompetenzen wahr. Nach der Rspr. des BVerfG kommt dem Gesetzgeber vielmehr ein Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung der notwendigen Bedarfe umfasst und zudem von unterschiedlicher Weite ist: Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09).

Die Anwendung des § 1a AsylbLG ist hier allein schon deshalb unbedenklich, weil es der Leistungsberechtigte des AsylbLG in der Hand hat, durch sein Verhalten die Leistungsvo-raussetzungen zu erfüllen und eine Kürzung oder den Wegfall zu vermeiden. Nicht anders als in anderen Grundsicherungssystemen ist daher die Verknüpfung von Mitwirkungspflichten und Verhaltenspflichten mit Leistungseinschränkungen auch im AsylbLG verfassungsrechtlich unbedenklich. Regelmäßig ist die Entscheidung über eine Leistung oder die Feststellung ihrer Voraussetzungen nur möglich, wenn der Antragsteller bestimmte Voraussetzungen durch sein Verhalten erfüllt bzw. zumutbare Angaben zu leistungsrelevanten Umständen macht. So sieht § 31 SGB II einen Katalog von Verhaltenspflichten des Leistungsberechtigten vor, bei deren Verletzung eine Absenkung des Regelbedarf in einer ersten Stufe von 30 % vorgesehen ist; bei wiederholten Verstößen ist sogar die Absenkung auf 60 % bzw. der vollständige Wegfall vorgesehen. Allerdings ist diese Wirkung auf einen Zeitraum von drei Monaten beschränkt. § 26 SGB XII sieht ebenfalls Leistungseinschränkungen als Folge bestimmter Pflichtverletzungen vor. Am deutlichsten bildet § 66 SGB I die Folgen unterbliebener Mitwirkungspflichten ab; danach entfällt eine Leistung in diesen Fällen sogar ganz.

Aus der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) folgt nichts anderes; das BVerfG verhält sich in dieser Entscheidung zu dem Kürzungstatbestand des § 1a AsylbLG nicht. Der Einfluss von Pflichtverletzungen des Leistungsberechtigten ist nicht Ge-genstand dieser Entscheidung gewesen. Aus der Einbeziehung des Betrags zur persönlichen Verfügung in den Bereich des menschenwürdigen Existenzminimums allein folgt gerade nicht der Ausschluss von Kürzungsmöglichkeiten, denn dann wäre dies auch im SGB II und SGB XII der Fall, was bisher von der verfassungsgerichtlichen Rspr. nicht erkannt worden ist. Soweit auf die unzulängliche Berücksichtigung der Folgen der steten Ausweitung des Personenkreises des § 1 AsylbLG hingewiesen worden ist, die dem AsylbLG nicht mehr nur solche Personen zuordnet, die sich kurzzeitig in Deutschland aufhalten, sondern auch solche mit faktischer Aufenthaltsverfestigung (vgl. dazu BSG im Terminbericht Nr. 70/12 Ziff. 4), so handelt es sich nicht um Fälle wie die der Klägerinnen. Sie zählen vielmehr zum klassischen Personenkreis des AsylbLG.

Es ist deutlich hervorzuheben, dass den Leistungsberechtigten des AsylbLG, der keinen Pass oder Passersatz besitzt, die ausländerrechtliche Verpflichtung des § 48 Abs. 3 AufenthG trifft, bei der Beschaffung der Identitätspapiere mitzuwirken. Diese Vorschrift korrespondiert mit der Vorschrift des § 1a Nr. 2 AsylbLG. Dabei ist diese Vorschrift so ausgelegt, dass die Kürzung nur solange erfolgt, wie die Mitwirkung unterbleibt. Der Leistungsberechtigte hat es also in der Hand, durch seine Mitwirkung die ungekürzte Leistung wieder herbei zu führen. Umgekehrt würde die Toleranz fehlender Mitwirkung die Erfüllung der gesetzlichen Mitwirkungspflicht in das Belieben des Leistungsberechtigten stellen, ein offensichtlich widersinniges Ergebnis. Die Ausgestaltung der Vorschrift ohne zeitlichen Rahmen rechtfertigt sich ebenfalls aus dieser Verhaltensabhängigkeit, denn während § 31 SGB II an einem einmaligen, in der Vergangenheit abgeschlossenen Verhalten anknüpft, greift § 1a Nr. 2 AsylbLG bei einem in seiner Wirkung noch andauernden, ununterbrochenen Tun oder Unterlassen.

bb) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1a Nr. 2 AsylbLG sind bei den Klägerinnen erfüllt; insbesondere müssen sie sich das Verhalten ihrer sorgeberechtigten Eltern zurechnen lassen (so auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 19. Juni 2006 - L 11 B 94/06 AY PKH; Hohm in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl. 2010, § 1a AsylbLG Rn. 22; Fasselt in: Wenzel/Fichtner, 4. Aufl. 2009, § 1a AsylbLG Rn. 15; Oppermann in: jurisPK - SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 38). Die Absenkung steht nicht im Ermessen des zuständigen Trägers (Oppermann in: jurisPK - SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 73). § 1a Nr. 2 AsylbLG greift bei Leistungsberechtigten, bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Anders als im Wortlaut des § 2 Abs. 1 AsylbLG kommt es nicht darauf an, dass sie die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich "selbst" beeinflusst haben. Aus dem Unterschied im Wortlaut der Norm folgt, dass der Tatbestand des § 1a AsylbLG kein höchstpersönliches, also nicht vertretbares Verhalten fordert (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 48). Verwendet das Gesetz aber den Begriff "Vertreten", so schließt dies regelmäßig auch den Fall der Vertretung durch eine andere Person ein. Es ist daher schon vom Wortlaut her nicht geboten, abweichend von der allgemeinen Regel bei der Vertretung von Kindern (§ 1629 BGB) allein auf das eigene Verhalten des Leistungsberechtigten (hier des Kindes) abzustellen; vielmehr kann auch hier das Verhalten des Vertreters Berücksichtigung finden. Dies erscheint auch vor dem Hintergrund des Normzwecks, eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG zu verhindern (vgl. Hohm in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl. 2010, § 1a AsylbLG Rn. 1), gerechtfertigt, denn andernfalls hätten es die Eltern in der Hand, durch ihr Verhalten über die Höhe der Leistung für ihre Kinder zu bestimmen und die Ausreisebereitschaft würde sinken. Zudem würde der § 1a AsylbLG bei Kindern leerlaufen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Wohl der Kinder in erster Linie in die Verantwortung der Eltern fällt, die es in der Hand haben, durch ihr Verhalten die Anspruchseinschränkung zu beenden, zumal die Motivation zur illegalen Einreise in aller Linie nicht von den Kindern ausgehen dürfte.

Etwas anderes folgt - entgegen der Annahme der Klägerinnen - auch nicht aus der UNKRK vom 20. November 1989. Aus den allgemeinen Diskriminierungsverboten der Konvention in Art. 2 und den Staatszielbestimmungen in Art. 3 und 4, das Wohl des Kindes zu fördern, kann unmittelbar kein Leistungsrecht abgeleitet werden. Dass Flüchtlingskindern trotz § 1a AsylbLG angemessener Schutz und humanitäre Hilfe im Sinne Art. 22 zukommt, ist nicht zweifelhaft. Bestenfalls ist aus Art. 27 Abs. 3 UNKRK ein Anspruch abzuleiten. Danach treffen die Vertragsstaaten gemäß ihren innerstaatlichen Verhältnissen und im Rahmen ihrer Mittel geeignete Maßnahmen, um den Eltern und anderen für das Kind verantwortlichen Personen bei der Verwirklichung dieses Rechts zu helfen, und sehen bei Bedürftigkeit materielle Hilfs- und Unterstützungsprogramme insbesondere im Hinblick auf Ernährung, Bekleidung und Wohnung vor. Den Vorgaben dieser Vorschrift wird allerdings durch die Gewährung der Leistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 – 3 AsylbLG offenkundig genügt, so dass die hier gewünschten weitergehenden Leistungen in dieser Vorschrift gerade keine Grundlage finden.

Hier konnten aufenthaltsbeendende Maßnahmen bislang – d.h. auch im August 2011 - deshalb nicht vollzogen werden, weil die Klägerinnen über keine Pässe oder Passersatzpapiere verfügen. Diese Dokumente konnten - im streitigen Zeitraum - trotz (nach eigenen Angaben zweimaliger) Vorstellung in der Botschaft A. nicht beschafft werden, weil die wahre Identität der Klägerinnen durch ihre Eltern verschleiert wurde und noch wird. In den Anträgen bei der Botschaft wurden dieselben Personalien angegeben, die gegenüber dem BMF und dem Beklagten angegeben worden sind. Dementsprechend hat die Botschaft der Republik A. unter dem 17. April 2012 mitgeteilt, das Überprüfungsverfahren hinsichtlich der Identität der Klägerinnen (und ihrer Eltern) sei ergebnislos geblieben. Bereits zuvor hat die Deutsche Botschaft in B. auf die Anfrage des BMF hin unter dem 14. April 2010 mitgeteilt, dass die Klägerinnen und ihre Eltern mit den angegeben Personalien nicht in der Datenbank des Landes registriert seien, eine Eintragung der Eheschließung in B. ebenfalls nicht registriert sei und die angegebene letzte Wohnanschrift nicht existiere. Gerade letztere Information zeigt, dass hier gezielt falsche Angaben gemacht worden sind. Zwar enthalten die Mitwirkungsaufforderungen der Ausländerbehörde nicht explizit die Aufforderung, die wahre Identität anzugeben; doch impliziert die Aufforderung, bei der Beschaffung von Identitätspapieren mitzuwirken, notwendigerweise die Aufforderung, wahre Angaben zur Identität zu machen. Ohne wahre Angaben muss jeder Versuch, einen Pass oder einen Passersatz zu beschaffen, notwendigerweise erfolglos bleiben. Einer besonderen Aufforderung, die wahre Identität anzugeben, bedurfte es daher hier nicht (dazu vgl. Senatsbeschluss vom 14. August 2013 - L 8 AY 170/13 B ER; Sächsisches LSG, Beschluss vom 19. Januar 2011 - L 7 AY 6/09 B ER; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Februar 2013 - L 15 AY 2/13 B ER; Bayerisches LSG, Beschluss vom 24. Januar 2013 - L 8 AY 4/12 B ER). Die Verschleierung der Identität durch die Eltern der Klägerinnen ist damit kausal für den gescheiterten Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Im Übrigen ist nicht zu erkennen, warum hier nicht auch von den im August 2011 15- bzw. 16jährigen Klägerinnen die wahre Identität hätte preisgegeben werden können.

c) Der unabweisbare Bedarf der Klägerinnen im Sinne der Vorschrift des § 1a AsylbLG wird durch die vom Beklagten gewährten Geld- und Sachleistungen in Anwendung der Abt. 1 – 6 RBEG, deren Höhe und Darbringungsform hier nicht Streitgegenstand und zwischen den Beteiligen im Übrigen unstreitig ist, sowie einen Betrag zur persönlichen Verfügung in Höhe von 16,08 Euro nach den besonderen Umstände im Einzelfall der Klägerinnen gedeckt. Ist der Tatbestand nach § 1a Nr. 1 oder 2 AsylbLG - wie hier - erfüllt, erhalten die Leistungsberechtigten Leistungen nach dem AsylbLG nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Der Begriff "unabweisbar" ist ein gerichtlich voll nachprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff (Oppermann in: jurisPK - SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 74). Die unabweisbar gebotenen Leistungen sind nach Maßgabe der jeweiligen konkreten Umstände des Einzelfalls festzulegen.

Der Betrag zur persönlichen Verfügung ist in diesem Sinn nicht vollständig unabweisbar. Der Bedarf ist auch nicht etwa im Umfang des gesamten soziokulturellen Existenzminimums als unabweisbar zu erkennen, wie das SG meint, denn dann wäre dies auch für Absenkungen im SGB II, SGB XII und nach § 66 SGB I der Fall und eine Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG wäre nicht möglich; der Tatbestand würde leer laufen. Andererseits ist eine vollständige Versagung oder die komplette Einstellung der Sozialleistungen auf der Grundlage von § 1a AsylbLG von vornherein unzulässig (Oppermann in: jurisPK - SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 78) und kann nicht mehr als das Unabweisbare verstanden werden. Die Anspruchseinschränkung auf das hier relevante unabweisbar Gebotene ist vielmehr regelmäßig dem Bereich der Sicherung der physischen Existenz eines Menschen zuzuordnen (vgl. Oppermann in: jurisPK - SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 78). Das physische Existenzminimum wird jedenfalls dann gewahrt, wenn die Bedarfe der Abt. 1 bis 6 RBEG durch Geld- oder Sachleistungen – wie hier – befriedigt werden. Dafür sprechen Wortlaut, Gesetzesmaterialien und der Vergleich mit Absenkungsvorschriften anderer Sozialleistungsgesetze (dazu sogleich).

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist unabweisbar, was nicht zu leugnen ist bzw. nicht "von der Hand zu weisen" oder unumgänglich ist. Auf die Bedarfe nach Abt. 7 – 12 RBEG (Verkehr, Nachrichtenübermittlung, Freizeit, Unterhaltung, Kultur, Bildung, Beherbergungs- und Gast-stättendienstleistungen, andere Waren und Dienstleistungen) kann offenkundig am ehesten vorübergehend verzichtet werden; d.h. sie sind eher "von der Hand zu weisen" und nicht un-umgänglich.

Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 13/11172, S. 7) ist der Geldbetrag nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG bis auf besondere Ausnahmen kein unabweisbarer Bedarf. Daraus folgt, dass – außer in besonderen Fällen - der Betrag nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG vollständig entfallen kann. Nachdem die in § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG normierten Beträge in Ausführung des Urteils des BVerfG vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) in Anlehnung an die Regelsätze nach § 28 SGB XII deutlich erhöht worden sind, ist für die Bestimmung des Unabweisbaren nicht mehr an die in der Norm enthaltenen Festbeträge anzuknüpfen, sondern an die nunmehr an deren Stelle getretenen Beträge nach den Abt. 7 – 12 RBEG. Dies folgt daraus, dass die Leistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG von den Leistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 – 3 AsylbLG zu unterscheiden sind; denn bei ihnen handelt es sich um den Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege sowie Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushalts, die mit den Bedarfen der Abt. 1 - 6 RBEG identisch sind. Daher ist der Schluss gerechtfertigt, dass der Betrag zur persönlichen Verfügung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG mit der Summe der Bedarfe der Abt. 7 - 12 RBEG identisch ist (vgl. dazu Frerichs in: jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Rn. 42.9 ff.). Damit ist nach dem Willen des Gesetzgebers der Betrag zur persönlichen Verfügung im Umfang der Beträge nach Abt. 7 – 12 RBEG nicht unabweisbar.

Der Umfang des Unabweisbaren lässt sich zur Überzeugung des Senats auch nicht aus (Sank-tions-)Vorschriften anderer Sozialleistungsgesetze ableiten, denn die gesetzgeberische Wertung, die hinter der konkreten Ausformung der einzelnen (Absenkungs-/Kürzungs-)Vorschriften steht, ist nicht auf den Tatbestand nach § 1a AsylbLG übertragbar; daher bleibt auch unklar, welche dieser Pauschalen heranzuziehen sein soll. Der Begriff "unabweisbar" unterscheidet sich zudem von dem gleichlautenden Begriff der Unabweisbarkeit in § 21 Abs. 6 SGB II, denn dort sind Leistungen erfasst, die über dem Regelbedarf liegen. Soweit der Senat mit Beschluss vom 17. Januar 2013 (L 8 AY 1801/12 B ER) in Anknüpfung an die Wertung des Gesetzgebers in § 31a SGB II eine Absenkung nach § 1a AsylbLG auf 30 % des Regelbedarfs unter Berücksichtigung etwaiger Sachleistungsgewährung für angemessen erachtet hat, wenn diese Absenkung nur in den Betrag zur persönlichen Verfügung erfolgt, beschränkte sich dies allein auf die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren bei offenen Erfolgsaussichten zu treffende Interessenabwägung. In diesem Rahmen erschien die 30-prozentige Absenkung jedenfalls noch als angemessen; ein höherer Betrag war dort nicht im Streit, da der vom Antragsgegner jenes Verfahrens gewährte Betrag von 23,08 bzw. 23,10 Euro den bei 30-prozentigem Abzug maximal möglichen Absenkungsbetrag bereits überstieg. Diese Erwägungen können auf das vorliegende Verfahren nicht übertragen werden, da die Absenkung hier die vollständigen Bedarfe nach Abt. 7 – 12 RBEG umfasst.

Die den Absenkungsregeln anderer Sozialleistungssysteme zugrunde liegende Interessenlage entspricht derjenigen des § 1a AsylbLG schon deshalb nicht, weil sie starr, d.h. nicht wie von § 1a AsylbLG gefordert nach den Umständen des Einzelfalls, festgelegt sind. Außerdem ist die Fallgruppe des § 31a SGB II nicht übertragbar, weil es sich im Rahmen des § 1a AsylbLG nicht wie bei § 31a SGB II um vollständig in der Vergangenheit liegendes, nicht mehr abänderbares Verhalten handelt, was nur nachträglich sanktioniert werden kann; das dem § 1a AsylbLG zugrunde liegende Fehlverhalten ist indes noch gegenwärtig und kann jederzeit kraft Willensentschluss der Leistungsberechtigten (oder ihrer Eltern) beendet werden. Zudem ist die Höhe nur auf der ersten Stufe mit 30 % festgelegt, kann also auch höher ausfallen (60 % oder ganz). Schließlich ist die Dauer auf drei Monate begrenzt. Denkbar wäre auch die Heranziehung des § 32 SGB II, da auch dieser an Mitwirkungsverpflichtungen anknüpft; hier wäre nur eine Absenkung von 10 % für drei Monate zulässig; allerdings handelt es sich auch hier um ein vollständig in der Vergangenheit abgeschlossenes Fehlverhalten; auch hier tritt der Sanktionscharakter in den Vordergrund. Die parallelen Vorschriften im SGB XII, die §§ 26, 39a SGB XII, sind ähnlich aufgebaut und haben allein Sanktionscharakter; sie lassen in einer ersten Stufe nur 25 % Absenkung zu, bei Wiederholung weitere 25 %. § 66 SGB I lässt sogar die vollständige Versagung bei Verletzung von zumutbaren Mitwirkungspflichten zu. Zu keinem dieser Regelungssysteme ist eine befriedigende Zuordnung der hier betroffenen Tatbestände des § 1a AsylbLG möglich, zumal das Ergebnis der unterschiedlichen Absenkung kaum noch als das "Unabweisbare" im Sinne des § 1a AsylbLG bezeichnet werden kann.

§ 1a AsylbLG sieht demgegenüber vor, dass die Leistung "im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist". Damit ist eine Beschränkung auf die in den Abt. 1 - 6 RBEG aufge-führten Bedarfe dann nicht unabweisbar, die wenn Umstände des Einzelfalls die Berücksichtigung weiterer Bedarfe gebieten. Eine die abweichende Berücksichtigung einzelner Bedarfe gebietende Besonderheit liegt hier in der Schulpflicht der im streitigen Zeitpunkt 15- bzw. 16-jährigen Klägerinnen. Auch wenn der August (überwiegend) in die großen Ferien fällt, ist die Befolgung der Schulpflicht regelmäßig trotz Lernmittelfreiheit und kostenlosem Transport zur und von der Schule, wie im Freistaat Thüringen, für die Schüler mit Kosten verbunden. So müssen für den Unterricht neben Arbeitsmaterialien, die als besondere Leistungen von dem Beklagten erbracht werden, auch Informationen beschafft werden, zu denen zumindest bei Schülern in der Mittelstufe der Zugang zum Internet auch im häuslichen Bereich wie auch der Zugang zu allgemeinen Nachrichtenquellen, wie Zeitungen und Zeitschriften, zählt. Das mit der Schulpflicht verfolgte Bildungsziel erfordert ebenfalls in gewissem Umfang Ausgaben, wie etwa für Bücher. Daher erscheinen dem Senat im vorliegenden Fall auch die Bedarfe der Abt. 8 (Nachrichtenübermittlung) und 10 (Bildung) RBEG nach Regelbedarfsstufe 4 in Höhe von 15,79 Euro (Abt. 8) und 0,29 Euro (Abt. 10) als unabweisbar.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG; dabei wird berücksichtigt, dass das SG - insoweit zutreffend wegen der zurückgenommenen Klageerweiterung - bereits 1/3 der Kosten der Klägerinnen von der Erstattung durch den Beklagten ausgenommen hat. Nachdem die Klägerinnen im Übrigen nur zu etwa 1/5 obsiegt haben, waren die erstinstanzlichen Kosten mit 2/15 (1/5 aus 2/3) und die des Berufungsverfahrens mit 1/5 anzusetzen.

IV. Die Revision ist nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, da der Rechtsfrage der Zurechnung des elterlichen Verhaltens ebenso wie der Frage der Berechtigung zur Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Rechtskraft
Aus
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