L 6 R 248/14

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 17 R 3160/12
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 248/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 27. Januar 2014 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für den Zeitraum vom 1. November 1996 bis 31. Dezember 1997 unter Anrechnung von Pflegezeiten.

Die 1952 geborene Klägerin beantragte am 23. Oktober 1996 Rente wegen verminderter Er-werbsfähigkeit, die die Beklagte mit Bescheid vom 22. April 1997 befristet für ein Jahr ab dem 1. Januar 1997 bewilligte. Ab dem 1. Januar 1998 bezog die Klägerin zunächst keine Rente.

Am 15. Januar 2007 beantragte die Klägerin erneut Rente wegen Erwerbsminderung, die die Beklagte mit Bescheid vom 29. August 2007 für die Zeit ab 1. Februar 2007 bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze bewilligte.

Mit Bescheid vom 23. Januar 2008 berechnete die Beklagte die gewährte Rente neu und lehnte die Anrechnung von Pflegezeiten für das schwerbehinderte Kind G. N. (geb. ) für den Zeitraum vom 1. Oktober 1983 bis 31. Dezember 1991 ab. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 2. März 2009 begehrte die Klägerin die Überprüfung dieses Bescheides nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Dem Antrag entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 30. März 2009 insoweit, als Pflegezeiten für die Zeit ab 1. April 1995 bis 7. August 1997 anerkannt wurden. Bezüglich vorausgegangener Pflegezeiten erhob die Klägerin Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 2009 zurückgewiesen wurde. Hiergegen erhob die Klägerin am 17. September 2009 die unter dem Az.: S 17 R 3334/09 beim Sozialgericht Altenburg (SG) anhängige Klage und begehrte die Neuberechnung der Rente unter Anerkennung von Pflegezeiten für den Zeitraum vom 1. Oktober 1983 bis 31. Dezember 1991 nach § 19 Abs. 3 des Zweiten Artikels des Renten-überleitungsgesetzes (RÜG), was einen Rentenbeginn in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1996 voraussetzt (Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 3 RÜG).

Am 21. Februar 2012 stellte die Klägerin den hier streitgegenständlichen Antrag auf Überprüfung des Rentenbescheides vom 22. April 1997 und begehrte die Leistung der Rente ab dem 1. November 1996.

Das Klageverfahren (S 17 R 3334/09) wurde am 20. April 2012 durch gerichtlichen Vergleich beendet. Die Beteiligten einigten sich darauf, zunächst das Überprüfungsverfahren hinsichtlich des Beginns der Erwerbsunfähigkeitsrente rechtskräftig abzuschließen. Im Anschluss sollte die Beklagte entscheiden, ob sich aufgrund des Ergebnisses der Überprüfung ein Anspruch der Klägerin auf Anrechnung von Pflegezeiten für den Zeitraum vom 1. Oktober 1983 bis 31. Dezember 1991 ergibt.

Den Überprüfungsantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2012 ab. Sie begründete dies damit, dass der Leistungsfall am 30. Juni 1996 eingetreten sei und die Rentenzahlung damit nach § 101 Abs. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) am 1. Januar 1997 beginne.

Hiergegen hat die Klägerin am 31. August 2012 Klage erhoben und zur Begründung die Ansicht geäußert, die Beklagte habe § 300 Abs. 2 SGB VI nicht beachtet und erkenne auch weiterhin zu Unrecht die Pflegezeiten nicht an.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27. Januar 2014 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Leistung weiterer Rente, da die Vierjahresfrist des § 44 Abs. 4 SGB X verstrichen sei.

Im Berufungsverfahren verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Altenburg vom 27. Januar 2014 sowie des Bescheides vom 27. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2012 zu verurteilen, den Antrag der Klägerin vom 21. Februar 2012 auf Neuberechnung der Rente wegen Erwerbsminderung neu zu bescheiden, den damals ergangenen Bescheid vom 22. April 1997 unter Berücksichtigung der nachgewiesenen monatlichen sozialversicherungspflichtigen Einnahmen in Höhe von 200 Mark im Zeitraum vom 1. Mai 1986 bis 31. Dezember 1990 neu zu berechnen und der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit spätestens ab 1. November 1996 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, ein Anspruch auf einen früheren Rentenbeginn bestehe nicht. Insbesondere liege ein Anwendungsfall des § 300 SGB VI nicht vor.

Im Erörterungstermin am 13. Januar 2015 hat der Berichterstatter die Beteiligten darauf hin-gewiesen, dass allein das Überprüfungsverfahren zum Rentenbescheid vom 22. April 1997 und damit der Zeitpunkt des Leistungsfalls streitgegenständlich ist. Über die Frage der Be-rücksichtigung der Pflegezeiten nach dem RÜG habe die Beklagte nach dem geschlossenen Vergleich (S 17 R 3334/09) erst nach rechtskräftigem Abschluss des vorliegenden Verfahrens gesondert zu entscheiden.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird ergänzend auf den Inhalt der Verfah-rensakte sowie die beigezogenen Akten der Beklagten und des SG (S 17 R 3334/09) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung, über die der Senat mit Einverständnis beider Beteiligter gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Mit dem angefochtenen Urteil vom 27. Januar 2014 hat das SG zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Abänderung des Bescheides vom 22. April 1997 und Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für Zeiträume vor dem 1. Januar 1997.

Soweit die Klägerin im vorliegenden Verfahren die Anerkennung von Pflegezeiten für das schwerbehinderte Kind G. N. für den Zeitraum vom 1. Oktober 1983 bis 31. Dezember 1991 begehrt, ist die Klage unzulässig. Der Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist einerseits durch den Überprüfungsantrag der Klägerin vom 21. Februar 2012 und andererseits durch den zwischen den Beteiligten in dem Verfahren vor dem SG (S 17 R 3334/09) ge-schlossenen Vergleich festgelegt. Danach richtet sich der Überprüfungsantrag gegen den im Bescheid vom 22. April 1997 festgestellten Leistungsfall und den sich hieraus ergebenden Rentenbeginn. Die von den Beteiligten im Verfahrensverlauf zusätzlich problematisierte An-rechnung von Pflegezeiten kann hier schon deshalb nicht erfasst sein, weil die Beklagte hierüber erst mit Bescheid vom 23. Januar 2008 entschieden hatte. Zudem haben sich die Beteiligten vergleichsweise darauf geeinigt, zunächst das Überprüfungsverfahren hinsichtlich des Beginns der Erwerbsunfähigkeitsrente rechtskräftig abzuschließen. Erst im Anschluss soll die Beklagte in einem gesonderten Verwaltungsverfahren entscheiden, ob sich aufgrund des Ergebnisses der Überprüfung ein Anspruch der Klägerin auf Anrechnung von Pflegezeiten für den Zeitraum vom 1. Oktober 1983 bis 31. Dezember 1991 ergibt. Hieran sind die Beteiligten gebunden. Hinsichtlich der Anerkennung der Pflegezeiten mangelt es daher jedenfalls an der Durchführung des erforderlichen Vorverfahrens. Es ist aber zwingende Prozessvoraussetzung, dass vor Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes die Sozialverwaltung mit dem konkreten Anliegen befasst wird und deren Entscheidung in einem Widerspruchsverfahren überprüft wurde (§ 78 SGG).

Hinsichtlich des hiernach allein streitgegenständlichen Leistungsfalls im Bescheid vom 22. April 1997 lässt der Senat dahinstehen, ob - wie das SG entschieden hat - ein Anspruch der Klägerin bereits an der Frist des § 44 Abs. 4 SGB X scheitert. Die Klägerin hat jedenfalls deshalb keinen Anspruch nach § 44 Abs. 1 SGB X auf teilweise Rücknahme des Rentenbescheides, weil dieser Bescheid nicht rechtswidrig ist.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, soweit sich ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Den Eintritt der Erwerbsminderung hat die Beklagte im angegriffenen Bescheid zutreffend auf den Juni 1996 datiert. Sie hat sich dabei auf den beigezogenen Bericht der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der F.-Sch.-U. J. vom 28. August 1996 bezogen, nach dem die Operation (Lymphonodektomie bei Zervixkarzinom) am 26. Juni 1996 erfolgt ist. Einwände gegen die zugrundeliegenden medizinischen Anknüpfungstatsachen hat die Klägerin weder erhoben, noch sind solche sonst für den Senat ersichtlich. Insbesondere hat die Klägerin in ihrem Rentenantrag selbst angegeben, ab Juni 1996 erwerbsunfähig zu sein. Schließlich sind auch die von ihr im Berufungsverfahren vorgelegten Behandlungsunterlagen - wie die Klägerin selbst einräumt - nicht geeignet, einen anderen Leistungsfall zu begründen.

Der damit feststehende Leistungsfall im Juni 1996 führt nach § 101 Abs. 1 SGB VI (a.F.) zwingend zu einem Rentenbeginn am 1. Januar 1997. Denn hiernach werden befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Hinsichtlich des Leistungsfalles hat die Klägerin einen Anwendungsfall des § 300 Abs. 2 SGB VI weder dargelegt noch ist ein solcher für den Senat ersichtlich. Gemäß § 300 Abs. 1 SGB VI sind Vorschriften dieses Gesetzbuchs von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift sind aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzbuchs und durch dieses Gesetzbuch ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Ein solcher Fall liegt hier schon deshalb nicht vor, weil sich an der Regelung des Rentenbeginns nach § 101 Abs. 1 SGB VI im hier maßgeblichen Zeitraum inhaltlich nichts geändert hat. Abweichendes ergibt sich ferner nicht aus der in Bezug genommenen Entscheidung des BSG (Urteil vom 29. November 2007 – B 13 R 18/07 R –). Dort hatte das BSG lediglich festgestellt, dass der Kläger die Rente nicht rechtzeitig beantragt hatte und deshalb die Voraussetzungen des § 300 Abs. 2 SGB VI für eine - ausnahmsweise - Anwendung alten Rechts nicht erfüllt sind. Ein solcher Fall lag hier nicht vor, da die Klägerin den Rentenantrag rechtzeitig gestellt hatte (§ 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Ein früherer Rentenbeginn ist damit vorliegend nicht über § 300 Abs. 2 SGB VI erreichbar.

Die Berufung konnte nach alldem keinen Erfolg haben. Entsprechend des zwischen den Be-teiligten vereinbarten Verfahrens wird die Beklagte nunmehr zu entscheiden haben, ob sich hiernach ein Anspruch der Klägerin auf Anrechnung von Pflegezeiten ergibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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