L 6 KR 1065/12

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 6 KR 6084/10
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 1065/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 12. März 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Rücknahme eines fiktiven Rentenantrages des Klägers zuzustimmen.

Der am geborene Kläger war seit dem 4. Dezember 2008 arbeitsunfähig erkrankt und bezog seit dem 15. Januar 2009 (bis 3. Juni 2010) Krankengeld von der , einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte). Die Beklagte holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der ... (MDK) vom 8. April 2009 zur Frage der medizinischen Voraussetzungen zur Anwendung des § 51 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) ein. Danach ist der Kläger u.a. an einem primären Parkinson-Syndrom erkrankt und seine Arbeitsfähigkeit als Bandarbeiter auf Dauer aufgehoben. Mit Bescheid 22. April 2009 forderte die Beklagte ihn auf, innerhalb von zehn Wochen nach Erhalt des Bescheides spätestens bis zum 3. Juli 2009, einen Antrag auf Maßnahmen zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) zu stellen. Ein solcher Antrag gelte nach § 116 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) bei Vorliegen der Voraussetzungen als Rentenantrag wenn der Versicherte vermindert erwerbsfähig sei. Nach dem Gutachten des MDK erlaube sein Gesundheitszustand bis auf weiteres keine Wiederaufnahme der Arbeit. Sofern ihm für Zeiträume, für die er bereits Krankengeld bezogen habe, rückwirkend Rente zuerkannt werde, habe nicht nur er, sondern auch die Beklagte einen Anspruch auf Rentennachzahlung. Dies habe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Folge, dass er für die künftige Abgabe bestimmter Erklärungen gegenüber dem Rentenversicherungsträger die Zustimmung benötige. Dazu gehörten insbesondere Erklärungen bezüglich der Rücknahme von Anträgen auf Leistungen zur Teilhabe oder Renten. Sein Krankengeldanspruch könne ab 4. Juli 2009 auch rückwirkend entfallen, sofern er eine Erklärung gegenüber dem Rentenversicherungsträger ohne ihre Zustimmung abgebe. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger keinen Widerspruch.

Am 27. Mai 2009 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen zur medizi-nischen Rehabilitation. Sie leitete den Antrag an die Beigeladene (Eingang dort am 9. Juni 2009) weiter, die ein nervenärztliches Gutachten der Dr. P. vom 6. August 2009 (Diagnosen: primäres, rechtsseitig betontes Parkinsonsyndrom vom Äquivalenztyp; Leistungsbild: Tätigkeit als Produktions- bzw. Lagerarbeiter oder Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr möglich) einholte. Mit Bescheid vom 18. August 2009 lehnte sie die Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme wegen Fehlens der medizinischen Voraussetzungen ab. Es werde geprüft, ob der Antrag als Rentenantrag gelte. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.

Am 26. August 2009 beantragte er nach Aufforderung durch Beklagte und Beigeladene die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Schriftsatz vom 14. September 2009 erklärte er gegenüber der Beigeladenen, der Antrag vom 27. Mai 2009 solle nicht als Renten-antrag gelten und der am 26. August 2009 gestellte Rentenantrag werde zurückgenommen, es sei denn die Zustimmung der Krankenkasse wäre erforderlich. Am 14. September 2009 begehrte er von der Beklagten die Zustimmung zur Rücknahme des Rentenantrages und eine Weiterzahlung des Krankengeldes. Die wesentliche Erhöhung des Rentenanspruchs aus anderen Gründen begründe ein berechtigtes Interesse. Nach § 77 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI steige unabhängig von der Rentenversicherungsbeitragszahlung der Krankenkasse der Zugangsfaktor bei späterem Rentenbeginn an. Mit Schreiben vom 3. November 2009 wies die Beklagte ihn darauf hin, dass ihm mit Schreiben vom 24. August 2009 mitgeteilt worden sei, dass das Dispositionsrecht im Sinne des § 51 SGB V eingeschränkt sei. Mit Schriftsatz vom 7. November 2009 erinnerte der Kläger an seine Anträge vom 14. September 2009. Er legte der Beklagten eine Rentenauskunft vor, wonach der Zahlbetrag bei Gewährung einer Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für schwerbehinderte Menschen im Sinne des § 2 Abs. 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) ab dem 1. August 2009 720,22 EUR und bei Gewährung ab 1. Juni 2010 742,60 EUR monatlich betrage. Unter dem 5. Februar 2010 führte die Beklagte aus, eine Zustimmung zur Rücknahme des Rentenantrags komme nicht in Betracht, weil er hieran kein berechtigtes Interesse habe. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, das Schreiben lasse keinerlei Auseinandersetzung mit dem ausschließlich geltend gemachten Umstand erkennen, dass sich bei einem späteren Rentenbeginn der Rentenzugangsfaktor derart erhöhe, dass allein daraus eine erhebliche, dauerhafte Rentensteigerung resultiere.

Mit Bescheid vom 1. Februar 2010 half die Beigeladene seinem Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. August 2009 ab und erklärte sich bereit, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 40 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) zu erbringen. Am 31. März 2010 beantragte der Kläger bei der Beigeladenen die Gewährung einer Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für schwer behinderte Menschen im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX. Seit dem 1. Juli 2010 erhält er eine vorläufige Rente in Höhe von 700 EUR monatlich (Rentenbescheid vom 31. Mai 2010). Dem zu Grunde liegt die Berechnung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Mai 2009.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. August 2010 wies die Beklagte den "Widerspruch vom 7. November 2009 gegen die Einschränkung des Dispositionsrechts und Zustimmung zur Ren-tenantragsrücknahme" zurück. Ein berechtigtes Interesse, das nach der Rechtsprechung des BSG dann bestehe, wenn eine "erhebliche Verbesserung des Rentenanspruchs" eintrete, liege hier nicht vor. Die Wartezeiten für die gesetzlichen Renten seien und blieben erfüllt. Betriebs-rentenzahlungen seien nicht gefährdet, auch insoweit sei ein Nachteil nicht begründet. Einzig die Rentenhöhe würde sich ändern. Dies dürfte vom Grundsatz her in nahezu jedem Fall so sein, da sich durch die Beitragsleistungen aus dem Krankengeld anrechenbare Versicherungszeiten ergeben. Dieser Umstand könne nicht pauschaliert dazu genutzt werden, die Einschränkung des Dispositionsrechts aufzuheben. Eine Hilfebedürftigkeit trete bei Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht ein. Nach den eingereichten Unterlagen würde die vorgezogene Rente wegen Alters rund 25 EUR monatlich mehr betragen, als die Rente wegen Erwerbsminderung. Demgegenüber stehe eine Belastung der Versichertengemeinschaft im Wert von rund 13.200 EUR. Erst eine Rentenbezugsdauer von mehr als 44 Jahren würde diesen Betrag aufzehren. Der Aufwand der Versichertengemeinschaft stehe nicht im Verhältnis zum Ertrag des Klägers. Die Interessen der Versichertengemeinschaft würden aus diesem Grund höher gewichtet.

Mit Urteil vom 12. März 2012 hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 3. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2010 verurteilt, die Zustimmung zu der mit Schreiben vom 14. September 2009 erklärten Rücknahme des fiktiven Rentenantrages zu erteilen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles habe der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Zustimmung. Wie die Probeberechnungen zeigten, könne er eine Rentensteigerung von ca. 22 EUR monatlich erreichen, wenn er erst zum 1. Juni 2010 Altersrente für schwer behinderte Menschen anstelle der Rente wegen voller Erwerbsminderung beantrage. Diese sei allein schon wegen der Steigerung des Zugangsfaktors möglich und nicht allein deshalb, weil bei dieser Rente mit Rentenbeginn am 1. Juni 2010 weitere Beitragszeiten wegen des Bezuges von Krankengeld berücksichtigt würden. Es handle sich unter den gegebenen Umständen um eine wesentliche Verbesserung des Rentenanspruchs.

Im Berufungsverfahren macht die Beklagte geltend, die Begründung des SG sei nicht nach-vollziehbar und nicht ausreichend, um einen Anspruch des Klägers zu bejahen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 12. März 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, entscheidend sei, dass sich der Vorteil der Beklagten darauf beschränke, dass ihr ca. 7.200 EUR bei Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. Juni 2009 erstattet würden, weil er den Anspruch auf dem die Rente übersteigenden Teil des Krankengeldes behalte. Die Beklagte würde also nur rund die Hälfte des geleisteten Krankengeldes zurückerlangen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung war.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat die Beklagte auf die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 2 SGG) des Klägers zu Unrecht unter Aufhebung eines Bescheides vom 3. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2010 verurteilt, die Zustimmung zu der mit Schreiben vom 14. September 2009 erklärten Rücknahme des fiktiven Rentenantrages vom 27. Mai 2009 zu erteilen.

Dabei richtet sich die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) allerdings nicht gegen die Mitteilung der Beklagten vom 3. November 2009, weil es sich hierbei nicht um einen Verwaltungsakt handelt. Ein Verwaltungsakt ist nach § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkungen nach außen gerichtet ist. Die behördliche Aufklärung, Auskunft oder Beratung (vgl. §§ 13, 14, 15 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I)) sind, wie andere Wissenserklärungen auch, keine Regelungen. Eine Auskunft erschöpft sich in der Mitteilung des Wissens und unterscheidet sich vom Verwaltungsakt durch den fehlenden Regelungswillen (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - Az.: B 1 KR 32/13 R m.w.N., nach juris). So liegt der Fall bei der Mitteilung vom 3. November 2009. Die Sachbearbeiterin hat dem Prozessbevollmächtigten des Klägers lediglich den derzeitigen Sachstand mitgeteilt. Eine Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Zustimmung zur Zurücknahme des Rentenantrags hat sie erst mit Bescheid vom 5. Februar 2010 getroffen.

Der Antrag des Klägers auf Leistungen zur Teilhabe für Versicherte - Rehabilitationsantrag vom 27. Mai 2009 hat nach § 116 Abs. 2 SGB VI die Wirkung eines Antrages auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Nach § 116 Abs. 2 SGB VI gilt der Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben als Antrag auf Rente, wenn Versicherte vermindert erwerbsfähig sind und (Nr. 1) ein Erfolg von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erwarten ist. Folge hieraus ist, dass dem Kläger spätestens ab dem 1. Juni 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung - oder, sollten die Voraussetzungen vorliegen, Vollrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung - zu gewähren ist und das bereits gezahlte Krankengeld für den Zeitraum vom 1. Juni 2009 bis 3. Juni 2010 zwischen den Leistungsträgern verrechnet wird, weil nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB V der Anspruch auf Krankengeld vom Beginn einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (oder auch Vollrente wegen Alters) an, endet. § 116 Abs. 2 SGB VI bewirkt die gesetzliche Fiktion eines Rentenantrags und will für den Versicherten vor allem rentenrechtliche Nachteile ausschließen, welche sich daraus ergeben können, dass er - entsprechend dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" - zunächst nur Rehabilitationsleistungen, nicht aber auch Rente beantragt (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2004 - Az.: B 1 KR 6/03 R m.w.N., nach juris). Das Eingreifen der Fiktion des § 116 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI setzt voraus, dass ein Erfolg von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erwarten ist. Diese Voraussetzungen lagen bei dem Kläger nach dem Gutachten der Dr. P. vom 6. August 2009 vor. Danach ist bei ihm seit ca. dem Jahr 2005 eine Parkinsonerkrankung bekannt. Trotz medikamentöser Therapie und ständiger Dosisanpassung stellte Dr. P. deutliche neurologische Ausfallerscheinungen fest. Der Kläger ist danach nicht mehr in der Lage, als Produktionsarbeiter bzw. Lagerarbeiter tätig zu sein oder Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Soweit die Beigeladene dem Kläger als Leistungsträger, an den der Rehabilitationsantrag durch die Beklagte nach § 14 SGB IX weitergeleitet wurde, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 40 SGB V gewährte, hat sie zu Recht darauf hingewiesen, dass hierdurch die bestehende negative Prognose zur Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit nicht geändert wurde. Es handelte es sich vielmehr um eine Rehabilitationsmaßnahme unter Berücksichtigung der in § 11 SGB V genannten Ziele. Die Fiktion nach § 116 Abs. 2 SGB VI kann allerdings auch - wie hier - belastende Wirkungen entfalten. Über den Ausschluss der in Verbindung mit den Regelungen des Krankenversi-cherungsrechts nachteilige Wirkung des § 116 Abs. 2 SGB VI konnte der Kläger allerdings nicht mehr disponieren. Zur Einschränkung des Dispositionsrechts und der Überprüfung durch das Gericht führt das BSG in seinem Urteil vom 7. Dezember 2004 (a.a.O.) aus: "a) § 116 Abs 2 SGB VI belässt dem Versicherten allerdings grundsätzlich das Recht, im Rahmen seiner allgemeinen Dispositionsbefugnis darüber, ob er bei antragsabhängigen Sozialleistungen (vgl § 19 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch) einen Leistungsantrag stellen will oder nicht oder ob er einen gestellten Antrag wieder zurückzunehmen will, zu bestimmen, dass der Reha-Antrag nicht die Wirkung eines Rentenantrages haben soll (vgl BSG SozR 3-1300 § 86 Nr 3 S 7 mwN). Demgemäß ist es nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich statthaft, einen Rentenantrag bis zum Ergehen eines Rentenbescheides und auch darüber hinaus - etwa bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist - zurückzunehmen (zusammenfassend: BSGE 76, 218, 221 ff = SozR 3-2500 § 50 Nr 3 S 9 ff mwN). Das gilt selbst dann, wenn damit der mit der Rentenbewilligung verbundene Wegfall einer anderen Sozialleistung verhindert wird, weil es sich nicht um einen nach den Grundsätzen des § 46 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zu beurteilenden Verzicht handelt (so BSGE 76, 218, 222 = SozR aaO S 10). Über einen einmal gestellten Leistungsantrag kann jedoch nicht mehr disponiert werden, wenn zB ein an einer möglichst späten Antragstellung wirtschaftlich interessierter anderer Leistungsträger mit dem Versicherten zu Lasten des ersten leistungspflichtigen Trägers kollusiv zusammenwirkt (BSG SozR 3-1300 § 86 Nr 3 S 10). b) Speziell im Schnittbereich der Leistungspflicht von Kranken- und Rentenversicherung kann die Dispositionsbefugnis des Versicherten unter einem weiteren Gesichtspunkt ein-geschränkt sein. So kann eine Krankenkasse nach § 51 Abs 1 Satz 1 SGB V (hier noch anzuwenden idF des Gesetzes vom 18. Dezember 1989, BGBl I 2261) einem Versicherten, dessen Erwerbsfähigkeit - wie bei der Versicherten W. - nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb derer er einen Antrag auf Maßnahmen zur Rehabilitation zu stellen hat. Stellt der Versicherte innerhalb der Frist den Reha-Antrag nicht, so entfällt der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf der Frist bzw lebt bei späterer Antragstellung erst mit diesem Zeitpunkt wieder auf (§ 51 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB V). § 51 SGB V will iVm § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V zum einen die doppelte Gewährung von Sozialleistungen vermeiden und zum an-deren eine sachgerechte Abgrenzung der Leistungszuständigkeit von Kranken- und Ren-tenversicherung dahin vornehmen, dass Rentenzahlungen den Vorrang vor Krankengeld-leistungen haben, weil es in erster Linie Aufgabe der Rentenversicherung ist, bei dauerhafter Erwerbsminderung mit Leistungen einzutreten (so zB Marschner, WzS 1996, 65 f; Buschmann, SGb 1996, 279). Der Krankenkasse wird durch die Aufforderung und Fristsetzung nach § 51 Abs 1 Satz 1 SGB V das Recht eingeräumt, Einfluss auf den Beginn der antragsabhängigen Rente wegen Erwerbsminderung zu nehmen (vgl § 99 Abs 1 SGB VI) und einen Wegfall ihrer Leistungszuständigkeit für das Krankengeld schon vor Erreichen der Anspruchshöchstdauer (vgl § 48 SGB V) zu bewirken. Um der Krankenkasse diesen Vorteil zu erhalten, hat das BSG in ständiger Rechtsprechung bereits zu § 183 Abs 7 und 8 RVO - den Vorgängerregelungen zu § 51 Abs 1 und 2 SGB V - entschieden, dass der Versicherte, der auf die Aufforderung der Krankenkasse hin einen entsprechenden Antrag gestellt hat, diesen Antrag wirksam nur noch mit Zustimmung der Krankenkasse zurücknehmen bzw beschränken kann (vgl BSGE 52, 26, 29 ff = SozR 2200 § 1248 Nr 33; BSG USK 81171). Diese Rechtsprechung ist auch unter der Geltung des § 51 SGB V aufrechterhalten worden (vgl BSGE 76, 218, 223 = SozR 3-2500 § 50 Nr 3 S 11). d) Nach der Rechtsprechung des BSG kann der Versicherte in einem Fall, in dem die Wirksamkeit der Reha-Antragsrücknahme bzw der Ausschluss der Rentenantragsfiktion des § 116 Abs 2 SGB VI von der Zustimmung der Krankenkasse abhängt, eine förmliche Entscheidung der Kasse darüber herbeiführen, ob sie diese Zustimmung erteilt oder nicht; dies war hier zu Lebzeiten der Versicherten W. geschehen. Die Krankenkasse ist in ihrer Entschließung über diesen Antrag nicht völlig freigestellt, sondern hat ihre Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (vgl BSGE 52, 26, 31 = SozR 2200 § 1248 Nr 33 S 77 mwN; BSGE 69, 187, 190 = SozR 3-2200 § 183 Nr 2 S 8 mwN; Höfler in: Kasseler Kommentar, § 51 SGB V RdNr 8; Schmidt in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 51 SGB V RdNr 41; Marschner in: von Maydell, GK-SGB V § 51 RdNr 20). Die Entscheidung ist nach Maßgabe des § 54 Abs 2 Satz 2 SGG auf Ermessensfehler hin sozialgerichtlich überprüfbar (zu den im Rahmen des § 51 SGB V geltenden Maßstäben allgemein vgl zB Noftz, aaO, K § 51 RdNr 22 f). Kann der Versicherte ein berechtigtes Interesse am Hinausschieben des Rentenbeginns geltend machen, das die Belange der Krankenkasse überwiegt, muss die Kasse ihre Zustimmung erteilen. Ein solches berechtigtes Interesse des Versicherten kommt nach der Rechtsprechung vor allem in Betracht, wenn "eine erhebliche Verbesserung des Rentenanspruchs erreicht werden kann, zB durch eine evtl noch mögliche Erfüllung der Voraussetzungen für eine Erhöhung der Rentenbemessungsgrundlage" (so BSGE 52, 26, 31 = SozR 2200 § 1248 Nr 33; vgl auch Grundsätze des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger zum Dispositionsrecht des Versicherten vom 19. Mai 1983, aktuelle Fassung bei: Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, 3. Aufl, Bd II, Anhang zu § 116 SGB VI)."

Nach der Überzeugung des Senats rechtfertigt die von der Beklagten gegebene Begründung die Einschränkung der Dispositionsbefugnis des Klägers im Verhältnis zur beklagten Krankenkasse. Sie hat den Kläger mit Bescheid vom 22. April 2009, der mangels Widerspruchs des Klägers bestandskräftig geworden ist, auch ausreichend über die Konsequenzen der Stellung des Rehabilitationsantrages informiert (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2004, a.a.O.). Die Frage, ob die Beklagte nunmehr ihre Zustimmung dazu erteilen muss, dass der Reha-Antrag nicht als Rentenantrag gilt, bestimmt sich daher nach den allgemein dafür geltenden Kriterien, d.h. danach, ob hierfür ein berechtigtes Interesse des Klägers anzuerkennen ist. Dies ist nicht der Fall. Die Beklagte hat ihre Entscheidung ermessensfehlerfrei (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG) getroffen.

Wie in der zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 7. Dezember 2004 (a.a.O.) ausgeführt, ist es in das pflichtgemäße Ermessen der Krankenkasse gestellt, ob sie bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 SGB V von ihren Befugnissen Gebrauch machen will bzw. ob sie diese Befugnisse im weiteren Verfahren aufrecht erhält. Nichts anderes gilt danach auch bei der Entscheidung, ob die Krankenkasse dem Ausschluss einer Geltung des Rehabilitationsantrages als Rentenantrag zustimmt. Bei der Ausübung muss die Krankenkasse alle Umstände des Einzelfalls sorgfältig abwägen und die Belange der Versicherten beachten. Das Gesetz räumt bei der Abwägung zwischen den Gestaltungsmöglichkeiten des Versicherten und den Befugnissen der Krankenkasse nach § 51 SGB V allerdings grundsätzlich den Interessen der Krankenkasse den Vorrang ein. Eine Entscheidung zu Gunsten des Versicherten erfordert daher, dass seine Belange den bei Dauerzuständen gesetzlich typisierten Vorrang der Krankenkasseninteressen an einer Begrenzung der Krankengeldaufwendungen sowie der Überantwortung der Kompensation krankheitsbedingten Entgeltausfalls an die Rentenversi-cherungsträger überwiegen. Da die Krankenkasse nach der gesetzlichen Wertung ihr Interesse an einem frühzeitigen Wegfall des Krankengeldes und an möglichen Erstattungsansprüchen gegen den Rentenversicherungsträger aktiv wahrnehmen soll, ist das bloße Interesse des Versicherten, weiterhin und möglichst lange das im Vergleich zu Rentenleistungen höhere Krankengeld in Anspruch nehmen zu wollen, nicht schützenswert und kann regelmäßig kein durchgreifender Umstand für das Abgehen von der Antragsfiktion sein. Im gleichen Sinne würde das Interesse an höheren Rentenleistungen, die sich aus der Berücksichtigung zusätzlicher Anrechnungszeiten wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bzw. Beitragszeiten wegen Krankengeldbezugs ergeben, nicht für die Zustimmung ausreichen. Hervorgehoben hat das BSG, dass es sich bei den durchgreifenden berechtigten Interessen des Versicherten um Belange handeln muss, die nicht in erster Linie darauf ausgerichtet sind, die der Krankenkasse zustehenden Befugnisse zu schmälern.

Hier beruft sich der Kläger im Ergebnis ebenfalls darauf, dass er durch Hinausschieben des Beginns der Rente und dem hiermit zwangsläufig verbundenen längeren Bezug von Krankengeld, Anspruch auf höhere Rente hat, weil der Zugangsfaktor nach § 77 SGB VI günstiger ist. Allein das Interesse an einer höheren Rente begründet jedoch - wie die Beklagte in ihrem Bescheid vom 5. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2010 zu Recht ausgeführt und in ihre Erwägungen einbezogen hat - kein berechtigtes Interesse des Klägers. Dass die Rente des Klägers auch ohne weitere Pflichtbeitragszeiten durch den Krankengeldbezug - die aber ebenfalls zu berücksichtigen wären - bei späterer Inanspruchnahme aufgrund des höheren Zugangsfaktors nach § 77 SGB VI höher wäre, ändert hieran nichts. Nach der Rechtsprechung des BSG ergibt sich, dass nur der Eintritt einer erheblichen Verbesserung des Rentenanspruchs eine Ermessensentscheidung zu Gunsten des Versicherten nahe legen kann. In diesem Zusammenhang ist aber zu beachten, dass der Gesetzgeber es nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI (hier: in der Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersrentenanpassungsgesetz) vom 20. April 2007 (BGBl. I Seite 554), gültig ab 1. Januar 2008) regelmäßig für eine zumutbare Belastung hält, dass Versicherte bei Inanspruchnahme einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit einen Rentenabschlag für jeden Monat der Inanspruchnahme der Rente vor Vollendung des 62. Lebensjahres um 0,003 hinnehmen müssen. Es handelt sich daher um Belange des Klägers, die, da sie den gesetzlichen Regelfall betreffen, in erster Linie darauf gerichtet sind, die der Beklagten zustehende Befugnis zu schmälern. Solche Belange sind gerade nicht schutzwürdig. Weitere Auswirkungen eines späteren Rentenbeginns als diese über den Zugangsfaktor eintretende Minderung der Höhe des Rentenzahlbetrages sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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