S 45 KR 1672/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
45
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 45 KR 1672/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 14.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2015 und des Bescheides vom 12.10.2016 verurteilt, der Klägerin eine Mamma-Augmentation beidseits als Sachleistung zu gewähren. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme einer Mamma-Augmentation beidseits bei der Klägerin.

Die bei der Beklagten versicherte Klägerin beantragte unter Vorlage von ärztlichen Berichten am 09.07.2015 die Kostenübernahme für eine Oberschenkelstraffung und eine BrustOP. Hintergrund dafür war, dass die Klägerin binnen 15 Monaten 43 Kilo Körpergewicht verlor und Hautüberschüsse an den Oberschenkeln und ein Rückbildungsprozess des Drüsengewebes der Brust (Involutionsmamma) entstand. Eine Bauchdeckenplastik aus medizinischer Indikation wurde bereits als Kassenleistung durchgeführt.

Die Beklagte befragte ihren Sozialmedizinischen Dienst, der in seiner Kurzstellungnahme vom 7.08.2015 zu dem Ergebnis gelangte, dass die Straffung der Oberschenkel beidseits aus medizinischen Gründen indiziert sei, die beidseitige Brustaugmentation jedoch nicht.

Mit Bescheid vom 14.08.2015 teilte die Beklagte dementsprechend mit, dass sie die begehrte Oberschenkelstraffung übernehmen werde, die begehrte Brustaugmentation jedoch nicht.

Dagegen legte die Klägerin am 19.08.2015 Widerspruch ein, den sie damit begründete, dass die Entscheidungsfrist nach dem Patientenschutzgesetz abgelaufen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Da der Sozialmedizinische Dienst keine medizinische Notwendigkeit der begehrten Brustaugmentation gesehen habe, läge keine Leistungspflicht der Krankenkasse vor. Zum vorgetragenen Fristablauf liess sich die Beklagte nicht ein.

Mit der am 03.11.2015 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Nach § 13 Absatz 3a Satz 6 Sozialgesetzbuch Fünf (SGB V) sei der Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte bereits aufgrund Fristablaufes eingetreten. Der entsprechende Antrag der Klägerin auf Brustaugmentation beidseits gelte daher nach § 13 Ab.s 3a SGB V als genehmigt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.08.2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 01.10.2015 zu verurteilen, der Klägerin eine Mammaugmentation beidseits als Sachleistung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Da die Brustaugmentation beidseits bei der Klägerin ausweislich der Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes nicht notwendig sei, mithin die medizinische Indikation für diese Maßnahme fehle, sei der Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion bereits nicht eröffnet. Die Genehmigungsfiktion, auf die sich die Klägerin berufe, könne bei Leistungen, denen das Wirtschaftlichkeitsgebot entgegen stehe, nicht greifen. Darüber hinaus sei der Antrag nicht hinreichend genug bestimmt, da die Klägerin (lediglich) aufgrund eines Involutionsmammae ein Aufbau mit Brustimplantaten begehrt habe. Jedenfalls aber sei die begehrte Leistung rein kosmetisch, und damit nicht von der Leistungspflicht der Krankenkasse umfasst, dies sei der Klägerin auch bewusst gewesen. Auch sei der Brustaufbau lediglich ein Wunsch der Klägerin, ärztlicherseits werde nicht vorgetragen, warum der Brustaufbau zwingend erforderlich sei. Auch werde die Rücknahme der Genehmigungsfiktion in Betracht gezogen.

Das Gericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass nach bisheriger Auffassung der Vorsitzenden entsprechend dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 08.03.2016, AZ: B 1 KR 25/15 R eine Rücknahme der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V aufgrund anderer Einwendungen, die nicht die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V als solchen betreffen, mithin zum Beispiel auf die nicht vorhandene medizinische Notwendigkeit einer begehrten Maßnahme abstellen, nicht durchgreifen dürften.

Dennoch hat die Beklagte mit Bescheid vom 12.10.2016 die fiktive Genehmigung zurückgenommen. Dagegen ist Widerspruch eingelegt worden; ein Widerspruchsbescheid ist noch nicht ergangen.

Auf den Inhalt der Verwaltungsakte und der Gerichtsakte wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG), verbunden mit einer Anfechtungsklage zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung der Mamma-Augmentation beidseits als Sachleistung wegen der eingetretenene Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 des fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Vor diesem Hintergrund wird sie durch die angegriffenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert; der Bescheid vom 12.10.2016 wird gem. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand dieses Verfahrens, da er die durch fiktive Genehmigung festgestellte Leistungspflicht entzieht.

1. Nach § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistung zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und den Leistungsberechtigten hiervon zu unterrichten (Satz 2). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachterlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V liegen vor. Dass die Frist versäumt ist, mithin die Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V vorliegen, steht für die Kammer nach eigener Überzeugung fest und wird auch von der Beklagten nicht bestritten. Die Genehmigungsfiktion nach Satz 6 ist daher eingetreten.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es darüber hinaus gerade nicht von Belang, ob die begehrte Maßnahme - aus Sicht der Beklagten - medizinisch notwendig ist oder nicht. Dieses kann die Beklagte innerhalb der Frist prüfen – tut sie dies nicht, oder zu spät, so gereicht dies eben nicht zum Nachteil des Versicherten, sondern es greift die Genehmigungsfiktion ein. Der Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe wissen müssen, dass es sich um eine rein kosmetische Maßnahme handele und darauf kein Anspruch bestünde, ist nicht ansatzweise nachvollziehbar. Die Beklagte selbst hat im Vorfeld bereits eine Bauchdeckenstraffung bezahlt und im laufenden Verfahren einen Teil der begehrten Behandlung, nämlich die Oberschenkelstraffung beidseits, genehmigt. Warum die Beklagte nun meint, die Klägerin habe wissen müssen, dass (ausgerechnet) die Brustaugmentation beidseits von der Leistungspflicht der GKV, wie die Beklagte meint, ausgeschlossen sei, erschließt sich nicht ansatzweise und kann nur als Schutzbehauptung gewertet werden. Gleiches gilt für den Vortrag der Beklagten, der Leistungsantrag der Klägerin sei unbestimmt und selbst der Arzt habe gesagt, dass eine vorherige Kostenübernahmeerklärung notwendig sei, daher sei die Brust-OP erkennbar nicht vom Leistungsspektrum umfasst. Warum dann die Beklagte aufgrund er gleichen medizinischen Unterlagen eine Oberschenkelstraffung - denn beides wurde zusammen beantragt - für hinreichend bestimmt und darüber hinaus für erforderlich hält, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Brustaugmentationen generell selbstverständlich von dem Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung mitumfasst und nicht von vornherein ausgeschlossen sind. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Antrag der Klägerin eine Leistung betraf, die sie - insbesondere nach der vorher von der Kasse übernommenen Bauchdeckenplastik und der Oberschenkelstraffung - subjektiv für erforderlich halten durfte. Außerdem hat die Beklagte selbst eine Abklärung durch den MDK veranlasst und die begehrte Leistung nicht sofort ohne weiteres als außerhalb des Leistungsspektrums der GKV abgelehnt. Nicht maßgeblich ist, ob die Leistung auch im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB V erforderlich ist, denn damit würde der Sanktionscharakter des § 13 Abs. 3a SGB V entfallen (so auch Bayrisches LSG, Urteil vom 28.06.2016, AZ: L 5 KR 103/15). 1. Die Genehmigungsfiktion, auf die das erfolgreiche Begehren der Klägerin gründet, kann auch nicht durch eine Rücknahme, wie sie die Beklagte mit Bescheid vom 12.10.2016 ausgesprochen hat, zurückgenommen werden, jedenfalls nicht mit der Begründung, dass die Leistung medizinisch nicht notwendig sei. Denn gerade mit dieser Einwendung ist sie zur Überzeugung der Kammer ausgeschlossen. Sinn und Zweck des § 13 Abs. 3a SGB V ist es Einwendungen inhaltlicher Art nach Ablauf der Frist nicht mehr durchgreifen zu lassen; so hat auch bereits das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 08.03.2016 (B 1 KR 25/15 R) argumentiert, dem sich die Kammer aus eigener Überzeugung vollumfänglich anschließt. Die andere Auffassung, die sich darauf beruft, dass die Sanktionswirkung des § 13 Abs. 3 a SGB V auch dann greife, wenn Rücknahmebescheide auch inhaltlich (zum Beispiel mit fehlender medizinischer Notwendigkeit der begehrten Leistung) begründet werden könnten, da dann die Beklagte im gegebenenfalls anschließenden Gerichtsverfahren eine erhöhte Darlegungs- und Beweislast treffe (so SG Speyer, Urteil vom 18.11.2016, AZ: S 19 KR 329/16), verkennt, dass dies für den einzelnen Versicherten vor dem Sozialgericht, bei dem der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, keine wesentliche Erleichterung bringt. Statt schnelleren Zugang zu medizinischen Leistungen zu bekommen, würden erneut (jahre)lange Gerichtsverfahren auf die Versicherten zukommen. Dies sollte gerade vermieden werden; die Kammer ist davon überzeugt, dass die Regelungs- und Sanktionswirkung des § 13 Abs. 3a SGB V ansonsten ins Leere liefe.

Die der Genehmigungsfiktion entgegenstehenden Bescheide sind daher rechtswidrig, belasten die Klägerin in ihren Rechten und sind daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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