L 1 U 611/16

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 10 U 1066/12
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 611/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 23. Februar 2016 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass unter Abänderung des Bescheides vom 14. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 2012 als weitere Folge des Arbeitsunfalles vom 6. April 2011 eine Kahnbeinfraktur rechts anerkannt wird. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als weitere Folge eines anerkannten Arbeitsunfalles vom 6. April 2011 eine Kahnbeinfraktur rechts erlitten hat.

Der 1996 geborene Kläger nahm am 6. April 2011 im Sportunterricht am Tauziehen teil. Nach Beendigung des Sportunterrichtes klagte er über Beschwerden im Bereich der rechten Hand und suchte noch am gleichen Tag einen Durchgangsarzt auf. Dieser diagnostizierte eine Handgelenksdistorsion rechts. In der Unfallanzeige der Schule vom 3. Mai 2011 wird angegeben, dass die Schüler vor dem Tauziehen auf dem Boden saßen, auf Kommando aufstanden und das Seil griffen und zogen. Der Kläger habe dabei Schmerzen in seinem rechten Handgelenk verspürt. Wegen anhaltender Beschwerden erfolgte am 6. Mai 2011 eine MRT-Untersuchung des rechten Handgelenks. Dort fanden sich Zeichen einer Querfraktur des Os naviculare mit deutlichen Ödemen des proximalen und distalen Fragmentabschnitts. Eine CT-Untersuchung der Handwurzel rechts vom 17. Mai 2011 ergab einen deutlichen Frakturspalt mit einer Spaltweite bis circa 2,4 mm. Diagnostiziert wurde eine nicht ganz frische quer verlaufende Fraktur des Kahnbeins im mittleren Drittel ohne Dislokation. Deswegen erfolgte am 9. Juni 2011 im Helios Kreiskrankenhaus G./O. eine operative Versorgung mit geschlossener Reposition und Schraubenosteosynthese. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. Sch. hielt in einer Stellungnahme vom 21. August 2011 das beschriebene Ereignis für nicht geeignet, eine Kahnbeinfraktur zu verursachen. Dazu bedürfe es eines Sturzes auf die ausgestreckte Hand.

Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 14. September 2011 das Ereignis vom 6. April 2011 als Arbeitsunfall mit der Folge einer Handgelenksdistorsion rechts und einer unfallbedingten Behandlungsbedürftigkeit bis zum 6. Mai 2011 an. Eine Kahnbeinfraktur rechts wurde als Unfallfolge ausdrücklich abgelehnt. Diese trete typischerweise durch einen Sturz auf die ausgestreckte Hand ein. Ein solcher sei hier nicht zu erkennen.

Einen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2012 zurück. Die erforderliche starke äußere Krafteinwirkung auf die rechte Hand sei nicht erkennbar.

Hiergegen hat der Kläger am 15. Februar 2012 beim Sozialgericht Gotha Klage erhoben. Dieses hat Dr. F. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Er bejahte in seinem Gutachten vom 23. September 2015 das Vorliegen einer traumatisch bedingten Kahnbeinfraktur am rechten Handgelenk. Bislang sei der Unfallmechanismus nur unzureichend berücksichtigt worden. Zwar sei der Zug mit der rechten Hand am Seil kein geeigneter Unfallmechanismus, jedoch habe der Kläger auf dem Boden gesessen und auf Kommando aufstehen müssen, um an dem Seil zu ziehen. Dabei habe er sich mit dem rechten Handgelenk auf dem Boden abgestützt. Die bildgebenden Befunde vom 6. und 17. Mai 2011 belegten eine nicht mehr ganz frische Fraktur. Dies sei nicht ungewöhnlich, da zwischen Unfalltag und Untersuchungstag immerhin mehr als fünf Wochen gelegen hätten. Dieser Zeitraum reiche aus, typische Veränderungen mit Frakturspalt entstehen zu lassen. Für eine traumatische Fraktur spreche der zeitnahe, schriftlich dokumentierte klinische Befund mit Schwellung, Druckschmerz und Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks.

Mit Urteil vom 23. Februar 2016 hat das Sozialgericht Gotha den Bescheid der Beklagten vom 14. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Januar 2012 aufgehoben und als weiteren Gesundheitsschaden in Folge des Arbeitsunfalles vom 6. April 2011 eine Kahnbeinfraktur rechts anerkannt. Zwischen der Kahnbeinfraktur und dem Unfallereignis vom 6. April 2011 bestehe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ursachenzusammenhang. Ein geeigneter Unfallhergang sei gegeben. Dass die Fraktur vom Durchgangsarzt zunächst bei der Röntgenuntersuchung nicht festgestellt worden sei, sei nicht ungewöhnlich. Die weiteren bildgebenden Befunde vom 6. und 17. Mai 2011 belegten das Entstehen eines Frakturspaltes.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Es bleibe unklar, woher der Sachverständige Dr. F. wisse, dass der Kläger sich mit der rechten Hand beim Aufrichten auf dem Boden abgestützt habe. Das Sozialgericht habe es unterlassen einen Hergang vorzugeben. Zudem habe der Sachverständige die vorliegenden bildtechnischen Aufnahmen weder nochmals befundet noch ausgewertet. In der Röntgenaufnahme vom 6. April 2011 seien keine knöchernen Verletzungen gesichert worden. Ein Unfallereignis sei bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil der Kläger eine zielgerechte Bewegung gemacht habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 23. Februar 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, er habe sich jedenfalls mit der rechten Hand beim Aufstehen abgestützt und beim Zugreifen am Seil sofort an der rechten Hand Schmerzen verspürt.

Der Senat hat im Berufungsverfahren den Röntgenbefund vom 6. April 2011 beigezogen und anschließend ein radiologisches Gutachten nach Aktenlage von Dr. H. eingeholt. Danach ergibt sich aus dem Röntgenbefund vom 6. April 2011 ein hochgradiger Verdacht auf eine eingestauchte Fraktur des Kahnbeins der rechten Hand ohne Nachweis einer Fragmentdislokation. Dem Röntgenbefund vom 2. Mai 2011 sei eine Querfraktur des Kahnbeins der rechten Hand mit im Verlauf zunehmender sekundärer Fragmentdislokation zu entnehmen. Der MRT-Befund vom 6. Mai 2011 bestätige eine akute/subakute Kahnbeinquerfraktur der rechten Hand. Zusätzlich zu erkennen sei ein posttraumatischer Gelenkerguss im Bereich der Handwurzelknochen. Eine degenerative Veränderung der rechten Hand sei nicht erkennbar. Der CT-Befund der rechten Hand vom 17. Mai 2011 bestätige ebenfalls eine akute Kahnbeinfraktur rechts. Eine Gesamtschau der bildgebenden Befunde ermögliche eine zeitliche Zuordnung der Kahnbeinfraktur zu dem Schadensereignis vom 6. April 2011. Eine exakte Datierung könne nicht vorgenommen werden. Es könne nur eine ungefähre Aussage getroffen werden.

Der Senat hat durch den Berichterstatter den Kläger persönlich und den Zeugen W. als Sportlehrer des Klägers als Zeugen über das Unfallereignis vom 6. April 2011 gehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die jeweilige Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Anschließend hat der Senat den Handchirurgen Dr. S. mit der Erstellung eines Zusammen-hangsgutachtens beauftragt. Er bejaht in seinem Gutachten vom 30. November 2017 das Vorliegen einer traumatisch bedingten Kahnbeinfraktur rechts. Entscheidend für das Entstehen einer Kahnbeinfraktur sei die axiale Stauchung in Kombination mit einem Hebelmechanismus. Ein kräftiges und ruckartiges Ziehen am Tau sei daher nicht geeignet, eine Kahnbeinfraktur zu verursachen. Sofern der Kläger unter Abstützen des Körpergewichts mit der rechten Hand aufgestanden sei, liege ein zwar ungewöhnlicher, aber geeigneter Unfallhergang für die Entstehung einer Kahnbeinfraktur vor. Das abrupte Aufspringen und Abstützen des Körpergewichts mit der rechten Hand beinhalte eine axiale Belastung für die Handwurzel und sei geeignet, eine Kahnbeinfraktur zu verursachen. Das Handeln des Klägers unmittelbar nach dem Unfall spreche für einen Unfallzusammenhang, da er noch am gleichen Tag über Schmerzen geklagt und den Durchgangsarzt aufgesucht habe. Ausweislich des Durchgangsarztberichtes seien Weichteilschwellungen und Druckschmerzen festgestellt worden. Die Feststellungen des Durchgangsarztes entsprächen dem klassischen Untersuchungsbefund kurz nach einem Kahnbeinbruch. Hinsichtlich der bildgebenden Befunde sei zwecks Bestimmung des Alters der Kahnbeinfraktur eine zusammenfassende Betrachtung der Einzelbefunde wesentlich. Die Röntgenuntersuchung liefere nur ein unsicheres Resultat. Zu beachten sei jedoch, dass für den Fall, dass am rechten Handgelenk kurze Zeit zuvor oder gar noch länger vorausgehend ein Kahnbeinbruch entstanden wäre, ein solcher älterer Kahnbeinbruch auf den Röntgenaufnahmen vom 6. April 2011 gut zu erkennen wäre. Nur ein erst wenige Tage oder wenige Stunden alter Kahnbeinbruch sei häufig nicht gut zu erkennen. Dies gelte hingegen nicht für länger zurückliegende Kahnbeinbrüche. Das MRT vom 6. Mai 2011 belege eine Verschiebung der Fraktur, die in der Zeit vom 6. April bis 6. Mai 2011 geschehen sein müsse. Auch wenn eine exakte Altersbestimmung auf den Tag genau nicht möglich sei, so spreche die Zusammenschau aller radiologischen Befunde für eine akute Kahnbeinfraktur. Auch der intraoperative Befund spreche für eine nicht allzu lange zurückliegende Kahnbeinfraktur. Daher sei ein Unfallzusammenhang zu bejahen.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 1. März 2018 den Kläger zum Unfallhergang befragt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig (§§ 143 ff. des Sozialgerichtsgesetzes SGG), hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht Gotha hat zu Recht als weitere Folge des Arbeitsunfalles vom 6. April 2011 eine Kahnbeinfraktur rechts anerkannt.

Entgegen dem angefochtenen Urteil war der Bescheid vom 14. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 2012 durch das Sozialgericht allerdings nicht aufzuheben, sondern lediglich abzuändern. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte das Ereignis vom 6. April 2011 als Arbeitsunfall und eine Distorsion des rechten Handgelenks als Unfallfolge anerkannt. Das Begehren des Klägers ist daher entgegen der ihm vom Sozialgericht anscheinend nahegelegten Antragstellung nicht auf Aufhebung dieses Bescheides, sondern auf dessen Abänderung im Sinne der Feststellung einer weiteren Unfallfolge (Kahnbeinfraktur rechts) gerichtet. Der Tenor ist entsprechend klarzustellen.

Nach § 8 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) hat der Kläger am 6. April 2011 einen Arbeitsunfall erlitten. Er hat zum Unfallzeitpunkt mit der Teilnahme am Sportunterricht eine versicherte Tätigkeit ausgeübt und stand daher unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 2 Abs. 1 Nr. 8 b SGB VII). Dies hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 14. September 2011 unter gleichzeitiger Anerkennung einer Handgelenksdistorsion rechts als Unfallfolge bindend im Sinne von § 77 SGG festgestellt. Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die Zielgerichtetheit der Bewegung des Klägers der Annahme eines Unfallereignisses nicht entgegensteht. Die von ihm im Rahmen des Unfallereignisses am 6. April 2011 ausgeübte Tätigkeit im Sportunterricht führte zu einer zeitlich begrenzten Einwirkung auf den Kläger von außen. Für ein von außen auf den Körper einwirkendes, zeitlich begrenztes Ereignis ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Dass es sich um eine gewollte Tätigkeit gehandelt hat steht der Annahme eines Unfallereignisses nicht entgegen. Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erstreckt sich auch auf Geschehnisse, die im Rahmen der versicherten Tätigkeit üblich sind. Die gesetzliche Unfallversicherung schützt gerade, aber auch nur diejenigen Verrichtungen, die in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. Ein außergewöhnliches Geschehen wird nicht vorausgesetzt. Das Merkmal äußere Einwirkung hat nur den Zweck, äußere Vorgänge von krankhaften Vorgängen im Inneren des menschlichen Körpers abzugrenzen. Die Annahme einer äußeren Einwirkung scheidet nur aus, wenn die Einwirkung auf Umständen beruht, für die eine in körperlicher oder seelischer Hinsicht besondere Veranlagung des Betroffenen oder dessen willentlicher Entscheidung die wesentliche Ursache war. Die Unfreiwilligkeit der Einwirkung ist dem Begriff des Unfalls immanent. Davon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung, bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R -, Juris). Daher stand der Kläger am 6. April 2011 beim Tauziehen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Darüber hinaus ist die Kahnbeinfraktur rechts auch ursächlich auf den Unfall zurückzuführen.

Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es unterschiedliche Beweisanforderungen. Für die äußerlich fassbaren und feststellbaren Voraussetzungen "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses", "Unfallereignis" und "Gesundheitserstschaden" wird eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gefordert, die vorliegt, wenn kein vernünftiger die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Vollbeweis). Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 27/06 R -, Juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, Juris). Sofern die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht von demjenigen, der sie geltend macht, mit dem von der Rechtsprechung geforderten Grad nachgewiesen werden, hat er die Folgen der Beweislast dergestalt zu tragen, dass dann der entsprechende Anspruch entfällt.

Erwiesen ist für den Senat aufgrund der vorliegenden Gutachten von Dr. H. und Dr. S., der vorliegenden bildgebenden Befunde und der Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte einschließlich des Operationsberichtes vom 9. Juni 2011, dass dieser im Frühjahr 2011 eine Kahnbeinfraktur rechts erlitt. Auch der Beratungsarzt der Beklagten Dr. Sch. stellt dies in seiner Stellungnahme nicht in Frage.

Dass es zu der Kahnbeinfraktur rechts im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen am 6. April 2011 beim Tauziehen am Ende des Sportunterrichts kam und die Krafteinwirkung die wesentliche Ursache für die Kahnbeinfraktur war, steht für den Senat unter Berücksichtigung des Beweisergebnisses mit der geforderten hinreichenden Wahrscheinlichkeit fest. Nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft (vgl. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall- und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 585 ff.), wie er von dem Sachverständigen Dr. S. korrekt wiedergegeben worden ist, ist typischer Unfallmechanismus für einen Kahnbeinbruch ein Sturz auf das gestreckte Handgelenk. Entscheidend für das Entstehen einer Kahnbeinfraktur ist dabei die axiale Stauchung in Kombination mit einem Hebelmechanismus.

Soweit die Beklagte einen geeigneten Bewegungsablauf als ausgeschlossen ansieht, folgt der Senat dem nicht. Zutreffend an dieser Auffassung ist nur ihr Ausgangspunkt, wonach das eigentliche Tauziehen selbst nicht geeignet ist, eine Kahnbeinfraktur zu verursachen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. in seinem Gutachten vom 30. November 2017 geriet zwar die Handwurzel und damit das Kahnbein beim Tauziehen unter eine Zugbelastung, es fehlt jedoch an der erforderlichen axialen Stauchung und Hebelwirkung. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Kläger das Tauziehen nicht aus dem Stand, sondern aus einer sitzenden Position absolvierte. Bereits in der Unfallanzeige vom 3. Mai 2011 hatte die Schule ausgeführt, dass die Schüler auf dem Boden saßen, auf Kommando aufstanden, das Seil griffen und daran zogen. Ebenso hat der Zeuge W. bei seiner Vernehmung vor dem Berichterstatter des Senats am 4. September 2017 bestätigt, dass das Tauziehen im Sportunterricht als Kraft- und Reaktionsübung eingesetzt wird. Die Schüler mussten dabei aus verschiedenen Ausgangsstellungen das Tau ergreifen. Zu den Ausgangsstellungen gehören Bauchlage, Schneidersitz, Rückenlage, Sitzen und Liegestütz. Ferner hat der Zeuge W. ausgeführt, dass solche Übungen im Tauziehen in der Regel am Ende des Sportunterrichts absolviert wurden. Ob der Kläger unter Abstützung des Körpergewichts mit der rechten Hand aufgestanden ist, kann heute nicht mehr mit Sicherheit festgestellt werden. Der Zeuge W. hat insoweit im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Berichterstatter nachvollziehbar ausgeführt, dass es für ihn als Sportlehrer gar nicht möglich ist, auf jeden einzelnen Schüler zu achten. Daher hat er keine Angaben dazu machen können, aus welcher konkreten Lage am Unfalltag die Tauziehübung von dem Kläger absolviert wurde. Fest steht nach seinen Ausführungen nur, dass die Tauziehübung aus verschiedenen Positionen absolviert wurde, die ein Abstützen des Körpergewichts mit der rechten Hand zum Zwecke des Aufstehens als nachvollziehbar erscheinen lassen. Dem Kläger kann es nicht zum Nachteil gereichen, dass in den zeitnahen Unfallschilderungen dieser Abstützvorgang nicht ausreichend erwähnt ist. Die in der Unfallanzeige vom 3. Mai 2011 gegebene Schilderung "dazu saßen die Schüler auf dem Boden, auf Kommando standen sie auf und griffen das Seil und zogen" schließt einen Abstützvorgang jedenfalls nicht aus. Nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 1. März 2018 ist es für den Senat durchaus plausibel, dass dieser sich mit der rechten Hand abstützte. Insofern dürfen aus Sicht des Senats die Anforderungen an die Sicherung eines Unfallhergangs nicht überspannt werden. Es ist für die weitere Prüfung, ob ein hinreichender Ursachenzusammenhang besteht, davon auszugehen, dass nicht bereits aufgrund des angenommenen Unfallhergangs eine traumatische Kahnbeinfraktur am 6. April 2011 ersichtlich ausgeschlossen ist. Die Prüfung ist vielmehr fortzusetzen mit der Folge, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit nur dann verneint werden kann, wenn sich aus den weiteren Prüfungsgesichtspunkten keine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Unfallzusammenhangs herleiten lässt.

Im Rahmen dieser Prüfung kommt dem Verhalten des Klägers nach dem Geschehen im Sportunterricht am 6. April 2011 eine entscheidende Bedeutung zu. Der Zeuge W. hat in seiner Vernehmung vor dem Berichterstatter am 4. September 2017 bestätigt, dass der Kläger am Ende des Sportunterrichts zu ihm kam und über Schmerzen im Bereich der rechten Hand klagte. Noch am selben Tage erfolgte eine Vorstellung beim Durchgangsarzt. Entscheidende Bedeutung kommt weiterhin dessen Befunddokumentation vom 6. April 2011 zu. Dort werden Weichteilschwellungen, ein Druckschmerz über dem distalen Radius und eine schmerzhafte Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Handgelenks beschrieben. Dies hat der Sachverständige Dr. S. als klassischen Untersuchungsbefund kurz nach einem erlittenen Kahnbeinbruch gewertet. Die Auswertung der bildgebenden Befunde erbringt ebenfalls gewichtige Aspekte für einen Unfallzusammenhang. Zunächst ist festzuhalten, dass die Tatsache, dass dem Röntgenbefund vom 6. April 2011 eine sichere Diagnose einer Kahnbeinfraktur nicht zu entnehmen ist, nicht durchschlagend gegen einen Unfallzusammenhang spricht. Insoweit haben die Sachverständigen Dr. H. und Dr. S. in ihren Gutachten im Einklang mit dem Stand der medizinischen Wissenschaft darauf hingewiesen, dass eine Röntgenuntersuchung zur Diagnostik des Kahnbeinbruchs im Falle frischer Brüche nur ein sehr unsicheres Resultat liefert. Dr. S. führt in seinem Gutachten vom 30. November 2017 aus, dass sich auch bei Kenntnis der Frakturlinie im mittleren Drittel, wie sie durch die späteren bildgebenden Befunde CT und MRT belegt ist, auf den Röntgenaufnahmen vom 6. April 2011 die Kahnbeinfraktur nicht sicher erkennen lässt. Damit verliert der Röntgenbefund vom 6. April 2011 für die Altersbestimmung der später festgestellten Fraktur jedoch nicht jegliche Bedeutung. Nach den Ausführungen von Dr. S. wäre für den Fall eines vorbestehenden Kahnbeinbruchs ein solcher älterer Kahnbeinbruch auf den Röntgenaufnahmen vom 6. April 2011 gut zu erkennen gewesen. Dies begründet er nachvollziehbar mit einem Auseinanderweichen der Frakturteile im Verlauf eines nicht behandelten Kahnbeinbruchs. Der entsprechende Prozess lässt sich anschließend gut im Röntgenbild nachvollziehen. Entscheidende Bedeutung für die Bewertung des Ursachenzusammenhangs kommt auch dem MRT vom 6. Mai 2011 zu. Ihm kann nicht nur (so Dr. H. in seinem Gutachten vom 3. Januar 2017) die Bestätigung einer akuten Kahnbeinquerfraktur einschließlich eines posttraumatischen Gelenkergusses im Bereich der Handwurzelknochen entnommen werden. Zudem ist nach den Ausführungen des Dr. S. in seinem Gutachten vom 30. November 2017 eine leichte Verschiebung der Fraktur zu erken-nen. Der Sachverständige führt weiterhin aus, dass eine solche Verschiebung, hätte sie bereits am 6. April 2011 vorgelegen, bereits damals auch im Röntgenbild hätte erkennbar sein müssen. Daraus zieht er nachvollziehbar den Schluss, dass die Verschiebung in der Zeitspanne vom 6. April bis zum 6. Mai 2011 sich ereignet haben muss. Daher rechtfertigt die Gesamtschau aller bildgebenden Befunde das Vorliegen einer akuten Kahnbeinfraktur.

Dieses Ergebnis wird bestätigt durch den operativen Befund vom 9. Juni 2011. Dr. S. wertet den Operationsbericht dahingehend aus, dass die erreichte Ausheilung der Kahnbeinfraktur nach einfacher Verschraubung und die sonstigen Angaben im Operationsbericht für eine nicht allzu lange zurückliegende Kahnbeinfraktur sprechen. Die fehlende Möglichkeit, radiologischerseits das Alter der Kahnbeinfraktur näher einzugrenzen, führt nicht dazu, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Unfallzusammenhang zu verneinen ist. Vorliegend gibt es erhebliche Gesichtspunkte die dafür sprechen, dass der Kläger am 6. April 2011 am Ende des Sportunterrichts im Rahmen der Tauziehübung eine Kahnbeinfraktur rechts erlitten hat. Ein Abstützen des Klägers mit der rechten Hand ist für den Senat plausibel. Dies ist nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. ein geeigneter Hergang zur Verursachung einer Kahnbeinfraktur. Selbst wenn man an dieser Stelle noch Bedenken wegen der Annahme eines auch von Dr. S. eingeräumten ungewöhnlichen aber geeigneten Unfallherganges hegen sollte, so fallen diese aufgrund der weiteren Prüfungspunkte nicht derart ins Gewicht, dass eine positive Zusammenhangsbeurteilung ausscheidet. Der Kläger klagte unmittelbar nach Ende des Sportunterrichts über Schmerzen im Bereich der rechten Hand, berichtete dies seinem Sportlehrer und suchte noch am selben Tag den Durchgangsarzt auf. Der Durchgangsarzt vermerkte typische Befunde einer Kahnbeinfraktur rechts. Dem Röntgenbefund vom 6. April 2011 lässt sich zwar kein direkter Nachweis der frischen Kahnbeinfraktur entnehmen. Nach-gewiesen wird durch sie jedoch, dass eine ältere bis dahin symptomlos verlaufene Kahnbein-fraktur mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen ist. Der MRT-Befund vom 6. Mai 2011 belegt eine leichte Verschiebung der Fraktur. Dieser Frakturspalt wäre nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. S. bereits im Röntgenbild am 6. April 2011 erkennbar gewesen, so dass der Schluss gerechtfertigt ist, dass sich dieser Frakturspalt in der Zeitspanne vom 6. April bis 6. Mai 2011 gebildet hat.

In der Gesamtwürdigung aller Umstände gelangt der Senat daher zu dem Ergebnis, dass wesentlich mehr Anhaltspunkte für eine traumatisch bedingte Kahnbeinfraktur rechts im Fall des Klägers durch das Ereignis vom 6. April 2011 sprechen als dagegen. Daher war als weitere Folge des Arbeitsunfalles eine Kahnbeinfraktur rechts anzuerkennen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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