S 21 AL 222/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 21 AL 222/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 04.03.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2014 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld I nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zusteht.

Nachdem der Kläger seitens seines Arbeitgebers eine Kündigung erhalten hatte, meldete er sich am 12.07.2012 bei der Beklagten arbeitslos. Zu diesem Zeitpunkt war er krankgeschrieben. Nach Ablauf seines Krankentagegeldbezuges beantragte er erneut am 27.02.2014 die Gewährung von Arbeitslosengeld I. Mit Bescheid vom 04.03.2014 lehnte die Beklagte dies ab und führte zur Begründung aus, der Kläger habe die erforderliche Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Gemäß § 143 Abs. 1 SGB III betrage die Rahmenfrist zwei Jahre und umfasse im Falle des Klägers die Zeit vom 27.02.2012 bis 26.02.2014. Innerhalb dieser Rahmenfrist sei der Kläger aber nur 135 Tagen versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, nämlich in der Zeit vom 27.02.2012 bis 10.07.2012. Soweit der Kläger darauf bestehe, dass der Bezug des Krankentagegeldes des privaten Krankenversicherungsunternehmens versicherungspflichtig und bei der Anwartschaftszeit zu berücksichtigen sei, könne dem nicht gefolgt werden. Gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB III bestehe nur dann Versicherungspflicht aufgrund des Bezugs von Krankentagegeld eines privaten Krankenversicherungsunternehmens, wenn unmittelbar vor Beginn dieser Leistung Versicherungspflicht bestanden habe. Nach der Aktenlage sei der Kläger bis 10.07.2012 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Krankentagegeld der DEBEKA sei ab 14.08.2012 gezahlt worden. Eine Unmittelbarkeit liege nur dann vor, wenn der Krankentagegeldbezug spätestens innerhalb eines Monats nach dem Ende des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses beginne. Dieses sei vorliegend aufgrund des Zeitraums 11.07.2012 bis 13.08.2012 nicht gegeben. Es liege mithin keine Unmittelbarkeit vor. Auch der Bezug des Übergangsgeldes der Deutschen Rentenversicherung im Zeitraum 15.08.2012 bis 05.09.2012 führe zu keiner günstigeren Entscheidung, denn der Bezug ab (15.08.2012) dieser Leistung liege sogar noch nach dem Beginn des Krankentagegeldes am 14.08.2012. Den vom Kläger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 05.06.2014 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 16.06.2014 Klage vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben.

Der Kläger trägt vor, er habe die Beklagte laufend über seine Arbeitsunfähigkeit auf dem aktuellen Stand der Dinge gehalten und im Herbst 2013 um ein Gespräch bei seinem Arbeitsvermittler gebeten, welches auch stattgefunden habe. Er habe in den Monaten Juli und August 2012 Arbeitslosengeldbeiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt und sich in der Zeit vom 15.08.2012 bis 05.09.2012 in einer Reha-Maßnahme befunden und Übergangsgeld bezogen, so dass auch bezüglich dieses Zeitraumes davon auszugehen sei, dass Anwartschaften aufrechterhalten worden seien. Eine Beratung bezüglich einer Nachversicherung sei von der Beklagten angefordert, jedoch nicht gewährt worden. Aufgrund seines besonderen privaten Versicherungsvertrages habe er Krankengeld erst ab dem 14.08.2012 gezahlt bekommen, da er bei der DEBEKA einen Tarif TG43/100 abgeschlossen habe, d. h. Krankentagegeld erst ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit erhalten konnte. Darüber hinaus sei er von der Commerzbank, seinem ehemaligen Arbeitgeber, noch weiter beschäftigt worden in der Form, dass Urlaubsabgeltung für die Monate Juli und August 2012 gezahlt worden seien. Aus seiner Sicht habe eine Unmittelbarkeit der Versicherungspflicht aufgrund des § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB II bestanden und die Anwartschaftszeit sei seiner Auffassung nach erfüllt.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 04.03.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2014 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld I nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich, die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Gründe der angefochtenen Bescheide.

Der Kläger hat den DEBEKA-Vertrag betreffend Krankentagegeld und die Beklagte hat Ausdrucke der VERBIS-Vermerke aus dem Jahre 2012 zu den Akten gereicht.

In nichtöffentlicher Sitzung vom 18.02.2015 hat das Gericht den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert. Diese haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und die von der Beklagten beigezogene Verwaltungsakte sowie die beigezogenen Akten S 17 Kr 18/97 und S 44 AL 72/14 vollinhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Gemäß § 124 Abs. 2 SGG konnte die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Bewilligung von Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten (§ 54 SGG).

Gemäß § 137 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) besteht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wenn die Anwartschaftszeit erfüllt ist. Die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 142 Abs. 1 SGB III). Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tage vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 143 Abs. 1 SGB III). Der Kläger erfüllt alle sonstigen Voraussetzungen am 27.02.2014, so dass die Rahmenfrist die Zeit vom 27.02.2012 bis 26.02.2014 erfüllt. Entgegen der Auffassung der Beklagten erfüllt der Kläger die vorgenannten Voraussetzungen für die Bewilligung von Arbeitslosengeld, da der Bezug des Krankentagegeldes des privaten Krankenversicherungsunternehmens versicherungspflichtig war und bei der Anwartschaftszeit zu berücksichtigen war. Gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB III besteht nur dann Versicherungspflicht aufgrund des Bezuges von Krankentagegeld eines privaten Krankenversicherungsunternehmens, wenn unmittelbar vor Beginn dieser Leistung eine Versicherungspflicht bestand. Der Kläger war unstreitig bis zum 10.07.2012 versicherungspflichtig beschäftigt. Krankengeld der Debeka wurde ihm aufgrund des dort abgeschlossenen Tarifvertrages zutreffenderweise erst ab dem 14.08.2012 gezahlt. Das Gesetz nennt weder eine Frist noch definiert es Unterbrechungen welche Art und Dauer im Rahmen des § 26 Abs. 1 Nr. 2 SGB III als wesentlich anzusehen sind. Richtig dürfte insofern sein, dass der Begriff "unmittelbar" längere Zeiträume ausschließen dürfte (vgl. Timme in Hauck/Nofz, SGB III, K § 26 RZ 36). Die Rechtsprechung hat den Begriff der Unmittelbarkeit als erfüllt angesehen, wenn die Unterbrechung/Lücke nicht länger als einen Monat gedauert hat (s. BSG, Urteil 3. Juli 2013 – B 12 KR 11/11 R - SozR 4 – 2500, § 5 Nr. 19 m. w. N.). Das LSG Schleswig-Holstein hat in einer Entscheidung vom 16.12.2011 – L 3 AL 20/10 – eine Lücke von zwei Monaten als ausreichend gesehen und das LSG NRW in seiner Entscheidung vom 22.05.2014 – L 16 AL 287/13 – eine Unterbrechung des sechswöchigen Ruhenszeitraumes nach § 49 Abs. 1 Nr. 7 SGB V auch unter dem Begriff der Unmittelbarkeit gefasst. Im Falle des Klägers beläuft sich die zu überbrückende Lücke auf einen Monat und 4 Tage. Die Kammer ist der Auffassung, dass im Falle des Klägers der Begriff der "Unmittelbarkeit" vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung auszulegen ist. Zwar geht es auch bei § 26 SGB III für den Fortbestand der Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung um einen engen Zusammenhang von früherer Beschäftigung und Leistungsbezug, durch den sich die Zugehörigkeit zum Kreis der Arbeitnehmer dokumentiert (s. LSG NRW, Urteil vom 22. Mai 2014 – L 16 AL 287/13 -, juris Rdnr. 29 und 30). Anders als zu § 28a SGB III ergibt sich aber aus den Gesetzmaterialien kein Anhaltspunkt, welcher Zeitraum einer Unterbrechung insoweit noch unschädlich sein soll. Der enge Zusammenhang und die Schutzbedürftigkeit sind im Falle des Klägers zu bejahen, da die "Lücke" zwischen Beschäftigungsende und Beginn des Krankentagegeldzahlungszeitraumes im Falle des Klägers darauf beruhte, dass er arbeitsunfähig erkrankt war und der von ihm abgeschlossene Tarifvertrag für das Krankentagegeld eine andere Zeitschiene nicht zuließ. Da die Erwerbstätigkeit unfreiwillig unterbrochen wurde, er dem Grundsatz nach Arbeitnehmer geblieben ist und der abgeschlossene Tarifvertrag der Debeka ihm auch nur eine Zahlung des Krankentagegeldes mit der vorgesehenen Lücke ermöglicht hat. Bei Abschluss eines anderen Krankentagegeldtarifvertrages wäre die "Unmittelbarkeit" zweifellos bejaht worden. Es wäre daher unbillig, aus Sicht der Kammer, den Kläger, der sich für einen anderen Tarifvertrag bei der Debeka entschieden hat, insoweit zu benachteiligen. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit seiner Regelung im § 26 Abs. 2 ausdrücklich die Bezieher von Krankentagegeld als versicherungspflichtige Personen ansehen wollen. Das vom BSG in seiner Entscheidung vom 03.07.2003, B 12 KR 11/11 R beschriebenen Erfordernis eines besonderen Verhältnisses des Sachverhaltes ist im Falle des Klägers gegeben.

Dem Kläger steht mithin Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved