S 2 SO 128/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 128/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Beklagte trägt die hälftigen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger die Überprüfung des am 20.06.2012 ergangenen Widerspruchsbescheid bezüglich der Übernahme des Nachzahlungsbetrages aus einer Abrechnung der Stadtwerke Herne in Höhe von 1.327,55 Euro nach dem Sozialgesetzbuch 12. Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) in Verbindung mit § 116 a SGB XII verlangen kann.

Der am 06.08.1948 geborene Kläger bezog in der Vergangenheit Leistungen nach dem SGB XII von der Beklagten. Zudem bezieht er eine Altersrente der Deutschen Rentenversicherung Westfalen.

Nachdem die Deutsche Rentenversicherung Westfalen mit Kläger mit Bescheid vom 09.08.2012 für den Zeitraum vom 01.02.20103 bis zum 31.082008 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gewährt hatte und sich daraus eine Nachzahlung in Höhe von 19.660,32 Euro ergeben hatte, gewährte die Beklagte daraufhin zunächst keine Leistungen. Erstmals ab November 2014 erhielt der Kläger sodann erneut Leistungen von der Beklagten nach dem SGB XII.

Am 20.02.2012 hatte der Kläger die Übernahme des Nachzahlungsbetrages aus einer Abrechnung der Stadtwerke Herne vom 10.02.2012 für das Jahr 2011 beantragt. Die Beklagte hatte die Übernahme mit Bescheid vom 29.03.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2012 abgelehnt.

Mit Schreiben vom 19.09.2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überprüfung des Bescheides vom 20.06.2012 nach § 44 Abs. 1, 4 SGB X. Er sei wegen Rechts- und Verfassungswidrigkeit aufzuheben.

Mit der am 19.05.2015 bei dem hiesigen Gericht eingegangenen Untätigkeitsklage verfolgt der Kläger sein Begehren auf Bescheidung seines Antrages vom 19.09.2014. Der Antrag sei bisher nicht beschieden worden.

Mit Bescheid vom 07.07.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2015 hat die Beklagte den Antrag im Rahmen der Untätigkeitsklage abgelehnt. Die Voraussetzungen für eine neue Sachentscheidung im Sinne von § 44 SGB X seien nicht erfüllt. § 116 a SGB X verkürze den Zeitraum des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X von 4 Jahren auf 1 Jahr. Soweit danach Leistungen für einen weiter zurückliegenden Zeitraum nicht zu erbringen sind, schließe dies die Rücknahme der nichtbegünstigten Verwaltungsakte von vorn herein aus.

Mit Schreiben vom 09.09.2015 hat der Kläger erklärt, dass er die Umstellung der Untätigkeitsklage in eine Verpflichtungsklage wünsche. Er sei der Auffassung, dass § 116 a SGB XII nicht geltendem Gesetz entspreche, da durch diesen Paragraphen die gesetzliche Verjährung von 4 Jahren außer Kraft gesetzt werde.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 21.03.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2012 in der Fassung des Bescheides vom 17.07.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2015 zu verurteilen, dem Kläger aus der Rechnung der Stadtwerke Herne vom 10.02.2012 einen Betrag in Höhe von 1.327,55 Euro zu erstatten.

Die Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt weiter bei der Auffassung, dass der geltend gemachte Anspruch an der Regelung des § 116 a XII scheitere. Eine Verfassungswidrigkeit der Regelung sei nicht zu erkennen. Es werde insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) verwiesen, welche von einer kürzeren Frist von einem Jahr für die nachträgliche Erbringung von Sozialleistungen bei einer Rücknahme nach § 44 Abs. 1 SGB X ausgehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und dem sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie einer Vielzahl von Verwaltungsakten, die dem Gericht vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

Die nunmehr als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch den Bescheid der Beklagten vom 17.07.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2015 nicht in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Dem Anspruch des Klägers steht § 116 a SGB XII in Verbindung mit § 44 Abs. 4 SGB X entgegen. Ds Gericht verweist zunächst auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheides vom 26.08.2015 (§ 136 Abs. 3 SGG).

Ergänzend wird auf das Folgende hingewiesen: Ist ein Verwaltungsakte mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X Sozialleistungen nach den Vorschriften der besondere Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht, wobei die Frist vom Beginn des Jahres aus zurück gerechnet wird, in dem die Rücknahme erfolgt oder beantragt wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB X). § 116 a SGB XII in der Fassung bis zum 31.12.2016 verkürzt den Zeitraum von 4 Jahren auf ein Jahr. Soweit danach Leistungen für einen weiter zurückliegenden Zeitraum nicht zu erbringen sind, schließt dies die Rücknahme der nicht begünstigten Verwaltungsakte von vorn herein aus, denn einem Antragsteller, der über § 44 Abs. 4 SGB X, § 116 a SGB XII keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten kann, kann regelmäßig kein rechtliches Interesse an der Rücknahme im Sinne von § 44 Abs. 1 SGB X zugebilligt werden. Die Unanwendbarkeit der Vollzugsregelung des § 44 Abs. 4 SGB X steht dann einer isolierten Rücknahme entgegen (BSG, Urteil vom 26.06.2013, Az.: B 7 AY 6/12 R).

Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Norm des § 116 a SGB XII auch verfassungsgemäß. Dem Gesetzgeber steht im Rahmen der gewährten Staatstätigkeit schon seit jeher ein Gestaltungsspielraum zu, um den Umfang der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu bestimmen, der zudem auch dem Bundesverfassungsgericht größte Zurückhaltung auferlegt, dem Gesetzgeber im Bereich darreichenden Verwaltung über den Gleichheitssatz zusätzliche Leistungsverpflichtungen aufzuerlegen, vor allem, wenn sie aus den Beiträgen der Gemeinschaft der Versicherten finanziert werden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.02.2009, Az.: 1 BvR 2982/07). Dies gilt umso mehr für Leistungen, die im Wege eines Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X unter Durchbrechung der Bestandskraft für die Vergangenheit gewährt werden sollen, so dass es der Gesetzgeber daher ohne Verfassungsverstoß in der Hand hat, gerade die zur aktuellen Existenzsicherung nicht vorgesehene, rückwirkende Leistungspflicht in zeitlicher Hinsicht zu beschränken. Insoweit stehen sich Verfassungsprinzipien wie die Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns einerseits und die Rechtssicherheit bezogen auf bestandskräftige Entscheidungen andererseits gleichberechtigt gegenüber. All dies ergibt sich ohne Weiteres aus der vorliegenden verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13.08.2014, Az.: L 7 AS 1569/13; im Ergebnis: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.05.2014, Az.: L 9 SO 55/14 B). Der guten Ordnung halber wird darauf hingewiesen, dass auch das Bundessozialgericht diese Rechtsauffassung teilt (BSG, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Beklagte hat die Hälfte der Kosten zu tragen, da die Untätigkeitsklage begründet gewesen ist. Der Petitionsausschuss ist nicht weisungsbefugt gegenüber der Beklagten; der Kläger war mit dem Ruhen des Verfahrens offensichtlich nicht einverstanden, so dass die Beklagte trotz ggf. laufendem Petitionsverfahren gehalten gewesen war, über den Antrag/Widerspruch zu entscheiden.
Rechtskraft
Aus
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