Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 21 KR 816/04
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 48/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Kostenerstattung für das Arzneimittel "Caverjekt Impuls" für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 21. Februar 2006 und die Kostenübernahme für dieses Arzneimittel ab dem 22. Februar 2006.
Der 1937 geborene, als Rentner krankenversicherte türkische Kläger beantragte am 9. Februar 2004 bei der Beklagten, seiner Krankenkasse, Kostenübernahme für das ihm von seinem Urologen verordnete Arzneimittel "Caverject Impuls". Nach einer Prostataoperation im Jahre 2002 wegen Krebserkrankung sei er nicht mehr in der Lage, seinen ehelichen Pflichten nachzukommen. Seine Impotenz sei eine chronische Krankheit. Ohne weitere Einnahme dieses Medikamentes, für welches die Beklagte bis 31. Dezember 2003 die Kosten übernommen habe, sei seine Ehe gefährdet. Seine finanzielle Lage erlaube ihm nicht, diese Kosten selbst zu tragen.
Die Beklagte teilte dem Kläger unter dem 20. Februar 2004 schriftlich mit, dass das betreffende Medikament ab 1. Januar 2004 nach den Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien ( AMR )) zu den so genannten "Lifestyle-Produkten" zähle, welche überwiegend der Erhöhung der Lebensqualität bzw. der Verbesserung der privaten Lebensführung dienten und vertragsärztlich nicht mehr verordnet werden dürften.
Hiergegen wandte sich der Kläger, indem er einen rechtmittelfähigen Bescheid erbat, am 4. März 2004. Ihm stehe ein gesetzlicher Anspruch zu. Hierbei berufe er sich auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. September 1999 (B 8 KN 9/98 R, NJW 2000, 2764). Das BSG habe in dieser Entscheidung bestätigt, dass bei nicht mehr vorhandener Erektionsfähigkeit trotz bestehenden Verlangens (Libido) eine behandlungsfähige Krankheit vorliege. Seine Behandlung mit "Caverject Impuls" sei medizinisch indiziert und diene keineswegs lediglich der Steigerung der Lebensqualität. Die AMR könnten einen gesetzlichen Anspruch auf Behandlung einer nachgewiesenen Krankheit mit einem tauglichen Medikament nicht rechtswirksam ausschließen.
Nachdem die Beklagte bei ihrer Entscheidung verblieben war (Bescheid vom 30. März 2004), entgegnete sie im anschließenden Vorverfahren, die vom Kläger erwähnte Rechtsprechung des BSG zum Medikament "Viagra" gelte nur für die Zeit bis zum 31. Dezember 2003. Nach § 34 Abs. 1 Nr. 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion dienten, ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe § 34 Abs. 1 SGB V in den neuen AMR idF vom 16. März 2004 ab 1. Januar 2004 neu definiert bzw. konkretisiert. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2004 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 28. Juli 2004 erhobene Erstattungs- bzw. Kostenübernahmeklage. Der Kläger hat ausgeführt, es fielen Kosten von 122,25 EUR für eine Packung des Medikaments an, mit der er etwa drei Monate auskomme. Außerdem hat er sich auf ein Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. März 2004 (S 6 KR 87/03) berufen und Kopien zweier Verordnungen des Urologen Dr. G. vom 2. Februar 2004 (244,50 EUR) und dreier Verordnungen dieses Arztes vom 8. April und 15. Oktober 2004 sowie 14. März 2005 (611,25 EUR) vorgelegt. Die Kosten von insgesamt 855,75 EUR habe er getragen.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 29. Juni 2005 abgewiesen. Der Kläger – der sich vom 1. Mai bis 30. September 2005 in der Türkei aufgehalten hatte - habe weder einen Kostenerstattungsanspruch noch einen Kostenübernahmeanspruch (Sachleistungsanspruch). Caverjekt Impuls sei ein Arzneimittel, das zur Behandlung erektiler Dysfunktionen genutzt werde und unter die gem. § 34 Abs. 1 Sätze 7 und 8 SGB V von der Versorgung ausgeschlossenen Arzneimittel falle. Zusätzlich führe Anlage 8 der auf der Grundlage von § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ergangenen AMR in der geänderten Fassung vom 16. März 2004 dieses Arzneimittel ausdrücklich bei der Indikation erektile Dysfunktion als ausgeschlossenes Fertigarzneimittel auf. Die Begründung zum Gesundheits-Modernisierungsgesetz (GMG) - BT-Drucks 15/1525, S. 86 - lasse an diesem Ausschluss keinen Zweifel, § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V eine ausnahmsweise Verordnung des ausgeschlossenen Arzneimittels in einem medizinisch begründeten Einzelfall mit Begründung durch den verordnenden Arzt nicht zu.
Gegen das ihm am 29. Juli 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 29. August 2005 eingelegte Berufung des Klägers. Er sieht einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) iVm Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darin, dass zwar das streitgegenständliche Medikament ausgeschlossen sei, nicht aber andere Mittel (Vakuumerektionshilfen; Testosteron-Ersatztherapie; Schwellkörper-Implantate; psychotherapeutische Behandlung), die der Behandlung derselben Grundkrankheit dienten. Bei ihm gehe es um die Wiederherstellung einer Körperfunktion. Das Sozialgericht setze sich nicht damit auseinander, dass seine Krankheit auf der Prostataoperation beruhe und die Medikation mit "Caverjekt Impuls" nicht zur Verbesserung seines "lifestyle" diene, sondern um eine krankheitsbedingte Beeinträchtigung seiner Physis und seiner Psyche zu lindern. Der Ausschluss sämtlicher Arzneimittel, die der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, durch Art. 1 Nr. 22 GMG greife zu kurz und führe zu einem grundrechtsrelevanten Systemversagen. Wolle man ein solches Versagen verhindern, müsse § 27 SGB V dem § 34 SGB V vorgehen. Der Ausschluss des streitgegenständlichen Medikamentes durch § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V sei zudem rechts-, system- und verfassungswidrig. Zweck der Vorschrift sei der Leistungsausschluss für Bagatell-Arzneimittel. Um ein solches handele sich hier aber nicht. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebiete, eine Rechtsgüterabwägung vorzunehmen. Diese falle dahin aus, dass er mit dem streitigen Medikament behandelt werden müsse. Ein solches Ergebnis verlange auch der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 29. Juni 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die vom Kläger seit dem 1. Januar 2004 aufgewendeten Kosten für die Krankenbehandlung mit dem Medikament "Caverject Impuls" zu erstatten und für die Zukunft zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Berufungsbegründung enthalte keine neuen Gesichtspunkte.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Prozessakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz ( SGG )). Ausschließungsgründe nach § 144 SGG, welche die Zulassung der Berufung erfordern, liegen nicht vor.
Die Berufung ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 30. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2004 ist rechtmäßig. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Kostenerstattung noch einen solchen auf Kostenübernahme für das in Rede stehende Arzneimittel. Denn die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V (Kostenerstattung) bzw. des § 27 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 SGB V (Sachleistung) liegen nicht vor. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte zwar Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung u. a. auch die Versorgung mit Arzneimitteln, zu denen das Medikament "Caverject Impuls" gehört. Jedoch sind seit Januar 2004 gemäß § 34 Abs. 1 Satz 7 und 8 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen Arzneimittel, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ausgeschlossen sind u. a. insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz dienen. Das Nähere regeln gemäß § 37 Abs. 1 Satz 9 SGB V die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V, vorliegend die AMR idF vom 31. August 1993 (BAnz. Nr. 246 S. 11155). Abschnitt F der AMR (Gesetzliche Verordnungsausschlüsse bei der Arzneimittelversorgung und zugelassene Ausnahmen), eingefügt mWv 16. März 2004 durch Bekanntmachung von diesem Tage (BAnz. Nr. 77 S. 8905), bestimmt in Nr. 18.3, dass die nach Nr. 18.2 ausgeschlossenen Fertigarzneimittel (u. a. insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz dienen) in einer Übersicht als Anlage 8 der AMR zusammengestellt sind. Diese Anlage (§ 34 Abs. 1 n. F. SGB V, Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln), angefügt mWv 16. März 2004, erfasst auch das Medikament "Caverjekt Impuls", das die Wirkstoffe G 04 BE 01 Alprostadil enthält und zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aufgrund verschiedener (neurogener, vaskulärer, psychogener oder gemischter) Ursachen dient. Nach alledem unterliegt es keinem Zweifel, dass das Medikament "Caverjekt Impuls" in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnet werden darf. Soweit der Kläger in Zweifel zieht, dass die AMR eine genügende Legitimation haben, um einen Ausschluss von Caverjekt Impuls zu regeln, ist bereits der Ansatz dieser Kritik verfehlt. Denn das Gesetz selbst schließt die Verordnung von Arzneimitteln, die überwiegend der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, in der vertragsärztlichen Versorgung aus.
Das Berufungsvorbringen des Klägers überzeugt nicht. Er kritisiert lediglich die in § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V getroffene Entscheidung des Gesetzgebers. Dass diese aber gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, gegen Art. 6 Abs. 1 GG und gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstößt, legt er nicht überzeugend dar. Solche Verstöße vermag der Senat nicht zu erkennen. Es fällt in die Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers, den Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu bestimmen. Daher unterliegt es keinen Bedenken, wenn er Arzneimittel, bei deren Anwendung die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht, aus dem Leistungsangebot ausnimmt. Es ist auch nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber mit dem ausdrücklichen Ausschluss der Arzneimittel, die überwiegend der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, seine Regelungskompetenz überschritten hat. Eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG kommen deshalb nicht in Betracht.
Ein Kostenerstattungsanspruch scheitert aus denselben Gründen. Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V hat der Kläger nicht gewählt. Aber auch eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V scheidet aus. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese nach der erwähnten Vorschrift von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Eine unaufschiebbare Leistung lag nicht vor, die Beklagte hat eine Leistung auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Denn der Kläger hatte keinen Sachleistungsanspruch nach § 27 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 SGB V auf das streitige Arzneimittel. Die Verordnung dieses Arzneimittels war nämlich durch das Gesetz ab 1. Januar 2004 ausgeschlossen.
Dass Abschnitt F der AMR und deren Anlage 8 erst am 16. März 2004 in Kraft getreten sind, verhilft dem Kläger nicht zu einem Teilerfolg. Die gesetzliche Regelung schließt bereits seit 1. Januar 2004 Arzneimittel aus, die überwiegend zur Behandlung der erektilen allgemeinen Dysfunktion dienen. Abgesehen davon sind die drei als Privatrezept bezeichneten Verordnungen erst nach dem 16. März 2004 ausgestellt worden, sodass auf sie bereits das neue Recht der AMR, das Caverject Impuls ausdrücklich in Anlage 8 aufführt, Anwendung findet. Die vor dem Leistungsantrag vom 9. Februar 2004 ausgestellten, die Beklagte als Krankenkasse nennenden Verordnungen vom 2. Februar 2004 hat der Kläger am 30. März 2004, also nach dem ersten ablehnenden Schreiben der Beklagten vom 20. Februar 2004 und nach dem 16. März 2004 bei der Apotheke eingelöst. Selbst wenn er für diese Rezepte den vollen Preis und nicht nur die gesetzliche Zuzahlung geleistet hätte, so könnte er auch für diese Kosten keine Erstattung erhalten.
Die Berufung hat daher keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür fehlen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Kostenerstattung für das Arzneimittel "Caverjekt Impuls" für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 21. Februar 2006 und die Kostenübernahme für dieses Arzneimittel ab dem 22. Februar 2006.
Der 1937 geborene, als Rentner krankenversicherte türkische Kläger beantragte am 9. Februar 2004 bei der Beklagten, seiner Krankenkasse, Kostenübernahme für das ihm von seinem Urologen verordnete Arzneimittel "Caverject Impuls". Nach einer Prostataoperation im Jahre 2002 wegen Krebserkrankung sei er nicht mehr in der Lage, seinen ehelichen Pflichten nachzukommen. Seine Impotenz sei eine chronische Krankheit. Ohne weitere Einnahme dieses Medikamentes, für welches die Beklagte bis 31. Dezember 2003 die Kosten übernommen habe, sei seine Ehe gefährdet. Seine finanzielle Lage erlaube ihm nicht, diese Kosten selbst zu tragen.
Die Beklagte teilte dem Kläger unter dem 20. Februar 2004 schriftlich mit, dass das betreffende Medikament ab 1. Januar 2004 nach den Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien ( AMR )) zu den so genannten "Lifestyle-Produkten" zähle, welche überwiegend der Erhöhung der Lebensqualität bzw. der Verbesserung der privaten Lebensführung dienten und vertragsärztlich nicht mehr verordnet werden dürften.
Hiergegen wandte sich der Kläger, indem er einen rechtmittelfähigen Bescheid erbat, am 4. März 2004. Ihm stehe ein gesetzlicher Anspruch zu. Hierbei berufe er sich auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. September 1999 (B 8 KN 9/98 R, NJW 2000, 2764). Das BSG habe in dieser Entscheidung bestätigt, dass bei nicht mehr vorhandener Erektionsfähigkeit trotz bestehenden Verlangens (Libido) eine behandlungsfähige Krankheit vorliege. Seine Behandlung mit "Caverject Impuls" sei medizinisch indiziert und diene keineswegs lediglich der Steigerung der Lebensqualität. Die AMR könnten einen gesetzlichen Anspruch auf Behandlung einer nachgewiesenen Krankheit mit einem tauglichen Medikament nicht rechtswirksam ausschließen.
Nachdem die Beklagte bei ihrer Entscheidung verblieben war (Bescheid vom 30. März 2004), entgegnete sie im anschließenden Vorverfahren, die vom Kläger erwähnte Rechtsprechung des BSG zum Medikament "Viagra" gelte nur für die Zeit bis zum 31. Dezember 2003. Nach § 34 Abs. 1 Nr. 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion dienten, ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe § 34 Abs. 1 SGB V in den neuen AMR idF vom 16. März 2004 ab 1. Januar 2004 neu definiert bzw. konkretisiert. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2004 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 28. Juli 2004 erhobene Erstattungs- bzw. Kostenübernahmeklage. Der Kläger hat ausgeführt, es fielen Kosten von 122,25 EUR für eine Packung des Medikaments an, mit der er etwa drei Monate auskomme. Außerdem hat er sich auf ein Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. März 2004 (S 6 KR 87/03) berufen und Kopien zweier Verordnungen des Urologen Dr. G. vom 2. Februar 2004 (244,50 EUR) und dreier Verordnungen dieses Arztes vom 8. April und 15. Oktober 2004 sowie 14. März 2005 (611,25 EUR) vorgelegt. Die Kosten von insgesamt 855,75 EUR habe er getragen.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 29. Juni 2005 abgewiesen. Der Kläger – der sich vom 1. Mai bis 30. September 2005 in der Türkei aufgehalten hatte - habe weder einen Kostenerstattungsanspruch noch einen Kostenübernahmeanspruch (Sachleistungsanspruch). Caverjekt Impuls sei ein Arzneimittel, das zur Behandlung erektiler Dysfunktionen genutzt werde und unter die gem. § 34 Abs. 1 Sätze 7 und 8 SGB V von der Versorgung ausgeschlossenen Arzneimittel falle. Zusätzlich führe Anlage 8 der auf der Grundlage von § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ergangenen AMR in der geänderten Fassung vom 16. März 2004 dieses Arzneimittel ausdrücklich bei der Indikation erektile Dysfunktion als ausgeschlossenes Fertigarzneimittel auf. Die Begründung zum Gesundheits-Modernisierungsgesetz (GMG) - BT-Drucks 15/1525, S. 86 - lasse an diesem Ausschluss keinen Zweifel, § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V eine ausnahmsweise Verordnung des ausgeschlossenen Arzneimittels in einem medizinisch begründeten Einzelfall mit Begründung durch den verordnenden Arzt nicht zu.
Gegen das ihm am 29. Juli 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 29. August 2005 eingelegte Berufung des Klägers. Er sieht einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) iVm Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darin, dass zwar das streitgegenständliche Medikament ausgeschlossen sei, nicht aber andere Mittel (Vakuumerektionshilfen; Testosteron-Ersatztherapie; Schwellkörper-Implantate; psychotherapeutische Behandlung), die der Behandlung derselben Grundkrankheit dienten. Bei ihm gehe es um die Wiederherstellung einer Körperfunktion. Das Sozialgericht setze sich nicht damit auseinander, dass seine Krankheit auf der Prostataoperation beruhe und die Medikation mit "Caverjekt Impuls" nicht zur Verbesserung seines "lifestyle" diene, sondern um eine krankheitsbedingte Beeinträchtigung seiner Physis und seiner Psyche zu lindern. Der Ausschluss sämtlicher Arzneimittel, die der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, durch Art. 1 Nr. 22 GMG greife zu kurz und führe zu einem grundrechtsrelevanten Systemversagen. Wolle man ein solches Versagen verhindern, müsse § 27 SGB V dem § 34 SGB V vorgehen. Der Ausschluss des streitgegenständlichen Medikamentes durch § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V sei zudem rechts-, system- und verfassungswidrig. Zweck der Vorschrift sei der Leistungsausschluss für Bagatell-Arzneimittel. Um ein solches handele sich hier aber nicht. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebiete, eine Rechtsgüterabwägung vorzunehmen. Diese falle dahin aus, dass er mit dem streitigen Medikament behandelt werden müsse. Ein solches Ergebnis verlange auch der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 29. Juni 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die vom Kläger seit dem 1. Januar 2004 aufgewendeten Kosten für die Krankenbehandlung mit dem Medikament "Caverject Impuls" zu erstatten und für die Zukunft zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Berufungsbegründung enthalte keine neuen Gesichtspunkte.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Prozessakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz ( SGG )). Ausschließungsgründe nach § 144 SGG, welche die Zulassung der Berufung erfordern, liegen nicht vor.
Die Berufung ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 30. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2004 ist rechtmäßig. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Kostenerstattung noch einen solchen auf Kostenübernahme für das in Rede stehende Arzneimittel. Denn die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V (Kostenerstattung) bzw. des § 27 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 SGB V (Sachleistung) liegen nicht vor. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte zwar Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung u. a. auch die Versorgung mit Arzneimitteln, zu denen das Medikament "Caverject Impuls" gehört. Jedoch sind seit Januar 2004 gemäß § 34 Abs. 1 Satz 7 und 8 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen Arzneimittel, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ausgeschlossen sind u. a. insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz dienen. Das Nähere regeln gemäß § 37 Abs. 1 Satz 9 SGB V die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V, vorliegend die AMR idF vom 31. August 1993 (BAnz. Nr. 246 S. 11155). Abschnitt F der AMR (Gesetzliche Verordnungsausschlüsse bei der Arzneimittelversorgung und zugelassene Ausnahmen), eingefügt mWv 16. März 2004 durch Bekanntmachung von diesem Tage (BAnz. Nr. 77 S. 8905), bestimmt in Nr. 18.3, dass die nach Nr. 18.2 ausgeschlossenen Fertigarzneimittel (u. a. insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz dienen) in einer Übersicht als Anlage 8 der AMR zusammengestellt sind. Diese Anlage (§ 34 Abs. 1 n. F. SGB V, Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln), angefügt mWv 16. März 2004, erfasst auch das Medikament "Caverjekt Impuls", das die Wirkstoffe G 04 BE 01 Alprostadil enthält und zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aufgrund verschiedener (neurogener, vaskulärer, psychogener oder gemischter) Ursachen dient. Nach alledem unterliegt es keinem Zweifel, dass das Medikament "Caverjekt Impuls" in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnet werden darf. Soweit der Kläger in Zweifel zieht, dass die AMR eine genügende Legitimation haben, um einen Ausschluss von Caverjekt Impuls zu regeln, ist bereits der Ansatz dieser Kritik verfehlt. Denn das Gesetz selbst schließt die Verordnung von Arzneimitteln, die überwiegend der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, in der vertragsärztlichen Versorgung aus.
Das Berufungsvorbringen des Klägers überzeugt nicht. Er kritisiert lediglich die in § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V getroffene Entscheidung des Gesetzgebers. Dass diese aber gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, gegen Art. 6 Abs. 1 GG und gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstößt, legt er nicht überzeugend dar. Solche Verstöße vermag der Senat nicht zu erkennen. Es fällt in die Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers, den Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu bestimmen. Daher unterliegt es keinen Bedenken, wenn er Arzneimittel, bei deren Anwendung die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht, aus dem Leistungsangebot ausnimmt. Es ist auch nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber mit dem ausdrücklichen Ausschluss der Arzneimittel, die überwiegend der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, seine Regelungskompetenz überschritten hat. Eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG kommen deshalb nicht in Betracht.
Ein Kostenerstattungsanspruch scheitert aus denselben Gründen. Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V hat der Kläger nicht gewählt. Aber auch eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V scheidet aus. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese nach der erwähnten Vorschrift von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Eine unaufschiebbare Leistung lag nicht vor, die Beklagte hat eine Leistung auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Denn der Kläger hatte keinen Sachleistungsanspruch nach § 27 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 SGB V auf das streitige Arzneimittel. Die Verordnung dieses Arzneimittels war nämlich durch das Gesetz ab 1. Januar 2004 ausgeschlossen.
Dass Abschnitt F der AMR und deren Anlage 8 erst am 16. März 2004 in Kraft getreten sind, verhilft dem Kläger nicht zu einem Teilerfolg. Die gesetzliche Regelung schließt bereits seit 1. Januar 2004 Arzneimittel aus, die überwiegend zur Behandlung der erektilen allgemeinen Dysfunktion dienen. Abgesehen davon sind die drei als Privatrezept bezeichneten Verordnungen erst nach dem 16. März 2004 ausgestellt worden, sodass auf sie bereits das neue Recht der AMR, das Caverject Impuls ausdrücklich in Anlage 8 aufführt, Anwendung findet. Die vor dem Leistungsantrag vom 9. Februar 2004 ausgestellten, die Beklagte als Krankenkasse nennenden Verordnungen vom 2. Februar 2004 hat der Kläger am 30. März 2004, also nach dem ersten ablehnenden Schreiben der Beklagten vom 20. Februar 2004 und nach dem 16. März 2004 bei der Apotheke eingelöst. Selbst wenn er für diese Rezepte den vollen Preis und nicht nur die gesetzliche Zuzahlung geleistet hätte, so könnte er auch für diese Kosten keine Erstattung erhalten.
Die Berufung hat daher keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür fehlen.
Rechtskraft
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