Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
25 U 466/95
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 22/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. Januar 2004 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemanns K. D. – im Folgenden: des Versicherten – wegen der Folgen einer bei diesem eingetretenen Berufskrankheit nach Nr.1303 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) Anspruch auf die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Der am XX.XXXXXXX 1947 geborene und am XX.XXXXX 2004 verstorbene Versicherte war ab April 1972 als Tiefdruckhelfer bei der Firma B. Druck GmbH & Co. KG beschäftigt. Im September 1993 zeigte der Neurologe und Psychiater Dr. C. den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit wegen einer chronischen Exposition von Toluol am Arbeitsplatz an. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD) stellte nach Untersuchungen in der Firma am 21. April 1994 folgende Tätigkeiten des Versicherten fest: Von 1972 bis 1976 arbeitete er an verschiedenen Stapelauslegern und Kreuzlegern als Absetzer von fertigen Druckprodukten auf Paletten hinter der Druckmaschine. Von 1976 bis 1978 war er an der Tiefdruckrollenrotationsmaschine M 2 als so genannter "Farbmann" zur besonderen Verwendung beschäftigt. Bei dieser Tätigkeit musste er Farbe von Hand nachfüllen, die Viskosität messen, sowie nach Bedarf (etwa alle 3 Tage) Maschinenteile, wie z.B. Leitspindeln reinigen. Zeitweise, insbesondere während der Urlaubszeit, war er auch als Helfer an der Papier-Abrollung als "Rolleur" beschäftigt. Ab 1978 arbeitete der Versicherte ausschließlich als Rolleur an der M 2. Während der gesamten Arbeitszeit bestand regelmäßiger täglicher Atemswegkontakt zu Toluol aus Reintoluol, Druckfarben und Verschnitt. Zudem bestand Hautkontakt bei Reinigungsarbeiten, beim Umgang mit dem Rollenkleber sowie insbesondere während der Tätigkeit als Farbmann. Der TAD kam zu der Feststellung, dass für eine Bewertung der Exposition aktuelle Messwerte herangezogen werden könnten, da sich die Arbeitsplätze nach Angaben der Betriebsleitung seit 1972 kaum geändert hätten. Beim Absetzen der fertigen Druckprodukte an den Maschinen M 1, M 2 und M 3 seien personenbezogen bei Helfern Toluolkonzentrationen zwischen 42 und 111 mg/m³ und stationär zwischen 48 und 161 mg/m³ ermittelt worden. Für die nicht mehr existierende Tätigkeit des Farbmannes lägen keine Messergebnisse vor, jedoch sei die Toluol-Exposition mit Sicherheit höher als im Bereich der Auslage gewesen. Demgegenüber sei die Toluol-Exposition für die seit 1978 ausgeübte Tätigkeit als Rolleur als wesentlich geringer einzuschätzen. Personenbezogene Messungen bei Rolleuren an den Maschinen M 2 und M 3 hätten Toluol-Konzentrationen zwischen 10 und 24 mg/m³ ergeben (Bericht vom 14. Juni 1994).
Nachdem die staatliche Gewerbeärztin Dr. W. mit Schreiben vom 22. Dezember 1994 und 14. März 1995 eine ergänzende Stellungnahme des TAD für erforderlich gehalten hatte unter Hinweis auf ihre eigene Kenntnis des Betriebes und die im Jahre 1993 erschienene Begründung für die Halbierung des MAK-Wertes für Toluol, führte der TAD in der ergänzenden Stellungnahme vom 13. April 1995 aus, dass der Versicherte während seiner Tätigkeit als Farbmann von 1976 bis 1978 durchaus Konzentrationen an Toluol ausgesetzt gewesen sein könne, die im Bereich zwischen 380 mg/m³ und dem damals noch zulässigen MAK-Wert von 760 mg/m³ gelegen haben könnten. Vorher und insbesondere von 1978 an sei die Tätigkeit des Rolleurs sicher als gering toluolexponiert bis zu etwa 1/4 des heute gültigen Grenzwertes von 190 mg/m³ zu bewerten. Nunmehr kam die staatliche Gewerbeärztin Dr. W. in der Stellungnahme vom 31. Mai 1995 zu dem Ergebnis, dass sich eine Exposition gegenüber Toluol ab 1978, die als geeignet angesehen werden müsse, neurotoxische Veränderungen und Befindlichkeitsstörungen hervorzurufen, nicht nachweisen lasse.
Mit Bescheid vom 28. Juli 1995 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr.1303 (Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol) ab. Der Widerspruch des Versicherten blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 1995).
Mit der am 6. November 1995 erhobenen Klage hat der Versicherte sein Begehren weiterverfolgt und ergänzend vorgetragen, bis 1988 hätten offene Toluol-Eimer am Arbeitsplatz gestanden. Nach 1988 seien diese mit Deckeln versehen worden, die aber häufig nicht benutzt worden seien. Arbeitskleidung und Hände seien häufig mit Toluol gereinigt worden.
Das Sozialgericht hat das arbeitsmedizinisch-toxikologische Gutachten von dem Leitenden Arzt des Arbeitsmedizinischen Dienstes der Freien und Hansestadt Hamburg Dr. P. vom 15. April 1996 nach Aktenlage erstellen lassen. In der mündlichen Verhandlung am 13. Juni 1996 hat es Dr. P. gehört sowie den Betriebsratsvorsitzenden der Firma B., Herrn H., als Zeugen zu den Expositionsbedingungen am Arbeitsplatz des Versicherten vernommen. Nachdem der Zeuge erklärt hatte, dass es bis Mitte der 80er Jahre üblich gewesen sei, dass die Kollegen bei jeder Reinigung die schmutzigen Hände bis zum Ellenbogen in einen Toluol-Eimer gesteckt und für alle Reinigungsarbeiten Toluol benutzt hätten, ohne dabei Handschuhe zu tragen, darüber hinaus auch ihre Arbeitskleidung in einem Toluol getränkten Bad gereinigt und in der Nähe des Arbeitsplatzes zum Trocknen aufgehängt hätten, hat Dr. P. ausgeführt, dass davon auszugehen sei, dass der Versicherte über einen längeren Zeitraum in erheblichem Ausmaß gegenüber Toluol exponiert gewesen sei. Schädigungen des zentralen und peripheren Nervensystems kämen bei diesen Expositionsbedingungen durchaus in Betracht. Er empfehle eine nervenärztliche Begutachtung zur Feststellung des Krankheitsbildes.
Nachdem die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme des TAD vom 3. Januar 1997 vorgelegt hatte, hat der Versicherte mit Schriftsatz vom 20. Januar 1998 einen Befundbericht von Prof. Dr. S. an die Betriebsärztin der Firma B., Dr. B1., eingereicht, in dem auf eine im Juni 1997 durchgeführte Toluol-Bestimmung im Blut mit Überschreitung des MAT-Wertes hingewiesen wurde. Unter dem 8. Mai und dem 26. Oktober 1998 hat Dr. P. weitere Stellungnahmen abgegeben und ausgeführt, seiner Auffassung nach seien die Voraussetzungen der haftungsbegründenden Kausalität inzwischen hinreichend nachgewiesen, sodass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Hinblick auf das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 1303 bewertet werden sollten.
Das Sozialgericht hat sodann ein nervenärztliches Gutachten von Dr. F. (Medizinisches Gutachteninstitut Hamburg) vom 15. August (gemeint ist September) 1999 aufgrund einer Untersuchung vom 2. September 1999 erstellen lassen. Hierbei gab der Versicherte Kopfschmerzen seit Anfang der 90er Jahre sowie Kribbelmissempfindungen in den Beinen vom Knie an abwärts an, ferner auf Befragen Störungen der Merkfähigkeit. Dr. F. stellte eine sehr diskrete Polyneuropathie ohne Funktionsbeeinträchtigungen fest. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass die subjektiv empfundenen Beeinträchtigungen des Versicherten, die unter dem Begriff der somatoformen Störungen zusammengefasst werden könnten, in der Allgemeinbevölkerung sehr häufig anzutreffen seien. Somit sei bei der Kausalitätsbetrachtung bezüglich der Schadstoffexposition ein besonders sorgfältiger Maßstab anzulegen. Der Expositionsverlauf in Relation zum Beschwerdeverlauf spreche gegen einen Zusammenhang mit der Schadstoffexposition. Im Falle eines Zusammenhangs wäre ein Maximum der Symptomatik bereits Mitte der 70er Jahre zu erwarten gewesen. Dass der Versicherte nach Expositionsende Ende der 80er Jahre / Anfang der 90er Jahre unverändert bis heute über die Beschwerden klage, spreche ebenfalls gegen einen Zusammenhang.
Im Auftrag des Sozialgerichts hat Dr. P. am 21. März 2000 ein neuropsychologisches Gutachten über den Versicherten erstellt (nach Untersuchung am 16. März 2000). Darin ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Gesundheitsstörungen als Folgen einer beruflichen Toluol-Exposition einordnen ließen, wenn auch für die Jahre ab 1990 eine regelmäßige Schadstoffbelastung nachgewiesen werden könne.
Es sind in der Folge betriebsärztliche Unterlagen beigezogen worden. Im Juni 2000 hat die Firma B. dem Gericht umfangreiche Messberichte über Messungen zur Toluol-Exposition von November 1990, September 1991, Oktober 1997 und Juni 1999 sowie Daten aus den Jahren 1991 bis 1995 betreffend die Bereiche Drucksaal, Zylinderkorrektur und Rakelwäsche übersandt. In seiner ergänzenden arbeitsmedizinischen Stellungnahme vom 15. Dezember 2000 ist Dr. P. nunmehr zu dem Ergebnis gekommen, dass unter Berücksichtigung der im Mai 2000 auf der 40. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin in Berlin vorgestellten Studie zu den Auswirkungen einer langzeitigen Toluol-Exposition auf psycho-motorische Leistungen und den nunmehr eingereichten Messprotokollen von keiner toxikologisch relevanten Exposition auszugehen sei, die das Auftreten neurotoxischer Schädigungen plausibel mache. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand würden Schädigungen des Nervensystems im Sinne einer toxischen Enzephalopathie und/oder toxischen Polyneuropathie nur nach langjähriger Exposition gegenüber Toluol oberhalb des derzeit gültigen MAK-Wertes von 190 mg/m³ (= 50 ppm) auftreten. Für den Arbeitsbereich des Versicherten im Zeitraum 1990 bis 1999 lasse sich nur einmal im November 1990 eine Überschreitung des Grenzwertes feststellen. Zwar handele es sich bei den durchgeführten Schadstoffmessungen naturgemäß nur um die Erfassung durchschnittlicher Expositionsbedingungen. Nicht auszuschließen sei, dass die arbeitshygienischen Bedingungen bei dem Versicherten ungünstiger als bei den an den Messungen beteiligten Arbeitskollegen gewesen seien. Hierfür würde der 1997 festgestellte hohe Toluol-Blutwert sprechen. Andererseits reiche ein einzelner Messwert nicht aus, um die vorliegenden Daten zu den Expositionsbedingungen generell in Frage zu stellen.
Weitere Nachfragen haben ergeben, dass weder bei der Betriebsärztin der Firma B., Frau Dr. B1., noch beim Zentralinstitut für Arbeitsmedizin der Universität Hamburg (Prof. Dr. B2.) Biomonitoring-Ergebnisse zur Toluol-Belastung des Versicherten vorliegen. Dr. P. hat unter dem 19. Februar 2001 hierzu Stellung genommen.
Im Verhandlungstermin des Sozialgerichts am 18. Februar 2002 hat der Versicherte angegeben, er wisse nicht, ob er an einer (epidemiologischen) Studie teilgenommen habe.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 15. Januar 2004 abgewiesen. Der Versicherte habe keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen. Eine Berufskrankheit nach Nr. 1303 der Anlage zur BKV liege nicht vor, denn es könne keine Einwirkung von Toluol festgestellt werden, die geeignet gewesen wäre, eine Erkrankung bei dem Versicherten hervorzurufen. Das Gericht folge hierbei den Ausführungen von Dr. P., der überzeugend dargelegt habe, dass – entgegen seiner ursprünglichen Einschätzung – eine Toluoleinwirkung in gesundheitsschädlichem Umfang nicht angenommen werden könne.
Gegen diese Entscheidung hat der Versicherte Berufung eingelegt. Nach Einlegung der Berufung verstarb er am 23. Juli 2004 nach dem Auftreten von Hirninfarkten und einem Bronchialkarzinom. Die Klägerin führt als Rechtsnachfolgerin das Verfahren weiter und hat zur Begründung der Berufung vorgetragen, die Entscheidung des Sozialgerichts sei unzutreffend. Zu Unrecht sei das Sozialgericht den in der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2004 gestellten Beweisanträgen nicht gefolgt. Dr. P. sei in nicht nachvollziehbarer Weise von seiner ursprünglich für den Versicherten günstigen Position abgerückt. Das Landessozialgericht werde die unterbliebene Beweisaufnahme nachzuholen und zu prüfen haben, ob eine Obduktion des verstorbenen Versicherten vorzunehmen sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. Januar 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten Entschädigungsleistungen unter Anerkennung einer Enzephalopathie und/oder einer Polyneuropathie als Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 1303 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Klägerin habe keine neuen Gesichtspunkte oder Tatsachen vorgetragen und auch nicht dargelegt, welche entscheidungserheblichen Erkenntnisse durch eine weitere Zeugenbefragung zu erwarten seien.
Im Berufungsverfahren hat der Arbeitsmediziner Dr. P. das Gutachten vom 12. Oktober 2006 erstellt. Hierin bleibt er bei seiner bisherigen Einschätzung. Eine für die Hervorrufung gesundheitlicher Schäden ausreichende Exposition mit Toluol sei lediglich bis Mitte der 80iger Jahre anzunehmen, während erste Zeichen einer Erkrankung des Nervensystems frühestens seit 1991 aufgetreten seien. Außerdem sei ein Erkrankungstyp der Polyneuropathie bei dem Versicherten aufgetreten, der für eine toxische Schädigung untypisch sei. Die geklagten Befindlichkeitsstörungen könnten nicht nur Symptome einer toxischen Enzephalopathie, sondern auch anderer hirnorganischer Erkrankungen (z. B. Durchblutungsstörungen, beginnende Alzheimer-Demenz) oder psychischer Erkrankungen (z. B. Somatisierungsstörung, depressiver Erschöpfungszustand) sein. Dr. F. habe sie einer somatoformen Störung zugeordnet. Zwar werde inzwischen auch eine Verschlimmerung des Krankheitsverlaufs nach Expositionsende für möglich gehalten, jedoch sei ein Ursachenzusammenhang nicht überwiegend wahrscheinlich. Die neueren Studien zeigten zwar eine Chronifizierung nach Expositionsende bei Personen mit gesicherter toxischer Enzephalopathie, widerlegten aber nicht die Gutachtenpraxis, dass eindeutige Verschlechterungen nach Expositionsende gegen einen Ursachenzusammenhang sprächen. Das gelte auch für eine Polyneuropathie als neurotoxische Schädigung. Gegen einen Ursachenzusammenhang spreche auch der weitere Krankheitsverlauf mit einer schweren Durchblutungsstörung des Gehirns und Hirninfarkten. Das deute darauf hin, dass die seit Anfang der 90iger Jahre aufgetretenen psychischen Störungen am ehesten als Symptome einer vaskulär bedingten Enzephalopathie anzusehen seien. Toxische Schädigungen durch Lösemittel wirkten sich direkt auf das Nervensystem aus; eine Hirndurchblutungsstörung oder Krebserkrankung könnten sie nicht auslösen.
Der Senat hat Dr. P. in der mündlichen Verhandlung vom 31. Oktober 2006 angehört. Hinsichtlich seiner Aussage wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Auf Antrag der Klägerin hat Prof. Dr. F1 unter dem 15. Juli 2007 ein Gutachten gemäß § 109 SGG erstattet und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die streitige Berufskrankheit beim Versicherten bejaht. Hinsichtlich seiner Ausführungen wird auf das Gutachten Bezug genommen.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die Prozessakten, die Verwaltungsakte der Beklagten, die Krankenakte des Universitätsklinikums Hamburg-E., die Unterlagen der Betriebsärztin über den Kläger sowie weitere Tiefdrucker, die Messberichte des ehemaligen Arbeitgebers sowie den Abschlussbericht zum Forschungsprojekt "Toluol in Tiefdruckereien" verwiesen. Sie sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§ 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (vgl. §§ 143, 144, 151 SGG) ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17. Oktober 1995 als rechtmäßig angesehen. Bei dem Versicherten hat keine Berufskrankheit nach Nr. 1303 der Anlage zur BKV vorgelegen. Deswegen hat er keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen gegenüber der Beklagten erworben, welcher der Klägerin als Rechtsnachfolgerin zustehen würde.
Streitgegenstand kann vorliegend nur die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen des Versicherten durch die Klägerin als seine Rechtsnachfolgerin sein. Hinsichtlich Hinterbliebenenleistungen fehlt es bereits an einem Antrag.
Auf den Rechtsstreit finden noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) Anwendung, weil ein Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird (vgl. Artikel 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII).
Der Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung setzt das Vorliegen einer Berufskrankheit voraus (§§ 547, 551 Abs. 1 RVO). Berufskrankheiten sind die in der Anlage zur BKV aufgeführten Krankheiten, die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Dies bedeutet, dass die schädigende Einwirkung ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein und die schädigende Einwirkung die Krankheit wesentlich (mit-) verursacht haben muss. Während die einzelnen Glieder dieser Kausalkette (versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkung, Gesundheitsschaden) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen, genügt für den Ursachenzusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d. h. es müssen mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen. Allerdings reicht die bloße Möglichkeit eines Zusammenhanges nicht aus. Unter Nr. 1303 der Anlage zur BKV sind aufgeführt: Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol. Zu den Homologen von Benzol gehört auch Toluol.
Bei dem Versicherten ist ab Mitte der 80iger Jahre keine Einwirkung von Toluol festzustellen, die ausreichend gewesen wäre, eine Erkrankung mit Wahrscheinlichkeit hervorzurufen. Zu diesem Ergebnis kommt der Senat aufgrund der überzeugenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. P ... Zwar ist dieser zunächst davon ausgegangen, dass eine toxikologisch relevante Toluol-Exposition vorgelegen habe, sodass die so genannte haftungsbegründende Kausalität zu bejahen sei (siehe Stellungnahmen vom 13. Juni 1996, 8. Mai 1998 und 26. Oktober 1998). Er hat aber sodann in seiner Stellungnahme vom 15. Dezember 2000 und seinem Gutachten vom 12. Oktober 2006 nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass er aufgrund der nunmehr vorliegenden Messergebnisse aus den Jahre 1990 bis 1999 und der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sich aus der im Mai 2000 vorgestellten Studie zu den Auswirkungen einer langzeitigen Toluol-Exposition ergeben, eine Änderung seiner Einschätzung vornehmen müsse. Die Messdaten und die Studie belegen, dass der Versicherte einerseits seit Mitte der 80iger Jahre einer wesentlich geringeren Toluol-Exposition ausgesetzt war, als angenommen und Toluol andererseits in diesem Ausmaß nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit gesundheitliche Schädigungen hervorruft. Aufgrund des Umstandes, dass bis auf einen Vorfall im November 1990 keine Überschreitung des Grenzwertes bei Messungen festgestellt worden ist, lässt sich eine toxikologisch relevante Toluol-Einwirkung bei dem Versicherten ab Mitte der 80iger Jahre nicht nachweisen. Das gilt auch unter Berücksichtigung des im Juni 1997 einmalig festgestellten erhöhten Blutwertes.
Die Annahme einer Exposition von Toluol in einem gesundheitsschädlichen Ausmaß bis Mitte der 80iger Jahre kann einen Entschädigungsanspruch nicht begründen. Zum einen sind erste Anzeichen einer Nervenerkrankung frühestens 1991 aufgetreten. Dies schließt zwar einen Ursachenzusammenhang nicht zwangläufig aus, jedoch ist ein solcher bei dem Auftreten von Krankheitserscheinungen nach einer langjährigen Symptomfreiheit nicht überwiegend wahrscheinlich. Außerdem ist bei dem Versicherten ein Erkrankungstyp der Polyneuropathie aufgetreten, der für eine toxische Schädigung untypisch ist. Die geklagten Befindlichkeitsstörungen können nicht nur Symptome einer toxischen Enzephalopathie, sondern auch anderer hirnorganischer Erkrankungen (z. B. Durchblutungsstörungen, beginnender Alzheimer-Demenz) oder psychischer Erkrankungen (z. B. Somatisierungsstörung, depressiven Erschöpfungszustands) sein. Dr. F. ordnet sie mit überzeugender Begründung einer somatoformen Störung zu. Gegen einen Ursachenzusammenhang spricht auch der weitere Krankheitsverlauf mit einer schweren Durchblutungsstörung des Gehirns und Hirninfarkten. Dieser Umstand begründet die Annahme, dass die seit Anfang der 90iger Jahre aufgetretenen psychischen Störungen auch als Symptome einer vaskulär bedingten Enzephalopathie anzusehen sein könnten. Eine beruflich bedingte Ursachenkette ist nicht ausgeschlossen, aber nicht überwiegend wahrscheinlich.
Demgegenüber vermag die entgegenstehende Auffassung von Prof. Dr. F1 in seinem Gutachten vom 15. Juli 2007 nicht zu überzeugen. Der Gutachter beschränkt sich weitestgehend auf allgemeine Ausführungen, ohne sich zur Situation des verstorbenen Versicherten zu äußern. Die Frage, welche Gesundheitsstörungen beim Versicherten vorlagen, beantwortet er lediglich mit Hinweis auf die ärztliche Anzeige zur Berufskrankheit und die Feststellungen im Schwerbehindertenverfahren. Anschließend kennzeichnet er Aussagen von Experten als widersprüchlich. Eine eigene Aussage trifft er zu diesem Punkt nicht. Auch bei der Frage, welche Gesundheitsstörungen des Versicherten wahrscheinlich durch die Exposition gegenüber Schadstoffen bzw. andere gefährdende Tätigkeiten am Arbeitsplatz wesentlich verursacht oder verschlimmert wurden, geht er nicht auf die individuelle Situation des Versicherten ein. Er äußert sich vielmehr ganz allgemein zu möglicherweise auftretenden Gesundheitsstörungen in den Jahren vor Einführung der Rückgewinnung des Toluols aus der Umgebungsluft, wobei sogar offen bleibt, bis wann er diesen Zustand überhaupt annimmt. Diese "Evidenz" führt er anschließend als Begründung dafür an, dass die geklagten Beschwerden auch bei niedrigen Einwirkungen nicht als unglaubwürdige Erfindungen oder hypochondrische Reaktionen eingestuft werden dürften. Ein Bezug auf den Einzelfall lässt sich auch hier seinen Ausführungen nicht entnehmen. Den Versicherten erwähnt er nur bei seiner – durch die Aktenlage und die Ausführungen des Versicherten selbst widerlegten – Behauptung, dieser habe an der Studie zu "Toluol in Tiefdruckereien" teilgenommen. Er nimmt dann bei dem Versicherten eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür an, dass eine kombinierte Wirkung erfüllt sei, denn dieser sei gleichzeitig mit den Toluoldämpfen auch anderen – beispielhaft aufgeführten - Kofaktoren ausgesetzt gewesen. Eine nähere Begründung oder weitere relevante Ausführungen finden sich zur Frage, ob die Gesundheitsstörungen in der Anlage zur BKV unter Nr. 1303 erfasst sind, nicht. Hinsichtlich der Fragen, woran der Versicherte verstorben ist und ob die Berufskrankheit wahrscheinlich die alleinige oder wesentlich mitwirkende Ursache für den Tod des Versicherten ist, bejaht er einen "Hinweis" auf eine toxische Einwirkung mit der Begründung, 45-jährige Männer litten normalerweise nicht unter einer Anämie, solche Erschöpfungszustände wiesen auf toxische Einwirkungen hin und bei Besserung der Symptome im Urlaub und nach Kuren sei ein beruflicher Zusammenhang mit der Einwirkung von Toluol anzunehmen. Mangels konkurrierender Todesursache oder anderer Krankheitsursache sei von einer an Sicherheit grenzenden beruflichen Verursachung auszugehen. Die Antworten zu den Beweisfragen zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls und zur Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit bauen auf den vorangegangenen Ausführungen auf. Die umfangreichsten Darlegungen im Rahmen des Gutachtens betreffen die Kritik an den Vorgutachtern und der Beklagten, wobei er (vermeintliche) Fehler und Fehleinschätzungen aufzählt, die Gutachten als einseitig klassifiziert und den Sachverständigen unprofessionelles Verhalten mit der Folge der weiteren Verzögerung wirksamer Schutzmaßnahmen und letztlich der Verursachung des Todes des Versicherten vorwirft. Aufgrund seiner schlechten Qualität, die sich vor allem in der fehlenden Beantwortung der Beweisfragen äußert, ist das Gutachten einer sachlichen Auseinandersetzung mit seinem Inhalt nicht zugänglich.
Der Senat ist der Anregung der Klägerin, weitere Zeugen zu vernehmen, nicht gefolgt. Trotz gerichtlichem Hinweis hat die Klägerin keine entscheidungserheblichen Tatsachen vorgetragen, die durch die Zeugenaussagen hätten bewiesen werden sollen. Insbesondere werden weder vom verstorbenen Versicherten noch von der Klägerin im Einzelnen die Arbeitsbedingungen des Versicherten dargelegt. Die einzig brauchbare Information ist durch die Beratungs- und Informationsstelle A.&G. mit Schreiben vom 5. Juni 1996 erfolgt - allerdings zum Teil durch die Zeugenaussage H. widerlegt und ohne spezifizierte Aussage für die Zeit ab 1990. Im Übrigen ist der Zeuge H. bereits in der ersten Instanz vernommen worden - und zwar insgesamt zu den Arbeitsbedingungen im Betrieb. Da die Klägerin nicht darlegt, warum eine erneute Vernehmung erforderlich sein soll, besteht kein Anlass zu einer zweiten Anhörung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemanns K. D. – im Folgenden: des Versicherten – wegen der Folgen einer bei diesem eingetretenen Berufskrankheit nach Nr.1303 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) Anspruch auf die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Der am XX.XXXXXXX 1947 geborene und am XX.XXXXX 2004 verstorbene Versicherte war ab April 1972 als Tiefdruckhelfer bei der Firma B. Druck GmbH & Co. KG beschäftigt. Im September 1993 zeigte der Neurologe und Psychiater Dr. C. den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit wegen einer chronischen Exposition von Toluol am Arbeitsplatz an. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD) stellte nach Untersuchungen in der Firma am 21. April 1994 folgende Tätigkeiten des Versicherten fest: Von 1972 bis 1976 arbeitete er an verschiedenen Stapelauslegern und Kreuzlegern als Absetzer von fertigen Druckprodukten auf Paletten hinter der Druckmaschine. Von 1976 bis 1978 war er an der Tiefdruckrollenrotationsmaschine M 2 als so genannter "Farbmann" zur besonderen Verwendung beschäftigt. Bei dieser Tätigkeit musste er Farbe von Hand nachfüllen, die Viskosität messen, sowie nach Bedarf (etwa alle 3 Tage) Maschinenteile, wie z.B. Leitspindeln reinigen. Zeitweise, insbesondere während der Urlaubszeit, war er auch als Helfer an der Papier-Abrollung als "Rolleur" beschäftigt. Ab 1978 arbeitete der Versicherte ausschließlich als Rolleur an der M 2. Während der gesamten Arbeitszeit bestand regelmäßiger täglicher Atemswegkontakt zu Toluol aus Reintoluol, Druckfarben und Verschnitt. Zudem bestand Hautkontakt bei Reinigungsarbeiten, beim Umgang mit dem Rollenkleber sowie insbesondere während der Tätigkeit als Farbmann. Der TAD kam zu der Feststellung, dass für eine Bewertung der Exposition aktuelle Messwerte herangezogen werden könnten, da sich die Arbeitsplätze nach Angaben der Betriebsleitung seit 1972 kaum geändert hätten. Beim Absetzen der fertigen Druckprodukte an den Maschinen M 1, M 2 und M 3 seien personenbezogen bei Helfern Toluolkonzentrationen zwischen 42 und 111 mg/m³ und stationär zwischen 48 und 161 mg/m³ ermittelt worden. Für die nicht mehr existierende Tätigkeit des Farbmannes lägen keine Messergebnisse vor, jedoch sei die Toluol-Exposition mit Sicherheit höher als im Bereich der Auslage gewesen. Demgegenüber sei die Toluol-Exposition für die seit 1978 ausgeübte Tätigkeit als Rolleur als wesentlich geringer einzuschätzen. Personenbezogene Messungen bei Rolleuren an den Maschinen M 2 und M 3 hätten Toluol-Konzentrationen zwischen 10 und 24 mg/m³ ergeben (Bericht vom 14. Juni 1994).
Nachdem die staatliche Gewerbeärztin Dr. W. mit Schreiben vom 22. Dezember 1994 und 14. März 1995 eine ergänzende Stellungnahme des TAD für erforderlich gehalten hatte unter Hinweis auf ihre eigene Kenntnis des Betriebes und die im Jahre 1993 erschienene Begründung für die Halbierung des MAK-Wertes für Toluol, führte der TAD in der ergänzenden Stellungnahme vom 13. April 1995 aus, dass der Versicherte während seiner Tätigkeit als Farbmann von 1976 bis 1978 durchaus Konzentrationen an Toluol ausgesetzt gewesen sein könne, die im Bereich zwischen 380 mg/m³ und dem damals noch zulässigen MAK-Wert von 760 mg/m³ gelegen haben könnten. Vorher und insbesondere von 1978 an sei die Tätigkeit des Rolleurs sicher als gering toluolexponiert bis zu etwa 1/4 des heute gültigen Grenzwertes von 190 mg/m³ zu bewerten. Nunmehr kam die staatliche Gewerbeärztin Dr. W. in der Stellungnahme vom 31. Mai 1995 zu dem Ergebnis, dass sich eine Exposition gegenüber Toluol ab 1978, die als geeignet angesehen werden müsse, neurotoxische Veränderungen und Befindlichkeitsstörungen hervorzurufen, nicht nachweisen lasse.
Mit Bescheid vom 28. Juli 1995 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr.1303 (Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol) ab. Der Widerspruch des Versicherten blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 1995).
Mit der am 6. November 1995 erhobenen Klage hat der Versicherte sein Begehren weiterverfolgt und ergänzend vorgetragen, bis 1988 hätten offene Toluol-Eimer am Arbeitsplatz gestanden. Nach 1988 seien diese mit Deckeln versehen worden, die aber häufig nicht benutzt worden seien. Arbeitskleidung und Hände seien häufig mit Toluol gereinigt worden.
Das Sozialgericht hat das arbeitsmedizinisch-toxikologische Gutachten von dem Leitenden Arzt des Arbeitsmedizinischen Dienstes der Freien und Hansestadt Hamburg Dr. P. vom 15. April 1996 nach Aktenlage erstellen lassen. In der mündlichen Verhandlung am 13. Juni 1996 hat es Dr. P. gehört sowie den Betriebsratsvorsitzenden der Firma B., Herrn H., als Zeugen zu den Expositionsbedingungen am Arbeitsplatz des Versicherten vernommen. Nachdem der Zeuge erklärt hatte, dass es bis Mitte der 80er Jahre üblich gewesen sei, dass die Kollegen bei jeder Reinigung die schmutzigen Hände bis zum Ellenbogen in einen Toluol-Eimer gesteckt und für alle Reinigungsarbeiten Toluol benutzt hätten, ohne dabei Handschuhe zu tragen, darüber hinaus auch ihre Arbeitskleidung in einem Toluol getränkten Bad gereinigt und in der Nähe des Arbeitsplatzes zum Trocknen aufgehängt hätten, hat Dr. P. ausgeführt, dass davon auszugehen sei, dass der Versicherte über einen längeren Zeitraum in erheblichem Ausmaß gegenüber Toluol exponiert gewesen sei. Schädigungen des zentralen und peripheren Nervensystems kämen bei diesen Expositionsbedingungen durchaus in Betracht. Er empfehle eine nervenärztliche Begutachtung zur Feststellung des Krankheitsbildes.
Nachdem die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme des TAD vom 3. Januar 1997 vorgelegt hatte, hat der Versicherte mit Schriftsatz vom 20. Januar 1998 einen Befundbericht von Prof. Dr. S. an die Betriebsärztin der Firma B., Dr. B1., eingereicht, in dem auf eine im Juni 1997 durchgeführte Toluol-Bestimmung im Blut mit Überschreitung des MAT-Wertes hingewiesen wurde. Unter dem 8. Mai und dem 26. Oktober 1998 hat Dr. P. weitere Stellungnahmen abgegeben und ausgeführt, seiner Auffassung nach seien die Voraussetzungen der haftungsbegründenden Kausalität inzwischen hinreichend nachgewiesen, sodass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Hinblick auf das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 1303 bewertet werden sollten.
Das Sozialgericht hat sodann ein nervenärztliches Gutachten von Dr. F. (Medizinisches Gutachteninstitut Hamburg) vom 15. August (gemeint ist September) 1999 aufgrund einer Untersuchung vom 2. September 1999 erstellen lassen. Hierbei gab der Versicherte Kopfschmerzen seit Anfang der 90er Jahre sowie Kribbelmissempfindungen in den Beinen vom Knie an abwärts an, ferner auf Befragen Störungen der Merkfähigkeit. Dr. F. stellte eine sehr diskrete Polyneuropathie ohne Funktionsbeeinträchtigungen fest. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass die subjektiv empfundenen Beeinträchtigungen des Versicherten, die unter dem Begriff der somatoformen Störungen zusammengefasst werden könnten, in der Allgemeinbevölkerung sehr häufig anzutreffen seien. Somit sei bei der Kausalitätsbetrachtung bezüglich der Schadstoffexposition ein besonders sorgfältiger Maßstab anzulegen. Der Expositionsverlauf in Relation zum Beschwerdeverlauf spreche gegen einen Zusammenhang mit der Schadstoffexposition. Im Falle eines Zusammenhangs wäre ein Maximum der Symptomatik bereits Mitte der 70er Jahre zu erwarten gewesen. Dass der Versicherte nach Expositionsende Ende der 80er Jahre / Anfang der 90er Jahre unverändert bis heute über die Beschwerden klage, spreche ebenfalls gegen einen Zusammenhang.
Im Auftrag des Sozialgerichts hat Dr. P. am 21. März 2000 ein neuropsychologisches Gutachten über den Versicherten erstellt (nach Untersuchung am 16. März 2000). Darin ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Gesundheitsstörungen als Folgen einer beruflichen Toluol-Exposition einordnen ließen, wenn auch für die Jahre ab 1990 eine regelmäßige Schadstoffbelastung nachgewiesen werden könne.
Es sind in der Folge betriebsärztliche Unterlagen beigezogen worden. Im Juni 2000 hat die Firma B. dem Gericht umfangreiche Messberichte über Messungen zur Toluol-Exposition von November 1990, September 1991, Oktober 1997 und Juni 1999 sowie Daten aus den Jahren 1991 bis 1995 betreffend die Bereiche Drucksaal, Zylinderkorrektur und Rakelwäsche übersandt. In seiner ergänzenden arbeitsmedizinischen Stellungnahme vom 15. Dezember 2000 ist Dr. P. nunmehr zu dem Ergebnis gekommen, dass unter Berücksichtigung der im Mai 2000 auf der 40. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin in Berlin vorgestellten Studie zu den Auswirkungen einer langzeitigen Toluol-Exposition auf psycho-motorische Leistungen und den nunmehr eingereichten Messprotokollen von keiner toxikologisch relevanten Exposition auszugehen sei, die das Auftreten neurotoxischer Schädigungen plausibel mache. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand würden Schädigungen des Nervensystems im Sinne einer toxischen Enzephalopathie und/oder toxischen Polyneuropathie nur nach langjähriger Exposition gegenüber Toluol oberhalb des derzeit gültigen MAK-Wertes von 190 mg/m³ (= 50 ppm) auftreten. Für den Arbeitsbereich des Versicherten im Zeitraum 1990 bis 1999 lasse sich nur einmal im November 1990 eine Überschreitung des Grenzwertes feststellen. Zwar handele es sich bei den durchgeführten Schadstoffmessungen naturgemäß nur um die Erfassung durchschnittlicher Expositionsbedingungen. Nicht auszuschließen sei, dass die arbeitshygienischen Bedingungen bei dem Versicherten ungünstiger als bei den an den Messungen beteiligten Arbeitskollegen gewesen seien. Hierfür würde der 1997 festgestellte hohe Toluol-Blutwert sprechen. Andererseits reiche ein einzelner Messwert nicht aus, um die vorliegenden Daten zu den Expositionsbedingungen generell in Frage zu stellen.
Weitere Nachfragen haben ergeben, dass weder bei der Betriebsärztin der Firma B., Frau Dr. B1., noch beim Zentralinstitut für Arbeitsmedizin der Universität Hamburg (Prof. Dr. B2.) Biomonitoring-Ergebnisse zur Toluol-Belastung des Versicherten vorliegen. Dr. P. hat unter dem 19. Februar 2001 hierzu Stellung genommen.
Im Verhandlungstermin des Sozialgerichts am 18. Februar 2002 hat der Versicherte angegeben, er wisse nicht, ob er an einer (epidemiologischen) Studie teilgenommen habe.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 15. Januar 2004 abgewiesen. Der Versicherte habe keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen. Eine Berufskrankheit nach Nr. 1303 der Anlage zur BKV liege nicht vor, denn es könne keine Einwirkung von Toluol festgestellt werden, die geeignet gewesen wäre, eine Erkrankung bei dem Versicherten hervorzurufen. Das Gericht folge hierbei den Ausführungen von Dr. P., der überzeugend dargelegt habe, dass – entgegen seiner ursprünglichen Einschätzung – eine Toluoleinwirkung in gesundheitsschädlichem Umfang nicht angenommen werden könne.
Gegen diese Entscheidung hat der Versicherte Berufung eingelegt. Nach Einlegung der Berufung verstarb er am 23. Juli 2004 nach dem Auftreten von Hirninfarkten und einem Bronchialkarzinom. Die Klägerin führt als Rechtsnachfolgerin das Verfahren weiter und hat zur Begründung der Berufung vorgetragen, die Entscheidung des Sozialgerichts sei unzutreffend. Zu Unrecht sei das Sozialgericht den in der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2004 gestellten Beweisanträgen nicht gefolgt. Dr. P. sei in nicht nachvollziehbarer Weise von seiner ursprünglich für den Versicherten günstigen Position abgerückt. Das Landessozialgericht werde die unterbliebene Beweisaufnahme nachzuholen und zu prüfen haben, ob eine Obduktion des verstorbenen Versicherten vorzunehmen sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. Januar 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten Entschädigungsleistungen unter Anerkennung einer Enzephalopathie und/oder einer Polyneuropathie als Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 1303 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Klägerin habe keine neuen Gesichtspunkte oder Tatsachen vorgetragen und auch nicht dargelegt, welche entscheidungserheblichen Erkenntnisse durch eine weitere Zeugenbefragung zu erwarten seien.
Im Berufungsverfahren hat der Arbeitsmediziner Dr. P. das Gutachten vom 12. Oktober 2006 erstellt. Hierin bleibt er bei seiner bisherigen Einschätzung. Eine für die Hervorrufung gesundheitlicher Schäden ausreichende Exposition mit Toluol sei lediglich bis Mitte der 80iger Jahre anzunehmen, während erste Zeichen einer Erkrankung des Nervensystems frühestens seit 1991 aufgetreten seien. Außerdem sei ein Erkrankungstyp der Polyneuropathie bei dem Versicherten aufgetreten, der für eine toxische Schädigung untypisch sei. Die geklagten Befindlichkeitsstörungen könnten nicht nur Symptome einer toxischen Enzephalopathie, sondern auch anderer hirnorganischer Erkrankungen (z. B. Durchblutungsstörungen, beginnende Alzheimer-Demenz) oder psychischer Erkrankungen (z. B. Somatisierungsstörung, depressiver Erschöpfungszustand) sein. Dr. F. habe sie einer somatoformen Störung zugeordnet. Zwar werde inzwischen auch eine Verschlimmerung des Krankheitsverlaufs nach Expositionsende für möglich gehalten, jedoch sei ein Ursachenzusammenhang nicht überwiegend wahrscheinlich. Die neueren Studien zeigten zwar eine Chronifizierung nach Expositionsende bei Personen mit gesicherter toxischer Enzephalopathie, widerlegten aber nicht die Gutachtenpraxis, dass eindeutige Verschlechterungen nach Expositionsende gegen einen Ursachenzusammenhang sprächen. Das gelte auch für eine Polyneuropathie als neurotoxische Schädigung. Gegen einen Ursachenzusammenhang spreche auch der weitere Krankheitsverlauf mit einer schweren Durchblutungsstörung des Gehirns und Hirninfarkten. Das deute darauf hin, dass die seit Anfang der 90iger Jahre aufgetretenen psychischen Störungen am ehesten als Symptome einer vaskulär bedingten Enzephalopathie anzusehen seien. Toxische Schädigungen durch Lösemittel wirkten sich direkt auf das Nervensystem aus; eine Hirndurchblutungsstörung oder Krebserkrankung könnten sie nicht auslösen.
Der Senat hat Dr. P. in der mündlichen Verhandlung vom 31. Oktober 2006 angehört. Hinsichtlich seiner Aussage wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Auf Antrag der Klägerin hat Prof. Dr. F1 unter dem 15. Juli 2007 ein Gutachten gemäß § 109 SGG erstattet und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die streitige Berufskrankheit beim Versicherten bejaht. Hinsichtlich seiner Ausführungen wird auf das Gutachten Bezug genommen.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die Prozessakten, die Verwaltungsakte der Beklagten, die Krankenakte des Universitätsklinikums Hamburg-E., die Unterlagen der Betriebsärztin über den Kläger sowie weitere Tiefdrucker, die Messberichte des ehemaligen Arbeitgebers sowie den Abschlussbericht zum Forschungsprojekt "Toluol in Tiefdruckereien" verwiesen. Sie sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§ 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (vgl. §§ 143, 144, 151 SGG) ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17. Oktober 1995 als rechtmäßig angesehen. Bei dem Versicherten hat keine Berufskrankheit nach Nr. 1303 der Anlage zur BKV vorgelegen. Deswegen hat er keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen gegenüber der Beklagten erworben, welcher der Klägerin als Rechtsnachfolgerin zustehen würde.
Streitgegenstand kann vorliegend nur die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen des Versicherten durch die Klägerin als seine Rechtsnachfolgerin sein. Hinsichtlich Hinterbliebenenleistungen fehlt es bereits an einem Antrag.
Auf den Rechtsstreit finden noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) Anwendung, weil ein Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird (vgl. Artikel 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII).
Der Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung setzt das Vorliegen einer Berufskrankheit voraus (§§ 547, 551 Abs. 1 RVO). Berufskrankheiten sind die in der Anlage zur BKV aufgeführten Krankheiten, die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Dies bedeutet, dass die schädigende Einwirkung ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein und die schädigende Einwirkung die Krankheit wesentlich (mit-) verursacht haben muss. Während die einzelnen Glieder dieser Kausalkette (versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkung, Gesundheitsschaden) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen, genügt für den Ursachenzusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d. h. es müssen mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen. Allerdings reicht die bloße Möglichkeit eines Zusammenhanges nicht aus. Unter Nr. 1303 der Anlage zur BKV sind aufgeführt: Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol. Zu den Homologen von Benzol gehört auch Toluol.
Bei dem Versicherten ist ab Mitte der 80iger Jahre keine Einwirkung von Toluol festzustellen, die ausreichend gewesen wäre, eine Erkrankung mit Wahrscheinlichkeit hervorzurufen. Zu diesem Ergebnis kommt der Senat aufgrund der überzeugenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. P ... Zwar ist dieser zunächst davon ausgegangen, dass eine toxikologisch relevante Toluol-Exposition vorgelegen habe, sodass die so genannte haftungsbegründende Kausalität zu bejahen sei (siehe Stellungnahmen vom 13. Juni 1996, 8. Mai 1998 und 26. Oktober 1998). Er hat aber sodann in seiner Stellungnahme vom 15. Dezember 2000 und seinem Gutachten vom 12. Oktober 2006 nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass er aufgrund der nunmehr vorliegenden Messergebnisse aus den Jahre 1990 bis 1999 und der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sich aus der im Mai 2000 vorgestellten Studie zu den Auswirkungen einer langzeitigen Toluol-Exposition ergeben, eine Änderung seiner Einschätzung vornehmen müsse. Die Messdaten und die Studie belegen, dass der Versicherte einerseits seit Mitte der 80iger Jahre einer wesentlich geringeren Toluol-Exposition ausgesetzt war, als angenommen und Toluol andererseits in diesem Ausmaß nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit gesundheitliche Schädigungen hervorruft. Aufgrund des Umstandes, dass bis auf einen Vorfall im November 1990 keine Überschreitung des Grenzwertes bei Messungen festgestellt worden ist, lässt sich eine toxikologisch relevante Toluol-Einwirkung bei dem Versicherten ab Mitte der 80iger Jahre nicht nachweisen. Das gilt auch unter Berücksichtigung des im Juni 1997 einmalig festgestellten erhöhten Blutwertes.
Die Annahme einer Exposition von Toluol in einem gesundheitsschädlichen Ausmaß bis Mitte der 80iger Jahre kann einen Entschädigungsanspruch nicht begründen. Zum einen sind erste Anzeichen einer Nervenerkrankung frühestens 1991 aufgetreten. Dies schließt zwar einen Ursachenzusammenhang nicht zwangläufig aus, jedoch ist ein solcher bei dem Auftreten von Krankheitserscheinungen nach einer langjährigen Symptomfreiheit nicht überwiegend wahrscheinlich. Außerdem ist bei dem Versicherten ein Erkrankungstyp der Polyneuropathie aufgetreten, der für eine toxische Schädigung untypisch ist. Die geklagten Befindlichkeitsstörungen können nicht nur Symptome einer toxischen Enzephalopathie, sondern auch anderer hirnorganischer Erkrankungen (z. B. Durchblutungsstörungen, beginnender Alzheimer-Demenz) oder psychischer Erkrankungen (z. B. Somatisierungsstörung, depressiven Erschöpfungszustands) sein. Dr. F. ordnet sie mit überzeugender Begründung einer somatoformen Störung zu. Gegen einen Ursachenzusammenhang spricht auch der weitere Krankheitsverlauf mit einer schweren Durchblutungsstörung des Gehirns und Hirninfarkten. Dieser Umstand begründet die Annahme, dass die seit Anfang der 90iger Jahre aufgetretenen psychischen Störungen auch als Symptome einer vaskulär bedingten Enzephalopathie anzusehen sein könnten. Eine beruflich bedingte Ursachenkette ist nicht ausgeschlossen, aber nicht überwiegend wahrscheinlich.
Demgegenüber vermag die entgegenstehende Auffassung von Prof. Dr. F1 in seinem Gutachten vom 15. Juli 2007 nicht zu überzeugen. Der Gutachter beschränkt sich weitestgehend auf allgemeine Ausführungen, ohne sich zur Situation des verstorbenen Versicherten zu äußern. Die Frage, welche Gesundheitsstörungen beim Versicherten vorlagen, beantwortet er lediglich mit Hinweis auf die ärztliche Anzeige zur Berufskrankheit und die Feststellungen im Schwerbehindertenverfahren. Anschließend kennzeichnet er Aussagen von Experten als widersprüchlich. Eine eigene Aussage trifft er zu diesem Punkt nicht. Auch bei der Frage, welche Gesundheitsstörungen des Versicherten wahrscheinlich durch die Exposition gegenüber Schadstoffen bzw. andere gefährdende Tätigkeiten am Arbeitsplatz wesentlich verursacht oder verschlimmert wurden, geht er nicht auf die individuelle Situation des Versicherten ein. Er äußert sich vielmehr ganz allgemein zu möglicherweise auftretenden Gesundheitsstörungen in den Jahren vor Einführung der Rückgewinnung des Toluols aus der Umgebungsluft, wobei sogar offen bleibt, bis wann er diesen Zustand überhaupt annimmt. Diese "Evidenz" führt er anschließend als Begründung dafür an, dass die geklagten Beschwerden auch bei niedrigen Einwirkungen nicht als unglaubwürdige Erfindungen oder hypochondrische Reaktionen eingestuft werden dürften. Ein Bezug auf den Einzelfall lässt sich auch hier seinen Ausführungen nicht entnehmen. Den Versicherten erwähnt er nur bei seiner – durch die Aktenlage und die Ausführungen des Versicherten selbst widerlegten – Behauptung, dieser habe an der Studie zu "Toluol in Tiefdruckereien" teilgenommen. Er nimmt dann bei dem Versicherten eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür an, dass eine kombinierte Wirkung erfüllt sei, denn dieser sei gleichzeitig mit den Toluoldämpfen auch anderen – beispielhaft aufgeführten - Kofaktoren ausgesetzt gewesen. Eine nähere Begründung oder weitere relevante Ausführungen finden sich zur Frage, ob die Gesundheitsstörungen in der Anlage zur BKV unter Nr. 1303 erfasst sind, nicht. Hinsichtlich der Fragen, woran der Versicherte verstorben ist und ob die Berufskrankheit wahrscheinlich die alleinige oder wesentlich mitwirkende Ursache für den Tod des Versicherten ist, bejaht er einen "Hinweis" auf eine toxische Einwirkung mit der Begründung, 45-jährige Männer litten normalerweise nicht unter einer Anämie, solche Erschöpfungszustände wiesen auf toxische Einwirkungen hin und bei Besserung der Symptome im Urlaub und nach Kuren sei ein beruflicher Zusammenhang mit der Einwirkung von Toluol anzunehmen. Mangels konkurrierender Todesursache oder anderer Krankheitsursache sei von einer an Sicherheit grenzenden beruflichen Verursachung auszugehen. Die Antworten zu den Beweisfragen zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls und zur Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit bauen auf den vorangegangenen Ausführungen auf. Die umfangreichsten Darlegungen im Rahmen des Gutachtens betreffen die Kritik an den Vorgutachtern und der Beklagten, wobei er (vermeintliche) Fehler und Fehleinschätzungen aufzählt, die Gutachten als einseitig klassifiziert und den Sachverständigen unprofessionelles Verhalten mit der Folge der weiteren Verzögerung wirksamer Schutzmaßnahmen und letztlich der Verursachung des Todes des Versicherten vorwirft. Aufgrund seiner schlechten Qualität, die sich vor allem in der fehlenden Beantwortung der Beweisfragen äußert, ist das Gutachten einer sachlichen Auseinandersetzung mit seinem Inhalt nicht zugänglich.
Der Senat ist der Anregung der Klägerin, weitere Zeugen zu vernehmen, nicht gefolgt. Trotz gerichtlichem Hinweis hat die Klägerin keine entscheidungserheblichen Tatsachen vorgetragen, die durch die Zeugenaussagen hätten bewiesen werden sollen. Insbesondere werden weder vom verstorbenen Versicherten noch von der Klägerin im Einzelnen die Arbeitsbedingungen des Versicherten dargelegt. Die einzig brauchbare Information ist durch die Beratungs- und Informationsstelle A.&G. mit Schreiben vom 5. Juni 1996 erfolgt - allerdings zum Teil durch die Zeugenaussage H. widerlegt und ohne spezifizierte Aussage für die Zeit ab 1990. Im Übrigen ist der Zeuge H. bereits in der ersten Instanz vernommen worden - und zwar insgesamt zu den Arbeitsbedingungen im Betrieb. Da die Klägerin nicht darlegt, warum eine erneute Vernehmung erforderlich sein soll, besteht kein Anlass zu einer zweiten Anhörung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.
Rechtskraft
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