Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 KR 106/05
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 7/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der im Jahre 2004 entrichteten Zuzahlung für Erstinanspruchnahmen (so genannte Praxisgebühr) streitig.
Der am XX.XXXXX 1943 geborene Kläger ist als Rentner bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Unter dem 8. November 2004 beantragte er die Begrenzung seiner Zuzahlungen auf ein Prozent seiner jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt im Hinblick darauf, dass er schwerbehindert und an Krebs erkrankt sei. Er beantragte ferner die Erstattung der von ihm geleisteten Zuzahlungen für die Erstinanspruchnahme für alle vier Quartale des Jahres 2004 hinsichtlich der Inanspruchnahme sowohl hausärztlicher als auch zahnärztlicher Behandlung in Höhe von insgesamt 80 EUR. Zur Begründung führte er aus, die erbrachten ärztlichen Leistungen seien im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten und bereits mit den Beiträgen abgegolten. Sonach zahle er für die Leistung zweimal und § 28 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) sei sittenwidrig.
Mit Bescheid vom 17. November 2004 lehnte die Beklagte die Erstattung "der Praxisgebühr" ab. Ihre Erhebung entspreche dem Gesetz. Sie werde bei dem Antrag auf Befreiung von Zuzahlungen aufgrund einer chronischen Erkrankung berücksichtigt und – für den Fall, dass die Belastungsgrenze überschritten werde – werde die Differenz erstattet.
Mit seinem am 2. Dezember 2004 erhobenen Widerspruch hielt der Kläger an seiner Auffassung fest, dass er aufgrund des Zuzahlungssystems erhaltene Leistungen mehrfach bezahlen müsse.
Der Kläger hat – nachdem dieser Widerspruch von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2005 zurückgewiesen worden war – am 27. Januar 2005 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, alle ärztlichen Leistungen seien in dem Beitragszahlungen bereits enthalten. Alle Zuzahlungsbeträge stellten danach eine unangemessene Zusatzbelastung dar. Nutznießer des Zuzahlungssystems seien allein die Krankenkassen. Es handele sich der Sache nach um nichts anderes als eine verdeckte Beitragserhöhung. Beitragserhöhungen seien aber auf alle Versicherten umzulegen. Die verlangten Zuzahlungen seien verfassungswidrig, weil sie gegen den Gleichheitsgrundsatz verstießen, und überdies sittenwidrig.
Das Sozialgericht hat die Klage durch am 7. Februar 2007 zugestellten Gerichtsbescheid vom 1. Februar 2007 abgewiesen. Die der Erhebung der Praxisgebühr zugrunde liegenden Bestimmungen der §§ 28 Abs. 1 Satz 4, 61 Satz 2 SGB V verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Zwar habe der Gesetzgeber mit dieser Regelung nicht nur die ursprünglich solidarisch zwischen Arbeitgebern und Versicherten geteilte Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung verlassen, sondern Lasten innerhalb der Versichertengemeinschaft nur denjenigen aufgebürdet, die wegen Eintritts eines Versicherungsfalls zum Arzt oder zum Zahnarzt gehen müssten, jedoch habe der Grundsatz der solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Verfassungsrang. Der Gesetzgeber habe bei der Gestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung einen außerordentlich großen Spielraum und dieser sei durch die beanstandeten Regelungen nicht überschritten. Die Erhebung der Praxisgebühr sei Teil eines Maßnahmebündels zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Verfassungsrechtlich bleibe ohne Bedeutung, ob sich die Entscheidung des Gesetzgebers als die zweckmäßigste erweise.
Der Kläger hat am 21. Februar 2007 Berufung eingelegt und verfolgt hierdurch sein Erstattungsbegehren weiter. Die Begründung des Sozialgerichts sei falsch bzw. fragwürdig und in sich widersprüchlich. Soweit argumentiert werde, durch eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge stiegen die Lohnnebenkosten und dies wiederum gefährde Arbeitsplätze, so habe sich dieses Argument inzwischen als falsch herausgestellt. Gerade gegenwärtig werde trotz deutlicher Erhöhung der Lohnnebenkosten eine erhebliche Anzahl sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze geschaffen. Wenn weiterhin argumentiert werde, Zuzahlungen seien ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Konsolidierung, weil Leistungen, die nichts kosteten, auch ohne tatsächlich vorhandenes Bedürfnis in Anspruch genommen würden, dann setzte dies voraus, dass die Versicherten in der Lage seien, eine Eigendiagnose zu stellen. Durch diese Argumentation werde in erheblichem Maße die Früherkennung von schwerwiegenden Erkrankungen beeinträchtigt und dadurch das genaue Gegenteil von Einsparungen im Gesundheitswesen bewirkt. Auf die Berufungsschrift vom 21. Februar 2007 (Bl. 41 ff der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 1. Februar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2007 zu verurteilen, ihm für das Jahr 2004 geleistete Zuzahlungen für Erstinanspruchnahmen (Praxisgebühren) in Höhe von 80 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Dem Vorbringen des Klägers seien keine wesentlichen Gesichtspunkte zu entnehmen. Nach der Gesetzeslage habe dieser keinen Anspruch auf Erstattung der Praxisgebühr. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht sei nicht ersichtlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Senatssitzung am 21. November 2007 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Sozialgericht zugelassene Berufung gegen den Gerichtsbescheid ist nach §§ 105 Abs. 2, 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie ist im Übrigen auch zulässig, namentlich fristgerecht (§ 105 Abs. 2 SGG) erhoben worden. Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Praxisgebühr hat. Allerdings hat der Kläger seine mit der Anfechtungsklage zulässigerweise (vgl. § 54 Abs. 4 SGG) verbundene Leistungsklage zu Recht gegen die Krankenkasse gerichtet, bei der er gesetzlich krankenversichert ist. Zwar hat der Kläger die streitige Praxisgebühr an seinen Arzt bzw. Zahnarzt gezahlt. Jedoch ist dieser nicht Empfänger der Leistung im Rechtssinne. Vielmehr zieht er nach § 43 b Abs. 1 Satz 1 SGB V lediglich die Zahlungen ein, die Versicherte zu entrichten haben und verrechnet sie mit seinem Vergütungsanspruch gegenüber der jeweiligen Krankenkasse. Allein diese ist Empfänger der Praxisgebühren und damit Schuldner eines eventuellen Erstattungsanspruchs.
Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Rückerstattungsbegehrens kommt ausschließlich der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht, jedoch steht dem Kläger ein solcher Erstattungsanspruch nicht zu.
Nach allgemeiner Auffassung sind die §§ 812 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen entsprechend anwendbar. Nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1, § 818 Abs. 2 BGB ist, wer durch die Leistung eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ihm zum Ersatz des Wertes verpflichtet. Jedoch bilden die §§ 28 Abs. 4, 61 SGB V eine hinreichende Rechtsgrundlage für die erfolgte Vermögensverschiebung in Höhe von 80 EUR. Dabei ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit und bedarf deswegen sowie auch im Übrigen keiner Erörterung, dass die sich aus § 62 SGB V ergebene Belastungsgrenze nicht erreicht ist und nicht bereits deswegen das Rückforderungsverlangen begründet wäre.
Die streitige Praxisgebühr ist auch nicht aufgrund einer verfassungswidrigen Norm eingezogen worden. § 21 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 61 Satz 2 SGB V ist nicht verfassungswidrig. Eine Aussetzung des Verfahrens zur Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) kommt nicht in Betracht. Die Einführung der Praxisgebühr zum 1. Januar 2004 durch Gesetz vom 14. November 2003 (BGBl I S. 2190) verstößt weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG.
Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liegt nicht vor. Art. 3 Abs. 1 GG ist namentlich nicht deswegen verletzt, weil der Kläger neben der Entrichtung des satzungsgemäßen Beitrages in dem streitigen Zeitraum durch achtmalige Entrichtung der Praxisgebühr zusätzlich mit insgesamt 80 EUR zur Finanzierung der Beklagten beigetragen und somit einen höheren Finanzierungsbeitrag geleistet hat, als dies bei anderen, die in diesem Zeitraum ärztliche und zahnärztliche Hilfe nicht in Anspruch genommen haben, der Fall ist. Art. 3 Abs. 1 GG erlaubt nämlich eine Differenzierung jedenfalls dann, wenn zwischen unterschiedlich behandelten Versicherten Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Indem der Gesetzgeber für die Heranziehung zu einem zusätzlichen Finanzierungsbeitrag an die tatsächliche Inanspruchnahme ärztlicher und zahnärztlicher Behandlung anknüpft, nimmt er eine zulässige Differenzierung vor. Denn derjenige, der Leistungen einer Risikoversicherung tatsächlich in Anspruch nimmt, belastet die Versichertengemeinschaft in höherem Maße als derjenige, bei dem sich das versicherte Risiko in dem betreffenden Quartal nicht realisiert. Gleichzeitig dient die Erhebung der Praxisgebühr dazu, Versicherte dazu anzuhalten, ärztliche und zahnärztliche Behandlung nicht missbräuchlich in Anspruch zu nehmen.
Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz ist auch nicht darin zu erblicken, dass in die grundsätzlich solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung Merkmale einer Orientierung am individuellen Risiko einfließen. Das System der solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung genießt keinen Verfassungsrang. Der Gesetzgeber kann von diesem selbst gewählten System im Einzelfall abweichen, ohne hierdurch zugleich system- und damit gleichheitswidrig zu handeln (Bundesverfassungsgericht vom 11.02.1992, BVerfGE 85, 238, 247; vom 26.04.1988, BVerfGE 78, 104, 122 f.; vom 27.01.1965, BVerfGE 18, 315, 334). Die Abweichung von einem selbstgesetzten System ist nur dann willkürlich, wenn damit das System des Gesetzes ohne zureichenden sachlichen Grund verlassen wird. Ein zureichender sachlicher Grund für die Einführung von Risikomerkmalen in die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung ist indessen in dem Bestreben zu erblicken, ihre Konsolidierung zu erreichen.
Ebenso wenig ist das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG verletzt. Da der Gesetzgeber grundsätzlich in der Entscheidung, wie und in welchem Umfang er soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewähren will, frei ist (vgl. Bundesverfassungsgericht vom 29.05.1990, BVerfGE 82, 60, 80), es ihm folglich freisteht, wie er den in Art. 20 Abs. 1 GG enthaltenen Gestaltungsauftrag erfüllt, ist es ihm unbenommen, vom Solidarprinzip abweichende Wege der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu beschreiten.
Mit Rücksicht auf die in § 62 SGB V eingeführten Belastungsgrenzen scheidet eine dem Verfassungsauftrag des Art. 20 Abs. 1 GG zuwiderlaufende Belastung des Klägers in jedem Falle aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der im Jahre 2004 entrichteten Zuzahlung für Erstinanspruchnahmen (so genannte Praxisgebühr) streitig.
Der am XX.XXXXX 1943 geborene Kläger ist als Rentner bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Unter dem 8. November 2004 beantragte er die Begrenzung seiner Zuzahlungen auf ein Prozent seiner jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt im Hinblick darauf, dass er schwerbehindert und an Krebs erkrankt sei. Er beantragte ferner die Erstattung der von ihm geleisteten Zuzahlungen für die Erstinanspruchnahme für alle vier Quartale des Jahres 2004 hinsichtlich der Inanspruchnahme sowohl hausärztlicher als auch zahnärztlicher Behandlung in Höhe von insgesamt 80 EUR. Zur Begründung führte er aus, die erbrachten ärztlichen Leistungen seien im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten und bereits mit den Beiträgen abgegolten. Sonach zahle er für die Leistung zweimal und § 28 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) sei sittenwidrig.
Mit Bescheid vom 17. November 2004 lehnte die Beklagte die Erstattung "der Praxisgebühr" ab. Ihre Erhebung entspreche dem Gesetz. Sie werde bei dem Antrag auf Befreiung von Zuzahlungen aufgrund einer chronischen Erkrankung berücksichtigt und – für den Fall, dass die Belastungsgrenze überschritten werde – werde die Differenz erstattet.
Mit seinem am 2. Dezember 2004 erhobenen Widerspruch hielt der Kläger an seiner Auffassung fest, dass er aufgrund des Zuzahlungssystems erhaltene Leistungen mehrfach bezahlen müsse.
Der Kläger hat – nachdem dieser Widerspruch von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2005 zurückgewiesen worden war – am 27. Januar 2005 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, alle ärztlichen Leistungen seien in dem Beitragszahlungen bereits enthalten. Alle Zuzahlungsbeträge stellten danach eine unangemessene Zusatzbelastung dar. Nutznießer des Zuzahlungssystems seien allein die Krankenkassen. Es handele sich der Sache nach um nichts anderes als eine verdeckte Beitragserhöhung. Beitragserhöhungen seien aber auf alle Versicherten umzulegen. Die verlangten Zuzahlungen seien verfassungswidrig, weil sie gegen den Gleichheitsgrundsatz verstießen, und überdies sittenwidrig.
Das Sozialgericht hat die Klage durch am 7. Februar 2007 zugestellten Gerichtsbescheid vom 1. Februar 2007 abgewiesen. Die der Erhebung der Praxisgebühr zugrunde liegenden Bestimmungen der §§ 28 Abs. 1 Satz 4, 61 Satz 2 SGB V verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Zwar habe der Gesetzgeber mit dieser Regelung nicht nur die ursprünglich solidarisch zwischen Arbeitgebern und Versicherten geteilte Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung verlassen, sondern Lasten innerhalb der Versichertengemeinschaft nur denjenigen aufgebürdet, die wegen Eintritts eines Versicherungsfalls zum Arzt oder zum Zahnarzt gehen müssten, jedoch habe der Grundsatz der solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Verfassungsrang. Der Gesetzgeber habe bei der Gestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung einen außerordentlich großen Spielraum und dieser sei durch die beanstandeten Regelungen nicht überschritten. Die Erhebung der Praxisgebühr sei Teil eines Maßnahmebündels zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Verfassungsrechtlich bleibe ohne Bedeutung, ob sich die Entscheidung des Gesetzgebers als die zweckmäßigste erweise.
Der Kläger hat am 21. Februar 2007 Berufung eingelegt und verfolgt hierdurch sein Erstattungsbegehren weiter. Die Begründung des Sozialgerichts sei falsch bzw. fragwürdig und in sich widersprüchlich. Soweit argumentiert werde, durch eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge stiegen die Lohnnebenkosten und dies wiederum gefährde Arbeitsplätze, so habe sich dieses Argument inzwischen als falsch herausgestellt. Gerade gegenwärtig werde trotz deutlicher Erhöhung der Lohnnebenkosten eine erhebliche Anzahl sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze geschaffen. Wenn weiterhin argumentiert werde, Zuzahlungen seien ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Konsolidierung, weil Leistungen, die nichts kosteten, auch ohne tatsächlich vorhandenes Bedürfnis in Anspruch genommen würden, dann setzte dies voraus, dass die Versicherten in der Lage seien, eine Eigendiagnose zu stellen. Durch diese Argumentation werde in erheblichem Maße die Früherkennung von schwerwiegenden Erkrankungen beeinträchtigt und dadurch das genaue Gegenteil von Einsparungen im Gesundheitswesen bewirkt. Auf die Berufungsschrift vom 21. Februar 2007 (Bl. 41 ff der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 1. Februar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2007 zu verurteilen, ihm für das Jahr 2004 geleistete Zuzahlungen für Erstinanspruchnahmen (Praxisgebühren) in Höhe von 80 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Dem Vorbringen des Klägers seien keine wesentlichen Gesichtspunkte zu entnehmen. Nach der Gesetzeslage habe dieser keinen Anspruch auf Erstattung der Praxisgebühr. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht sei nicht ersichtlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Senatssitzung am 21. November 2007 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Sozialgericht zugelassene Berufung gegen den Gerichtsbescheid ist nach §§ 105 Abs. 2, 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie ist im Übrigen auch zulässig, namentlich fristgerecht (§ 105 Abs. 2 SGG) erhoben worden. Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Praxisgebühr hat. Allerdings hat der Kläger seine mit der Anfechtungsklage zulässigerweise (vgl. § 54 Abs. 4 SGG) verbundene Leistungsklage zu Recht gegen die Krankenkasse gerichtet, bei der er gesetzlich krankenversichert ist. Zwar hat der Kläger die streitige Praxisgebühr an seinen Arzt bzw. Zahnarzt gezahlt. Jedoch ist dieser nicht Empfänger der Leistung im Rechtssinne. Vielmehr zieht er nach § 43 b Abs. 1 Satz 1 SGB V lediglich die Zahlungen ein, die Versicherte zu entrichten haben und verrechnet sie mit seinem Vergütungsanspruch gegenüber der jeweiligen Krankenkasse. Allein diese ist Empfänger der Praxisgebühren und damit Schuldner eines eventuellen Erstattungsanspruchs.
Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Rückerstattungsbegehrens kommt ausschließlich der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht, jedoch steht dem Kläger ein solcher Erstattungsanspruch nicht zu.
Nach allgemeiner Auffassung sind die §§ 812 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen entsprechend anwendbar. Nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1, § 818 Abs. 2 BGB ist, wer durch die Leistung eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ihm zum Ersatz des Wertes verpflichtet. Jedoch bilden die §§ 28 Abs. 4, 61 SGB V eine hinreichende Rechtsgrundlage für die erfolgte Vermögensverschiebung in Höhe von 80 EUR. Dabei ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit und bedarf deswegen sowie auch im Übrigen keiner Erörterung, dass die sich aus § 62 SGB V ergebene Belastungsgrenze nicht erreicht ist und nicht bereits deswegen das Rückforderungsverlangen begründet wäre.
Die streitige Praxisgebühr ist auch nicht aufgrund einer verfassungswidrigen Norm eingezogen worden. § 21 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 61 Satz 2 SGB V ist nicht verfassungswidrig. Eine Aussetzung des Verfahrens zur Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) kommt nicht in Betracht. Die Einführung der Praxisgebühr zum 1. Januar 2004 durch Gesetz vom 14. November 2003 (BGBl I S. 2190) verstößt weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG.
Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liegt nicht vor. Art. 3 Abs. 1 GG ist namentlich nicht deswegen verletzt, weil der Kläger neben der Entrichtung des satzungsgemäßen Beitrages in dem streitigen Zeitraum durch achtmalige Entrichtung der Praxisgebühr zusätzlich mit insgesamt 80 EUR zur Finanzierung der Beklagten beigetragen und somit einen höheren Finanzierungsbeitrag geleistet hat, als dies bei anderen, die in diesem Zeitraum ärztliche und zahnärztliche Hilfe nicht in Anspruch genommen haben, der Fall ist. Art. 3 Abs. 1 GG erlaubt nämlich eine Differenzierung jedenfalls dann, wenn zwischen unterschiedlich behandelten Versicherten Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Indem der Gesetzgeber für die Heranziehung zu einem zusätzlichen Finanzierungsbeitrag an die tatsächliche Inanspruchnahme ärztlicher und zahnärztlicher Behandlung anknüpft, nimmt er eine zulässige Differenzierung vor. Denn derjenige, der Leistungen einer Risikoversicherung tatsächlich in Anspruch nimmt, belastet die Versichertengemeinschaft in höherem Maße als derjenige, bei dem sich das versicherte Risiko in dem betreffenden Quartal nicht realisiert. Gleichzeitig dient die Erhebung der Praxisgebühr dazu, Versicherte dazu anzuhalten, ärztliche und zahnärztliche Behandlung nicht missbräuchlich in Anspruch zu nehmen.
Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz ist auch nicht darin zu erblicken, dass in die grundsätzlich solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung Merkmale einer Orientierung am individuellen Risiko einfließen. Das System der solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung genießt keinen Verfassungsrang. Der Gesetzgeber kann von diesem selbst gewählten System im Einzelfall abweichen, ohne hierdurch zugleich system- und damit gleichheitswidrig zu handeln (Bundesverfassungsgericht vom 11.02.1992, BVerfGE 85, 238, 247; vom 26.04.1988, BVerfGE 78, 104, 122 f.; vom 27.01.1965, BVerfGE 18, 315, 334). Die Abweichung von einem selbstgesetzten System ist nur dann willkürlich, wenn damit das System des Gesetzes ohne zureichenden sachlichen Grund verlassen wird. Ein zureichender sachlicher Grund für die Einführung von Risikomerkmalen in die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung ist indessen in dem Bestreben zu erblicken, ihre Konsolidierung zu erreichen.
Ebenso wenig ist das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG verletzt. Da der Gesetzgeber grundsätzlich in der Entscheidung, wie und in welchem Umfang er soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewähren will, frei ist (vgl. Bundesverfassungsgericht vom 29.05.1990, BVerfGE 82, 60, 80), es ihm folglich freisteht, wie er den in Art. 20 Abs. 1 GG enthaltenen Gestaltungsauftrag erfüllt, ist es ihm unbenommen, vom Solidarprinzip abweichende Wege der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu beschreiten.
Mit Rücksicht auf die in § 62 SGB V eingeführten Belastungsgrenzen scheidet eine dem Verfassungsauftrag des Art. 20 Abs. 1 GG zuwiderlaufende Belastung des Klägers in jedem Falle aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
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