L 3 U 25/03

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 25 U 201/99
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 25/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 25. Februar 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt (weitere) Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen Folgen eines Unfalls, den er am 23. Juni 1994 erlitten und den die Beklagte als Arbeitsunfall anerkannt hat.

Der im Jahre 1956 geborene Kläger besuchte nach Abschluss der Realschule eine Fachoberschule und studierte anschließend Sozialpädagogik an einer Fachhochschule. Ein danach in Hamburg begonnenes Studium der Psychologie brach er ohne Abschluss ab. Bereits während des Studiums hatte er begonnen, als freier Journalist zu arbeiten. Er war unter anderem für den "S.", das "H. A." und die "Z." tätig. Seit 1981 arbeitete der Kläger für R. C. zusammen, bei dem er nach seinen Angaben "das Handwerk" für Humor und Unterhaltung lernte. Mitte der 80iger Jahre machte er sich selbständig und baute in schleswig-holsteinischen H. ein eigenes Studio auf. Er schrieb Drehbücher, Sketsche und ähnliches, drehte und produzierte selbst Unterhaltungssendungen wie "D. S." mit D. H1. Er war bei der Beklagten freiwillig versichert.

Am 23. Juni 1994 Uhr erlitt der Kläger gegen 12:45 Uhr einen Verkehrsunfall. Er war als angeschnallter Beifahrer auf der Landstraße ... auf dem Weg von Dreharbeiten zu seinem Haus in H ... Seine Lebensgefährtin führte das Fahrzeug, das einen mit Requisiten beladenen Anhänger zog. Als sie auf der Straße S1 in H. links abbiegen wollte, wurde der Anhänger von einem überholenden Pkw gerammt. Der Anhänger kippte um; das Zugfahrzeug wurde nicht bzw. lediglich an der Anhängerkupplung beschädigt. Gegenüber den den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten gab der Kläger keine Verletzungen an; seine Lebensgefährtin klagte über Schmerzen im Genick. In einer später für eine private Kfz-Versicherung erstellten Verkehrsanalyse der D1 A. AG vom 29. April 1998 stellte der Sachverständige Dipl.-Ing. R1 fest, dass die auf das Fahrzeug des Klägers einwirkenden Beschleunigungskräfte deutlich unter der einfachen Erdbeschleunigung lagen.

Gegen 15:30 Uhr desselben Tages begab sich der Kläger ins Krankenhaus I., wo der Durchgangsarzt Dr. E. einen Halswirbelsäulen-Schleudertrauma (nach Erdmann Grad I) und Ellenbogenprellung rechts diagnostizierte. Noch am selben Abend teilte der Kläger per Telefax den Unfall der Beklagten mit und bat um Mitteilung, was zu veranlassen sei. Gegenüber seiner Hausärztin Dr. H2, die dem Kläger - zunächst für zehn Tage und dann fortwährend - Arbeitsunfähigkeit bescheinigte und ab dem 14. Juli 1994 Krankengymnastik verordnete, beklagte der Kläger über Schmerzen im rechten Schulterbereich, die in den Hinterkopf und den rechten Arm ausstrahlten. Bei einer Nachuntersuchung am 9. September 1994 stellte Dr. E. eine freie Halswirbelsäulenbeweglichkeit, eine weiche Nackenmuskulatur ohne Verspannungen sowie das Nichtvorliegen von Myogelosen (Muskelverhärtungen) fest. Der Kläger gab weiter bestehende Beschwerden an, die ihm nicht erlaubten, seine ca. 20 kg schwere Kamera auf der Schulter zu tragen. Der Nervenarzt Dr. S2 konnte am 16. September 1994 Unfallfolgen weder auf neurologischem Fachgebiet noch psychische Funktionsstörungen feststellen. Bei einer weiteren Untersuchung am 28. September 1994 tastete Dr. E. deutliche Myogelosen im Bereich der Schulterblattmuskulatur rechts und stellte eine nunmehr endgradig eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule fest. Der Kläger gab an, zuvor vergebens versucht zu haben, seine Kamera auf der Schulter zu tragen. Wegen auftretender Schmerzen habe er den Versuch nach 5 - 7 Minuten abbrechen müssen. Der Chirurg Dr. L. gelangte in seinem Gutachten vom 20. Dezember 1994 zu dem Ergebnis, der Kläger habe bei dem Ereignis eine Halswirbelsäulendistorsion mit Zerrung der rechten Trapezius-Muskulatur erlitten. Die Unfallfolge habe eine Arbeitsunfähigkeit für 3 Monate und eine Behandlungsbedürftigkeit im Sinne physiotherapeutischer Maßnahmen von bis zu 6 Monaten bedingt. Der Nervenarzt Dr. S2 vermochte auf seinem Fachgebiet auch in seinem Zusatzgutachten vom Oktober 1994 keine Unfallfolgen festzustellen. Der behandelnde Orthopäde Dr. R2 schloss sich im Bericht vom 14. Januar 1995 dem Gutachten des Krankenhauses I. an, wies aber darauf hin, dass der Kläger glaubhaft über starke Schmerzen im Trapeziusmuskel beklage.

Die Beklagte veranlasste im Februar 1995 die Vorstellung des Klägers bei dem - inzwischen verstorbenen - Orthopäden Dr. V., der eine erweiterte ambulante Physiotherapie veranlasste. Da die drei Mal wöchentlich durchgeführte Behandlung nicht den gewünschten Erfolg zeigte, schaltete Dr. V. im Mai 1995 die Psychologin P. zur Klärung der Frage ein, ob psychische Probleme die Beschwerderesistenz erklärten. Nach zwei Gesprächen mit der Psychologin brach der Kläger die Behandlung ab. In ihrem Bericht vom 12. Juni 1995 empfiehlt Frau P. eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Nach Angaben des Klägers antwortete Dr. V. am 21. Juni 1995 auf die Frage nach seiner gesundheitlichen Zukunft mit der Bemerkung, dass er als Arzt jedem Krüppel Hoffnung machen müsse. Im Juni 1995 berichtete Dr. V. von einer Besserung der Beschwerden sowie dem Versuch, dem Kläger das Tragen der Kamera mit Hilfe einer Schulter entlastenden Orthese zu ermöglichen. Ende Juli 1995 teilte der Kläger mit, mit der Orthese die Kamera nicht führen zu können. Dr. V. berichtete, dass die Halswirbelsäule eine gute Beweglichkeit aufwies und keine wesentlichen Verspannungen oder Blockaden vorhanden waren, und teilte mit, das Heilverfahren mangels Erfolgschancen zu beenden, falls es dem Kläger binnen nächster Wochen nicht gelänge, die Kamera zu führen. In einem an seinen Verfahrensbevollmächtigten überreichten Aktenvermerk beschwerte sich der Kläger über Dr. V., der ihn schockiere und unter Druck setze. Über eine am 2. August 1995 durchgeführte Untersuchung berichtete Dr. V., es habe sich eine leichte Seitensteifung der rechten und linken unteren Halswirbelsäule gefunden. Die Inklination sei bei einem Kinn-Brustbein-Abstand von 0 cm vollständig gelungen. Der Kläger teilte in einem weiteren Aktenvermerk über diese Untersuchung mit, Dr. V. habe ihm die Hand auf den Hinterkopf gelegt und ruckartig den Kopf in Richtung Brust bewegt. Er habe dabei einen kurzen scharfen Schmerz verspürt. Danach seien erhebliche Schmerzen im Halsbereich und Kopfschmerzen aufgetreten. Der Kläger suchte am nächsten Tag letztmalig Dr. V. - wegen Schiefhaltung des Kopfes - auf. Der von ihm noch am selben Tag aufgesuchte Orthopäde Dr. K. beschreibt in seinem Befundbericht eine Kopfschräglage nach rechts und führt weiter aus, dass ein lokaler Druckschmerz über der Dornfortsatzreihe sich nicht habe erzielen lassen und eine Mobilisierung der Halswirbelsäule bei maximaler Gegenspannung nicht möglich gewesen sei.

Der von der Beklagten beauftragte Chirurg Dr. S3 stellte in seinem Gutachten vom 15. Mai 1996 als Unfallfolgen eine Zerrung der Hals- und Nackenmuskulatur fest, die eine Arbeitsunfähigkeit bis 25. September 1995, aber keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Zeit danach bedingte. In einem auf Anregung des Bevollmächtigten des Klägers eingeholten weiteren Gutachten vom 22. Juni 1998 kam der Orthopäde Dr. N. zu dem Ergebnis, dass Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsnotwendigkeit wegen der Unfallfolgen lediglich bis 23. Juni 1995 vorgelegen hätten. Ab diesem Zeitpunkt seien keine Unfallfolgen mehr festzustellen. Im Gutachten 13. Juli 1998 erläuterte der Chirurg M. Bezug nehmend auf die Unfallanalyse der D1, dass die Blockierungen im Bereich der Halswirbelsäule schon wegen der unter der einfachen Erdbeschleunigung gebliebenen Beschleunigungskräfte keine Unfallfolgen sein konnten.

Mit Bescheid vom 4. August 1998 erkannte die Beklagte als Unfallfolge "eine folgenlos ausgeheilte Distorsion der Halswirbelsäule" mit einer Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit bis zum 25. September 1995 an. Die somatoforme Schmerzstörung und fortbestehende Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule wurden ausdrücklich nicht als Unfallfolgen anerkannt. Die Gewährung von Rente wurde mangels eines messbaren Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit abgelehnt.

Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, seine somatoforme Schmerzstörung und reaktive Depression seien ebenfalls Unfallfolgen. Er reichte ein psychosomatisches Gutachten des Nervenarztes Dr. L1 ein, der unter dem 19. September 1998 ausführte, dass sich aus dem bei dem Unfall erlittenen Schleudertrauma heraus oder in zeitlichem Zusammenhang danach eine Schulter-Arm-Symptomatik mit Verspannungen und Schmerzen entwickelt habe. Es sei zu einem psychisch dekompensierten Zustand im Sinne der Entwicklung einer depressiven Verstimmung gekommen. Die bestehenden psychosomatischen und psychischen Störungen seien als Unfallfolgen zu werten. Demgegenüber kam der Nervenarzt Dr. F. in seiner beratenden Stellungnahme vom 25. Februar 1999 zu dem Ergebnis, dass Unfallfolgen auf nervenärztlichem Fachgebiet zu keiner Zeit vorgelegen hätten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 1999 wies die Beklagte unter Bezugnahme auf die von ihr eingeholten Gutachten den Widerspruch des Klägers zurück.

Zur Begründung seiner am 5. Mai 1999 erhobenen Klage hat der Kläger ergänzend vorgetragen, dass auch die Konsequenzen der Fehlbehandlung durch Dr. V. zu berücksichtigen seien. Dessen Hinweis auf einen Krüppel habe ihn geschockt und gekränkt. Zu diesem Zeitpunkt habe er jegliche Hoffnung verloren.

Das Sozialgericht hat Befundberichte und Gutachten beigezogen bzw. im Auftrag gegeben: Der Diplom-Psychologe B. führt in seinem Befundbericht vom 19. Mai 2000 aus, den Kläger von September 1995 bis Dezember 1998 behandelt zu haben. Nach Angaben des Klägers hätten sich die psychischen Probleme im Laufe der Zeit entwickelt, nachdem er gemerkt habe, dass die Ärzte seine Arbeitsfähigkeit nicht wieder herstellen könnten. Besonders schlecht sei es ihm Anfang August 1995 gegangen, als ihm von dem behandelnden Orthopäden bei einer Untersuchung massive und anhaltende Schmerzen zugefügt worden seien. Der Neurologe Dr. H3 führt in seinem für die A1-Lebensversicherung erstellten Gutachten vom 12. Juli 2000 aus, dass der Kläger an einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome leide und nicht in der Lage sei, Arbeiten von wirtschaftlichem Wert zu verrichten. Der gerichtlich beauftragte Neurologe und Psychiater Dr. N1 diagnostisiert in seinem Gutachten vom 21. Oktober 2002 eine anhaltende depressive Störung, wobei nichts für einen direkten Ursachenzusammenhang mit dem Unfallereignis spreche. Ebenso wenig sei die Therapie ursächlich. Nicht die vom Kläger als kränkend erlebten Äußerungen von Dr. V., sondern die durch den ausbleibenden Behandlungserfolg einsetzende Infragestellung der Lebensplanung habe - bei einer leicht ansprechbaren persönlichkeitsgetragenen Präpostion - die entscheidende Rolle gespielt.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 20. Februar 2003 abgewiesen. Ursache für die Entwicklung der psychischen Erkrankung sei am ehesten die Nichtausübung der beruflichen Tätigkeit aufgrund anhaltender körperlicher Beschwerden, die ihrerseits jedoch nicht durch den Unfall verursacht worden seien.

Gegen das am 18. März 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. April 2003 Berufung eingelegt und rügt insbesondere, dass das Sozialgericht sich nicht mit der gravierenden Fehlbehandlung durch Dr. V. am 2. August 1995 auseinander gesetzt habe; diese Fehlbehandlung setze eine eigenständige Ursache für die nachfolgende Depression. Er sei bereits durch den Unfall selbst psychisch betroffen gewesen. Gegenüber Dr. L1 habe er schon im Jahre 1998 angegeben, völlig aufgelöst gewesen sei. Es sei auch sehr belastend gewesen, als die durch den Unfall zerstörten Requisiten beim Öffnen des Anhängers ihm entgegen gefallen seien. Dieser Anblick sei wie die Zerstörung eines Teils seiner Lebensgrundlage gewesen. Er habe viel Hoffnung in die Behandlung durch Dr. V. gesetzt und ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihm aufgebaut. Spätestens in Folge des chiropraktischen Eingriffs am 2. August 1995 durch Dr. V. sei er in eine tiefe Depression geraten. Das Verhalten von Dr. V. sei demütigend und wie ein "Stoß in den Abgrund" gewesen. Es handele sich um eine Verschlimmerung der Unfallfolgen. Das während des Berufungsverfahrens eingeholte Gutachten von Prof. Dr. F1 könne nicht akzeptiert werden, da sein Mitwirkungsanteil so gering sei, dass die Grenze der zulässigen Delegation überschritten sei. Ähnliche Bedenken bestünden auch hinsichtlich des Gutachtens von Dr. L2.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Februar 2003 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 4. August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 25. September 1995 hinaus Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit vom 100 v. H. wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. Juni 1994 einschließlich der Heilbehandlung bei Dr. V. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wenn der Kläger nun anführe, der Anblick seiner zerstörten Requisiten sei für ihn besonders belastend gewesen, liefere er selbst ein weiteres Argument gegen den geltend gemachten Anspruch. Versichert seien nur die seelischen Folgen aus dem Unfallereignis selbst, nicht aber sich daran anschließende Unannehmlichkeiten. Es befinde sich in der gesamten Akte kein ärztlicher Hinweis darauf, dass Dr. V. einen Behandlungsfehler begangen habe, geschweige denn, dass ein solcher nachhaltige Folgen hinterlassen habe. Wenn der Kläger wegen während der Behandlung erlittenen Schmerzen oder einer kränkend empfundenen Reaktion auf die Frage nach seinen Heilungschancen dem Arzt das Vertrauen entziehe, betreffe dies das Arzt-Patienten-Verhältnis, habe aber mit dem Unfallereignis nichts zu tun.

Der auf Anregung des Klägers gerichtlich beauftragte Nervenarzt Prof. Dr. F1 diagnostiziert in seinem Gutachten vom 19. Januar 2005 eine bislang nicht ausreichend behandelte anhaltende mittelgradige depressive Störung mit somatischem Syndrom, die etwa August 1995 begonnen habe. Eine somatoforme Schmerzstörung liege hingegen nicht vor. Der Unfall könne keine Ursache für die späteren Gesundheitsstörungen sein, denn der Kläger habe weder einen Körperschaden erlitten noch sich durch den Unfall bedroht gefühlt. Zudem sei im ersten Jahr nach dem Unfall keine psychische Symptomatik zu beobachten gewesen. Die depressive Störung des Klägers sei nach psychodynamischem Verständnis in seiner narzisstischen Persönlichkeitsstruktur begründet. Das vom Nervenarzt Dr. B1 mitunterschriebene Gutachten beruht nach Angaben von Prof. Dr. F1 im Wesentlichen auf seiner eigenen Untersuchung und Urteilsbildung.

Der gerichtlich beauftragte Nervenarzt Dr. B2 diagnostiziert in seinen (nach Aktenlage) am 28. Februar 2006 und (nach Untersuchung des Klägers) am 10. April 2007 erstellten Gutachten eine eigenständige, bislang unzureichend bzw. erfolglos behandelte Erkrankung im Sinne einer tief greifenden und lang anhaltenden depressiven Störung ohne psychotische Symptome mit starken persönlichkeitsgebundenen - narzisstischen, histrionischen und zwanghaften - Zügen. Ein kausaler Zusammenhang mit dem Unfall oder der Behandlung durch Dr. V. bestehe nicht.

Diesem Ergebnis schließt sich auch der auf Antrag des Klägers beauftragte Nervenarzt Dr. L2 in seinem Gutachten vom 21. Februar 2008 an, das er in Absprache mit dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers unter Mitarbeit des bei ihm beschäftigten Neurologen Dr. P1 "aufgrund eigener Untersuchung und Urteilsbildung" erstellt hat. Er diagnostiziert eine langjährige anhaltende depressive Störung wechselnden Ausmaßes ab ca. August 1995 (Nr. F 34.1 nach dem Diagnoseschlüssel des "International Classification of Diseases and Related Health Problems" - ICD-10 -), eine narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung (F 60.8 ICD-10) und aktuell eine subsyndromale soziale Phobie (F 40.1 ICD-10) diagnostisiert. Ein kausaler Zusammenhang zwischen den psychischen Befunden und dem Unfall vom 23. Juni 1994 oder den Ereignissen während der Heilbehandlung durch Dr. V. wird verneint. Die durch die Heilbehandlung hervorgerufenen Schmerzen und Kränkungen hätten im Zusammenwirken mit einer primär persönlichkeitsgebundenen und niedrigschwellig ansprechbaren Disposition eine sich verselbständigende und selbstunterhaltende depressive Entwicklung in Gang gesetzt, wobei die Geschehnisse während der Heilbehandlung nicht ursächlich seien.

In der mündlichen Verhandlung am 15. Juli 2008 hat das Gericht Dr. P1 als weiteren Sachverständigen gehört. Hinsichtlich seiner Ausführungen wird auf die Niederschrift Bezug genommen.

Hinsichtlich des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozessakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Sie sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten durch die Vorsitzende als Berichterstatterin (§ 155 Abs. 4, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers (vgl. §§ 143, 144, 151 SGG) ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 4. August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 1999 ist rechtmäßig. Kläger hat über den 25. September 1995 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Auf den Rechtsstreit finden die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) Anwendung, weil ein Versicherungsfall aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird (vgl. Artikel 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII). Gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO wird, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge des Arbeitsunfalls um wenigstens ein Fünftel gemindert ist, der Teil der Vollrente, der dem Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht (Teilrente), als Verletztenrente gewährt.

Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Unfallfolge ist, dass die schädigende Einwirkung ursächlich unmittelbar oder mittelbar auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist und den Gesundheitsschaden verursacht hat. Während die einzelnen Glieder der Kausalkette (versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkung und Gesundheitsschaden) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen, ohne dass eine völlige Gewissheit zu fordern ist, genügt für den - doppelten - Ursachenzusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d.h. es müssen mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen.

In dem streitgegenständlichen Zeitraum ab 26. September 1995 besteht bei dem Kläger keine durch den Unfall vom 23. Juni 1994 verursachte Minderung seiner Erwerbsunfähigkeit. Eine solche Erwerbsminderung wurde weder durch den am 23. Juni 1994 erlittenen Unfall selbst (1) noch durch die Behandlung der Unfallfolgen (2) verursacht.

1. Der vom Kläger am 23. Juni 1994 erlittene Verkehrsunfall führte allenfalls zu einer leichten Halswirbelsäulendistorsion und einer Zerrung der rechten Hals- und Nackenmuskulatur, die zeitnahe folgenlos ausgeheilt sind.

Die vom Kläger in der Folgezeit angegebenen Schmerzen in der Nackenmuskulatur an der Stelle, an der die Kamera getragen wird, und die festgestellten Blockierungen im Bereich der Halswirbelsäule und oberen Brustwirbelsäule sind keine Folgen des Unfalls. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil, denen sich der erkennende Senat anschließt, gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen werden. Bei dieser Sachlage braucht nicht der Frage nachgegangen zu werden, ob die Beeinträchtigung in der freien Führung der Kamera angesichts des breiten Spektrums der Tätigkeit des Klägers, die von der Entwicklung von Formaten für Unterhaltungssendungen, Schreiben von Drehbüchern und Sketchen über Drehen mit und ohne Stativ bis zum Schnitt reichte und sogar die Produktion einschloss, überhaupt zu einer messbaren Minderung der Erwerbsfähigkeit geführt haben kann bzw. ob die freie Kameraführung delegierbar gewesen wäre.

Ebenso wenig handelt es sich bei den ab etwa August 1995 diagnostisierten psychischen Erkrankungen des Klägers um Folgen des Unfallgeschehens. Auch insoweit kann auf die ausführlichen und zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen werden. Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführengen an.

Die Richtigkeit der vom Sozialgericht nach gründlicher Auswertung und überzeugender tatsächlicher und rechtlicher Würdigung der im Verwaltungs- und Klagverfahren eingeholten ärztlichen Befundberichte, Gutachten und Stellungnahmen gewonnenen Erkenntnisse werden durch die während des Berufungsverfahrens eingeholten ärztlichen Stellungnahmen vollen Umfangs bestätigt. Prof. Dr. F1 verneint in seinen Gutachten 19. Januar 2005 einen Kausalzusammenhang. Der Unfall vom 23. Juni 1994 könne schon deshalb keine Ursache für die später aufgetretenen Gesundheitsstörungen sein, da es bei dem Unfall weder zu einem nennenswerten Körperschaden noch zu einer seelischen Beeindruckung gekommen sei; der Kläger habe sich zu keinem Zeitpunkt bedroht gefühlt. Damit übereinstimmend führt Dr. B2 in seinen Gutachten vom 28. Februar 2006 und 10. April 2007 aus, dass das von ihm diagnostisierte psychische Beschwerdebild nicht als unmittelbare Folge des Unfalls gesehen werden kann. Ebenso sieht das auch Dr. L2, der in seinem Gutachten vom 21. Februar 2008 keinen kausalen Zusammenhang feststellen kann. Diesen - in sich und mit den in dem angefochtenen Urteil aufgeführten ärztlichen Einschätzungen der Orthopäden und Chirurgen Dr. L ... Dr. S3 und M. sowie der Neurologen und Psychiater Dres S2, H3 und N1 - übereinstimmenden und jeweils überzeugend begründeten ärztlichen Äußerungen schließt sich der Senat an.

Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob Prof. Dr. F1 und Dr. L2 - wie der Kläger meint - bei der Erstellung ihrer Gutachten die Grenze der zulässigen Delegation mit der Folge überschritten haben, dass die Gutachten nicht von ihnen stammen und deshalb nicht verwertet werden können. Auch wenn man dies - obgleich es dafür in keinem der Fälle hinreichende Anhaltspunkte gibt - annimmt, ändert dies nichts an dem gefundenen Ergebnis. Anbetracht der zahlenmäßig wie argumentativ gegebener Überzeugungskraft der verbleibenden gutachterlichen Äußerungen kann es auch unter Außenvorlassen der Gutachten von Prof. Dr. F1 und Dr. L2 keinen Zweifel daran geben, dass es vorliegend an einer unmittelbaren Kausalität zwischen dem vom Kläger am 23. Juni 1994 erlittenen Unfall und den späteren Gesundheitsstörungen in Gestalt der Schulterblockade und psychischer Erkrankungen fehlt. Einen solchen Zusammenhang scheint der Kläger selbst auch nicht mehr anzunehmen, denn in seiner Berufungsbegründung sieht er den Grund für seine psychischen Leiden in erster Linie in der Behandlung durch Dr. V ...

2. Die psychische Erkrankung des Klägers ist auch keine mittelbare Folgen des am 23. Juni 1994 erlittenen Unfalls. Die Voraussetzungen des § 555 RVO, wonach es sich bei Gesundheitsschäden infolge der Durchführung der Heilbehandlung um mitversicherte Folgen des Versicherungsfalls handelt, liegen nicht vor.

Zwar leidet der Kläger unstreitig seit etwa August 1995 an einer langjährig anhaltenden depressiven Störung wechselnden Ausmaßes (ICD-10: F 33.1 bzw. inzwischen F 34.1) und handelt es sich bei der von Februar bis August 1995 erfolgten Konsultation von Dr. V. im Rechtssinne um die Durchführung der Behandlung zur Heilung der durch den Unfall erlittenen Körperschäden, denn die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 4. August 1998 die Behandlungsbedürftigkeit der Unfallfolgen bis zum 25. September 1995 anerkannt. Es fehlt jedoch an der erforderlichen Kausalität zwischen dem Ereignis und dem Gesundheitsschaden im Sinne der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung, wonach nur solche Ursachen als kausal und rechtserheblich angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. BSG Urt. v. 09.05.2006, Az. B 2 U 26/04 R m.w.N.). Hiernach scheitert der Anspruch bereits daran, dass weder eine fehlerhafte ärztliche Behandlung noch anderweitig ein Ereignis festgestellt werden kann, das geeignet ist, den Gesundheitsschaden zu hervorzurufen. Unterstellt man zugunsten des Klägers ein solches Ereignis scheitert der Anspruch auf jeden Fall daran, dass die beschuldigten Ereignisse zu der Entstehung der psychischen Erkrankung des Klägers nicht wesentlich beigetragen haben.

Es ist kein Ereignis im Verlauf der Behandlung durch Dr. V. feststellbar, das geeignet ist, die langjährig anhaltende depressive Störung des Klägers hervorzurufen. Dies gilt für die Untersuchung des Klägers durch Dr. V. am 2. August 1995 ebenso wie für die von diesem in der Zeit davor - nach Angaben des Klägers - getätigte Äußerung, er müsse jedem Krüppel Hoffnung machen, sowie für die Drohung, die Behandlung abzubrechen und den Kläger in eine stationäre Behandlung einzuweisen, wenn er die Orthese nicht tragen könne bzw. die Behandlung wegen mangelnder Erfolgsaussichten zu beenden.

Was das Ereignis am 2. August 1995 angeht, kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass eine ärztliche Fehlbehandlung vorliegt. Hiergegen spricht bereits, dass der Kläger von einem chiropraktischen Eingriff ausgeht, während es nach den zeitnahen schriftlichen Unterlagen des Dr. V. um eine Kontrolluntersuchung handelte. Auch der Umstand, dass der Kläger nicht gleich demonstrierte, sondern im Anschluss an die Untersuchung das übliche Programm der physiotherapeutischen Übungen begann, lässt Zweifel daran zu, dass der am nächsten Tag diagnostisierte Schiefhals Folge einer ärztlichen Fehlbehandlung war.

Die vom Kläger behaupteten Äußerungen des Dr. V. im Mai/Juni 1995 sind ebenfalls als schädigendes Ereignis ungeeignet. Da Dr. V., der zwischenzeitlich verstorben ist, nicht gehört werden kann und auch anderweitig keine Ermittlungsmöglichkeiten ersichtlich sind, lässt sich heute nicht mehr feststellen, ob, mit welchem genauen Inhalt und in welchem Kontext die Äußerungen gefallen sind. Aber selbst wenn zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass die Äußerungen von ihm im Wesentlichen wahrheitsgemäß wiedergegeben werden, sind diese Ereignisse nicht geeignet, die psychische Erkrankung des Klägers hervorzurufen. Bei dieser Erkenntnis stützt sich der Senat auf die während des Berufungsverfahrens eingeholten Gutachten von Prof. Dr. F1 vom 19. Januar 2005, Dr. B3 vom 28. Februar 2006 und 10. April 2007 und Dr. L2 vom 21. Februar 2008 sowie im besonderen Maße auf die sachverständigen Äußerungen des Dr. P1 in seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung am 15. Juli 2008. Keiner der Sachverständigen vermag die Geeignetheit des Verhaltens von Dr. V., die psychische Erkrankung des Klägers hervorzurufen, zu bestätigen. Dr. P1 führt nachvollziehbar und überzeugend aus, dass dies nicht der Fall sein kann. Keiner der vom Kläger behaupteten Verhaltensweisen oder Äußerungen von Dr. V. sei geeignet, seine Erkrankung hervorzurufen. Nach Dr. P1 gibt es mit Ausnahme der posttraumatischen Belastungsstörung und der Anpassungsstörung, die zweifelsfrei hier nicht vorliegen, wenige psychische Störungen, die durch einen äußeren Stressor entstehen. Zwar hätten auch andere Personen mit narzisstischen Persönlichkeitsanteilen die vom Kläger beschriebenen Situationen und Begebenheiten als kränkend, beleidigend und verletzend empfunden, aber auch sie hätten deshalb keine so schwere Symptomatik wie die Krankheit des Klägers entwickelt.

Unterstellt man zugunsten des Klägers die generelle Geeignetheit der Ereignisse während der Behandlung bei Dr. V., die psychische Erkrankung des Klägers hervorzurufen, scheitert der geltend gemachte Anspruch an der erforderlichen Kausalität im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung zwischen der Heilbehandlung und der psychischen Erkrankung des Klägers. Keiner der zu dieser Frage gehörten medizinischen Sachverständigen sieht die Behandlung als eine wesentliche Ursache an. Nach deren übereinstimmender Auffassung ist die Erkrankung des Klägers vielmehr durch dessen persönliche Veranlagung hervorgerufen worden. Dabei stellt keiner der Gutachter in Frage, dass der Kläger sich durch das Verhalten von Dr. V. gekränkt fühlte und seelisch verletzt war. Der Grund hierfür ist jedoch nicht im Verhalten des Dr. V., sondern in der Persönlichkeitsakzentuierung des Klägers mit persönlichkeitsbedingter und unfallunabhängiger Anfälligkeit für Kränkungen und Verletzungen im Sinne der Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, histrionischen und zwanghaften Merkmalen zu sehen. Nicht die Äußerung, sondern die persönlichkeitsbedingte narzisstische Kränkbarkeit stellt die wesentliche Ursache dar. Die Geschehnisse während der Behandlung durch Dr. V. stellen mithin keine wesentliche Ursache für die Erkrankung des Klägers dar.

Auch in diesem Zusammenhang kann die - seitens des Senats nicht ernstlich in Frage gestellte - Verwertbarkeit der Gutachten von Prof. Dr. F1 und Dr. L2 dahingestellt bleiben, denn angesichts der Überzeugungskraft der verbleibenden sachverständigen Äußerungen ändert sich nichts an dem Ergebnis, auch wenn man die beanstandeten Gutachten unberücksichtigt lässt.

Dem am Ende der mündlichen Verhandlung am 15. Juli 2008 wiederholten Antrag des Klägers nach § 109 Abs. 1 SGG auf erneute Anhörung eines bestimmten Arztes war aus den Gründen nicht zu folgen, die bereits zur Ablehnung des gleichlautenden Antrags zu Beginn der Verhandlung geführt haben. Dem ebenfalls am Ende der mündlichen Verhandlung wiederholten Antrag auf Anhörung von Frau H4 als Zeugin war ebenfalls nicht zu entsprechen, denn es ist keine entscheidungsrelevante Tatsachen benannt, zu der die Zeugin gehört werden soll.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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