L 1 R 27/08

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 26 R 2908/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 R 27/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. Dezember 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Hinterbliebenenrente für die Zeit vom X.XXXXX 1978 bis 31. Dezember 1999.

Die Klägerin heiratete am X.XXXXX 1972 in erster Ehe den Versicherten W. V ... Die Ehe wurde am X.XXXXXXXX 1976 geschieden, wobei die Parteien gegenseitig auf jedweden Unterhalt, auch für den Fall des Notbedarfs verzichteten. Am X.XXXXX 1978 verstarb ihr geschiedener Ehemann.

Einen von der Klägerin am 30. März 1978 gestellten Antrag auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte durch bestandskräftigen Bescheid vom 24. April 1978 ab. Ein weiterer am 29. August 1983 gestellter Antrag der Klägerin wurde durch Bescheid vom 7. November 1983 ebenfalls bestandskräftig abgelehnt.

Am 9. März 2004 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Überprüfung der damaligen Entscheidungen, der zunächst durch Bescheid vom 26. Mai 2004 abgelehnt wurde. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hob die Beklagte diesen Bescheid jedoch auf und bewilligte der Klägerin mit Bescheiden vom 28. September 2004, 28. Oktober 2004 und 11. August 2005 eine Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres früheren Ehegatten W. V. ab 1. Januar 2000. Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch wandte sich die Klägerin zum einen gegen den Rentenbeginn und zum anderen gegen die Berechnung der Rente, insbesondere gegen die Anwendung des im Zeitpunkt des Überprüfungsantrags geltenden Rechts. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 21. November 2005 zurück und führte aus, die Anwendung des neuen Rechts beruhe auf § 300 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Fehler in der Berechnung der Rente seien nicht gegeben. Sie könne auch nicht für Zeiten vor dem 1. Januar 2000 gewährt werden, weil sich aus der zwingenden Vorschrift des § 44 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ergebe, dass auf einen Überprüfungsantrag hin gewährte Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts bzw. vor der entsprechenden Antragstellung zu erbringen seien. Da die Klägerin den Antrag am 9. März 2004 gestellt habe, könne die Rente erst ab 1. Januar 2000 geleistet werden.

Mit ihrer dagegen erhobenen Klage hat die Klägerin weiterhin die Auffassung vertreten, dass ihr die Rente auch für die Zeit vom X.XXXXX 1978 bis 31. Dezember 1999 zu gewähren sei. Soweit sie zunächst auch die Rentenberechnung angegriffen hatte, hat sie die Klage ausweislich der Sitzungsniederschrift im Termin zur mündlichen Verhandlung am 4. Dezember 2007 zurückgenommen.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 4. Dezember 2007 – der Klägerin zugestellt am 11. Januar 2008 – abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Beklagte habe den Rentenablehnungsbescheid aus dem Jahre 1978 gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X rückwirkend aufgehoben. Nach § 44 Abs. 4 S. 1 und 3 SGB X seien Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme bzw. dem Antrag auf Rücknahme zu erbringen. Nach § 44 Abs. 4 S. 2 SGB X sei der Zeitpunkt der Rücknahme auf den 1. Januar 2004 zurückzuverlegen. Die Vierjahresfrist beginne daher gemäß § 26 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch am 31. Dezember 2003 und ende am 1. Januar 2000. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X bestünden nicht, wobei sich die Kammer der Auffassung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 23. Juli 1986 (1 RA 31/85SozR 1300 § 44 Nr. 23) anschließe. Danach sei § 44 Abs. 4 SGB X eine zulässige Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung den Konflikt lösen müssen, der zwischen dem Interesse einerseits des Versicherten an einer vollständigen Erbringung der ihm zu Unrecht vorenthaltenen Sozialleistung und andererseits der Solidargemeinschaft aller Versicherten an einer Erhaltung der Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Versicherungsträgers und damit einhergehend an einer möglichst geringen Belastung mit Ausgaben für Leistungen für zurückliegende Zeiträume bestehe. Durch die Wahl eines einheitlichen Vierjahreszeitraumes, wie er auch im Rahmen der Verjährungsvorschrift des § 45 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) gelte, habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass gleichermaßen zu Lasten wie aber auch zu Gunsten des Versicherten Rechte und Pflichten aus dem Sozialleistungsverhältnis nach Ablauf einer solchen Zeitspanne nicht mehr geltend gemacht werden könnten. Dies stelle eine in sich ausgewogene und verhältnismäßige Gesamtregelung dar. Die Erbringung von Leistungen für Zeiten vor dem 1. Januar 2000 könne auch nicht auf den sozialen Herstellungsanspruch gestützt werden, weil die Rechtsfolgen einer fehlerhaften Rechtsanwendung im Rahmen eines mit der Erteilung eines Bescheides abgeschlossenen Verfahrens in § 44 SGB X erschöpfend geregelt worden seien, sodass ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch daneben nicht in Betracht komme.

Die Klägerin hat dagegen am 8. Februar 2008 Berufung eingelegt. Soweit sie zunächst geltend gemacht hat, ihre Klage entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts in der mündlichen Verhandlung nicht teilweise zurückgenommen zu haben, trägt sie nunmehr vor (Schriftsatz vom 22. September 2009), Thema des Rechtsstreits sei die Nachzahlung der Rente für die Zeit von 1978 bis 2000. § 44 Abs. 4 SGB X habe 1978 und 1983 noch nicht gegolten und könne daher auf ihren Fall nicht angewendet werden.

Dem Vortrag der Klägerin wird der Antrag entnommen,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. Dezember 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 28. September 2004, 28. Oktober 2004 und 11. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2005 zu verurteilen, ihr unter Rücknahme der Bescheide der Beklagten vom 24. April 1978 und 7. November 1983 eine Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes W. V. auch für die Zeit vom X.XXXXX 1978 bis 31. Dezember 1999 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und bezieht sich auf ihren bisherigen Vortrag sowie die erstinstanzliche Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 143, 151 SGG) Berufung ist unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist lediglich die Frage, ob die Klägerin die Gewährung der Witwenrente auch für die Zeit vom X.XXXXX 1978 bis 31. Dezember 1999 beanspruchen kann, da die Klägerin ihre zunächst auch gegen die Berechnung der Rente gerichtete Klage in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 4. Dezember 2007 ausweislich der Sitzungsniederschrift zurückgenommen hat. Da es sich bei den Fragen der Höhe der Leistung einerseits und des Beginns der Leistung andererseits um trennbare Teile des erhobenen prozessualen Anspruchs handelt, war eine wirksame Teilrücknahme der Klage möglich (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 8.4.1997 – L 13 Ar 3353/96 – Juris). Die Sitzungsniederschrift begründet als öffentliche Urkunde den vollen Beweis der beurkundeten Klagrücknahme, sofern nicht ausnahmsweise bewiesen wird, dass der Vorgang unrichtig beurkundet wurde (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.9.1963 – L 3 U 118/62 – Breith. 1964, 528; LSG Niedersachsen, Urteil vom 11.8.1964 – L 2 J 132/64 – Breith. 1965, 701). Der Senat geht unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin im Schriftsatz vom 22. September 2009 davon aus, dass sie an ihrem bisherigen Vortrag, sie habe ihre Klage nicht teilweise zurückgenommen, nicht mehr festhält. Sollte die Klägerin dagegen weiterhin der Auffassung sein, ihre Klage nicht teilweise zurückgenommen zu haben, müsste sie dies gegenüber dem Sozialgericht geltend machen, welches über die Frage der Fortsetzung des Rechtsstreits zu entscheiden hätte. Die gegen die Berechnung der Rente gerichtete Berufung wäre dann jedoch unzulässig, da es insoweit an einer erstinstanzlichen Entscheidung fehlt, die mit der Berufung angegriffen werden könnte.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind und die Klägerin die Gewährung einer Witwenrente für Zeiten vor dem 1. Januar 2000 nicht beanspruchen kann. Auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts wird daher zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Ergänzend wird ausgeführt, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 23.7.1986 a.a.O., m.w.N.), der sich der Senat anschließt, § 44 SGB X inklusive seines Absatzes 4 auch auf Sachverhalte anzuwenden ist, in denen der aufzuhebende Verwaltungsakt – wie hier – vor dem 1. Januar 1981 (Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGB X) erlassen worden ist. Hierin liegt kein Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Gebot des Vertrauensschutzes, da Versicherte mit einer solchen Leistungseinschränkung im Hinblick auf die für Leistungen der Sozialversicherung geltende Verjährungsfrist rechnen mussten. Eine Schlechterstellung gegenüber der ebenfalls vierjährigen Verjährungsfrist (§ 45 Abs. 1 SGB I) ist durch § 44 Abs. 4 SGB X nicht erfolgt (BSG Großer Senat, Beschluss vom 15.12.1982 – Juris).

Es liegt schließlich auch nicht im Ermessen oder Belieben des Verwaltungsträgers, ob er § 44 Abs. 4 SGB X anwenden will, die Vorschrift ist vielmehr zwingendes Recht (BSG, Urteil vom 23.7.1986 a.a.O).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) oder Nr. 2 SGG (Abweichung von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved