L 5 AS 97/09

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 61 AS 1569/09
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 AS 97/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Leistungsbescheid der Beklagten, mit dem ihm und seiner mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehefrau für die Monate März 2009 bis August 2009 monatliche Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 218,93 EUR bewilligt wurden.

Der Kläger bezog im fraglichen Zeitraum Versorgungsbezüge nach dem Bundesbeamtenversorgungsgesetz in Höhe von monatlich 1.346,21 EUR netto. Nach Abzug der Beiträge für die Kranken- beziehungsweise Pflegeversicherung in Höhe von 187,73 EUR berücksichtigte die Beklagte mit Bescheid vom 5. Februar 2009 ein monatliches Einkommen in Höhe von 1.158,48 EUR, brachte die Versicherungspauschale in Höhe von 30,- EUR zum Abzug und kam so zu einem berücksichtigungsfähigen Gesamteinkommen in Höhe von 1.128,48 EUR. Das verteilte die Beklagte hälftig auf den Kläger und seine Ehefrau unter Anerkennung eines Bedarfs von jeweils 316,- EUR Regelleistung und 357,70 EUR bzw. 357,71 EUR Kosten der Unterkunft. Für beide errechnete sich ein Leistungsanspruch von jeweils 109,46 EUR bzw. 109,47 EUR, zusammen 218,93 EUR.

Hiergegen legte der Kläger am 24. Februar 2009 Widerspruch ein mit der Begründung, er sei zwar nach den beamtenrechtlichen Vorschriften zu 100% dienstunfähig. Gleichwohl sei er arbeitsfähig nach dem SGB II. Von seinen Bezügen seien daher weitere Freibeträge nach dem SGB II in Abzug zu bringen.

Am 13. Mai 2009 erhob der Kläger zunächst eine Untätigkeitsklage. Mit Bescheid vom 17. Juni 2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die Berücksichtigung von Freibeträgen nach § 30 SGB II komme nur bei Einnahmen aus einer Erwerbstätigkeit in Betracht. Solche lägen jedoch bei Ruhestandbezügen nach beamtenrechtlichen Vorschriften nicht vor.

Hiergegen führte der Kläger die Klage fort, die er im Wesentlichen mit seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren begründete. Er rügte des Weiteren, dass aus den genannten Gründen rückwirkend ab dem 1. Januar 2005 eine Neuberechnung der Leistungen nach dem SGB II durchzuführen sei. Ferner war er der Ansicht, dass die Regelleistung für seine Ehefrau nicht von seinem Einkommen genommen werden dürfe.

Mit Gerichtsbescheid vom 28. August 2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Von den Versorgungsbezügen des Klägers habe die Beklagte zu Recht lediglich die Versicherungspauschale in Höhe von 30,- EUR zum Abzug gebracht, nicht jedoch weitere Freibeträge. In Betracht käme hier allenfalls ein Freibetrag nach § 30 SGB II wegen Erwerbstätigkeit. Zu Recht habe sich jedoch die Beklagte auf den Standpunkt gestellt, dass bei den Versorgungsbezügen des Klägers kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit im Sinne der genannten Norm vorliege. Es sei nicht gerechtfertigt, die Regelung auf Einkommen, das nicht aus einer Erwerbstätigkeit erzielt werde, anzuwenden. Hilfebedürftige, die nicht erwerbstätig seien, hätten nicht die aufgrund der Erwerbstätigkeit entstehenden erhöhten Aufwendungen. Auch bedürften Versorgungsempfänger nicht des Anreizes eines Freibetrages zur Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit. Weiterhin sei es rechtlich nicht zu beanstanden, dass bei den in Bedarfsgemeinschaft lebenden Eheleuten das Einkommen des Klägers auch bei der Berechnung der Leistungen seiner Ehefrau berücksichtigt werde. Soweit sich der Kläger auch gegen Leistungsbescheide vor dem 5. Februar 2009 wenden wolle, sei die Klage bereits unzulässig; insbesondere deshalb, weil es an den davor durchzuführenden Widerspruchsverfahren fehle.

Gegen den ihm am 4. September 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 2. Oktober 2009 Berufung eingelegt. Er macht geltend, dass die Beklagte sein Einkommen nach der vertikalen Methode auf die Bedarfsgemeinschaft, die er mit seiner Ehefrau bilde, anzurechnen habe. Tatsächlich sei er nicht hilfebedürftig; nur aufgrund der horizontalen Methode, die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liege, werde er zum Leistungsempfänger gemacht. Nach der horizontalen Methode trage er im Übrigen die Regelleistungsansprüche seiner Frau, so dass etwa Sanktionen gegen sie wegen der Verletzung von Pflichten aus Eingliederungsvereinbarungen nicht verhängt werden könnten. Auch habe ein Sachbearbeiter der Beklagten in einem Gespräch mit seiner Ehefrau durchaus die vertikale Methode angewendet. Der Kläger legt weiter dar, dass auch die Freibetragsregelung, die Einkünfte bis zu 1.200 EUR begünstige, so verstanden werden könne, dass Einkünfte bis zu dieser Grenze lediglich bei demjenigen, der die Einkünfte erziele, angerechnet werden dürften. In Bezug auf die Argumentation des Sozialgerichts macht er zudem geltend, dass auch in seinem Fall ein Anreiz durch weitere Freibeträge sinnvoll sei, da er derzeit auf die Versorgungsbezüge verzichten könne und stattdessen Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nehmen könne, ohne finanzielle Nachteile zu haben.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 28. August 2009 sowie die Bescheide der Beklagten vom 5. Februar 2009 und 17. Juni 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter Berücksichtigung weiterer Freibeträge sowie nach Maßgabe der vertikalen Berechnungsmethode hinsichtlich der Bedarfsgemeinschaft zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 6. November 2009 hat das Gericht das Verfahren nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG – auf den Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Das Gericht hat am 21. Mai 2010 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Akte des Sozialgerichts S 35 AS 2262/08 sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, Band II, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) übertragen hatte.

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 5. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2009 ist rechtmäßig. Das hat das Sozialgericht in dem mit der Berufung angefochtenen Gerichtsbescheid vom 28. August 2009 richtig entschieden und auch zutreffend begründet. Das erkennende Gericht sieht nach § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil es auf die Begründung des Gerichtsbescheides Bezug nimmt.

Das Berufungsvorbringen gibt allerdings zu folgenden Bemerkungen Anlass:

1. Die Berechnung des Bedarfs der vom Kläger und seiner Ehefrau gebildeten Bedarfsgemeinschaft nach der horizontalen Berechnungsmethode begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach § 9 Abs. 2 Satz 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen (normativen) Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, wenn in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt ist. Die Vorschrift des § 30 SGB II, die Freibeträge bei Erwerbstätigkeit für Einkünfte bis 1.200,- EUR vorsieht, trifft insoweit – anders als der Kläger meint – keine andere Regelung. Vielmehr ist sie in dem Rahmen, der durch § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II bestimmt wird, anzuwenden, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen. Im Einzelfall – wie hier – führt die Regelung nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II zwar dazu, dass in einer Bedarfsgemeinschaft selbst derjenige, dessen individueller Bedarf durch Einkommen gedeckt ist, wie ein Hilfebedürftiger behandelt wird und ihm auf diese Weise, ohne dass individuelle Hilfebedürftigkeit vorliegt, ein anteiliger individueller Anspruch gleichwohl zugestanden werden muss. Dies mag wenig sinnvoll erscheinen, entspricht jedoch dem Willen des Gesetzgebers, der nicht einfach übergangen werden kann. Jedenfalls ist die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II nicht verfassungswidrig, weil durch sie nichtbedürftige Personen zu Bedürftigen werden können (so BSG, Urt. v. 7.11.2006 – B 7b AS 8/06 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 1 m.v.N.; zustimmend Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 9 Rn. 30a f.; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 9 Rn. 101, Stand Febr. 2007). Vielmehr wird dem individuell Nichtbedürftigen sogar noch ein Leistungsanspruch nach dem SGB II zugestanden. Verfassungswidrig könnten allenfalls sonstige an das Merkmal der (fiktiven) Hilfebedürftigkeit anknüpfende Rechtsfolgen auf der Pflichtenseite sein. Dem muss jedoch an der dortigen Stelle durch eine – verfassungskonforme – Auslegung Rechnung getragen werden. So wird etwa hinsichtlich der an die Hilfebedürftigkeit anknüpfenden Mitwirkungspflichten nach § 31 SGB II, soweit die Hilfebedürftigkeit allein aus der besonderen Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft folgt, eine einschränkende, verfassungskonforme Auslegung von § 31 SGB II (BSG, a.a.O.) bzw. die Nichtanwendbarkeit dieser Norm (Rixen, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 31 Rn. 5b; ähnlich Berlit, in: LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 21) vorgeschlagen (dazu bereits LSG Hamburg, Beschl. v. 19.1.2010 – L 5 B 91/09 PKH AS).

2. Ein weiterer Freibetrag zugunsten des Klägers greift nicht ein. Insbesondere gilt das hinsichtlich des Freibetrages bei Erwerbstätigkeit nach § 30 SGB II. Bereits nach dem Wortsinn können Versorgungsbezüge nicht als Einkommen aus Erwerbstätigkeit angesehen werden. Es geht hier nämlich um die Verwertung der Arbeitskraft und nicht etwa um Lohnersatzleistungen (Klaus, in: Hohm, SGB II, § 11 Rn. 317; Hengelhaupt, a.a.O., § 30 Rn. 20; Birk, in: LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 5 m.w.N.). Aber auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift passt sie nicht für Einkünfte aus Versorgungsbezügen. Denn es soll ein besonderer Anreiz zur Aufnahme bzw. Weiterführung einer Erwerbstätigkeit geschaffen werden (vgl. Birk, a.a.O., Rn. 1). Dessen bedarf es erkennbar nicht bei Versorgungsbezügen; es gibt keinen auch nur im Geringsten einleuchtenden Grund, aus dem etwa der Kläger auf diese Bezüge verzichten sollte.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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