Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 21 P 2551/03
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 P 33/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das Absaugen von Schleim sowie die Reinigung eines Tracheostomas stellen keine krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen dar und sind bei dem nach § 14 SGB XI zu ermittelnden Pflegebedarf nicht zu berücksichtigen.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Leistungen nach der Pflegestufe III.
Der 1937 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert und bezog seit dem Jahr 2002 Leistungen der Pflegestufe I, zunächst in einem Pflegeheim, sodann seit dem 11.04.2003 im häuslichen Umfeld.
Der Kläger beantragte am 17.03.2003 die Höherstufung. Die Beklagte veranlasste ein Pflegegutachten des MDK vom 02.05.2003, hieraus ergab sich, dass der Kläger an einem Zustand nach Larynx-Carzinom-OP mit körperlicher Leistungsbehinderung, Omarthrose beidseits, apoplektivem Insult am 13.02.2003, insulinpflichtigem Diabetes, schlaffer Hemiparese rechts mit Gebrauchsunfähigkeit der rechten Körperhälfte und globaler Aphasie leidet. Der Kläger werde über eine PEG-Sonde ernährt, verfüge über keine Selbstpflegeressourcen und leide an partieller Stuhlinkontinez. Der MDK stellte in seinem Pflegegutachten einen Grundpflegebedarf im Bereich der Körperpflege von 74 Minuten, im Bereich der Ernährung von 20 Minuten und im Bereich der Mobilität von 42 Minuten, mithin einen Grundpflegebedarf von 136 Minuten täglich fest.
Mit Bescheid vom 24.06.2003 bewilligte die Beklagte daher Leistungen der Pflegestufe II ab dem 01.03.2003. Hiergegen erhob der Kläger am 08.07.2003 Widerspruch mit der Begründung, dass ihm Leistungen der Pflegestufe III zustehen müssten, da ein Grundpflegebedarf von mindestens 545 Pflegeminuten bestehe.
Die Beklagte veranlasste ein weiteres Gutachten des MDK vom 09.08.2003, wonach beim Kläger ein Grundpflegebedarf von 182 Minuten täglich bestehe. Nach Anhörung mit Schreiben vom 23.09.2003 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2003 zurück und führte aus, dass nach dem Ergebnis des Gutachtens des MDK die Voraussetzungen für Leistungen der Pflegestufe III nicht gegeben seien.
Hiergegen hat der Kläger am 18.02.2003 Klage erhoben.
Der Kläger trägt vor, er sei völlig bettlägerig, die rechte Körperhälfte sei vollständig gelähmt. Allein eine Ganzkörperwäsche beanspruche mehr als 30 Minuten. Je nach Häufigkeit des Stuhlgangs seien zwei bis drei Teilwäschen des Unterkörpers erforderlich, bei der Ernährung mit der PEG-Sonde laufe häufig etwas daneben, so dass der Kläger gesäubert werden müsse. Die Nassrasur bedürfe ca. 10 Minuten, für das An- und Auskleiden sei ein größerer Pflegebedarf als 25 Minuten wegen erheblicher Bewegungseinschränkungen erforderlich. Regelmäßig bedürfe der Kläger nächtlich der Hilfe, da er nachts Stuhl absetze und unter häufigen Hustenanfällen leide, was zu Umlagerungen führe.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 24.06.2003 abzuändern und den Widerspruchsbescheid vom 08.12.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen der Pflegestufe III seit 01.03.2003 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung u. a. auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und zwei Gutachten des MDK nach Aktenlage vom 17.08.2004 und 29.06.2004 sowie vom 28.03.2006, wonach ein Pflegebedarf für die Pflegestufe III nicht erreicht werde.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung eines Befundberichts des Hausarztes des Klägers Dr. C. vom 01.06.2004 und durch Einholung eines Pflegegutachtens von Amts wegen bei Dr. D. vom 22.01.2005, wonach ein Grundpflegebedarf von 211 Minuten bestehe. Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht ferner ein Pflegegutachten bei Dr. E. vom 29.12.2005 eingeholt, wonach ein Grundpflegebedarf von 403 Minuten bestehe. Schließlich hat das Gericht eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. D. vom 06.06.2006 eingeholt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Beklagtenakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen nach der Pflegestufe III des SGB XI. Der Bescheid der Beklagten vom 24.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2003 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) haben Pflegebedürftige bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Sie können gemäß § 37 Abs. 1 SGB XI anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Der Anspruch setzt voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellt.
Gemäß § 14 Abs. 1 SGB XI sind pflegebedürftig im Sinne dieses Buches Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Laufe des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe III mindestens 5 Stunden betragen, hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens 4 Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI).
Diese Voraussetzungen sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts nicht gegeben. Der Kläger ist nicht schwerstpflegebedürftig im Sinne des SGB XI.
Dies steht auf der Grundlage des Gerichtssachverständigengutachtens des Dr. D. fest.
Danach bedarf der Kläger der täglichen Hilfe im Bereich der Körperpflege von 137 Minuten, im Bereich der Ernährung von 20 Minuten im Bereich der Mobilität von 54 Minuten im Wochendurchschnitt. Mithin besteht ein Pflegebedarf des Klägers für den Bereich der Grundpflege von 211 Minuten täglich im Wochendurchschnitt. Die Ausführungen des Gerichtssachverständigen sind nachvollziehbar und berücksichtigen den gesundheitlichen Zustand und die Fähigkeiten des Klägers nachvollziehbar. So führt der Gerichtssachverständigen u. a. auch aus, dass der von der Pflegeperson des Klägers angegebene tägliche Zeitaufwand für Pflegemaßnahmen nicht korrekt ermittelt ist, da zahlreiche nicht auf die Grundpflege anrechenbare Zeiten aufgeführt sind. Auf die Ausführungen des Gerichtssachverständigen auf Bl. 14 seines Gutachtens wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Dem Gutachten des Dr. D. steht das gemäß § 109 SGG auf Antrag des Klägers eingeholte Gutachten des Dr. E. vom 29.12.2005 entgegen, der einen Grundpflegebedarf von insgesamt 403 Minuten (Körperpflege 250 Minuten, Ernährung 30 Minuten, Mobilität 123 Minuten) täglich im Wochendurchschnitt ermittelt. Dr. E. begründet die Abweichung von den Feststellungen des Dr. D. damit, dass pflegeerschwerende Faktoren nicht berücksichtigt seien und stützt dies einerseits auf seine Auffassung, Ernährung über PEG-Sonde stelle keine Pflegeerleichterung dar, und auch die fehlende Fähigkeit, Wünsche und Bedürfnisse zu äußern, sei pflegeerschwerend. Dem Gerichtssachverständigen Dr. E. kann insoweit jedoch nicht gefolgt werden, als auch Dr. D. die fehlende Fähigkeit, Wünsche und Bedürfnisse zu äußern, berücksichtigt hat, die PEG-Sonde zwar keine Pflegeerleichterung als solche darstellt, jedoch die Berücksichtigung des Grundpflegebedarfs im Bereich der Ernährung entsprechend den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegbedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches – Begutachtungs-Richtlinien (BRi) auf 20 Minuten gemäß dem Sachverständigengutachten des Dr. D. nachvollziehbar ist, da die Fähigkeitsstörung des Klägers im Bereich der Nahrungsaufnahme hierbei einerseits ausreichend berücksichtigt wird und andererseits naturgemäß durch die Verabreichung der Nahrung durch die Sonde ein geringerer Grundpflegebedarf entsteht als durch die Nahrungsaufnahme oral, insbesondere dann, wenn ggf. ein Füttern notwendig wäre.
Das Gerichtssachverständigengutachten des Dr. E. ist jedoch für das Gericht insbesondere deshalb nicht nachvollziehbar, weil er als pflegeerschwerenden Faktor eine hochgradige Spastik mit Einsteifung großer Gelenke aufführt, jedoch aus seinem Gutachten nicht ersichtlich ist, ob er bei der Bemessung des Pflegebedarfs von den tatsächlichen pflegebegründenden Erkrankungen des Klägers ausgegangen ist, da Dr. E. offenbar auf S. 15 seines Gutachtens (Bl. 100 der Gerichtsakte) die linke und die rechte Körperhälfte verwechselt, indem er ausführt, dass eine massive Spastik im linken Arm und im linken Bein bestehe, wohingegen die Spastik tatsächlich jedoch - dies ergibt sich auch aus dem Gutachten des Dr. D. wie auch aus den sonstigen medizinischen Unterlagen - die rechte Körperhälfte betrifft. Warum der Gerichtssachverständige Dr. E. bei der Einschätzung des Hilfebedarfs unberücksichtigt lässt, dass die grobe Kraft links den Umständen entsprechend normal ist und der Kläger entsprechend durchaus noch in gewissem Rahmen insbesondere die linke Hand und den linken Arm gebrauchen kann, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. In der ergänzenden Stellungnahme vom 06.06.2006 erklärt der Gerichtssachverständige D. demgegenüber schlüssig, warum die Spastik der rechten Körperhälfte nicht zu einem gegenüber seinem Gutachten höheren Pflegeaufwand führen kann. Dies begründet er insbesondere damit, dass im Bereich des Waschens und insbesondere auch im Bereich des Be -und Entkleidens es hier wesentlich darauf ankommt, dass Hilfeleistungen sachgerecht vollzogen werden, z. B. dadurch, dass zunächst die von der Spastik betroffene Seite bekleidet wird.
Ferner kann dem Gerichtssachverständigen Dr. E. auch insoweit nicht gefolgt werden, als er das Absondern und Absaugen von Schleim bzw. die Reinigung des beim Kläger vorhandenen Tracheostomas als pflegeerschwerenden Faktor wertet. Er lässt er unberücksichtigt, dass die Schleimabsonderung zum Teil vom Kläger selbst durch Abwischen bzw. Ausspucken entfernt werden kann und andererseits verkennt der Gerichtssachverständige, dass es sich beim Absaugen und der Reinigung des Tracheostomas nicht um Grundpflegebedarf handelt. Es handelt sich hierbei um krankheitsspezifische Hilfeleistungen, die nicht der Grundpflege zugeordnet werden können.
Krankheitsspezifische Maßnahmen sind zwar nicht von vorneherein schon deshalb aus dem berücksichtigungsfähigen Pflegebedarf ausgeschlossen, weil die Behandlungspflege der Krankenversicherung zuzuordnen ist. Sie zählen jedoch nur dann zu dem nach § 14 SGB XI zu berücksichtigen Pflegebedarf, wenn und soweit sie Bestandteil der Hilfe für die sogenannten Katalogverrichtungen sind oder im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Hilfe erforderlich werden. Krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen sind dann Bestandteil einer Verrichtung, wenn sie mit ihr untrennbar verbunden sind, wie dies etwa bei der Sondenernährung und der Stomaversorgung (Darmentleerung) der Fall ist. Ein zeitlicher Zusammenhang mit einer Verrichtung reicht nur dann aus, wenn die zeitgleiche Durchführung der krankheitsspezifischen Maßnahme mit der Verrichtung - wie etwa mit einem Pflegebedarf und anschließender Hautbehandlung bei einem Neurodermitispatienten - objektiv erforderlich ist. Auch die Berücksichtigung solcher Hilfeleistungen kommen danach nicht in Betracht, die der Aufrechterhaltung von Vitalfunktionen dienen, soweit Maßnahmen nicht notwendig im zeitlichen Zusammenhang mit einer der im Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI ausgeführten Verrichtung durchgeführt werden muss (vgl. BSG, Urteil vom 29.04.1999, B 3 P 12/98 R).
Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des § 14 Abs. 4 i. V. m. § 14 Abs. 1 SGB XI sind
1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung,
3. im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen oder Wiederaufsuchen der Wohnung,
4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.
Zu diesen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen gehören das Absaugen des Schleims und das Reinigen des Tracheostomas des Klägers, obwohl sie der Aufrechterhaltung seiner Vitalfunktionen dienen, offensichtlich nicht. Dies ergibt sich auch aus den Gutachten der beiden Gerichtssachverständigen, die durchaus beschreiben, dass ein häufiges Absaugen erforderlich ist. Jedoch ist ein unmittelbarer Zusammenhang mit den Katalogleistungen des § 14 Abs. 4 SGB XI nicht erkennbar, genauso wenig wie ein zeitlicher Zusammenhang mit einer dieser Verrichtungen.
Nach alledem muss auch ein entsprechender Pflegebedarf für das Absaugen des Schleims und das Reinigen des Tracheostomas für die Bewertung des Pflegebedarfs unberücksichtigt bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Leistungen nach der Pflegestufe III.
Der 1937 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert und bezog seit dem Jahr 2002 Leistungen der Pflegestufe I, zunächst in einem Pflegeheim, sodann seit dem 11.04.2003 im häuslichen Umfeld.
Der Kläger beantragte am 17.03.2003 die Höherstufung. Die Beklagte veranlasste ein Pflegegutachten des MDK vom 02.05.2003, hieraus ergab sich, dass der Kläger an einem Zustand nach Larynx-Carzinom-OP mit körperlicher Leistungsbehinderung, Omarthrose beidseits, apoplektivem Insult am 13.02.2003, insulinpflichtigem Diabetes, schlaffer Hemiparese rechts mit Gebrauchsunfähigkeit der rechten Körperhälfte und globaler Aphasie leidet. Der Kläger werde über eine PEG-Sonde ernährt, verfüge über keine Selbstpflegeressourcen und leide an partieller Stuhlinkontinez. Der MDK stellte in seinem Pflegegutachten einen Grundpflegebedarf im Bereich der Körperpflege von 74 Minuten, im Bereich der Ernährung von 20 Minuten und im Bereich der Mobilität von 42 Minuten, mithin einen Grundpflegebedarf von 136 Minuten täglich fest.
Mit Bescheid vom 24.06.2003 bewilligte die Beklagte daher Leistungen der Pflegestufe II ab dem 01.03.2003. Hiergegen erhob der Kläger am 08.07.2003 Widerspruch mit der Begründung, dass ihm Leistungen der Pflegestufe III zustehen müssten, da ein Grundpflegebedarf von mindestens 545 Pflegeminuten bestehe.
Die Beklagte veranlasste ein weiteres Gutachten des MDK vom 09.08.2003, wonach beim Kläger ein Grundpflegebedarf von 182 Minuten täglich bestehe. Nach Anhörung mit Schreiben vom 23.09.2003 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2003 zurück und führte aus, dass nach dem Ergebnis des Gutachtens des MDK die Voraussetzungen für Leistungen der Pflegestufe III nicht gegeben seien.
Hiergegen hat der Kläger am 18.02.2003 Klage erhoben.
Der Kläger trägt vor, er sei völlig bettlägerig, die rechte Körperhälfte sei vollständig gelähmt. Allein eine Ganzkörperwäsche beanspruche mehr als 30 Minuten. Je nach Häufigkeit des Stuhlgangs seien zwei bis drei Teilwäschen des Unterkörpers erforderlich, bei der Ernährung mit der PEG-Sonde laufe häufig etwas daneben, so dass der Kläger gesäubert werden müsse. Die Nassrasur bedürfe ca. 10 Minuten, für das An- und Auskleiden sei ein größerer Pflegebedarf als 25 Minuten wegen erheblicher Bewegungseinschränkungen erforderlich. Regelmäßig bedürfe der Kläger nächtlich der Hilfe, da er nachts Stuhl absetze und unter häufigen Hustenanfällen leide, was zu Umlagerungen führe.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 24.06.2003 abzuändern und den Widerspruchsbescheid vom 08.12.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen der Pflegestufe III seit 01.03.2003 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung u. a. auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und zwei Gutachten des MDK nach Aktenlage vom 17.08.2004 und 29.06.2004 sowie vom 28.03.2006, wonach ein Pflegebedarf für die Pflegestufe III nicht erreicht werde.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung eines Befundberichts des Hausarztes des Klägers Dr. C. vom 01.06.2004 und durch Einholung eines Pflegegutachtens von Amts wegen bei Dr. D. vom 22.01.2005, wonach ein Grundpflegebedarf von 211 Minuten bestehe. Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht ferner ein Pflegegutachten bei Dr. E. vom 29.12.2005 eingeholt, wonach ein Grundpflegebedarf von 403 Minuten bestehe. Schließlich hat das Gericht eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. D. vom 06.06.2006 eingeholt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Beklagtenakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen nach der Pflegestufe III des SGB XI. Der Bescheid der Beklagten vom 24.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2003 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) haben Pflegebedürftige bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Sie können gemäß § 37 Abs. 1 SGB XI anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Der Anspruch setzt voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellt.
Gemäß § 14 Abs. 1 SGB XI sind pflegebedürftig im Sinne dieses Buches Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Laufe des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe III mindestens 5 Stunden betragen, hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens 4 Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI).
Diese Voraussetzungen sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts nicht gegeben. Der Kläger ist nicht schwerstpflegebedürftig im Sinne des SGB XI.
Dies steht auf der Grundlage des Gerichtssachverständigengutachtens des Dr. D. fest.
Danach bedarf der Kläger der täglichen Hilfe im Bereich der Körperpflege von 137 Minuten, im Bereich der Ernährung von 20 Minuten im Bereich der Mobilität von 54 Minuten im Wochendurchschnitt. Mithin besteht ein Pflegebedarf des Klägers für den Bereich der Grundpflege von 211 Minuten täglich im Wochendurchschnitt. Die Ausführungen des Gerichtssachverständigen sind nachvollziehbar und berücksichtigen den gesundheitlichen Zustand und die Fähigkeiten des Klägers nachvollziehbar. So führt der Gerichtssachverständigen u. a. auch aus, dass der von der Pflegeperson des Klägers angegebene tägliche Zeitaufwand für Pflegemaßnahmen nicht korrekt ermittelt ist, da zahlreiche nicht auf die Grundpflege anrechenbare Zeiten aufgeführt sind. Auf die Ausführungen des Gerichtssachverständigen auf Bl. 14 seines Gutachtens wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Dem Gutachten des Dr. D. steht das gemäß § 109 SGG auf Antrag des Klägers eingeholte Gutachten des Dr. E. vom 29.12.2005 entgegen, der einen Grundpflegebedarf von insgesamt 403 Minuten (Körperpflege 250 Minuten, Ernährung 30 Minuten, Mobilität 123 Minuten) täglich im Wochendurchschnitt ermittelt. Dr. E. begründet die Abweichung von den Feststellungen des Dr. D. damit, dass pflegeerschwerende Faktoren nicht berücksichtigt seien und stützt dies einerseits auf seine Auffassung, Ernährung über PEG-Sonde stelle keine Pflegeerleichterung dar, und auch die fehlende Fähigkeit, Wünsche und Bedürfnisse zu äußern, sei pflegeerschwerend. Dem Gerichtssachverständigen Dr. E. kann insoweit jedoch nicht gefolgt werden, als auch Dr. D. die fehlende Fähigkeit, Wünsche und Bedürfnisse zu äußern, berücksichtigt hat, die PEG-Sonde zwar keine Pflegeerleichterung als solche darstellt, jedoch die Berücksichtigung des Grundpflegebedarfs im Bereich der Ernährung entsprechend den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegbedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches – Begutachtungs-Richtlinien (BRi) auf 20 Minuten gemäß dem Sachverständigengutachten des Dr. D. nachvollziehbar ist, da die Fähigkeitsstörung des Klägers im Bereich der Nahrungsaufnahme hierbei einerseits ausreichend berücksichtigt wird und andererseits naturgemäß durch die Verabreichung der Nahrung durch die Sonde ein geringerer Grundpflegebedarf entsteht als durch die Nahrungsaufnahme oral, insbesondere dann, wenn ggf. ein Füttern notwendig wäre.
Das Gerichtssachverständigengutachten des Dr. E. ist jedoch für das Gericht insbesondere deshalb nicht nachvollziehbar, weil er als pflegeerschwerenden Faktor eine hochgradige Spastik mit Einsteifung großer Gelenke aufführt, jedoch aus seinem Gutachten nicht ersichtlich ist, ob er bei der Bemessung des Pflegebedarfs von den tatsächlichen pflegebegründenden Erkrankungen des Klägers ausgegangen ist, da Dr. E. offenbar auf S. 15 seines Gutachtens (Bl. 100 der Gerichtsakte) die linke und die rechte Körperhälfte verwechselt, indem er ausführt, dass eine massive Spastik im linken Arm und im linken Bein bestehe, wohingegen die Spastik tatsächlich jedoch - dies ergibt sich auch aus dem Gutachten des Dr. D. wie auch aus den sonstigen medizinischen Unterlagen - die rechte Körperhälfte betrifft. Warum der Gerichtssachverständige Dr. E. bei der Einschätzung des Hilfebedarfs unberücksichtigt lässt, dass die grobe Kraft links den Umständen entsprechend normal ist und der Kläger entsprechend durchaus noch in gewissem Rahmen insbesondere die linke Hand und den linken Arm gebrauchen kann, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. In der ergänzenden Stellungnahme vom 06.06.2006 erklärt der Gerichtssachverständige D. demgegenüber schlüssig, warum die Spastik der rechten Körperhälfte nicht zu einem gegenüber seinem Gutachten höheren Pflegeaufwand führen kann. Dies begründet er insbesondere damit, dass im Bereich des Waschens und insbesondere auch im Bereich des Be -und Entkleidens es hier wesentlich darauf ankommt, dass Hilfeleistungen sachgerecht vollzogen werden, z. B. dadurch, dass zunächst die von der Spastik betroffene Seite bekleidet wird.
Ferner kann dem Gerichtssachverständigen Dr. E. auch insoweit nicht gefolgt werden, als er das Absondern und Absaugen von Schleim bzw. die Reinigung des beim Kläger vorhandenen Tracheostomas als pflegeerschwerenden Faktor wertet. Er lässt er unberücksichtigt, dass die Schleimabsonderung zum Teil vom Kläger selbst durch Abwischen bzw. Ausspucken entfernt werden kann und andererseits verkennt der Gerichtssachverständige, dass es sich beim Absaugen und der Reinigung des Tracheostomas nicht um Grundpflegebedarf handelt. Es handelt sich hierbei um krankheitsspezifische Hilfeleistungen, die nicht der Grundpflege zugeordnet werden können.
Krankheitsspezifische Maßnahmen sind zwar nicht von vorneherein schon deshalb aus dem berücksichtigungsfähigen Pflegebedarf ausgeschlossen, weil die Behandlungspflege der Krankenversicherung zuzuordnen ist. Sie zählen jedoch nur dann zu dem nach § 14 SGB XI zu berücksichtigen Pflegebedarf, wenn und soweit sie Bestandteil der Hilfe für die sogenannten Katalogverrichtungen sind oder im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Hilfe erforderlich werden. Krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen sind dann Bestandteil einer Verrichtung, wenn sie mit ihr untrennbar verbunden sind, wie dies etwa bei der Sondenernährung und der Stomaversorgung (Darmentleerung) der Fall ist. Ein zeitlicher Zusammenhang mit einer Verrichtung reicht nur dann aus, wenn die zeitgleiche Durchführung der krankheitsspezifischen Maßnahme mit der Verrichtung - wie etwa mit einem Pflegebedarf und anschließender Hautbehandlung bei einem Neurodermitispatienten - objektiv erforderlich ist. Auch die Berücksichtigung solcher Hilfeleistungen kommen danach nicht in Betracht, die der Aufrechterhaltung von Vitalfunktionen dienen, soweit Maßnahmen nicht notwendig im zeitlichen Zusammenhang mit einer der im Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI ausgeführten Verrichtung durchgeführt werden muss (vgl. BSG, Urteil vom 29.04.1999, B 3 P 12/98 R).
Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des § 14 Abs. 4 i. V. m. § 14 Abs. 1 SGB XI sind
1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung,
3. im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen oder Wiederaufsuchen der Wohnung,
4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.
Zu diesen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen gehören das Absaugen des Schleims und das Reinigen des Tracheostomas des Klägers, obwohl sie der Aufrechterhaltung seiner Vitalfunktionen dienen, offensichtlich nicht. Dies ergibt sich auch aus den Gutachten der beiden Gerichtssachverständigen, die durchaus beschreiben, dass ein häufiges Absaugen erforderlich ist. Jedoch ist ein unmittelbarer Zusammenhang mit den Katalogleistungen des § 14 Abs. 4 SGB XI nicht erkennbar, genauso wenig wie ein zeitlicher Zusammenhang mit einer dieser Verrichtungen.
Nach alledem muss auch ein entsprechender Pflegebedarf für das Absaugen des Schleims und das Reinigen des Tracheostomas für die Bewertung des Pflegebedarfs unberücksichtigt bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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