L 3 R 95/07

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 15 RJ 340/04
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 95/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. April 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Regelaltersrente unter Anerkennung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) streitig.

Der am XX.XXXXXXXXX 1927 in B. geborene Kläger ist in den 50er Jahren in die Vereinigten Staaten von Amerika ausgewandert und besitzt die amerikanische Staatsangehörigkeit. Er hat ein Entschädigungsverfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) beim Entschädigungsamt Berlin durchgeführt und ist als Verfolgter nach dem BEG anerkannt. Nach dem Inhalt der Entschädigungsakten wurde der Kläger am 28. Oktober 1938 zusammen mit seinen in Polen geborenen Eltern nach Bentschen /Polen ausgewiesen. Von dort aus ging die Familie nach Krakau, wo der Kläger am 10. Januar 1941 verhaftet und in das Lager Krakau verbracht wurde. Anschließend war er in der Zeit bis 21. Januar 1945 in den Konzentrationslagern (KZ) Plaszow, Skarzysk und Gleiwitz inhaftiert. Die Gesamtzeit der Inhaftierung wurde im Entschädigungsverfahren durch eidesstattliche Versicherungen der Zeugen J. M. und T. L. bestätigt. Der Kläger gab im Entschädigungsverfahren unter anderem an, in den Lagern trotz seiner Jugend mit allerschwersten Arbeiten bei der Bahn und im Straßenbau beschäftigt worden zu sein. Infolge seiner Jugend habe er genaue Daten zu den einzelnen Lagern nicht behalten.

Am 25. Juni 2003 beantragte der Kläger die Gewährung einer Regelaltersrente für die Arbeiten, die er im Ghetto geleistet habe. Er gab an, während seiner Aufenthalte von 1938 bis 1945 in Bentschen, Krakau, KZ Plaszow, KZ Skarzyski und KZ Gleiwitz habe er als Schlosser- und Tischlerhelfer sowie beim Entladen von Eisenbahnen mit Holz und Kohle gearbeitet und manchmal mehr Essen für gute Arbeit erhalten. Ihm sei ständig kalt gewesen und er habe immer Hunger gehabt. Ärztliche Hilfe habe es nicht gegeben. Genaue Daten seiner einzelnen Stationen könne er nicht mehr benennen. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag nach Beiziehung und Auswertung der Entschädigungsakten mit Bescheid vom 23. Oktober 2003 und Widerspruchsbescheid vom 2. März 2004 ab. Aus den Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren gehe nicht hervor, dass er eine Beschäftigung in einem Ghetto aus freiem Willensentschluss und gegen Entgelt ausgeübt habe. Zwar habe er sowohl im Entschädigungs- als auch im Rentenverfahren angegeben, als Schlosser- und Tischlerhelfer gearbeitet und Eisenbahnen mit Holz und Kohlen entladen zu haben, jedoch könne er sich insoweit nicht mehr an genaue Zeitpunkte erinnern. Der Bezug von Entgelt oder Sachbezügen im wesentlichen Umfang lasse sich seinen Angaben nicht entnehmen.

Mit seiner gegen diese Entscheidung am 22. März 2004 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt und zusätzlich unter anderem vorgetragen, nach der Abschiebung aus B. nach Polen habe er in der Küche arbeiten müssen und dafür mehr Essen erhalten. Es sei dort genau so wie in einem Ghetto gewesen. Seine Eltern hätten ihn, als er von ihnen getrennt worden sei, "unterrichtet", sich "immer freiwillig zu melden, weil alle Kinder vergast wurden". Daher sei er öfters mit dem Tischler mitgegangen und habe diesem geholfen, seine Werkzeuge zu tragen. Ebenso sei es mit dem Schlosser gewesen. Er habe auch beim Säuberungskommando gearbeitet und "den Schlauch bedient".

Auf Aufforderung des Sozialgerichts, detailliert zu Arbeiten in Bentschen und Krakau vorzutragen, hat der Kläger geantwortet, sich an Daten nicht mehr erinnern zu können. Zur weiteren Sachaufklärung hat das Sozialgericht die Auskunft des Märtylogischen Museums Zabikowo vom 21. August 2006 eingeholt und das Buch von Jerzy Tomaszewski "Auftakt zur Vernichtung, Die Vertreibung polnischer Juden aus Deutschland im Jahre 1938" (fibre Verlag, Osnabrück 2002) sowie das Gutachten von Prof. Dr. G. vom 9. September 2005 "Die historischen Verhältnisse in den deutsch besetzten Gebieten Osteuropas und die Lage der jüdischen Bewohner dieser Gebiete, hier Region Generalgouvernement – insbesondere die Ghettos in Krakau, Warschau und Lemberg" beigezogen, auf deren Inhalt verwiesen wird.

Durch Urteil vom 5. April 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung von Regelaltersrente, weil er die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt habe, da für ihn weder Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge noch insbesondere solche Beiträge vorliegen, die für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gemäß § 2 Abs. 1 ZRBG als gezahlt gelten. Die für derartige Beiträge erforderlichen Zeiten der aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung gegen Entgelt des Klägers in einem Ghetto, in dem sich dieser zwangsweise aufgehalten hat, seien weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Wegen der teilweise uneinheitlichen, insbesondere aber wenig präzisen Angaben des Klägers im Entschädigungs-, Verwaltungs- und Klageverfahren sei es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger in einem Ghetto aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt beschäftigt war. Zwar stimmten seine Angaben bezüglich der Abschiebung aus B. nach Bentschen mit den historischen Erkenntnissen überein, jedoch lasse sich aufgrund insoweit widersprüchlicher Angaben nicht feststellen, wie lange sich der Kläger in Bentschen aufgehalten habe. Unabhängig davon habe es in Bentschen nach allen historischen Erkenntnissen zu keiner Zeit ein Ghetto gegeben. Zwar könne davon ausgegangen werden, dass der Kläger nach seinem Aufenthalt in Bentschen nach Krakau gelangt sei. Dies müsse allerdings bereits vor der dortigen Ghettoeröffnung im März 1941 geschehen sein. Selbst wenn er im März 1941 in das Ghetto habe übersiedeln müssen, sei es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass er im Krakauer Ghetto einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss nachgegangen sei, zumal die Angaben des Klägers insoweit äußerst karg seien.

Gegen das am 14. Mai 2007 übersandte Urteil hat der Kläger am 30. Mai 2007 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, er sei sehr enttäuscht über das Urteil. Er sei von 1938 bis 1941 im KZ, nicht frei, immer hungrig und auch krank gewesen. Einen Arzt habe es nicht gegeben.

Der Kläger beantragt nach dem gesamten Inhalt der Akten, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. April 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Regelaltersrente unter Anerkennung von Zeiten einer Beschäftigung nach dem ZRBG zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. April 2007 zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe die Klage zu Recht und mit zutreffenden Gründen abgewiesen. In der Berufungsbegründung würden keine neuen Tatsachen dargelegt werden, die Zweifel an der Entscheidung des Sozialgerichts begründen könnten. Vielmehr würden die Angaben des Klägers im Berufungsschriftsatz bestätigen, dass eine aus freiem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt im Ghetto nicht glaubhaft sei.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 14. Dezember 2010 aufgeführten Akten und Unterlagen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG) des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, da die Bescheide der Beklagten betreffend die Ablehnung der Gewährung einer Regelaltersrente auch zur Überzeugung des erkennenden Senats rechtmäßig sind.

Zutreffend hat das Sozialgericht in seiner Entscheidung dargelegt, dass die für einen Anspruch auf Regelaltersrente gemäß § 35 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) erforderliche allgemeine Wartezeit nicht erfüllt ist, weil keine nach § 51 SGB VI anrechenbaren Versicherungszeiten vorliegen. Dabei ist das Sozialgericht zu Recht davon ausgegangen, dass es an den erforderlichen Beitragszeiten fehlt, weil für den Kläger unstreitig weder Pflichtbeiträge noch freiwillige Beiträge vorliegen und auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI), hier insbesondere Zeiten für eine Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto (§ 2 Abs. 1 ZRBG) weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht sind. Nicht zu beanstanden ist, dass das Sozialgericht unter Berücksichtigung aller Angaben des Klägers im Entschädigungs- und Rentenverfahren sowie des Ergebnisses der durchgeführten Ermittlungen und der zugänglichen historischen Erkenntnissees es nicht für überwiegend wahrscheinlich gehalten und damit nicht als glaubhaft gemacht angesehen hat, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG in der Form erfüllt, dass er während des zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto aus eigenem Willensentschluss eine Beschäftigung gegen Entgelt aufgenommen und ausgeübt hat. Zutreffend hat das Sozialgericht insoweit dargelegt, dass zwar glaubhaft gemacht ist, dass der Kläger am 28. Oktober 1938 nach Bentschen abgeschoben wurde und sich dort vermutlich bis Ende 1939 aufgehalten hat, andererseits aber feststeht, dass es in Bentschen jedenfalls in dem in Betracht kommenden Zeitraum kein Ghetto gegeben hat. Ebenfalls zu Recht hat das Sozialgericht in seiner angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass der Kläger nach seinen im Entschädigungsverfahren abgegeben Erklärungen sich spätestens am 10. Januar 1941 in Krakau aufgehalten hat, das dortige Ghetto aber erst im März 1941 eingerichtet wurde, und selbst wenn der Kläger sich ab diesem Zeitpunkt in dem Ghetto aufgehalten hätte, es wegen seiner kargen und unpräzisen Angaben nicht überwiegend wahrscheinlich ist, dass er aus eigenem Willensentschluss einer Beschäftigung gegen Entgelt nachgegangen ist. Der Senat schließt sich dieser Beurteilung des Sozialgerichts vollen Umfangs an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf dessen Ausführungen in den Entscheidungsgründen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren führt zu keiner anderen Entscheidung. Vielmehr hat bereits die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass die Formulierung im Berufungsschriftsatz, er sei von 1938 bis 1941 im KZ, nicht frei, immer hungrig und auch krank gewesen, mehr für einen Aufenthalt in einem (Zwangsarbeits- oder Konzentrations-)Lager als für eine aus freiem Willensentschluss aufgenommene Beschäftigung in einem Ghetto spricht. Dies steht im Einklang mit den Angaben des Klägers und den sonstigen Erkenntnissen im Entschädigungsverfahren. Ihnen ist zu entnehmen, dass sich der Kläger ab 10. Januar 1941 im "Lager Krakau" und anschließend im Konzentrationslager Plaszow aufgehalten hat. Dementsprechend sind ihm durch Vergleich vom 9. März 1953 auch Entschädigungsleistungen für Freiheitsentzug für den Zeitraum vom 10. Januar 1941 bis 21. Januar 1945 zuerkannt worden. Da nach den historischen Erkenntnissen das im Südosten von Krakau liegende spätere Konzentrationslager Plaszow bereits im Sommer 1940 ursprünglich als Zwangsarbeitslager unter dem offiziellen Namen "Zwangsarbeitslager Plaszow des SS- und Polizeiführers im Distrikt Krakau" gegründet worden war und bereits zu Beginn des Jahres 1941 die ersten jüdischen Gefangenen eingeliefert wurden (vgl. http://www.deathcamps.org/occupation/plaszow de.html; http://de.wikipedia.org/wiki/KZ Plaszow; http://de.wikipedia.org/wiki/Ghetto Krakau), erscheint es überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger nach seiner von ihm immer wieder hervorgehobenen Verhaftung am 10. Januar 1941 sogleich in diesem Zwangsarbeitslager inhaftiert wurde und somit gar nicht in dem erst im März 1941 eröffneten Ghetto Krakau gelebt hat. Für einen Aufenthalt in einem anderen Ghetto in der Zeit zwischen dem Verlassen von Bentschen und der Verhaftung am 10. Januar 1941 finden sich keinerlei Anhaltspunkte, so dass es schon an der Grundvoraussetzung für eine Anerkennung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto fehlt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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