L 5 AS 329/10

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 61 AS 2614/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 AS 329/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 27. September 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung der Nichtigkeit einer Anordnung des Beklagten.

Der im Jahre 1960 geborene Kläger bezieht vom Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem 2. Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Mit Schreiben vom 15. Juli 2010 lud der Beklagte den Kläger zu einem Gespräch am 22. Juli 2010 in das Jobcenter H.-W ... Gleichzeitig wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass, sollte er ohne wichtigen Grund der Ladung nicht Folge leisten, sein Arbeitslosengeld II abgesenkt werde. Mit Schreiben vom 19. Juli 2010 legte der Kläger gegen die Meldeaufforderung Widerspruch ein. Gleichzeitig hat er beim Sozialgericht Hamburg um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und – so ausdrücklich – Nichtigkeitsfeststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Bezug auf die Meldeaufforderung erhoben.

Den Antrag nach § 86b SGG lehnte das Sozialgericht mit Beschluss vom 21. Juli 2010 (S 61 AS 2613/10 ER) ab, der dem Kläger am 24. Juli 2010 zugestellt wurde.

Den Meldetermin am 22. Juli 2010 hat der Kläger beim Jobcenter tatsächlich wahrgenommen.

Die Nichtigkeitsfeststellungsklage hat der Kläger fortgeführt und zu ihrer Begründung geltend gemacht, die Meldeaufforderung sei wegen Verstoßes gegen seine Grundrechte aus Artikel 1, 2, 5, 11, 12, 17 und 19 Grundgesetz sowie gegen verschiedene völkerrechtliche Vereinbarungen und Grundsätze offensichtlich rechtswidrig und daher nichtig.

Mit Gerichtsbescheid vom 27. September 2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es könne offen bleiben, ob die vom Kläger erhobene Nichtigkeitsfeststellungsklage als solche zulässig sei. Sie sei jedenfalls unbegründet, weil nicht zu erkennen sei, dass die Meldeaufforderung vom 15. Juli 2010 nichtig sei. Nichtig sei ein Verwaltungsakt nach § 40 Abs. 1 10. Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leide und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich sei. Daran fehle es bei der Meldeaufforderung des Beklagten vom 15. Juli 2010. Sie finde ihre rechtliche Grundlage in § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 3. Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Die in ihr enthaltene Rechtsfolgenbelehrung gründe sich auf § 31 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Insbesondere sei nicht zu erkennen, dass die Meldeaufforderung gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das grundrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers verstoße. Ebenso wenig sei ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz erkennbar, weil die Meldepflicht aus § 59 SGB II grundsätzlich alle Bezieher von Arbeitslosengeld II treffe. Die übrigen Rechte, die der Kläger für verletzt halte, seien in ihrem Schutzbereich durch die Meldeaufforderung nicht berührt. Ebenso wenig gebe es Anhaltspunkte für das Vorliegen von Nichtigkeitsgründen nach § 40 Abs. 2 SGB X.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts wurde dem Kläger am 1. Oktober 2010 zugestellt. Am 25. Oktober 2010 hat er Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er seine bisherige Argumentation wiederholt und vertieft. Aufgefordert, zu dem nach § 55 Abs. 1 SGG zu fordernden berechtigten Interesse an einer baldigen Feststellung vorzutragen, nachdem der 22. Juli 2010 verstrichen sei und er den Termin wahrgenommen habe, hat der Kläger ausgeführt, sein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung bestehe darin, dass ihm durch die Meldeaufforderung völkervertraglich verbriefte Rechte entzogen würden. Komme er der Ladung nach, stelle sich ein Zustand der Menschenrechtsverletzung ein. Auch könne er nicht darauf verwiesen werden, zukünftige Sanktionen nach § 31 SGB II erst abzuwarten.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 27. September 2010 aufzuheben und festzustellen, dass die Meldeaufforderung des Beklagten vom 15. Juli 2010 nichtig ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Anordnung.

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter im schriftlichen Verfahren erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der vom Antragsgegner vorgelegten Sachakten sowie auf den Inhalt der Prozessakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung.

Die nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 27. September 2010 ist zulässig. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Kläger kann nicht im Wege der Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG verlangen, dass die Nichtigkeit der Meldeaufforderung vom 15. Juli 2011 festgestellt werde. Es kann offenbleiben, ob die Zulässigkeit einer solchen Klage bereits an der für Feststellungsklagen grundsätzlich anzunehmenden Subsidiarität gegenüber Gestaltungs- und Leistungsklagen scheitert. Dem Kläger ist einzuräumen, dass dieser Grundsatz bei Nichtigkeitsfeststellungsklagen entsprechend der Wertung in § 43 Abs. 2 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung in den Hintergrund treten könnte. Einer näheren Untersuchung, ob dies auch für sozialgerichtliche Verfahren gilt, bedarf es jedoch nicht. Denn die Meldeaufforderung vom 15. Juli 2010 ist jedenfalls als Verwaltungsakt (vgl. § 39 Nr. 1 SGB II) nicht nichtig. Zu Recht hat das So-zialgericht die gesetzlichen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 SGB X verneint, wonach Nichtigkeit nur anzunehmen ist, soweit der Verwaltungsakt an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Hierfür gibt es keinen Anhalt. Vielmehr findet die Meldeaufforderung ihre gesetzliche Grundlage in § 59 SGB II, der auf die Vorschriften über die allgemeine Meldepflicht in § 309 SGB III verweist, wonach der Arbeitslose sich während der Zeit, für die er Anspruch auf Arbeitslosengeld erhebt, bei der Behörde persönlich zu melden oder zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen hat, wenn er dazu aufgefordert wird. Dass die hier streitige Meldeaufforderung Grundrechte des Klägers, insbesondere seine Menschenwürde oder sein allgemeines Persönlichkeitsrecht eklatant und offensichtlich verletzen könnte, vermag der Senat nicht zu sehen. Entsprechendes gilt für die vom Kläger genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen, sollten diese überhaupt unmittelbar individuelle Rechte begründet haben. In diesem Zusammenhang kann auch nicht daran vorbeigesehen werden, dass es sich selbst nach der neuen Gesetzesfassung (§ 39 SGB II) bei der Meldeaufforderung nicht um einen mit den üblichen Mitteln der Verwaltungsvollstreckung (Zwangsgeld, unmittelbarer Zwang und dergleichen) durchzusetzenden Verwaltungsakt handelt, vielmehr liegt der einzige Druck auf den Betroffenen in der möglichen Sanktion nach § 31 SGB II, wie dieser überhaupt nur so lange dem Regime des Rechts der Grundsicherung für Arbeitssuchende unterliegt, wie der selbst gegenüber der Behörde Leistungsansprüche erhebt.

Im Übrigen vermag der Senat das für die Nichtigkeitsfeststellungsklage zu fordernde berechtigte Interesse an einer baldigen Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsakts hier nicht zu erkennen. Der Besprechungstermin vom 22. Juli 2010 ist verstrichen, und der Kläger hat ihn wahrgenommen. Für diesen konkreten Termin wäre mit einer Feststellung der Nichtigkeit der Meldeaufforderung daher nichts mehr zu gewinnen. Auch die Über-legung des Klägers, er dürfe nicht der Gefahr der Sanktion ausgesetzt werden, führt nicht weiter, denn so, wie sich die Angelegenheit entwickelt hat, ist eine Sanktion wegen Verstoßes gegen die streitige Meldeaufforderung nicht mehr zu befürchten und anscheinend vom Beklagten auch nicht beabsichtigt. Ein grundrechts- oder sonstiger Menschenrechtsverstoß ist, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, nicht ersichtlich, ein entsprechender Makel der Meldeaufforderung daher auch nicht festzustellen. Kommt danach allenfalls eine Wiederholungsgefahr in Betracht, so führt diese hier nicht zu einem Feststellungsinteresse nach § 55 Abs. 1 SGG. Dass eine gleichartige Meldeaufforderung erlassen werden könnte, erscheint zwar nicht ausgeschlossen, dies ist jedoch nicht so wahrscheinlich, dass deswegen eine Aussage zur Rechtmäßigkeit der Meldeaufforderung vom 15. Juli 2010 getroffen werden müsste. Der Bezug von Leistungen nach dem 2. Buch Sozialgesetzbuch ist nach dem Willen des Gesetzes kein Dauerzustand, dem die Betroffenen über längere Zeit ausgesetzt sein sollen (vgl. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 SGB II). Vielmehr geht es gerade darum, diesen Zustand möglichst schnell zu beenden, womit auch die Wahrscheinlichkeit zu Maßnahmen beispielsweise nach § 59 SGB II sinkt. Im Übrigen stünden dem Kläger, sollte er abermals vorgeladen werden, die Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 1 SGG zur Verfügung. Auch deswegen besteht keine Notwendigkeit, bereits vorsorglich Feststellungen zur Rechtmäßigkeit solcher Ladungen zu treffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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