Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 10 R 437/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 63/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Streit.
Der am XXXXX 1962 geborene Kläger war von 1983 bis zum Jahr 2005, zuletzt im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, als Fahrer tätig. Er ist verheiratet mit der am XXXXX 1979 geborenen S.B., die als Krankenschwester arbeitet. Beide haben einen gemeinsamen Sohn, T., geboren am XXXXX 2006. Aus einer vorhergehenden Beziehung hat der Kläger noch einen heute 19-jährigen Sohn. Der Kläger leidet an einer hypohidrotischen ektodermalen Dysplasie (HED). Dieses Krankheitsbild wurde bei ihm erstmals im Juni 2009 in Gestalt einer p.G189V-Mutation im ED1-Gen definitiv festgestellt. Bei der HED handelt es sich um eine erbliche Erkrankung, die mit einer Hypoplasie der sich aus dem Ektoderm entwickelnden Organe (Haare, Zähne, Nägel, Drüsen) assoziiert ist. Neben einer Hypotrichose (verminderter Haarwuchs), einer Hypodontie (Zahnanlagestörung) und einer trockenen Haut ist die HED durch eine Hypo-/Anhydrose charakterisiert. Durch eine verminderte bzw. fehlende Fähigkeit zur Transpiration infolge der Schweißdrüsenhypo/aplasie ist die physiologische Wärmeabgabe über die Haut gestört. Betroffene können ihre Körpertemperatur schlecht regulieren und es besteht die Gefahr einer Überhitzung. Bei hohen Außentemperaturen und/oder bei aktiver körperlicher Belastung oder fieberhaften Erkrankungen kann dies zu einer lebensgefährlichen Hyperthermie, hyperosmolaren Dehydration und Krampfanfällen führen. Betroffenen wird daher geraten, diese Situationen zu vermeiden bzw. prophylaktische Maßnahmen in Gestalt ausreichender Flüssigkeitsversorgung, des Aufenthaltes in klimatisierten Räumen, kalter Umschläge, Einnahme fiebersenkender Medikamente zu ergreifen.
Am 5. August 2008 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung verwies er darauf, dass bei ihm eine ektodermale Dysplasie, eine Neurodermitis, ein Asthma und diverse Allergien vorlägen. Zudem besitze er nur wenige Schweißdrüsen. Die Beklagte holte einen Befundbericht des Arztes für Haut- und Geschlechtskrankheiten Dr. L. ein, welcher unter dem 19. Oktober 2008 angab, der Kläger sei bei ihm seit Juni 2000 unregelmäßig wegen eines atopischen Ekzems in Behandlung. Beschwerden bestünden in Gestalt leicht schuppender geröteter Hautveränderungen überwiegend an den großen Gelenkbeugen. Daraufhin ließ die Beklagte den Versicherten durch den Facharzt für Innere Medizin/Sozialmedizin Dr. E. am 30. September 2008 untersuchen und schriftlich begutachten. Anamnestisch stellte dieser in seinem Gutachten vom 22. Oktober 2008 fest, im Vordergrund der Beschwerden stehe Luftnot bei körperlicher Belastung. Außerdem trete drei bis fünfmal pro Nacht eine Störung der Nachtruhe durch Luftnot auf. Problematisch seien auch die Allergien, deretwegen der Kläger Berotec nehme. Aufgrund fehlender Schweißdrüsen könne er nur an Händen und Füßen schwitzen, nicht aber am Körper. Deshalb bekomme er Probleme bei Wärme, insbesondere wenn er sich bei Wärme körperlich anstrengen müsse. In derartigen Situationen sei er bereits mehrfach kurz vorm Kollaps gewesen und habe dann immer schnell in den Schatten gehen müssen. Dr. E. gab als Diagnosen ein atopisches Ekzem (Neurodermitis) in aktuell mäßiger Ausprägung mit Betonung der Beugeseiten von Ellenbogen- und Kniegelenken sowie ein leichtgradiges gemischtförmiges Asthma bronchiale unter optimierungsbedürftiger medikamentöser Behandlung und eine leichte Lungenfunktionseinschränkung an. Der Versicherte sei noch zur Erbringung körperlich mittelschwerer Arbeiten ohne inhalative Belastungen, ohne vermehrte Witterungsexposition, ohne vermehrte Feuchtbelastung der Haut, ohne Umgang mit hautreizenden Substanzen arbeitstäglich sechs Stunden und mehr in der Lage. Er könne unter großstädtischen Verhältnissen viermal täglich eine einfache Wegstrecke von mehr als 500 m innerhalb von 20 Minuten zurücklegen.
Mit Bescheid vom 4. November 2008 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliege. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und wies darauf hin, dass weder die Schwere seiner Erkrankungen noch diese in ihrer Gesamtheit berücksichtigt worden seien. Insbesondere sei nicht auf das bei ihm vorliegende ektodermale Dysplasiesyndrom eingegangen worden, durch welches er seinen Temperaturhaushalt nur eingeschränkt regulieren und es zu einer lebensbedrohlichen Überhitzung kommen könne. Da sein bisheriger Hautarzt sich mit dieser Erkrankung nicht hinreichend auskenne, habe er zwischenzeitlich den Arzt gewechselt. Daraufhin forderte die Beklagte bei dem neuen Behandler des Klägers einen Befundbericht an. Professor Dr. M. teilte am 6. Februar 2009 mit, dass der Kläger an einem ektodermalen Dysplasiesyndrom und einer Neurodermitis leide. Es liege eine ausgeprägte Hauttrockenheit und eine Einschränkung des Schwitzvermögens vor. Es sei deshalb in der A. Klinik S. am 16. Januar 2009 ein Schweißtest durchgeführt worden, auf welchen er Bezug nehme. Dort wird das Schwitzvermögen mit Anhidrosis Capillitum und palmplantarer Normhidrosis angegeben. In einer daraufhin von der Beklagten eingeholten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 11. Februar 2009 vertrat der Facharzt für Innere Medizin/Sozialmedizin Dr. F. die Auffassung, dass nach neuester Erkenntnis bei dem Kläger eine hypohidrotische ektodermale Dysplasie vorliege und deshalb sein Leistungsvermögen auf leichte und nur gelegentlich mittelschwere Arbeiten reduziert sei, wobei auch Arbeiten mit erhöhter Raumtemperatur auszuschließen seien. Entsprechende Arbeiten könnten aber sechs Stunden und mehr täglich verrichtet werden.
Der Kläger hat, nachdem sein Widerspruch mit Bescheid vom 27. April 2009 zurückgewiesen worden war, fristgerecht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, er sei nicht in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies folge aus der Gesamtschau der bei ihm vorliegenden Erkrankungen. Die Beklagte habe sich nicht hinreichend mit dem Krankheitsbild der ektodermalen Dysplasie auseinandergesetzt. Wegen dieser Erkrankung sei er lediglich noch für höchst spezialisierte Arbeitsplätze geeignet. Diese hätten entsprechende klimatechnische und lufttechnische Voraussetzungen zu erfüllen. Auch müsse ihm mehrmals täglich die Möglichkeit eingeräumt werden, sowohl seine Augen als auch seine Haut zu pflegen. In den Sommermonaten sei er bei hohen Temperaturen auch nicht mehr in der Lage, während der Hauptverkehrszeit öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und er könne nicht viermal täglich Wegstrecken von mehr als 500 m zu Fuß zurücklegen. Zwar verfüge er zusammen mit seiner Ehefrau über einen Pkw. Dieser aber werde von der Ehefrau genutzt, die ihn für ihren Arbeitsweg benötige. Das Sozialgericht hat weitere Befundberichte eingeholt und Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Hautarztes/Allergologen Dr. K ... Dieser ist in seinem schriftlichen Gutachten vom 22. März 2010 nach Untersuchung des Klägers zu der Einschätzung gelangt, dass jener lediglich noch leichte Arbeiten durchschnittlicher geistiger Art und durchschnittlicher Verantwortung überwiegend im Sitzen ausüben könne. Tragen, Heben und Bücken seien sehr stark eingeschränkt. Zeitdruck, Akkord-Schichtarbeit und Nachtarbeit sollten weitestgehend gemieden werden. Die Arbeit solle in geschlossenen Räumen durchgeführt werden. Einflüsse von Witterung, Staub und Dämpfen sollten ebenso wie Arbeiten an gefährdenden Arbeitsplätzen gemieden wird. Dem Kläger müsse die Gelegenheit eingeräumt werden, mehrmals täglich seine Haut zu pflegen. Entsprechende Tätigkeiten könne er aber vollschichtig verrichten. Öffentliche Verkehrsmittel könnten während der Hauptverkehrszeit, insbesondere in den Sommermonaten bei hohen Temperaturen nicht benutzt werden. Es sei auch von einer erheblichen Gesundheitsgefährdung auszugehen, wenn viermal täglich Wegstrecken von mehr als 500 m zu Fuß zurückgelegt werden müssten. Dies gelte insbesondere in der Sommerzeit. Nachdem die Beklagte unter Hinweis auf eine Stellungnahme ihres sozialmedizinischen Dienstes, wonach sich bereits aus der Erwerbsanamnese des Klägers ergebe, dass er in der Vergangenheit durchaus als Kraftfahrer habe arbeiten können und ferner, dass im Rahmen des in der A. Klinik S. durchgeführten Schweißtests sich ergeben habe, dass die Schweißproduktion an Händen und Füßen normal und nur am behaarten Kopf gestört sei, so dass es ausreichend Arbeitsplätze gebe, an denen der Kläger mit dem festgestellten Leistungsvermögen wettbewerbsfähig tätig sein könne und eine konkrete Benennung eines Arbeitsplatzes nicht erforderlich sei, hat das Gericht eine ergänzende Stellungnahme von Dr. K. eingeholt. Dieser hat am 4. Februar 2011 ausgeführt, dass für den Kläger – insbesondere in den Sommermonaten bei hochsommerlichen Temperaturen – eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit angenommen werden müsse, wenn er täglich viermal Wegstrecken von mehr als 500 m zu Fuß zurücklegen müsse.
Durch Urteil vom 21. Februar 2011 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides verurteilt, dem Kläger ab dem 1. September 2008 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, weil dieser zwar noch in der Lage sei, leichte körperliche Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, ihm aber wegen fehlender Wegefähigkeit der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen sei. Denn er könne nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr. K. bei hohen Außentemperaturen keine öffentlichen Verkehrsmitteln nutzen und auch nicht die nach der Rechtsprechung zugrundezulegenden Fußwege von mehr als 500 m viermal täglich zurücklegen. Auch könne er einen Arbeitsplatz nicht mithilfe eines Kraftfahrzeugs erreichen. Denn der PKW der Familie müsse von der Ehefrau genutzt werden, die wegen ihrer Schichttätigkeit auf das Fahrzeug angewiesen sei. Die Entscheidung, auf welche ergänzend Bezug genommen wird, ist der Beklagten am 19. April 2011 zugestellt worden.
Die Beklagte hat am 5. Mai 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie unter Hinweis auf eine entsprechende Stellungnahme ihres sozialmedizinischen Dienstes vor, es sei nicht aktenkundig, dass der Versicherte in der Vergangenheit den Notfall einer Überhitzung bereits einmal erlitten habe. Ein anerkanntes Verfahren zur Messung des körperlichen Leistungsvermögens gebe es bei Hypohidrose nicht. Die Aufhebung der Wegefähigkeit sei durch keine objektive Untersuchung nachgewiesen. Durch bestimmte Verhaltensmaßnahmen (Vorsicht bei körperlicher Betätigung, kaltes Duschen, Vermeidung heißer Speisen und Getränke) könne eine Überhitzung aber vermieden werden. Es werde auch als rechtlich problematisch angesehen, aufgrund ungewisser klimatischer Verhältnisse eine Rente zuzusprechen. Insoweit müsse der hiesige Sommer bezüglich seiner Temperaturwerte relativiert werden. Eine Dauer von mehr als einem halben Jahr habe er jedenfalls nicht. Damit würde die fehlende Wegefähigkeit keinesfalls einen rentenrechtlich relevanten Zeitraum von mindestens einem halben Jahr betreffen. Überdies habe der Kläger ohne Probleme die Sommermonate an den früheren Arbeitsplätzen überstanden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die langjährige Ausübung einer Tätigkeit ein Indiz dafür, dass diese verrichtet werden könne. Dies müsse auch für die Zurücklegung des Arbeitsweges gelten. Eine Verschlechterung des Leidens werde nicht geltend gemacht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Februar 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er behauptet, ihm sei der Arbeitsmarkt wegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. wegen schwerer spezifischer Behinderungen verschlossen. Soweit vorgetragen werde, es seien Fälle der Überhitzung bisher nicht dokumentiert, sei darauf zu verweisen, dass er stets Situationen vermeide, die zu einem Temperaturanstieg oder einer Überhitzung führen könnten. Er unterlasse es deshalb, mit seinem Sohn zu spielen oder gar zu toben. Auch sei die Wegefähigkeit nicht nur im Sommer herabgesetzt. In den Wintermonaten führe körperliche Anstrengung ebenfalls zu einem Temperaturanstieg.
Das Berufungsgericht hat den medizinischen Sachverständigen Dr. K. um eine ergänzende schriftliche Stellungnahme zu dem Berufungsvorbringen gebeten. Er führt unter dem 11. Januar 2012 aus, es gebe in der Tat kein anerkanntes Verfahren, mit der eine Gehstreckenminderung bei Hypohidrose objektiv festgestellt werden könne. Allerdings ließe sich sagen, dass Kinder, welche unter dieser Erkrankung litten, ärztlicherseits vom Schulsport befreit würden. Auch habe der Kläger, welcher seine Jugend in Heimen verbracht habe, ihm berichtet, dass er seinerzeit beim Fußballspielen sehr wohl Kreislaufdysregulationen erlitten habe und bei hochsommerlichen Temperaturen auch vom Sport befreit worden sei. Kreislaufdysregulationen habe er auch während der Wintermonate in überheizten Klassenräumen erlitten. Jedoch habe unter den Bedingungen, unter denen er seine Jugend verbracht habe, niemand weiter Notiz von seinen Beschwerden genommen. Wolle man – so der Sachverständige – nun bei einem Erwachsenen die Grenze der Belastbarkeit bis zur Auslösung von Fieberkrämpfen ausloten, dann hieße dies zu Lasten der körperlichen Gesundheit ein Menschenexperiment zu veranstalten. Man werde dem Kläger nach allem eine erhebliche gesundheitliche Gefährdung attestieren müssen, wenn er viermal täglich Wegstrecken von mehr als 500 Metern zu Fuß zurücklegen müsse, insbesondere bei hohen Temperaturen.
Das Berufungsgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung zunächst den Kläger zu den Einschränkungen seines Leistungsvermögens befragt, die sich aufgrund des festgestellten Krankheitsbildes für ihn im täglichen Leben ergeben. Hierzu hat sich der Senat beschreiben lassen, wie der Kläger den Weg zum Gericht zurückgelegt hat und welche Verrichtungen er im Haushalt und bei der Betreuung seines Sohnes Tim durchführt. Auf der Grundlage dieser Erhebungen hat der medizinische Sachverständige Dr. K. sein schriftliches Gutachten vor dem Senat erläutert.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift, wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts unterliegt der Aufhebung. Die Klage musste abgewiesen werden. Denn dem Kläger steht eine Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) nicht zu. Das Berufungsgericht hat sich ebenso wenig wie zuvor schon die Beklagte und anders als das Sozialgericht davon überzeugen können, dass der Kläger, der Berufsschutz offenkundig nicht genießt, voll oder teilweise erwerbsgemindert ist. Denn er besitzt nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) ein vollschichtiges, d.h. mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen. Dies schließt die Annahme von Erwerbsminderung aus (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Insoweit ist bereits das Sozialgericht in Übereinstimmung mit dem medizinischen Sachverständigen Dr. K. zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger trotz der bei ihm festgestellten Einschränkungen des Leistungsvermögens in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes täglich mindestens sechs Stunden erwerbstätig zu sein. Dies wird bestätigt durch die Schilderungen, die der Kläger gegenüber dem Senat aus seinem täglichen Leben gegeben hat. Danach ist er ohne Beeinträchtigung seiner Gesundheit in der Lage, leichte hauswirtschaftliche Tätigkeiten zu verrichten. Diese Einschätzung wird erneut bestätigt durch die jüngsten Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. K., wonach der Versicherte noch leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen vollschichtig ausführen kann, sofern er keinen Einflüssen der Witterung, keinem Staub und keinerlei inhalativen Stoffen ausgesetzt ist. Derartige Voraussetzungen erfüllt aber jeder Arbeitsplatz in der modernen Fertigung von Kleinteilen. Arbeitsplätze in diesem Bereich stehen – dies ist allgemeinkundig – in hinreichender Menge zur Verfügung. Neben den tariflichen Pausen können die Beschäftigten dort auch über persönliche Verteilzeiten verfügen, in denen der Kläger seine Haut sowie seine Augen pflegen könnte.
Der Kläger kann einen derartigen Arbeitsplatz im Regelfall auch ohne Gefährdung seiner Gesundheit erreichen. Auch dies ergibt sich aus seinen Schilderungen gegenüber dem Senat. Danach hat er nicht nur die Gerichtsstelle mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufgesucht, sondern auch einen deutlich mehr als 500 m messenden Fußweg in angemessener Zeit ohne Probleme zurückgelegt. Er hat überdies beschrieben, dass er auch bei anderen Gelegenheiten – so etwa auf dem Weg zum Kindergarten seines Sohnes – öffentliche Verkehrsmittel benutzt und hierzu die erforderlichen Fußwege zurücklegt, ohne dass es im Regelfall zu gesundheitlichen Störungen kommt. Wenn der Kläger davon berichtet, dass er einmal – bei einem sommerlichen Besuch des Hamburger Doms, den er mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufgesucht hat – den Weg unterbrechen musste, um sich abzukühlen, und wenn er weiter berichtet, dass ihm bei sommerlichen Temperaturen im Bus schon gelegentlich unwohl geworden ist, so dass er die Fahrt zur Abkühlung unterbrechen musste, so belegt dies das Vorliegen von Wegefähigkeit im Sinne der Rentenversicherung. Denn die Anzahl derjenigen Tage, an denen der Kläger auf dem Weg zu einer Beschäftigung derart in gesundheitliche Schwierigkeiten geraten würde, weil seine Körpertemperatur auf einen gefährlichen Wert steigt, so dass sich ein Zwang zum zwischenzeitlichen Abkühlen und hieraus folgend eine Verspätung oder womöglich in Fällen extremer Hitze sogar die Unfähigkeit ergibt, die Arbeitsstelle aufzusuchen, ist nach seinem eigenen Vorbringen und mit Blick auf die in hiesigen Breiten vorherrschende Wetterlage auf wenige Tage im Jahr beschränkt. Damit hält sich der Ausfall aber im Rahmen einer Arbeitsunfähigkeit wegen vorübergehender Erkrankung. Eine Erwerbsminderung wegen fehlender Wegefähigkeit ist hieraus nicht abzuleiten. Auch dies steht im Einklang mit den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. K., der vor dem Senat mit Blick auf die Schilderungen des Klägers eingeräumt hat, dass dieser im Regelfall einen Arbeitsplatz im Sinne der Wegefähigkeit wird erreichen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Streit.
Der am XXXXX 1962 geborene Kläger war von 1983 bis zum Jahr 2005, zuletzt im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, als Fahrer tätig. Er ist verheiratet mit der am XXXXX 1979 geborenen S.B., die als Krankenschwester arbeitet. Beide haben einen gemeinsamen Sohn, T., geboren am XXXXX 2006. Aus einer vorhergehenden Beziehung hat der Kläger noch einen heute 19-jährigen Sohn. Der Kläger leidet an einer hypohidrotischen ektodermalen Dysplasie (HED). Dieses Krankheitsbild wurde bei ihm erstmals im Juni 2009 in Gestalt einer p.G189V-Mutation im ED1-Gen definitiv festgestellt. Bei der HED handelt es sich um eine erbliche Erkrankung, die mit einer Hypoplasie der sich aus dem Ektoderm entwickelnden Organe (Haare, Zähne, Nägel, Drüsen) assoziiert ist. Neben einer Hypotrichose (verminderter Haarwuchs), einer Hypodontie (Zahnanlagestörung) und einer trockenen Haut ist die HED durch eine Hypo-/Anhydrose charakterisiert. Durch eine verminderte bzw. fehlende Fähigkeit zur Transpiration infolge der Schweißdrüsenhypo/aplasie ist die physiologische Wärmeabgabe über die Haut gestört. Betroffene können ihre Körpertemperatur schlecht regulieren und es besteht die Gefahr einer Überhitzung. Bei hohen Außentemperaturen und/oder bei aktiver körperlicher Belastung oder fieberhaften Erkrankungen kann dies zu einer lebensgefährlichen Hyperthermie, hyperosmolaren Dehydration und Krampfanfällen führen. Betroffenen wird daher geraten, diese Situationen zu vermeiden bzw. prophylaktische Maßnahmen in Gestalt ausreichender Flüssigkeitsversorgung, des Aufenthaltes in klimatisierten Räumen, kalter Umschläge, Einnahme fiebersenkender Medikamente zu ergreifen.
Am 5. August 2008 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung verwies er darauf, dass bei ihm eine ektodermale Dysplasie, eine Neurodermitis, ein Asthma und diverse Allergien vorlägen. Zudem besitze er nur wenige Schweißdrüsen. Die Beklagte holte einen Befundbericht des Arztes für Haut- und Geschlechtskrankheiten Dr. L. ein, welcher unter dem 19. Oktober 2008 angab, der Kläger sei bei ihm seit Juni 2000 unregelmäßig wegen eines atopischen Ekzems in Behandlung. Beschwerden bestünden in Gestalt leicht schuppender geröteter Hautveränderungen überwiegend an den großen Gelenkbeugen. Daraufhin ließ die Beklagte den Versicherten durch den Facharzt für Innere Medizin/Sozialmedizin Dr. E. am 30. September 2008 untersuchen und schriftlich begutachten. Anamnestisch stellte dieser in seinem Gutachten vom 22. Oktober 2008 fest, im Vordergrund der Beschwerden stehe Luftnot bei körperlicher Belastung. Außerdem trete drei bis fünfmal pro Nacht eine Störung der Nachtruhe durch Luftnot auf. Problematisch seien auch die Allergien, deretwegen der Kläger Berotec nehme. Aufgrund fehlender Schweißdrüsen könne er nur an Händen und Füßen schwitzen, nicht aber am Körper. Deshalb bekomme er Probleme bei Wärme, insbesondere wenn er sich bei Wärme körperlich anstrengen müsse. In derartigen Situationen sei er bereits mehrfach kurz vorm Kollaps gewesen und habe dann immer schnell in den Schatten gehen müssen. Dr. E. gab als Diagnosen ein atopisches Ekzem (Neurodermitis) in aktuell mäßiger Ausprägung mit Betonung der Beugeseiten von Ellenbogen- und Kniegelenken sowie ein leichtgradiges gemischtförmiges Asthma bronchiale unter optimierungsbedürftiger medikamentöser Behandlung und eine leichte Lungenfunktionseinschränkung an. Der Versicherte sei noch zur Erbringung körperlich mittelschwerer Arbeiten ohne inhalative Belastungen, ohne vermehrte Witterungsexposition, ohne vermehrte Feuchtbelastung der Haut, ohne Umgang mit hautreizenden Substanzen arbeitstäglich sechs Stunden und mehr in der Lage. Er könne unter großstädtischen Verhältnissen viermal täglich eine einfache Wegstrecke von mehr als 500 m innerhalb von 20 Minuten zurücklegen.
Mit Bescheid vom 4. November 2008 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliege. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und wies darauf hin, dass weder die Schwere seiner Erkrankungen noch diese in ihrer Gesamtheit berücksichtigt worden seien. Insbesondere sei nicht auf das bei ihm vorliegende ektodermale Dysplasiesyndrom eingegangen worden, durch welches er seinen Temperaturhaushalt nur eingeschränkt regulieren und es zu einer lebensbedrohlichen Überhitzung kommen könne. Da sein bisheriger Hautarzt sich mit dieser Erkrankung nicht hinreichend auskenne, habe er zwischenzeitlich den Arzt gewechselt. Daraufhin forderte die Beklagte bei dem neuen Behandler des Klägers einen Befundbericht an. Professor Dr. M. teilte am 6. Februar 2009 mit, dass der Kläger an einem ektodermalen Dysplasiesyndrom und einer Neurodermitis leide. Es liege eine ausgeprägte Hauttrockenheit und eine Einschränkung des Schwitzvermögens vor. Es sei deshalb in der A. Klinik S. am 16. Januar 2009 ein Schweißtest durchgeführt worden, auf welchen er Bezug nehme. Dort wird das Schwitzvermögen mit Anhidrosis Capillitum und palmplantarer Normhidrosis angegeben. In einer daraufhin von der Beklagten eingeholten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 11. Februar 2009 vertrat der Facharzt für Innere Medizin/Sozialmedizin Dr. F. die Auffassung, dass nach neuester Erkenntnis bei dem Kläger eine hypohidrotische ektodermale Dysplasie vorliege und deshalb sein Leistungsvermögen auf leichte und nur gelegentlich mittelschwere Arbeiten reduziert sei, wobei auch Arbeiten mit erhöhter Raumtemperatur auszuschließen seien. Entsprechende Arbeiten könnten aber sechs Stunden und mehr täglich verrichtet werden.
Der Kläger hat, nachdem sein Widerspruch mit Bescheid vom 27. April 2009 zurückgewiesen worden war, fristgerecht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, er sei nicht in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies folge aus der Gesamtschau der bei ihm vorliegenden Erkrankungen. Die Beklagte habe sich nicht hinreichend mit dem Krankheitsbild der ektodermalen Dysplasie auseinandergesetzt. Wegen dieser Erkrankung sei er lediglich noch für höchst spezialisierte Arbeitsplätze geeignet. Diese hätten entsprechende klimatechnische und lufttechnische Voraussetzungen zu erfüllen. Auch müsse ihm mehrmals täglich die Möglichkeit eingeräumt werden, sowohl seine Augen als auch seine Haut zu pflegen. In den Sommermonaten sei er bei hohen Temperaturen auch nicht mehr in der Lage, während der Hauptverkehrszeit öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und er könne nicht viermal täglich Wegstrecken von mehr als 500 m zu Fuß zurücklegen. Zwar verfüge er zusammen mit seiner Ehefrau über einen Pkw. Dieser aber werde von der Ehefrau genutzt, die ihn für ihren Arbeitsweg benötige. Das Sozialgericht hat weitere Befundberichte eingeholt und Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Hautarztes/Allergologen Dr. K ... Dieser ist in seinem schriftlichen Gutachten vom 22. März 2010 nach Untersuchung des Klägers zu der Einschätzung gelangt, dass jener lediglich noch leichte Arbeiten durchschnittlicher geistiger Art und durchschnittlicher Verantwortung überwiegend im Sitzen ausüben könne. Tragen, Heben und Bücken seien sehr stark eingeschränkt. Zeitdruck, Akkord-Schichtarbeit und Nachtarbeit sollten weitestgehend gemieden werden. Die Arbeit solle in geschlossenen Räumen durchgeführt werden. Einflüsse von Witterung, Staub und Dämpfen sollten ebenso wie Arbeiten an gefährdenden Arbeitsplätzen gemieden wird. Dem Kläger müsse die Gelegenheit eingeräumt werden, mehrmals täglich seine Haut zu pflegen. Entsprechende Tätigkeiten könne er aber vollschichtig verrichten. Öffentliche Verkehrsmittel könnten während der Hauptverkehrszeit, insbesondere in den Sommermonaten bei hohen Temperaturen nicht benutzt werden. Es sei auch von einer erheblichen Gesundheitsgefährdung auszugehen, wenn viermal täglich Wegstrecken von mehr als 500 m zu Fuß zurückgelegt werden müssten. Dies gelte insbesondere in der Sommerzeit. Nachdem die Beklagte unter Hinweis auf eine Stellungnahme ihres sozialmedizinischen Dienstes, wonach sich bereits aus der Erwerbsanamnese des Klägers ergebe, dass er in der Vergangenheit durchaus als Kraftfahrer habe arbeiten können und ferner, dass im Rahmen des in der A. Klinik S. durchgeführten Schweißtests sich ergeben habe, dass die Schweißproduktion an Händen und Füßen normal und nur am behaarten Kopf gestört sei, so dass es ausreichend Arbeitsplätze gebe, an denen der Kläger mit dem festgestellten Leistungsvermögen wettbewerbsfähig tätig sein könne und eine konkrete Benennung eines Arbeitsplatzes nicht erforderlich sei, hat das Gericht eine ergänzende Stellungnahme von Dr. K. eingeholt. Dieser hat am 4. Februar 2011 ausgeführt, dass für den Kläger – insbesondere in den Sommermonaten bei hochsommerlichen Temperaturen – eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit angenommen werden müsse, wenn er täglich viermal Wegstrecken von mehr als 500 m zu Fuß zurücklegen müsse.
Durch Urteil vom 21. Februar 2011 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides verurteilt, dem Kläger ab dem 1. September 2008 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, weil dieser zwar noch in der Lage sei, leichte körperliche Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, ihm aber wegen fehlender Wegefähigkeit der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen sei. Denn er könne nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr. K. bei hohen Außentemperaturen keine öffentlichen Verkehrsmitteln nutzen und auch nicht die nach der Rechtsprechung zugrundezulegenden Fußwege von mehr als 500 m viermal täglich zurücklegen. Auch könne er einen Arbeitsplatz nicht mithilfe eines Kraftfahrzeugs erreichen. Denn der PKW der Familie müsse von der Ehefrau genutzt werden, die wegen ihrer Schichttätigkeit auf das Fahrzeug angewiesen sei. Die Entscheidung, auf welche ergänzend Bezug genommen wird, ist der Beklagten am 19. April 2011 zugestellt worden.
Die Beklagte hat am 5. Mai 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie unter Hinweis auf eine entsprechende Stellungnahme ihres sozialmedizinischen Dienstes vor, es sei nicht aktenkundig, dass der Versicherte in der Vergangenheit den Notfall einer Überhitzung bereits einmal erlitten habe. Ein anerkanntes Verfahren zur Messung des körperlichen Leistungsvermögens gebe es bei Hypohidrose nicht. Die Aufhebung der Wegefähigkeit sei durch keine objektive Untersuchung nachgewiesen. Durch bestimmte Verhaltensmaßnahmen (Vorsicht bei körperlicher Betätigung, kaltes Duschen, Vermeidung heißer Speisen und Getränke) könne eine Überhitzung aber vermieden werden. Es werde auch als rechtlich problematisch angesehen, aufgrund ungewisser klimatischer Verhältnisse eine Rente zuzusprechen. Insoweit müsse der hiesige Sommer bezüglich seiner Temperaturwerte relativiert werden. Eine Dauer von mehr als einem halben Jahr habe er jedenfalls nicht. Damit würde die fehlende Wegefähigkeit keinesfalls einen rentenrechtlich relevanten Zeitraum von mindestens einem halben Jahr betreffen. Überdies habe der Kläger ohne Probleme die Sommermonate an den früheren Arbeitsplätzen überstanden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die langjährige Ausübung einer Tätigkeit ein Indiz dafür, dass diese verrichtet werden könne. Dies müsse auch für die Zurücklegung des Arbeitsweges gelten. Eine Verschlechterung des Leidens werde nicht geltend gemacht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Februar 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er behauptet, ihm sei der Arbeitsmarkt wegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. wegen schwerer spezifischer Behinderungen verschlossen. Soweit vorgetragen werde, es seien Fälle der Überhitzung bisher nicht dokumentiert, sei darauf zu verweisen, dass er stets Situationen vermeide, die zu einem Temperaturanstieg oder einer Überhitzung führen könnten. Er unterlasse es deshalb, mit seinem Sohn zu spielen oder gar zu toben. Auch sei die Wegefähigkeit nicht nur im Sommer herabgesetzt. In den Wintermonaten führe körperliche Anstrengung ebenfalls zu einem Temperaturanstieg.
Das Berufungsgericht hat den medizinischen Sachverständigen Dr. K. um eine ergänzende schriftliche Stellungnahme zu dem Berufungsvorbringen gebeten. Er führt unter dem 11. Januar 2012 aus, es gebe in der Tat kein anerkanntes Verfahren, mit der eine Gehstreckenminderung bei Hypohidrose objektiv festgestellt werden könne. Allerdings ließe sich sagen, dass Kinder, welche unter dieser Erkrankung litten, ärztlicherseits vom Schulsport befreit würden. Auch habe der Kläger, welcher seine Jugend in Heimen verbracht habe, ihm berichtet, dass er seinerzeit beim Fußballspielen sehr wohl Kreislaufdysregulationen erlitten habe und bei hochsommerlichen Temperaturen auch vom Sport befreit worden sei. Kreislaufdysregulationen habe er auch während der Wintermonate in überheizten Klassenräumen erlitten. Jedoch habe unter den Bedingungen, unter denen er seine Jugend verbracht habe, niemand weiter Notiz von seinen Beschwerden genommen. Wolle man – so der Sachverständige – nun bei einem Erwachsenen die Grenze der Belastbarkeit bis zur Auslösung von Fieberkrämpfen ausloten, dann hieße dies zu Lasten der körperlichen Gesundheit ein Menschenexperiment zu veranstalten. Man werde dem Kläger nach allem eine erhebliche gesundheitliche Gefährdung attestieren müssen, wenn er viermal täglich Wegstrecken von mehr als 500 Metern zu Fuß zurücklegen müsse, insbesondere bei hohen Temperaturen.
Das Berufungsgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung zunächst den Kläger zu den Einschränkungen seines Leistungsvermögens befragt, die sich aufgrund des festgestellten Krankheitsbildes für ihn im täglichen Leben ergeben. Hierzu hat sich der Senat beschreiben lassen, wie der Kläger den Weg zum Gericht zurückgelegt hat und welche Verrichtungen er im Haushalt und bei der Betreuung seines Sohnes Tim durchführt. Auf der Grundlage dieser Erhebungen hat der medizinische Sachverständige Dr. K. sein schriftliches Gutachten vor dem Senat erläutert.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift, wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts unterliegt der Aufhebung. Die Klage musste abgewiesen werden. Denn dem Kläger steht eine Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) nicht zu. Das Berufungsgericht hat sich ebenso wenig wie zuvor schon die Beklagte und anders als das Sozialgericht davon überzeugen können, dass der Kläger, der Berufsschutz offenkundig nicht genießt, voll oder teilweise erwerbsgemindert ist. Denn er besitzt nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) ein vollschichtiges, d.h. mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen. Dies schließt die Annahme von Erwerbsminderung aus (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Insoweit ist bereits das Sozialgericht in Übereinstimmung mit dem medizinischen Sachverständigen Dr. K. zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger trotz der bei ihm festgestellten Einschränkungen des Leistungsvermögens in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes täglich mindestens sechs Stunden erwerbstätig zu sein. Dies wird bestätigt durch die Schilderungen, die der Kläger gegenüber dem Senat aus seinem täglichen Leben gegeben hat. Danach ist er ohne Beeinträchtigung seiner Gesundheit in der Lage, leichte hauswirtschaftliche Tätigkeiten zu verrichten. Diese Einschätzung wird erneut bestätigt durch die jüngsten Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. K., wonach der Versicherte noch leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen vollschichtig ausführen kann, sofern er keinen Einflüssen der Witterung, keinem Staub und keinerlei inhalativen Stoffen ausgesetzt ist. Derartige Voraussetzungen erfüllt aber jeder Arbeitsplatz in der modernen Fertigung von Kleinteilen. Arbeitsplätze in diesem Bereich stehen – dies ist allgemeinkundig – in hinreichender Menge zur Verfügung. Neben den tariflichen Pausen können die Beschäftigten dort auch über persönliche Verteilzeiten verfügen, in denen der Kläger seine Haut sowie seine Augen pflegen könnte.
Der Kläger kann einen derartigen Arbeitsplatz im Regelfall auch ohne Gefährdung seiner Gesundheit erreichen. Auch dies ergibt sich aus seinen Schilderungen gegenüber dem Senat. Danach hat er nicht nur die Gerichtsstelle mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufgesucht, sondern auch einen deutlich mehr als 500 m messenden Fußweg in angemessener Zeit ohne Probleme zurückgelegt. Er hat überdies beschrieben, dass er auch bei anderen Gelegenheiten – so etwa auf dem Weg zum Kindergarten seines Sohnes – öffentliche Verkehrsmittel benutzt und hierzu die erforderlichen Fußwege zurücklegt, ohne dass es im Regelfall zu gesundheitlichen Störungen kommt. Wenn der Kläger davon berichtet, dass er einmal – bei einem sommerlichen Besuch des Hamburger Doms, den er mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufgesucht hat – den Weg unterbrechen musste, um sich abzukühlen, und wenn er weiter berichtet, dass ihm bei sommerlichen Temperaturen im Bus schon gelegentlich unwohl geworden ist, so dass er die Fahrt zur Abkühlung unterbrechen musste, so belegt dies das Vorliegen von Wegefähigkeit im Sinne der Rentenversicherung. Denn die Anzahl derjenigen Tage, an denen der Kläger auf dem Weg zu einer Beschäftigung derart in gesundheitliche Schwierigkeiten geraten würde, weil seine Körpertemperatur auf einen gefährlichen Wert steigt, so dass sich ein Zwang zum zwischenzeitlichen Abkühlen und hieraus folgend eine Verspätung oder womöglich in Fällen extremer Hitze sogar die Unfähigkeit ergibt, die Arbeitsstelle aufzusuchen, ist nach seinem eigenen Vorbringen und mit Blick auf die in hiesigen Breiten vorherrschende Wetterlage auf wenige Tage im Jahr beschränkt. Damit hält sich der Ausfall aber im Rahmen einer Arbeitsunfähigkeit wegen vorübergehender Erkrankung. Eine Erwerbsminderung wegen fehlender Wegefähigkeit ist hieraus nicht abzuleiten. Auch dies steht im Einklang mit den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. K., der vor dem Senat mit Blick auf die Schilderungen des Klägers eingeräumt hat, dass dieser im Regelfall einen Arbeitsplatz im Sinne der Wegefähigkeit wird erreichen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
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