L 3 R 12/12 B ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 11 R 1354/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 12/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 9. Januar 2012 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Klage S 11 R 1355/11 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2011 aufschiebende Wirkung hat. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtszüge auf jeweils 54.966,42 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die am 11. Januar 2012 eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 9. Januar 2012 ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Sie ist auch begründet, denn das Sozialgericht war nicht befugt, über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage in der Sache zu entscheiden. Vielmehr hätte es auf die von der Antragsgegnerin geäußerten Auffassung, die aufschiebende Wirkung des Beschlusses vom 18. November 2011 zum Aktenzeichen S 51 R 1149/11 ER ende mit dem Erlass des Widerspruchsbescheides, unter entsprechender Auslegung des Begehrens der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung der Klage festzustellen gehabt. Denn dem Antragsteller ist darin zu folgen, dass der Beschluss der 51. Kammer des Sozialgerichts Hamburg vom 18. November 2011 bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung fortwirkt. Die materielle Rechtskraft des Beschlusses vom 18. November 2011 steht daher der angefochtenen Entscheidung entgegen.

Gemäß § 141 Abs. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Die Vorschrift gilt auch für Beschlüsse im einstweiligen Rechtsschutz (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 141, Rdn. 5). § 141 SGG regelt die materielle Rechtskraft. Sie kann nur eintreten, wenn die Entscheidung endgültig, d.h. formell rechtskräftig ist. Ist ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung zulässig, aber nicht eingelegt worden, besteht formelle Rechtskraft mit Ablauf der Rechtsmittelfrist (Keller a.a.O., Rdn. 2a). Der Beschluss vom 18. November 2011 zu dem Aktenzeichen S 51 R 1149/11 ER wurde den Beteiligten am 21. (Antragsteller) und am 22. November 2011 (Antragsgegnerin) zugestellt; Beschwerde wurde nicht eingelegt. Formelle Rechtkraft ist damit für den Antragsteller mit Ablauf des 21. Dezember 2011, für die Antragsgegnerin mit Ablauf des 22. Dezember 2011 eingetreten.

Die in Folge formeller Rechtkraft eingetretene materielle Rechtskraft des Beschlusses vom 18. November 2011 bewirkt, dass die Entscheidung für das Gericht und die Beteiligten in der Sache bindend ist. Die materielle Rechtskraft soll den Streit zwischen den Beteiligten endgültig beilegen, der über denselben Streitgegenstand nicht wiederholt werden soll (Keller a.a.O. Rn. 3). Hiergegen verstößt die angefochtene Entscheidung, denn sie betrifft denselben Streitgegenstand, den bereits der Beschluss vom 18. November 2011 zum Aktenzeichen S 51 R 1149/11 ER zum Gegenstand hatte, nämlich die Frage der Vollziehbarkeit des Bescheides der Antragsgegnerin vom 26. September 2011.

Mit dem Beschluss vom 18. November 2011 hat die 51. Kammer des Sozialgericht eine Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG getroffen. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Eine derartige Anordnung wirkt – sofern sie nicht ausdrücklich mit einer Befristung versehen ist – vom Erlass des Verwaltungsaktes bis zum Eintritt seiner Bestandskraft (Keller a.a.O. § 86b Rn. 19; Krodel in: BeckOK SGG § 86bRn. 50; ders in: Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl. 2008 Rn. 40; für § 80 Abs. 5 VwGO ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, zuletzt BVerwG, Beschl. v. 9. April 2010 – 2 WDS-VR 1/10, juris Rn. 8). Dies folgt aus dem Sinn und Zweck der aufschiebenden Wirkung, die im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes verhindern soll, dass trotz Inanspruchnahme des gerichtlichen Rechtsschutzes vollendete Verhältnisse geschaffen werden (BVerwG a.a.O.). Ob man dabei aus rechtstechnischen Gründen davon ausgeht, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs münde bei Klageerhebung unmittelbar in die aufschiebende Wirkung der Klage ein (so wohl Krodel: Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl. 2008, Rn. 87), ist nicht relevant. Entscheidend ist allein, dass die Wirkung der Entscheidung in dem Rechtsstreit S 51 R 1149/11 ER bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung in der Hauptsache andauert, solange die Anordnung nicht aufgehoben oder befristet ist.

Unanfechtbarkeit der Entscheidung in der Hauptsache ist bisher nicht eingetreten, denn der Antragsteller hat gegen den Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 29. November 2011 rechtzeitig Klage erhoben, welche unter dem Aktenzeichen S 11 R 1355/11 beim Sozialgericht anhängig ist. Die Entscheidung der 51. Kammer des Sozialgerichts ist auch nicht mit einer Befristung etwa bis zur Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers versehen. Ebenso wenig lässt sich aus den Gründen des Beschlusses entnehmen, dass eine derartige Befristung beabsichtigt gewesen wäre. Schließlich ist der Beschluss auch nicht aufgehoben, insbesondere auch nicht durch die angefochtene Entscheidung. Eine derartige Aufhebung kommt nach § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Maßnahmen nach Satz 1 bis 3 der Vorschrift jederzeit ändern oder aufheben. Ob hierfür eine Änderung der Sach- oder Rechtslage erforderlich ist, ist umstritten (dafür: Krodel, a.a.O. Rn. 185, dagegen: Keller, a.a.O. Rn. 20). Jedenfalls ist aber für eine Aufhebung nach § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift folgend ein Antrag auf Abänderung notwendig (Krodel, a.a.O. Rn. 184; Keller a.a.O. Rn. 20a). An einem solchen Antrag fehlt es hier bereits deshalb, weil die Antragsgegnerin rechtsirrig davon ausgeht, die Wirkung des Beschlusses vom 18. November 2011 sei beendet.

Der angefochtenen Entscheidung steht damit die materielle Rechtkraft des Beschlusses vom 18. November 2011 entgegen. Dies hat zur Folge, dass dieser Beschluss für die Kammer 11 des Sozialgerichts und für den erkennenden Senat bindend ist. Danach besteht aufschiebende Wirkung.

Die Festsetzung des Streitwerts, die der Senat von Amts wegen auch auf die erstinstanzliche Festsetzung erstreckt (§ 63 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG)), beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 52 Abs. 1, 3 und § 53 Abs. 3 Nr. 4 GKG. Dabei war der mit dem Bescheid geforderte Betrag zur Grundlage der Wertfestsetzung zu machen und dieser im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Entscheidung angemessen – auf ein Viertel – zu reduzieren.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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