L 3 U 25/09

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 24 U 334/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 25/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. Februar 2009 wird zurückgewiesen. 2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger wegen der Folgen einer Berufskrankheit nach Nummer 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (Lärmschwerhörigkeit) einen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente hat.

Der am XXXXX 1940 geborene Kläger war nach eigenen Angaben in der Zeit vom 31. Juli 1973 bis 11. September 1983 bei verschiedenen Arbeitgebern in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Seit 1989 ist er erwerbsunfähig. Ein wegen einer ebenfalls nach eigenen Angaben etwa 1979 bemerkten Schwerhörigkeit nach Ende der beruflichen Tätigkeit durchgeführtes Verfahren zur Feststellung einer Berufskrankheit blieb erfolglos. Nachdem der Technische Aussichtsdienst der Beklagten lediglich in dem Zeitraum vom 28. Juni 1976 bis 30. Mai 1979 eine lärmgefährdende Tätigkeit festgestellt und der HNO-Arzt Dr. L. in seinem aufgrund der am 14. August 1986 durchgeführten Untersuchung erstellten Gutachten zu dem Ergebnis gelangt war, sowohl der lineare Hörverlauf als auch der negative SISI-Test sprächen gegen eine Lärmschwerhörigkeit, und nachdem der Staatliche Gewerbearzt dieser Beurteilung zugestimmt hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. September 1987 die Anerkennung der bestehenden Schwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nummer 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung und die Gewährung von Leistungen ab. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Mit am 28. Februar 2005 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 23. Februar 2005 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Verletztenrente. Er gab an, in der Zeit vom 31. Juli 1973 bis 14. Oktober 1979 insgesamt über einen Zeitraum von 59 Monaten unter Lärmeinwirkung tätig gewesen zu sein. Seit der letzten Überprüfung des Versicherungsfalles habe sich seine Schwerhörigkeit erheblich verschlechtert. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 7. Juni 2005 und Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2005 unter Hinweis auf die bereits 1987 erfolgte Ablehnung ab und verwies darauf, dass eine Lärmschwerhörigkeit nach Wegfall der schädigenden Lärmeinwirkung nicht entstehen und sich auch nicht verschlechtern könne.

Während des nachfolgenden Klageverfahrens hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt und auf die Möglichkeit verwiesen, dass der ursprünglich tätig gewordene Sachverständige Dr. L. die beruflich bedingte Ursache der schon damals vorliegenden Schwerhörigkeit übersehen habe. Das Sozialgericht hat den Befundbericht des HNO-Arztes Dr. B. vom 7. April 2008 beigezogen, in welchem der behandelnde Ohrenarzt ein gesichertes Akustikusneurinom rechts beschreibt, dass zu der Taubheit rechts geführt habe. Links finde sich eine hochgradige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit. Im Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 11. Februar 2009 hat das Sozialgericht darüber hinaus den HNO-Arzt Dr. G. als medizinischen Sachverständigen gehört. Dieser hat dargelegt, dass die aktuelle Hörprüfung vom 7. Februar 2008 bei Taubheit rechts und kombinierter Schwerhörigkeit links ein für die Annahme einer Lärmschwerhörigkeit völlig untypisches Bild zeige. Das Akustikusneurinom, bei welchem es sich um eine völlig unabhängig von Lärmbelastungen entstandene gutartige Tumorerkrankung des Hör- und Gleichgewichtsnerven handele, erkläre die Taubheit rechts. Auch der Hörkurvenverlauf zeige keine Betonung der hohen Töne, sondern eine muldenförmige Senke des Innenohrgehörs mit zusätzlicher Mittelohrschwerhörigkeit. Er sei nicht mit einer Lärmschwerhörigkeit vereinbar. Durch Urteil vom 11. Februar 2009 hat das Sozialgericht daraufhin die Klage abgewiesen. Es könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die beim Kläger vorliegende Schwerhörigkeit durch eine berufliche Lärmeinwirkung wesentlich verursacht worden sei. Weder seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine Berufskrankheit nach Nummer 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung mit der allein nachgewiesenen Zeit einer relevanten Lärmeinwirkung von Juni 1976 bis Mai 1979 erfüllt, noch entspreche der beim Kläger erhobene medizinische Befund einer durch Lärmeinwirkung verursachten Schwerhörigkeit.

Gegen das am 11. März 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14. April 2009 (Dienstag nach Ostern) Berufung eingelegt. Mit dieser macht er geltend, entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht nur von 1976 bis 1979 sondern von 1972 bis 1981 einer Lärmbelastung von mehr als 85 Dezibel ausgesetzt gewesen zu sein. Während der verschiedenen beruflichen Tätigkeiten habe die Lärmbelastung häufig einen Pegel von mehr als 140 Dezibel erreicht. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass er bei Antritt seiner Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland 1973 untersucht und als kerngesund eingestuft worden sei, also auch keine Schwerhörigkeit gehabt habe. Schon 1988 habe der behandelnde HNO-Arzt Dr. E. nach dessen vorgelegten Unterlagen den Verdacht auf zumindest eine anteilige Lärmschwerhörigkeit geäußert.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. Februar 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nummer 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe die Klage zu Recht und mit zutreffenden Gründen abgewiesen. Die Ausführungen des Klägers zur Begründung seiner Berufung böten keine Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung. Auch den eingereichten Unterlagen des Dr. E. sei nicht das Vorliegen einer Berufskrankheit zu entnehmen. Dieser Arzt habe aufgrund der unzutreffenden Angaben des Klägers über eine jahrelange erhebliche Lärmeinwirkung lediglich den Verdacht auf das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit geäußert. Entgegen den Angaben des Klägers sei aber mit der erforderlichen Sicherheit nur in der Zeit vom 28. Juni 1976 bis 30. Mai 1979 von einer Belastung mit einem potentiell gehörschädigenden Lärmpegel von 85 Dezibel oder mehr auszugehen. Die vom Kläger genannten Lärmexpositionspegel von 140 Dezibel als Dauerlärmeinwirkung seien mit Sicherheit auszuschließen. Diese Angaben zeigten, dass der Kläger keine Vorstellung von Lärmexpositionseinwirkungen habe.

Nachdem sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt hatten, ist zum Termin am 28. Februar 2012 der HNO-Arzt Dr. S. als weiterer Sachverständiger geladen worden, der zur Terminsvorbereitung das Gutachten nach Aktenlage vom 23. Januar 2012 eingereicht hatte. Darin weist er darauf hin, dass die vom Kläger genannte Lärmbelastung von 140 Dezibel nicht der Realität entsprechen könne, da dieser Lärmpegel oberhalb der so genannten Schmerzschwelle liege und der Betroffene sich selbst daher nicht dieser Belastung aussetzen könne. Darüber hinaus müsse bei einem solchen Wert mit einem Akutschaden gerechnet werden, der dem Kläger dann aber auch sofort aufgefallen wäre. Gegen eine lärmbedingte Schwerhörigkeit spreche die nicht durch Lärm am Arbeitsplatz, jedoch durch das seit langer Zeit bekannte Akustikusneurinom begründbare erhebliche Seitendifferenz der Schwerhörigkeit sowie das Vorliegen einer muldenförmigen Innenohrschwerhörigkeit links, die sich typischerweise bei einer hereditären oder genetisch bedingten Schwerhörigkeit finde. Darüber hinaus spreche auch die trotz Beendigung der Lärmexposition anhaltende Progredienz gegen das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit. Dr. E. habe bei seiner Beurteilung offensichtlich diese Progredienz wie auch das Akustikusneurinom übersehen. Im Termin am 28. Februar 2012 hat Dr. S. sein Gutachten erläutert und darauf hingewiesen, dass die Schwerhörigkeit auf dem noch hörenden linken Ohr ganz wesentlich die mittleren Frequenzen betrifft. Demgegenüber sind die typischerweise bei einer Lärmschwerhörigkeit betroffenen hohen Frequenzen viel weniger geschädigt. Dieser Umstand mache einen Zusammenhang zwischen dem beruflich bedingten Lärm und der Schwerhörigkeit unwahrscheinlich.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 28. Februar 2012 aufgeführten Akten und Unterlagen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter kann als Einzelrichter anstelle des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten einvernehmlich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG) des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, da die Bescheide der Beklagten betreffend die Ablehnung der Anerkennung der bestehenden Schwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nummer 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung und Gewährung von Leistungen wegen deren Folgen vom 7. Juni 2005 und 28. Oktober 2005 rechtmäßig sind. Zutreffend hat das Sozialgericht in seiner angefochtenen Entscheidung dargelegt, dass angesichts der kurzen nachweisbaren Zeit der relevanten Lärmbelastung einerseits und des nicht einer Lärmschwerhörigkeit entsprechenden medizinischen Befundes es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhanges zwischen der beruflich bedingten Lärmeinwirkung und der unstreitig vorliegenden Schwerhörigkeit fehlt. Das Berufungsgericht schließt sich diesen Ausführungen in vollem Umfang an, sieht deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und nimmt Bezug auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen des Klägers während des Berufungsverfahrens und die vom Berufungsgericht zusätzlich durchgeführten Ermittlungen haben keine – neuen – Erkenntnisse erbracht, die den Anspruch des Klägers stützen und zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen könnten. Die in keiner Weise belegte Behauptung des Klägers, es habe dauerhaft eine Lärmeinwirkung von 140 Dezibel bestanden, ist schon deshalb nicht glaubhaft, weil ein derartiger Lärmpegel nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. S. über der Schmerzgrenze liegt, so dass niemand sich ihm freiwillig aussetzen kann. Im Übrigen hätte eine derartige Lärmeinwirkung zu einer sofort einsetzenden Schädigung des Gehörs geführt und wäre vom Kläger ohne Verzögerung bemerkt worden. Für eine derartige Fallgestaltung ergeben sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Angesichts des Fehlens konkreter glaubhafter Angaben des Klägers zum Ausmaß der Lärmbelastung ergeben sich keine Gründe, von den dem Bescheid der Beklagten vom 25. September 1987 zu Grunde liegenden Feststellungen des technischen Aufsichtsdienstes abzuweichen, wonach allein in dem Zeitraum vom 28. Juni 1976 bis 30. Mai 1979 eine relevante Lärmeinwirkung von mindestens 85 Dezibel bestand. Zutreffend hat bereits das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass ein derart kurzer Zeitraum in der Regel nicht ausreichend ist, zu einer Lärmschwerhörigkeit zu führen. Völlig unabhängig von den danach fehlenden arbeitstechnischen Voraussetzungen belegen die medizinischen Befunde, dass die Schwerhörigkeit des Klägers nicht mit einer (beruflichen) Lärmbelastung im Zusammenhang steht. Die bei ihm bestehende Taubheit auf dem rechten Ohr ist ohne Zweifel auf das auch von dem behandelnden Ohrenarzt Dr. B. beschriebene und als Grund für die Taubheit angegebene Akustikusneurinom zurückzuführen, das in keinerlei Zusammenhang mit einer Lärmbelastung steht. Dies ist von den Sachverständigen Dr. G. und Dr. S. ebenfalls übereinstimmend bestätigt worden. Die unabhängig von dem Akustikusneurinom links bestehende Schwerhörigkeit weist einen Hörkurvenverlauf mit einer muldenförmigen Senke auf, wie er für eine Lärmschädigung völlig untypisch ist. Nachvollziehbar hat Dr. S. in seinem schriftlichen Gutachten und insbesondere bei seiner Anhörung im Termin am 28. Februar 2012 dargelegt, dass von der Schwerhörigkeit links insbesondere die mittleren Frequenzen betroffen sind und die gerade bei einer Lärmschwerhörigkeit betroffenen hohen Frequenzen viel weniger geschädigt sind. Berücksichtigt man zusätzlich, dass es nach Aufgabe der lärmexponierten Tätigkeit zu einer fortschreitenden Verschlechterung des Hörvermögens links gekommen ist, wie sich aus den vom Kläger eingereichten Unterlagen des HNO-Arztes Dr. E. aus den Jahren 1985 und 1988 zweifelsfrei ergibt, kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass die bestehende Schwerhörigkeit Folge einer Lärmexposition ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Das Gericht hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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