L 2 R 50/10

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 10 R 849/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 R 50/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand Die Klägerin begehrt, zum Teil im Wege der Neufeststellung, die Gewährung einer höheren Rente wegen Erwerbsminderung.

Vorgeschichte Die am XXXX 1954 geborene, seit spätestens Mai 2002 voll erwerbsgeminderte Klägerin war nach Abschluss ihrer Berufsausbildung zur Bankkauffrau vom 1. Juli 1974 bis 31. Oktober 2002, wahrscheinlich auch darüber hinaus mit zeitweiligen Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit und Krankheit in ihrem erlernten Beruf sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Auf ihren Antrag vom 6. Mai 2002 wurde ihr mit bindend gewordenem Bescheid der Beklagten vom 29. November 2002 wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit mit einem Leistungsbeginn am 1. Dezember 2002 und einem Wegfall der Leistung am 31. Dezember 2003 gewährt. Mit Bescheiden vom 7. November 2003 und vom 31. Juli 2006, gegen die keine Rechtsmittel eingelegt wurden, sowie mit Bescheid vom 29. Oktober 2008 wurde die Rente wegen Erwerbsminderung antragsgemäß über den 31. Dezember 2003 hinaus zunächst auf Zeit bis 31. Dezember 2006, über diesen Tag hinaus bis 31. Dezember 2008 und schließlich über diesen Tag hinaus auf unbestimmte Dauer, längstens bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze am 30. April 2020, gewährt. Die Rente wurde mehrfach neu berechnet und festgestellt; teilweise kam es wegen einzelner Berechnungselemente zu Widerspruchs- und Klageverfahren, die inzwischen sämtlich erledigt sind.

Verwaltungsverfahren Gegen den Bescheid vom 29. Oktober 2008 legte die Klägerin über den von ihr seinerzeit bevollmächtigten Sozialverband Deutschland e.V. Widerspruch ein und beanstandete, dass bei der Berechnung der Rente ab Januar 2003 die Zeit vom 1. Mai 2002 bis 31. Dezember 2002, in der sie gearbeitet habe, nicht berücksichtigt worden sei. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 3. Dezember 2008 darauf hingewiesen hatte, dass sie den Widerspruch für unzulässig und einen Neufeststellungsantrag für nicht aussichtsreich halte, bat der Sozialverband mit Schreiben vom 9. Dezember 2008, den Widerspruch als Überprüfungsantrag gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) anzusehen, der sich auf die dem Bescheid vom 31. Juli 2006 zugrunde liegende Berechnung beziehen solle. Die ursprünglich befristete Rente habe im Dezember 2006 geendet und könne nach einer dem Antrag beigefügten Information aus dem Internet, da sie vor dem 31. März 2007 geendet habe, neu berechnet werden. Danach müsse die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Hinweis auf dessen Urteil vom 24. Oktober 1996 – 4 RA 31/96 und auf dessen Beschluss vom 2. Mai 2005 – B 4 RA 212/04 B) beachtet werden, nach der bei der nahtlosen Weitergewährung einer Rente auf Zeit ein neuer Leistungsfall mit der Folge eintrete, dass die Rente unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt der Weitergewährung geltenden Berechnungsvorschriften neu zu berechnen sei. Die Beklagte stellte, dem Überprüfungsantrag insoweit entsprechend, mit Bescheiden vom 20. März 2009 und vom 27. März 2009 die Rente der Klägerin unter Anwendung der zum jeweiligen Weitergewährungsbeginn maßgeblichen Vorschriften für die Zeiten vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2006 und vom 1. Januar 2007 bis 30. April 2009 der Höhe nach neu fest und errechnete hieraus der Klägerin zustehende Nachzahlungen in Höhe von 1.269,09 EUR und 1.105,95 EUR. Sie hielt jedoch daran fest, dass Beitrags- und Anrechnungszeiten, die nach dem Monat des Eintritts der für die Rente maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit zurückgelegt worden seien, nicht berücksichtigt werden könnten. Zur Begründung ihres hiergegen eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin erneut geltend, dass es sich bei der ab 1. Januar 2004 und ab 1. Januar 2007 weiter bewilligten Zeitrente jeweils um einen neuen Leistungsfall handele und dass deshalb auch ihre Entgeltpunkte auf der Grundlage ihres Verdienstes von 33.383 EUR aus dem Jahre 2002 neu festzusetzen seien. Erst recht sei durch die unbefristete Rentengewährung ein neuer Leistungsanspruch entstanden. Das gelte auch über die Rentenanpassung zum 1. Juli 2009 hinaus. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. August 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass nach der Rechtsprechung des BSG durch die Neuberechnung der Zeitrente im Weitergewährungszeitpunkt zwar ein neuer Rentenanspruch mit einem neuen Rentenbeginn entstehe, der Zeitpunkt der Minderung der Erwerbsfähigkeit aber unverändert bleibe. Es bestehe einheitlich als Grundlage für alle Rentenbescheide der am 6. Mai 2002 eingetretene Leistungsfall, der sich nach den §§ 43 Abs. 1 und 2 und 240 Abs. 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) bestimme. Nach § 75 Abs. 2 SGB VI hätten nur die bis 31. Mai 2002 zurückgelegten Beitragszeiten berücksichtigt werden können. Die Beitragszeit von Juni bis Dezember 2002 könne erst bei der Feststellung einer Rente aufgrund eines nachfolgenden Leistungsfalles, z.B. einer Altersrente, berücksichtigt werden. Der Widerspruchsbescheid wurde den Bevollmächtigten der Klägerin am 18. August 2009 bekannt gegeben.

Klageverfahren erster Instanz Die Klägerin hat am 15. September 2009 Klage erhoben. Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Hinweis auf Urteil vom 24. Oktober 1996 – 4 RA 31/96) bei jeder Weitergewährung der Zeitrente ein neuer Leistungsfall eingetreten sei und deshalb ihre Entgeltpunkte unter Berücksichtigung der Beitragszeiten von Mai bis Dezember 2002 hätten berücksichtigt werden müssen. Ihr stehe deshalb eine um 17,50 EUR höhere Monatsrente zu.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat auf ihren Widerspruchsbescheid vom 13. August 2009 Bezug genommen, in dem das Vorbringen der Klägerin bereits berücksichtigt sei.

Mit seinem Urteil vom 14. April 2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der von der Klägerin begehrten Rentenberechnung stehe § 75 Abs. 2 SGB VI entgegen. Die nach dieser Vorschrift maßgebliche Minderung der Erwerbsfähigkeit sei nach den Feststellungen der Beklagten am 6. Mai 2002 eingetreten. Die hier streitigen Beitragszeiten vom 1. Juni bis 31. Dezember 2002 lägen nach diesem Zeitpunkt, so dass weitere Entgeltpunkte nicht bei der Berechnung der Erwerbsminderungsrente, sondern erst bei einer späteren Altersrente zu ermitteln seien. Aus der von der Klägerin zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24. Oktober 1996 ergebe sich nichts anderes.

Berufungsverfahren Gegen das ihr am 27. April 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17. Mai 2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung dieses Rechtsmittels trägt sie vor, dass die Beklagte die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur unvollständig umgesetzt habe. Das sei nicht nachvollziehbar. Die Entscheidung müsse sich auch an weiteren gerichtlichen Entscheidungen orientieren, wonach eine befristete Erwerbsminderungsrente datumsmäßig genau bezeichnet sei und in ihrem Fall § 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI Anwendung finden müsse. Sollte das Bundessozialgericht über die hier streitige Frage tatsächlich noch nicht entschieden haben, müsste sie diesem Gericht doch vorgelegt werden. Die Beklagte hätte nach allem bei der Ermittlung der Entgeltpunkte für die Rente seit 1. Januar 2004, spätestens seit Beginn der unbefristeten Rente ab 1. Januar 2009, für die Zeit vom 7. Mai bis 31. Dezember 2002 Pflichtbeiträge berücksichtigen müssen. Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2010 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 29. Oktober 2008, 20. März 2009 und 27. März 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Abänderung der Bescheide vom 7. November 2003 und 31. Juli 2006 sowie unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 7. Mai bis 31. Dezember 2002 ab dem 1. Januar 2004 höhere Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt der Berufung entgegen. Die Klägerin trage keine Aspekte vor, die nicht bereits in der angefochtenen Entscheidung Berücksichtigung gefunden hätten. Diese sei rechtlich nicht zu beanstanden.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, der Sitzungsniederschriften vom 11. Mai 2012 und vom 5. September 2012 sowie den Inhalt der in dieser Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben.

Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheide halten rechtlicher Nachprüfung stand. Die Klägerin kann nicht verlangen, dass anlässlich der Weiterbewilligungen ihrer zuvor zeitlich befristeten Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. Januar 2004, ab 1. Januar 2007 und ab 1. Januar 2009 Entgeltpunkte aus nach Eintritt der Erwerbsminderung zurückgelegten Beitragszeiten berücksichtigt werden und ihre Rente entsprechend erhöht wird. Ob und in welcher Weise die Beklagte die Beitragszeiten bis 31. Mai 2012 bereits berücksichtigt hat, und ob deshalb der im Hinblick auf den Monat Mai 2002 gestellte Antrag der Klägerin ins Leere geht, kann deshalb dahinstehen.

1. Verfahrensgegenstand Gegenstand der zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) sind die Bescheide vom 20. und 27. März 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2009. Mit diesen Bescheiden hat die Beklagte dem Neufeststellungsantrag der Klägerin vom 9. Dezember 2008, welcher der Sache nach auf die Änderung der Bescheide vom 7. November 2003 und 31. Juli 2006 gerichtet war, sowie dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 29. Oktober 2008 nur teilweise stattgegeben und die Rente der Klägerin für die Zeiten vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2006, vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2008 und vom 1. Januar bis 30. April 2009 nach den am 1. Januar 2004, am 1. Januar 2007 und am 1. Januar 2009 geltenden Berechnungsvorschriften neu berechnet.

2. Materielle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Klägerin steht keine höhere als die festgestellte Rente zu.

Anspruchsgrundlagen für die begehrte Neufeststellung hinsichtlich der Bescheide vom 7. November 2003 und 31. Juli 2006 und für das Begehren, diese Bescheide sowie den Bescheid vom 29. Oktober 2008 abzuändern und der Klägerin unter Berücksichtigung der Beitragszeiten vom 7. Mai bis 31. Dezember 2002 eine höhere Rente zu gewähren, sind § 44 Abs. 1 SGB X und die §§ 63 bis 77 SGB VI in den im jeweiligen Zeitpunkt der Weitergewährung geltenden Fassungen. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X in der Fassung der Neubekanntmachung des SGB X vom 18. Januar 2001 (BGBl. I S. 130) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Soziallleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Danach kommt eine Rücknahme und Abänderung der gemäß § 77 SGG bindend gewordenen Bescheide vom 7. November 2003 und 31. Juli 2006 von vornherein nur unter dem Gesichtspunkt der unrichtigen Rechtsanwendung in Betracht, weil die Beklagte bei Erlass ihrer Entscheidungen nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Hierfür enthält auch der Vortrag der Klägerin keinen Anhaltspunkt.

Indessen hat die Beklagte entgegen der Auffassung der Klägerin bei Erlass der Bescheide vom 7. November 2003 und vom 31. Juli 2006 auch das Recht nicht unrichtig angewandt. Hieraus folgt zugleich, dass der Bescheid vom 29. Oktober 2008 rechtmäßig und die Klägerin auch insoweit nicht in ihren Rechten verletzt ist.

2.1. Normativer Rahmen Nach § 63 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 2002 (BGBl. I S. 754; auf diese Fassung beziehen sich alle nachfolgend nur als SGB VI bezeichneten Normen) richtet sich die Höhe der Rente vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (Abs. 1). Das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen wird nach näherer Maßgabe von Abs. 2 Satz 2 sowie den §§ 66 Abs. 1 und 2, 70 bis 77 SGB VI (in der Fassung vom 19. Februar 2002 mit späteren Änderungen) in persönliche Entgeltpunkte umgerechnet (Abs. 2 Satz 1). Nach § 64 SGB VI ergibt sich der Monatsbetrag der Rente wegen Erwerbsminderung, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors (§ 77 SGB VI in der Fassung vom 19. Februar 2002 mit späteren Änderungen) ermittelten persönlichen Entgeltpunkte (Nr. 1), des für Renten wegen Erwerbsminderung maßgebliche Rentenartfaktors (Nr. 2) von 1,0 (§ 67 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI) und der nach § 68 SGB VI (in der Fassung vom 19. Februar 2002 mit späteren Änderungen) zu bestimmende aktuelle Rentenwert (Nr. 3) mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden.

Welche Entgeltpunkte nach Beginn einer Rente zu berücksichtigen sind, ist in § 75 SGB VI geregelt. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift werden bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für Beitragszeiten und Anrechnungszeiten, die nach Eintritt der hierfür maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit liegen, Entgeltpunkte nicht ermittelt (Satz 1 Nr. 1). Dies gilt nicht für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, auf die erst nach Erfüllung einer Wartezeit von 20 Jahren Anspruch besteht (Abs. 2 Satz 2 Nr. 1) und nicht für freiwillige Beiträge nach Satz 1 Nr. 2, die nach Eintritt der maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit gezahlt worden sind, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit während eines Verfahrens über einen Rentenanspruch eingetreten ist (Abs. 2 Satz 2 Nr. 2). Nach § 75 Abs. 3 SGB VI werden auf Antrag Entgeltpunkte auch für Beitragszeiten und Anrechnungszeiten nach Eintritt der vollen Erwerbsminderung ermittelt, wenn diese Beitragszeiten 20 Jahre umfassen.

Mit den in § 75 Abs. 2 Satz 1 SGB VI genannten Worten "nach Eintritt der maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit" und dem in § 75 Abs. 3 SGB VI verwendeten Begriff "Eintritt der vollen Erwerbsminderung" ist der Eintritt des versicherten Risikos, mithin die das Rentenstammrecht auslösende Aufhebung oder Einschränkung des Leistungsvermögens im Erwerbsleben im Sinne von § 43 Abs. 2 SGB VI gemeint, die von dem konkreten Leistungsanspruch, aufgrund dessen für den im Rentenbescheid festgelegten Beginn und für die dort verfügte Dauer Einzelansprüche auf konkrete monatliche Leistungen entstehen, zu trennen ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. Oktober 1996 – 4 RA 31/96, SozR 3-2600 § 300 Nr. 8 mit umfangreichen Nachweisen). Nach dem SGB VI fallen die Entstehung des Stammrechts auf eine Rente einerseits und die erstmalige Bestimmbarkeit seines Wertes und damit die Höhe der monatlichen Zahlungsansprüche sowie Entstehung und Fälligkeit des ersten Einzelanspruchs (sog. Rentenbeginn) andererseits auseinander (vgl. BSG, Urteil vom 30. August 2001 – B 4 RA 116/00 R, BSGE 88, S. 293; Blüggel in Schlegel/Voelzke, Juris-PK, 2008, Randnr. 13 zu § 75). Die Regelung des § 75 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ist Ausdruck des Versicherungsfallprinzips, das insoweit schon im früher geltenden Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) galt. Es besagt, dass nach Verwirklichung des versicherten Risikos eine nachträgliche Versicherung nicht mehr möglich ist und deshalb die Höhe des Leistungsanspruchs grundsätzlich nicht mehr durch Pflichtbeitragszahlungen nach Eintritt des Versicherungsfalles beeinflusst werden kann (vgl. Lilge in Sozialgesetzbuch/Sozialversicherung, Gesamtkommentar – Gesetzliche Rentenversicherung – Anm. 2 zu § 75; Ruland in Ruland/Försterling, GK-SGB VI, Stand November 2007, Randnr. 50 vor §§ 63 ff und Randnrn. 5, 12 zu § 75). Wann sich das – das Rentenstammrecht auslösende – Risiko verwirklicht, d.h. der Versicherungsfall eintritt, richtet sich nach der jeweiligen Rentenart. So kann der Versicherungsfall einer Altersrente (bei Erfüllung der jeweils maßgeblichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen) mit Vollendung des 60., des 63., des 65. oder zukünftig des 67. Lebensjahres eintreten. Für diese Renten bestimmt § 75 Abs. 1 SGB VI, dass für Zeiten nach Beginn der zu berechnenden Rente Entgeltpunkte nur für eine Zurechnungszeit ermittelt werden. Bei den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sind nicht die bis zum Rentenbeginn, sondern nur die bis zum Eintritt des versicherten Risikos, d.h. der Minderung der Erwerbsfähigkeit zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten zu berücksichtigen (vgl. Stahl in Hauck-Haines, SCB VI, Stand Oktober 2006, Randnr. 29 zu § 75; Ruland, a.a.O. Randnr. 5 zu § 75; von Koch in Kreikebohm, SGB VI, 3. Auflage, Randnrn. 2, 10 zu § 75; Lilge, a.a.O., Anm. 5.1 zu § 75).

2.2. Übertragung auf den vorliegenden Fall Diese Rechtslage hat die Beklagte mit dem Erlass der angefochtenen Bescheide beachtet und zutreffend umgesetzt. Dass ihr bei der Ermittlung der bis zum 6. Mai 2002 maßgeblichen persönlichen Entgeltpunkte, des Zugangsfaktors, des Rentenartfaktors, des jeweils aktuellen Rentenwerts oder der Vervielfältigung dieser Faktoren mit ihrem Wert bei Rentenbeginn Fehler unterlaufen seien, ist nicht ersichtlich und wird von der Klägerin auch nicht behauptet.

Zu Recht hat die Beklagte aber auch bei der Feststellung der persönlichen Entgeltpunkte für Beitragszeiten und den Neuberechnungen der Rentenhöhe ab 1. Januar 2004, 1. Januar 2007 und 1. Januar 2009 die hier streitigen Beitragszeiten unberücksichtigt gelassen. Das folgt aus § 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Denn diese Beitragszeiten liegen nach dem Eintritt der für die Rente maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit, die hier spätestens am 6. Mai 2002 und damit vorher eingetreten ist. Ausnahmetatbestände nach § 75 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 oder Abs. 3 SGB VI sind ersichtlich nicht einschlägig. Insbesondere sind die im Jahre 2002 geleisteten Beiträge entgegen der Auffassung der Klägerin keine freiwilligen, sondern Pflichtbeiträge.

Die Klägerin verkennt mit ihrer gegenteiligen Rechtsauffassung das in § 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI angeordnete Versicherungsfallprinzip. Sie lässt mit anderen Worten außer Acht, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in ihrem Fall seit (spätestens) Mai 2002 unverändert über den jeweiligen Zeitpunkt der Befristung ihres Rentenanspruchs und des Beginns der Dauerrente hinaus fortbestanden hat.

Hiervon Abweichendes ist aus keiner der von der Klägerin zitierten Gerichtsentscheidungen herzuleiten. Dass nach der Rechtslage, die im Übrigen auch nur bis zur Neufassung des § 102 Abs. 2 Satz 3 SGB VI durch Art. 1 Nr. 32 des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV – Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20. April 2007 mit Wirkung ab 1. Mai 2007 gegolten hat, mit jedem neuen Beginn einer Zeitrente ein neuer Leistungsfall entstand, der es gebot, den konkreten Leistungsanspruch bei jedem erneuten Rentenbeginn nach den in jenem Zeitpunkt geltenden Vorschriften neu zu berechnen, bedeutet lediglich, dass mit jedem neuen Beginn einer Zeit- oder Dauerrente eine neue Bestimmung des monatlichen Werts der Rente erforderlich wurde. Dies ändert indessen nichts daran, dass schon nach dem bis zum 30. April 2007 geltenden Recht Pflichtbeitragszeiten, die zeitlich nach dem Eintritt des versicherten Risikos zurückgelegt worden sind, nach § 75 Abs. 2 Satz 1 SGB VI nicht berücksichtigt werden konnten.

3. Nebenentscheidungen Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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