L 3 U 23/09

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 36 U 244/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 23/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Februar 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nummer 4301 bzw. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) sowie die Gewährung einer Verletztenrente wegen deren Folgen streitig.

Der am XXXXX 1936 geborene Kläger war von Januar bis April 1962 in einer Glasfabrik beschäftigt. Von 1968 bis 1973 war er als Maschinenführer bei der Firma B. tätig und dort für die maschinelle Beschichtung von Klebebändern mit lösungsungsmittelhaltigem Klebstoff zuständig. Anschließend arbeitete er von 1974 bis 1978 bei der Firma T3 im Gummiwerk. Im Juli 1998 diagnostizierte der Lungenfacharzt Dr. T1 bei dem Kläger eine chronisch obstruktive Bronchitis mit einer Infektexacerbation, wegen derer er im März 1999 kurzzeitig im Krankenhaus "A." stationär behandelt wurde. Im April 2001 zeigte der Allgemeinmediziner Dr. B1 bei der Beklagten den Verdacht auf eine Berufskrankheit an. Bei dem Kläger bestehe eine restriktive Atemwegserkrankung und neben weiteren Gesundheitsstörungen auch eine chronisch rezidivierende Bronchitis. In seinem Gutachten vom 10. August 2001 gelangte der Lungenfacharzt Dr. T2 unter Berücksichtigung des Arbeitslebens des Klägers sowie der Tatsache, dass zwar anamnestisch eine chronische Bronchitis, jedoch kein Nachweis einer obstruktiven Ventilationsstörung oder einer Hyperreagibilität vorliege, zu dem Ergebnis, dass kein Hinweis auf das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nummer 4301 und/oder 4302 der Anlage zur BKV bestehe. Nachdem der staatliche Gewerbearzt sich in seiner Stellungnahme vom 12. November 2002 dieser Beurteilung angeschlossen hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. Dezember 2002 die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nummern 4301/4302 der Anlage zur BKV ab. Auf den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers holte die Beklagte eine Stellungnahme des Arbeitsmediziners Dr. P. ein und ließ den Kläger anschließend von dem Lungenfacharzt Prof. Dr. M. begutachten. Dieser gelangte in dem aufgrund einer zweitägigen stationären Untersuchung erstellten Gutachten vom 6. Mai 2004, in welchem er auf eine mangelnde Mitarbeit des Klägers verweist, zu dem Ergebnis, dass bei diesem zwar eine Restriktion vorliege, jedoch keine obstruktive Ventilationsstörung fassbar sei. Eine Berufskrankheit liege nicht vor.

Aufgrund des Ergebnisses der Begutachtung wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2005 zurück.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 30. August 2005 Klage erhoben und unter anderem darauf verwiesen, dass er von Dr. T1 seit 15 Jahren wegen einer obstruktiven Bronchitis behandelt werde, deren Ursache die Schadstoffbelastung an seinen verschiedenen Arbeitsplätzen sei. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des behandelnden Lungenfacharztes Dr. T1 beigezogen und den Kläger durch den Lungenfacharzt und Arbeitsmediziner Dr. S. untersuchen und begutachten lassen. Dieser Sachverständige verweist in seinem Gutachten vom 19. Oktober 2006 auf eine sehr wechselnde Mitarbeit des Klägers bei den Untersuchungen und gelangt zu dem Ergebnis, dass eine chronische Bronchitis mit Neigung zur Obstruktion vorliege. Eine obstruktive Atemwegserkrankung könne zwar nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, jedoch sei sie auch nicht mit Sicherheit zu belegen. Im Übrigen fehle es schon an den arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine Berufskrankheit nach Nummern 4301/4302 der Anlage zur BKV. Anlässlich seiner Anhörung im Termin am 12. Februar 2009 hat der Sachverständige Dr. S. dargelegt, dass zwar wohl von einer obstruktiven Atemwegserkrankung ausgegangen werden könne, diese aber nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit berufsbedingt sei.

Durch Urteil vom 12. Februar 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zum einen sei das Vorliegen einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, wie sie für die Anerkennung einer Berufskrankheit gegeben sein müsse, nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen. Selbst wenn aber von einer derartigen Erkrankung auszugehen sei, fehle es an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie durch Schadstoff-einwirkungen während der beruflichen Tätigkeit des Klägers (mit-)verursacht worden sei.

Gegen das am 17. März 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. April 2009 Berufung eingelegt. Er vertritt die Auffassung, dass das dem Urteil zu Grunde liegende Gutachten des Dr. S. hinsichtlich der verneinten arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht alle relevanten Schadstoffexpositionen berücksichtige, sondern zu Unrecht nur die während der Tätigkeit bei der Firma B. einwirkenden Schadstoffe bewerte. Insbesondere seien die Einwirkungen während der dreieinhalbmonatigen Tätigkeit in der Glasfabrik in Form von Quarzfeinstaub und auch Asbest nicht beachtet worden. Insoweit seien weitere Ermittlungen erforderlich.

Der Kläger beantragt nach dem Inhalt seines Vorbringens, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Februar 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2005 aufzuheben, festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nummer 4301 bzw. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt, und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der Berufskrankheit eine Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Februar 2009 zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Nach wie vor sei das Vorliegen eines Krankheitsbildes im Sinne der Berufskrankheitennummern 4301/4302 nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis belegt. Aus den vorliegenden Lungenfunktionsprotokollen gehe hervor, dass sich das Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung nicht bestätigen lasse. Auch eine entsprechende bronchiale Hyperreagibilität habe durch die durchgeführten Provokationstestungen nicht nachgewiesen werden können. Soweit Dr. S. im Termin vor dem Sozialgericht ausgeführt habe, es könne wohl von einer obstruktiven Atemwegserkrankung ausgegangen werden, handele es sich lediglich um eine Vermutung, die nicht durch entsprechende Untersuchungsergebnisse belegt werden könne. Es komme daher nicht auf die Expositionsverhältnisse bei früheren Tätigkeiten an. Insoweit sei allerdings zu berücksichtigen, dass die Belastungszeit in der Glasfabrik schon zu kurz gewesen sei, um ein sich regelmäßig verschlechterndes Krankheitsbild zu verursachen. Eine berufliche Belastung mit Quarz und/oder Asbest sei nicht Gegenstand dieses Verfahrens, da für diese beiden Schadstoffgruppen gesonderte Berufskrankheitsnummern (4101, 4103) vorlägen. Im Übrigen seien sie nicht in der Lage, eine obstruktive Atemwegserkrankung hervorzurufen.

Nachdem sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt hatten, ist Dr. S. in der vom Gericht angeforderten Stellungnahme vom 2. September 2010 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tätigkeit des Klägers in der Glasfabrik zu kurz gewesen sei, um Veränderungen im Bronchialsystem im Sinne einer chronischen subklinischen Einwirkung hervorzurufen. Denkbar seien allenfalls kurzfristige sehr hohe Einwirkungen, welche dann aber mit schweren klinischen Symptomen hätten einhergehen müssen, für die sich in den Akten keine Anhaltspunkte fänden. Dieser Einschätzung hat der Kläger widersprochen und auf wissenschaftliche Veröffentlichungen verwiesen, nach denen durch kurzzeitige Expositionen auf Grund des Anschlages auf das World Trade Center am 11. September 2001 nicht nur bei Rettungskräften, sondern auch bei Passanten chronische Atemwegserkrankungen hervorgerufen worden seien. Nachdem sich die Beteiligten im Erörterungstermin am 7. Februar 2012 übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hatten, hat Dr. S. in der ergänzenden Stellungnahme vom 12. April 2012 nochmals klargestellt, dass wegen der großen Divergenz der gemessenen Lungenfunktionswerte, die auf dem Unvermögen des Klägers beruhten, die entsprechenden Atemmanöver in physiologisch korrekter Art und Weise durchzuführen, das Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne. Trotz des Hinweises auf die Folgen des Anschlages auf das World Trade Center bleibe er dabei, dass beim Kläger auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die geltend gemachten Berufskrankheiten nicht vorliegen. Die vom Kläger in Bezug genommene wissenschaftliche Ausarbeitung zeige deutlich, dass es nach einer kurzfristigen, aber erheblichen Exposition zur Ausbildung einer obstruktiven Atemwegserkrankung kommen könne. Jedoch gehe eine derartige akute Einwirkung immer einher mit einer entsprechenden pulmonalen Symptomatik, diese begleitet von Husten, Atemnot und entsprechend pathologischen Lungenfunktionswerten, wie sie beim Kläger nicht vorgelegen habe. Auf den Einwand des Klägers, der Hinweis des Sachverständigen auf die dem Kläger nicht möglichen Atemmanöver gebiete weitere Ermittlungen, hat Dr. S. in der weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 21. März 2013 ausgeführt, dass sämtliche zur Diagnose einer obstruktiven Atemwegserkrankung zur Verfügung stehenden typischen Untersuchungen durchgeführt worden seien. Eine obstruktive Atemwegserkrankung habe sich beim Kläger trotzdem nicht im Sinne eines Vollbeweises sichern lassen. Weitere, noch nicht angewandte Untersuchungsmethoden zur Diagnose der obstruktiven Atemwegserkrankung lägen nicht vor.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten (L 3 U 23/09; S 36 U 244/05) sowie der Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände 307/1239137/01), die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Rechtsstreit konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter als Einzelrichter entschieden werden, da sich die Beteiligten einvernehmlich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§§ 155 Abs. 3 u. 4, 124 Abs. 2 Sozialge-richtsgesetz – SGG –).

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen statthafte Berufung des Klägers (§§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG) ist unbegründet. Das Sozialgericht hat mit seinem angefochtenen Urteil die auf Feststellung des Vorliegens einer Berufskrankheit nach Nummern 4301/4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung und Gewährung einer Verletztenrente wegen deren Folgen gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Ausgehend von einem vollständig ermittelten Sachverhalt hat es unter Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zutreffend dargelegt, dass es sowohl an dem erforderlichen Nachweis des Vorliegens einer obstruktiven Atemwegserkrankung als Grundvoraussetzung für die Anerkennung der geltend gemachten Berufskrankheiten als auch an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen (teil-)ursächlichen Zusammenhanges zwischen der festgestellten Schadstoffbelastung und einer – angenommenen – obstruktiven Atemwegserkrankung fehlt. Nicht zu beanstanden ist, dass das Sozialgericht seiner Beurteilung die nur grenzwertige Belastung durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe und den jedenfalls für eine toxisch bedingte Ursache nicht regelhaften Erkrankungsverlauf zu Grunde gelegt hat. Das Berufungsgericht schließt sich den Ausführungen des Sozialgerichts hierzu in vollem Umfang an, sieht insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und nimmt Bezug auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG). Das weitere Vorbringen des Klägers während des Berufungsverfahrens sowie die vom Gericht veranlassten ergänzenden Ermittlungen haben keine – neuen – Erkenntnisse erbracht, die den Anspruch des Klägers auf Feststellung einer Berufskrankheit stützen und zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen könnten. Vielmehr hat der bereits vom Sozialgericht gehörte Sachverständige S. auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts in seinen ergänzenden Stellungnahmen klargestellt, dass bei dem Kläger eine obstruktive Atemwegserkrankung trotz Durchführung aller zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden nicht mit der für eine Anerkennung als Berufskrankheit erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann. Damit steht er im Einklang mit den Beurteilungen der bereits zuvor tätig gewordenen Sachverständigen Dr. T2 und Prof. Dr. M ... Soweit der behandelnde Arzt Dr. T1 vom Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung ausgeht, handelt es sich ersichtlich um eine durch den Krankheitsverlauf veranlasste Verdachtsdiagnose, die sich durch Lungenfunktionstestungen aber zu keiner Zeit bestätigen ließ. Unabhängig davon hat der Sachverständige Dr. S. auf weitere Nachfrage des Gerichts nachvollziehbar dargelegt, dass die Expositionszeit in der Glasfabrik zu kurz war, um beim Kläger eine auf Dauer bestehende obstruktive Atemwegserkrankung hervorzurufen. Zwar kann eine nur kurzzeitige außergewöhnlich hohe Exposition wie beim Anschlag auf das World Trade Center zu einem derartigen Krankheitsbild führen, jedoch geht dies dann mit einer deutlichen akuten pulmonalen Symptomatik einher, für deren Vorliegen beim Kläger sich keine Anhaltspunkte ergeben.

Insgesamt liegen danach beim Kläger auch zur Überzeugung des Berufungsgerichts weder die medizinischen noch die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine Anerkennung der geltend gemachten Berufskrankheiten vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Das Gericht hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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