L 4 SO 29/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 34 SO 278/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 29/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte als Trägerin der Sozialhilfe der Klägerin als Eingliederungshilfe die Kosten für ihre Kraftfahrzeugversicherung im Jahr 2009 zu erstatten hat.

Die Klägerin ist schwerbehindert (GdB 100, Merkzeichen B, H und G). Mit Schreiben vom 22. Dezember 2008, welches bei der Beklagten am 6. Januar 2009 einging, stellte die Klägerin einen Antrag auf Kostenübernahme der Kraftfahrzeugversicherung (Haftpflicht und Vollkasko) für das Jahr 2009 in Höhe von insgesamt 850,34 EUR.

Mit Bescheid vom 11. März 2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Klägerin angeforderte Unterlagen nicht eingereicht habe. Die Klägerin erhob Widerspruch und machte geltend, ihr schlechter Gesundheitszustand habe ihr die von der Beklagten geforderte Mitwirkung nicht möglich gemacht. Mit Bescheid vom 20. Juni 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Die Klägerin habe bereits wegen fehlender Mitwirkung keinen Anspruch auf die begehrte Kostenübernahme. Ein Leistungsträger könne ohne weitere Ermittlungen eine Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen, wenn Mitwirkungspflichten verletzt würden und die Voraussetzungen der begehrten Leistung nicht nachgewiesen seien. Trotz mehrfacher Aufforderungen unter Hinweis auf die Folgen fehlender Mitwirkung sei die Klägerin dem Begehren der Verwaltung auf Vorlage genau bezeichneter Unterlagen zur Prüfung Ihrer Einkommenssituation nicht bis zum Ablauf der ihr gegenüber zuletzt bis 6. Mai 2009 verlängerten Frist nachgekommen. Durch den Gesundheitszustand der Klägerin sei dieses Verhalten nicht zu erklären. Darüber hinaus habe die Klägerin auch deshalb keinen Anspruch auf Übernahme der Versicherungskosten, weil ihr entsprechender Antrag erst am 6. Januar 2009 eingegangen, die Rechnung des Versicherers jedoch bereits zu Jahresbeginn fällig gewesen sei, so dass man davon ausgehen müsse, dass bei Antragstellung ein entsprechender Bedarf nicht mehr bestanden habe. Außerdem bestünden im Hinblick auf § 24 Abs. 1 SGB XII, § 30 SGB I erhebliche Bedenken, ob wegen Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts nach S. ein Anspruch der Klägerin überhaupt bestehen könne.

Tatsächlich hatte die Klägerin von der Beklagten geforderte Unterlagen mit am 16. Mai 2009 in S. aufgegebenem Brief an das Ortsamt B. der Beklagten gesandt, welches Schreiben dort am 20. Mai 2009 eingegangen war.

Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 27. Juni 2009 zugestellt. Am 24. Juli 2009 hat sie vor dem Sozialrecht Hamburg Klage erhoben und ihr Begehren weiterverfolgt.

Das Sozialgericht hat die Klägerin persönlich angehört und die Klage mit Urteil vom 8. April 2011 abgewiesen. In der Begründung der Entscheidung heißt es, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Kraftfahrzeugversicherung des Jahres 2009. Einem solchen Anspruch stehe § 24 SGB XII in Verbindung mit § 30 Abs. 1 SGB I entgegen. Nach § 24 Abs. 1 SGB XII erhielten Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hätten, keine Leistungen der Sozialhilfe. Dieser Ausschlusstatbestand sei für die Klägerin erfüllt. Sie habe im Jahr 2009 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, nämlich in S., gehabt. Gemäß § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I habe den gewöhnlichen Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhalte, die erkennen ließen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweile. Die Klägerin habe angegeben, sich während ihres Verweilens in S. bei einem Bekannten aufzuhalten, der in K. ein Haus habe. Dort habe sie sich von November 2008 bis August 2009 und dann wieder ab Ende November 2009 aufgehalten, sich also lediglich von Mitte August 2009 bis Ende November 2009 in D. befunden. Das Gericht leite hieraus ab, dass die Klägerin trotz Beibehaltung ihrer Meldeanschrift und ihrer Eigentumswohnung in H. sich nicht nur vorübergehend in S. aufgehalten habe. Hierfür sei ausschlaggebend, dass sie in der mündlichen Verhandlung die Beziehung zu ihrem Bekannten in S. als gute Freundschaft beschrieben habe, die allerdings dann ein Ende finde, wenn sich dieser Bekannte, welcher neun Jahre jünger sei als Sie, eine andere Freundin suche. Die Kammer sei der Überzeugung, dass es sich bei der von der Klägerin gepflegten Freundschaft in S. um eine emotional enge Verbindung handele. Dies werde gestützt durch die Angabe der Klägerin, der Bekannte habe ihr bereits im Jahr 2001 ein größeres Darlehen gewährt, welches Sie erst jetzt im Jahr 2010 begonnen habe zurückzuzahlen. Darüber hinaus verbringe die Klägerin einen großen Teil ihrer Zeit in dessen Haus in K ... Ein solch lang andauernder Besuch setze eine stabile und nahegehende Bindung voraus. Auch sei die Kammer davon überzeugt, dass der Aufenthalt der Klägerin damals nicht nur vorübergehender Natur gewesen sei. Nicht nur vorübergehend sei ein Verweilen, dessen Beendigung bei vorausschauender Betrachtung nicht zu erwarten sei. Hier sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin zwar im Jahr 2009 nach D. zurückgekehrt sei. Wann aber mit der Beendigung ihres Aufenthalts in S. 2009 habe gerechnet werden können, sei zunächst nicht zu prognostizieren gewesen, so dass unter den hier gegebenen Umständen von einem länger dauernden Verweilen habe ausgegangen werden können, dessen Beendigung bei vorausschauender Betrachtung nicht zu erwarten gewesen sei. Es hätten keine vernünftigen Gründe dafür vorgelegen, die Rückkehr nach D. im Jahr 2009 immer weiter nach hinten zu verschieben, so dass die Kammer davon ausgehe, dass die Notwendigkeit einer Rückkehr aus Sicht der Klägerin nicht bestanden habe und prognostisch auch nicht beabsich¬tigt gewesen sei. Schließlich liege kein Ausnahmetatbestand im Sinne des § 24 Abs. 1 S. 2 SGB XII vor, der die Leistungseinschränkung des Satzes 1 aufhebe. Insbesondere habe sich die Kammer nicht der Darstellung der Klägerin anzuschließen vermocht, dass sie aus gesundheitlichen Gründen gehindert gewesen sei, früher nach D. zurückzu¬kehren.

Das Urteil des Sozialgerichts ist der Klägerin am 6. Mai 2011 zugestellt worden. Am 18. Mai 2011 hat sie Berufung eingelegt.

Die Klägerin verfolgt ihren Anspruch weiter. Sie betont, die von der Beklagten geforderten Unterlagen und Nachweise jeweils ausreichend und vollständig vorgelegt zu haben. Auch treffe es nicht zu, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in S. habe. Vielmehr bestehe ihre H. Wohnung unverändert fort. Diese bilde seit langem ihren Lebensmittelpunkt und dort befänden sich ihre persönlichen Sachen. Es treffe zwar zu, dass sie sich häufig auch längerfristig im Ausland aufhalte. Diese Aufenthalte seien jedoch Ihrer persönlichen Lebenssituation als Contergan-Geschädigte und den daraus resultierenden gesundheitlichen Einschränkungen geschuldet.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialrechts Hamburg vom 8. April 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. März 2009 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 25. Juni 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für die Kraftfahrzeugversicherung der Klägerin für das Jahr 2009 in Höhe von 850,34 EUR zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

Die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt.

Die Sachakten der Beklagten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet aufgrund des entsprechenden Einverständnisses der Beteiligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter.

Die nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung der Kläge¬rin hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Übernahme der Kraftfahrzeugversicherungskosten für das Jahr 2009 aus Mitteln der Sozialhilfe (Eingliederungshilfe gemäß § 54 SGB XII) nicht zu. Dabei kann offen bleiben, ob die Beklagte tatsächlich das Begehren der Klägerin schon deswegen ablehnen durfte, weil sie geforderte Unterlagen nicht beigebracht habe. Immerhin war ihr Schreiben vom 3. Mai 2009, welches zahlreiche Belege enthielt, noch vor Erlass des Widerspruchsbescheides bei der Beklagten – dort zwar nicht bei der Widerspruchsstelle, aber beim Ortsamt – eingegangen. Dies braucht im vorliegenden Fall nicht näher untersucht zu werden, da einem Sozialhilfeanspruch der Klägerin zu Beginn des Jahres 2009, als der hier geltend gemachte Bedarf bestand, jedenfalls die Regelung in § 24 Abs. 1 S. 1 SGB XII entgegenstand, wonach Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, keine Sozialhilfeleistungen erhalten. Dies hat das Sozialgericht nach Anhörung der Klägerin in tatsächlicher und rechtli¬cher Hinsicht zutreffend ent¬schieden. Darauf nimmt der Senat ausdrücklich Bezug. Das Berufungsvorbringen gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.

Nach § 24 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist die Klägerin von Leistungen ausgeschlossen, weil sie jedenfalls zu Beginn des Jahres 2009 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatte. Gemäß § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts sind in erster Linie die objektiven Lebensumstände und ein zeitliches Moment ("nicht nur vorübergehend"). In zweiter Linie muss der Wille hinzukommen, bei vorausschauender Betrachtung zukünftiger Entwicklungen einen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen von gewisser Stetigkeit und Regelmäßigkeit, nicht unbedingt jedoch Lückenlosigkeit, an dem fraglichen Ort zu begründen. Zu fordern ist, dass am gewöhnlichen Aufenthaltsort der Schwerpunkt der persönlichen Lebensverhältnisse liegt. Ausschlaggebend ist einerseits das Kriterium einer längeren Dauer des Aufenthalts, welches in der Regel auf eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit schließen lässt. Andererseits ist der Wille, an dem fraglichen Ort einen Daseinsmittelpunkt zu begründen, insofern von Bedeutung, als es darum geht, eine Prognose der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer zu stellen. Bei der danach erforderlichen vorausschauenden Betrachtung liegt ein nur vorübergehender Aufenthalt dann vor, wenn es sich beispielsweise um eine Urlaubsreise, einen Besuch, eine Durchreise oder einen Aufenthalt zur Krankenbehandlung handelt. In solchen Fällen kann auch eine längere Aufenthaltsdauer einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Gesetzes nicht begründen.

Nach diesen Kriterien muss jedenfalls für den Jahresbeginn 2009 von einem gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin in S. ausgegangen werden. Sie bestreitet nicht, im Jahr 2009 sich ganz überwiegend in S. aufgehalten zu haben. Ermittlungen des Senats, die etwa anhand Ihres H. Wasser- und Stromverbrauchs und der Kontoauszüge einen näheren Einblick in ihre Lebensgestaltung ermöglicht hätten, hat sie nicht unterstützt. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass gerade auch ihre gesundheitliche Situation wichtig für ihre Entscheidung gewesen sein mag, sich häufig und länger andauernd in S. aufzuhalten. Dies würde, wenn es sich sozusagen um eine vorübergehende Klimakur handeln würde, einen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland nicht begründen können, auch wenn ein solcher Aufenthalt wesentliche Teile des Jahres beansprucht. Jedenfalls für das Jahr 2009 hat das Sozialgericht jedoch überzeugend dargelegt und begründet, dass für die Anwesenheit der Klägerin in S. und insbesondere für die Dauer des Aufenthalts gerade ihre damaligen persönlichen Beziehungen dort ausschlaggebend gewesen sein dürften. Damit aber sind Sozialhilfeansprüche in D. grundsätzlich ausgeschlossen, und ein Ausnahmefall des §§ 24 Abs. 1 S. 2 SGB XII liegt, wie das Sozialgericht ebenfalls zutreffend entschieden hat, nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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