Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 11 AS 2667/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 455/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich im Wege des Verfahrens nach § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) gegen die Anrechnung von Kindergeld als Einkommen in dem Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006.
Die Klägerin stand bereits als Minderjährige im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder. Zuletzt mit Bescheid vom 30. Juni 2005 wurden der Familie als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum Juli bis Oktober 2005 bewilligt. Die Klägerin schied danach zum 2. Oktober 2005, ihrem 18. Geburtstag, aus der Bedarfsgemeinschaft aus; das Kindergeld für die Klägerin wurde bis zum 1. Oktober ihr, ab dem 2. Oktober 2005 ihrer Mutter – der Beigeladenen – als Einkommen angerechnet. Ausweislich eines weiteren Bescheides vom 30. Juni 2005 wurden die Leistungen an die Bedarfsgemeinschaft ab dem 1. November 2005 eingestellt, da das Einkommen den Bedarf überstieg. Auch hier wurde das Kindergeld für die Klägerin der Beigeladenen angerechnet. Hiergegen legte die Beigeladene mit Schreiben vom 27. Juli 2005 Widerspruch ein und machte geltend, dass das Kindergeld von ihrer Tochter – der Klägerin – beantragt und ab dem 2. Oktober 2005 ihr zugewiesen werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2007 wurde der Widerspruch mangels ungedeckten Bedarfs zurückgewiesen, das Kindergeld für die Klägerin jedoch nicht mehr bei der Beigeladenen angerechnet.
Die Klägerin stellte am 6. September 2005 einen Leistungsantrag. Darin gab sie ihren Kindergeldanspruch an; den Unterlagen beigefügt findet sich in der Akte ein Schreiben der Beigeladenen vom 8. September 2005:
"Hiermit bestätige ich das K.S. ab 2.10.2005 das Kindergeld in Höhe von 154,- Euro ausgehändigt bekommt."
Mit Bescheid vom 18. Oktober 2005 wurden der Klägerin Leistungen für den Zeitraum vom 2. Oktober 2005 bis zum 31. März 2006 bewilligt, unter Berücksichtigung von Kindergeld in Höhe von 154,- Euro monatlich als Einkommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 1. März 2006, in dem sie "Keine Änderungen" ankreuzte, wurden der Klägerin mit Bescheid vom 3. April 2006 Leistungen für den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. Juni 2006 bewilligt, unter Berücksichtigung von Kindergeld in Höhe von 154,- Euro monatlich als Einkommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 30. Mai 2006, in dem sie "Keine Änderungen" ankreuzte, wurden der Klägerin mit Bescheid vom 28. Juli 2006 Leistungen für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2006 bewilligt, unter Berücksichtigung von Kindergeld in Höhe von 154,- Euro monatlich als Einkommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 7. November 2006, in dem sie "Keine Änderungen" ankreuzte, wurden der Klägerin mit Bescheid vom 12. Dezember 2006 Leistungen für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2007 bewilligt, unter Berücksichtigung von Kindergeld in Höhe von 154,- Euro monatlich als Einkommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
Nach einem Auslandsaufenthalt im Rahmen eines au-pair-Programms beantragte die Klägerin per 15. Juli 2008 erneut Leistungen. Sie gab hier an, dass das Kindergeld in Höhe von 154,- Euro auf das Konto ihrer Eltern gehe.
Mit Schreiben vom 23. Juli 2008 beantragte die Klägerin die Rücknahme der Leistungsbescheide vom 18. Oktober 2005, 3. April 2006, 28. Juli 2006 und 12. Dezember 2006 nach § 44 SGB X. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 8.2.2007 – B 9b SO 5/06 R und 6/06 R) sei das Kindergeld Einkommen dessen, an den es ausgezahlt werde. Einkommen des Kindes werde es nur, wenn ein gesonderter Zuwendungsakt vorliege. Daran fehle es, ihre Eltern behandelten das Kindergeld nicht gesondert und verwendeten es auch nicht unmittelbar für die Klägerin.
Mit Bescheid vom 9. September 2008 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag der Klägerin hinsichtlich des Leistungsbescheides vom 28. Juli 2006 ab. Eine erneute Sachprüfung sei nicht in Betracht gekommen, weil die Klägerin keine neuen Tatsachen/Beweismittel vorgebracht habe, dass sie das Kindergeld nicht erhalten habe. Vielmehr befinde sich in der Akte die entsprechende Bestätigung der Mutter vom 8. September 2005, nach der die Klägerin das Kindergeld erhalten habe.
Gegen den Überprüfungsbescheid legte die Klägerin am 7. Oktober 2008 Widerspruch ein. Ebenfalls mit Eingangsdatum vom 7. Oktober 2008 war ein Schreiben der Beigeladenen vom 6. Oktober 2008 versehen, in dem diese erklärte:
"Die schriftliche Aussage vom 08.09.2005 hat sich auf den Bescheid vom 30.06.2005 bezogen, und hat sich mit Nichtgenehmigung (Bescheid vom 20.03.2006) der Kindergeldkasse aufgehoben. Ich kläre aus diesem Grunde, das unsere Tochter nachweislich zu keinem Zeitpunkt das an uns gezahlte Kindergeld von uns bekommen hat. Das Schreiben vom 08.09.2005 hatte und hat somit zu keinem Zeitpunkt Wirksamkeit gehabt."
Seit dem 1. Februar 2009 befindet sich die Klägerin nicht mehr im Leistungsbezug.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2009 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 7. Oktober 2008 gegen den Bescheid vom 9. September 2008 zurück. Die Klägerin müsse sich an der Erklärung ihrer Mutter vom 8. September 2005 festhalten lassen. Der Widerruf der Erklärung nach drei Jahren könne nicht anerkannt werden, zumal die Klägerin in der Zwischenzeit die Möglichkeit eines Widerrufs nicht ergriffen und auch jetzt keine Beweise für den Nichterhalt des Kindergeldes vorgelegt habe.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 30. April 2009 Klage erhoben. Die Auszahlung des Kindergeldes sei an ihre Eltern erfolgt. Auch wenn diese das Kindergeld an die Klägerin weitergereicht hatten, bleibe es deren Einkommen. Es dürfe nicht doppelt angerechnet werden.
Die Klägerin hat ein Schreiben der Familienkasse C. vom 30. April 2010 vorgelegt, ausweislich dessen das Kindergeld von Oktober 2005 bis Juli 2007 und Juli 2008 bis Dezember 2009 an die Beigeladene ausgezahlt worden sei. An die Klägerin selbst seien keine Kindergeldzahlungen erfolgt.
Mit Urteil vom 20. Oktober 2011 hat das Sozialgericht Hamburg die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Neufeststellung der Leistungen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 8 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung) – Alg II-V – sei Kindergeld Einkommen des Kindes, wenn seine Weiterleitung nachgewiesen werde. Die Klägerin habe eine entsprechende Erklärung ihrer Mutter vorgelegt, der Beklagte daraufhin zu Recht das Kindergeld als Einkommen angerechnet. Die Klägerin habe sich zumindest den Rechtsschein dieser Erklärung zurechnen zu lassen. Sie hätte über die lange Zeitdauer und anhand der Bescheide ohne weiteres erkennen können, dass das Kindergeld angerechnet wurde.
Gegen das am 4. November 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1. Dezember 2011 Berufung eingelegt. Die Erklärung der Beigeladenen vom 8. September 2005 sei auf Anraten des Beklagten im Juni 2005 in deren Angelegenheiten vorgelegt worden, um eine Mehrleistung zu erhalten. Die beabsichtigte Abzweigung sei aber nicht gelungen. Der Beklagte habe ihr seinerzeit erklärt, dass alles seine Richtigkeit habe. Die Klägerin meint, der Beklagte hätte ihr mitteilen müssen, dass die Anrechnung des Kindergeldes aufgrund der Erklärung ihrer Mutter erfolge, und insoweit seine Beratungspflicht verletzt.
Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich der Antrag,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Oktober 2011 und des Bescheides vom 9. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2009 den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 28. Juli 2006 abzuändern und die Leistungen an die Klägerin nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31 Dezember 2006 ohne Anrechnung von Kindergeld neu festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte tritt der Berufung entgegen und stützt sich auf die Erklärung der Beigeladenen vom 8. September 2005. Bei dieser sei das Kindergeld nicht angerechnet worden; auch auf einen erneuten Antrag der Beigeladenen vom 21. März 2006 sei die ablehnende Entscheidung ohne Anrechnung von Kindergeld erfolgt.
Der Senat hat am 11. Dezember 2013 über die Berufung mündlich verhandelt. Es wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Verhandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Klägerin ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 110 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).
II.
Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Beschwerdewert von 750 Euro nach § 144 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) wird überschritten. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat der Beklagte den Überprüfungsantrag der Klägerin abgelehnt.
Ausgangspunkt der materiellen Prüfung ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt das nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
Dass der hier gegenständliche Leistungsbescheid vom 28. Juli 2006 rechtswidrig war, ist nicht erwiesen. Die Klägerin macht zwar geltend, sie habe das Kindergeld nicht erhalten und ihre Eltern hätten es auch nicht gesondert für sie verwendet. Es liegt aber kein Beleg für diese Behauptung vor. Da die Klägerin insoweit beweisbelastet ist, müsste die Berufung schon hieran scheitern. Es kommt aber letztlich nicht darauf an, wie sich aus folgenden Überlegungen ergibt.
Der Leistungsbescheid vom 28. Juli 2006 beruht nämlich auf den vorsätzlich unrichtigen Angaben der Klägerin. Denn die Angaben ihrer Mutter – der Beigeladenen – in dem ihr eigenes Leistungsbegehren betreffenden Widerspruch vom 27. Juli 2005 und in dem zur Akte der Klägerin gelangten Schreiben vom 8. September 2005 führten zu der Anrechnung von Kindergeld. Diese Angaben waren auch nicht lediglich als Absichtserklärungen zu verstehen, sondern nach ihren unzweifelhaften Wortlaut als Wissenserklärungen. Diese Angaben sind der Klägerin auch zuzurechnen (vgl. dazu Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 44 Rn. 19), schon weil sie damals minderjährig war und die Erklärungen ihrer Mutter als gesetzliche Vertreterin für sie galten. Die Klägerin kann sich auch nicht mit dem Argument auf bloße Fahrlässigkeit berufen, dass ihre Mutter andere Vorstellungen über die Bedeutung dieser Erklärungen gehabt habe. Der nach § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X vorausgesetzte Vorsatz bezieht sich nämlich allein auf die Angaben selbst und nicht auf ihre Rechtsfolgen oder rechtliche Bedeutung (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 25.5.2011 – L 7 SO 92/10).
Eine Rücknahme ist auch bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern gemäß Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen. In diesem Zusammenhang lässt sich einer Entscheidung des Bundessozialgerichts entnehmen, dass, wenn sich im Rahmen eines Antrages nach § 44 SGB X nichts ergebe, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung der früheren Entscheidung berufen könne. Würden zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergebe aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte nicht tatsächlich vorlägen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich gewesen seien, dürfe sich die Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führe, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorlägen, die für die Entscheidung wesentlich seien, sei ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden. Allein in diesem Fall sei der Streitstoff in vollem Umfang erneut zu prüfen (vgl. BSG, Urt. v. 3.2.1988 – 9/9a RV 18/86). Diese Auffassung wird aber durchaus kritisch gesehen, weil sie die von § 44 SGB X bezweckte Durchsetzung der materiellen Rechtsposition begrenzen würde (Schütze, a.a.O., Rn. 38 a.E., m.w.N.). Das kann hier jedoch dahinstehen, weil dem Bescheid vom 5. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2009 eine Ermessensausübung entnommen werden kann, indem darin auf die lange Zeit der Untätigkeit der Klägerin, das Verstreichenlassen verschiedener Anlässe zum Widerruf der Erklärung vom 8. September 2005 und das Fehlen von Beweisen für den Nichterhalt des Kindergeldes abgestellt wurde. Das ist nicht zu beanstanden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich im Wege des Verfahrens nach § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) gegen die Anrechnung von Kindergeld als Einkommen in dem Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006.
Die Klägerin stand bereits als Minderjährige im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder. Zuletzt mit Bescheid vom 30. Juni 2005 wurden der Familie als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum Juli bis Oktober 2005 bewilligt. Die Klägerin schied danach zum 2. Oktober 2005, ihrem 18. Geburtstag, aus der Bedarfsgemeinschaft aus; das Kindergeld für die Klägerin wurde bis zum 1. Oktober ihr, ab dem 2. Oktober 2005 ihrer Mutter – der Beigeladenen – als Einkommen angerechnet. Ausweislich eines weiteren Bescheides vom 30. Juni 2005 wurden die Leistungen an die Bedarfsgemeinschaft ab dem 1. November 2005 eingestellt, da das Einkommen den Bedarf überstieg. Auch hier wurde das Kindergeld für die Klägerin der Beigeladenen angerechnet. Hiergegen legte die Beigeladene mit Schreiben vom 27. Juli 2005 Widerspruch ein und machte geltend, dass das Kindergeld von ihrer Tochter – der Klägerin – beantragt und ab dem 2. Oktober 2005 ihr zugewiesen werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2007 wurde der Widerspruch mangels ungedeckten Bedarfs zurückgewiesen, das Kindergeld für die Klägerin jedoch nicht mehr bei der Beigeladenen angerechnet.
Die Klägerin stellte am 6. September 2005 einen Leistungsantrag. Darin gab sie ihren Kindergeldanspruch an; den Unterlagen beigefügt findet sich in der Akte ein Schreiben der Beigeladenen vom 8. September 2005:
"Hiermit bestätige ich das K.S. ab 2.10.2005 das Kindergeld in Höhe von 154,- Euro ausgehändigt bekommt."
Mit Bescheid vom 18. Oktober 2005 wurden der Klägerin Leistungen für den Zeitraum vom 2. Oktober 2005 bis zum 31. März 2006 bewilligt, unter Berücksichtigung von Kindergeld in Höhe von 154,- Euro monatlich als Einkommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 1. März 2006, in dem sie "Keine Änderungen" ankreuzte, wurden der Klägerin mit Bescheid vom 3. April 2006 Leistungen für den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. Juni 2006 bewilligt, unter Berücksichtigung von Kindergeld in Höhe von 154,- Euro monatlich als Einkommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 30. Mai 2006, in dem sie "Keine Änderungen" ankreuzte, wurden der Klägerin mit Bescheid vom 28. Juli 2006 Leistungen für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2006 bewilligt, unter Berücksichtigung von Kindergeld in Höhe von 154,- Euro monatlich als Einkommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 7. November 2006, in dem sie "Keine Änderungen" ankreuzte, wurden der Klägerin mit Bescheid vom 12. Dezember 2006 Leistungen für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2007 bewilligt, unter Berücksichtigung von Kindergeld in Höhe von 154,- Euro monatlich als Einkommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
Nach einem Auslandsaufenthalt im Rahmen eines au-pair-Programms beantragte die Klägerin per 15. Juli 2008 erneut Leistungen. Sie gab hier an, dass das Kindergeld in Höhe von 154,- Euro auf das Konto ihrer Eltern gehe.
Mit Schreiben vom 23. Juli 2008 beantragte die Klägerin die Rücknahme der Leistungsbescheide vom 18. Oktober 2005, 3. April 2006, 28. Juli 2006 und 12. Dezember 2006 nach § 44 SGB X. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 8.2.2007 – B 9b SO 5/06 R und 6/06 R) sei das Kindergeld Einkommen dessen, an den es ausgezahlt werde. Einkommen des Kindes werde es nur, wenn ein gesonderter Zuwendungsakt vorliege. Daran fehle es, ihre Eltern behandelten das Kindergeld nicht gesondert und verwendeten es auch nicht unmittelbar für die Klägerin.
Mit Bescheid vom 9. September 2008 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag der Klägerin hinsichtlich des Leistungsbescheides vom 28. Juli 2006 ab. Eine erneute Sachprüfung sei nicht in Betracht gekommen, weil die Klägerin keine neuen Tatsachen/Beweismittel vorgebracht habe, dass sie das Kindergeld nicht erhalten habe. Vielmehr befinde sich in der Akte die entsprechende Bestätigung der Mutter vom 8. September 2005, nach der die Klägerin das Kindergeld erhalten habe.
Gegen den Überprüfungsbescheid legte die Klägerin am 7. Oktober 2008 Widerspruch ein. Ebenfalls mit Eingangsdatum vom 7. Oktober 2008 war ein Schreiben der Beigeladenen vom 6. Oktober 2008 versehen, in dem diese erklärte:
"Die schriftliche Aussage vom 08.09.2005 hat sich auf den Bescheid vom 30.06.2005 bezogen, und hat sich mit Nichtgenehmigung (Bescheid vom 20.03.2006) der Kindergeldkasse aufgehoben. Ich kläre aus diesem Grunde, das unsere Tochter nachweislich zu keinem Zeitpunkt das an uns gezahlte Kindergeld von uns bekommen hat. Das Schreiben vom 08.09.2005 hatte und hat somit zu keinem Zeitpunkt Wirksamkeit gehabt."
Seit dem 1. Februar 2009 befindet sich die Klägerin nicht mehr im Leistungsbezug.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2009 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 7. Oktober 2008 gegen den Bescheid vom 9. September 2008 zurück. Die Klägerin müsse sich an der Erklärung ihrer Mutter vom 8. September 2005 festhalten lassen. Der Widerruf der Erklärung nach drei Jahren könne nicht anerkannt werden, zumal die Klägerin in der Zwischenzeit die Möglichkeit eines Widerrufs nicht ergriffen und auch jetzt keine Beweise für den Nichterhalt des Kindergeldes vorgelegt habe.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 30. April 2009 Klage erhoben. Die Auszahlung des Kindergeldes sei an ihre Eltern erfolgt. Auch wenn diese das Kindergeld an die Klägerin weitergereicht hatten, bleibe es deren Einkommen. Es dürfe nicht doppelt angerechnet werden.
Die Klägerin hat ein Schreiben der Familienkasse C. vom 30. April 2010 vorgelegt, ausweislich dessen das Kindergeld von Oktober 2005 bis Juli 2007 und Juli 2008 bis Dezember 2009 an die Beigeladene ausgezahlt worden sei. An die Klägerin selbst seien keine Kindergeldzahlungen erfolgt.
Mit Urteil vom 20. Oktober 2011 hat das Sozialgericht Hamburg die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Neufeststellung der Leistungen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 8 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung) – Alg II-V – sei Kindergeld Einkommen des Kindes, wenn seine Weiterleitung nachgewiesen werde. Die Klägerin habe eine entsprechende Erklärung ihrer Mutter vorgelegt, der Beklagte daraufhin zu Recht das Kindergeld als Einkommen angerechnet. Die Klägerin habe sich zumindest den Rechtsschein dieser Erklärung zurechnen zu lassen. Sie hätte über die lange Zeitdauer und anhand der Bescheide ohne weiteres erkennen können, dass das Kindergeld angerechnet wurde.
Gegen das am 4. November 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1. Dezember 2011 Berufung eingelegt. Die Erklärung der Beigeladenen vom 8. September 2005 sei auf Anraten des Beklagten im Juni 2005 in deren Angelegenheiten vorgelegt worden, um eine Mehrleistung zu erhalten. Die beabsichtigte Abzweigung sei aber nicht gelungen. Der Beklagte habe ihr seinerzeit erklärt, dass alles seine Richtigkeit habe. Die Klägerin meint, der Beklagte hätte ihr mitteilen müssen, dass die Anrechnung des Kindergeldes aufgrund der Erklärung ihrer Mutter erfolge, und insoweit seine Beratungspflicht verletzt.
Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich der Antrag,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Oktober 2011 und des Bescheides vom 9. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2009 den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 28. Juli 2006 abzuändern und die Leistungen an die Klägerin nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31 Dezember 2006 ohne Anrechnung von Kindergeld neu festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte tritt der Berufung entgegen und stützt sich auf die Erklärung der Beigeladenen vom 8. September 2005. Bei dieser sei das Kindergeld nicht angerechnet worden; auch auf einen erneuten Antrag der Beigeladenen vom 21. März 2006 sei die ablehnende Entscheidung ohne Anrechnung von Kindergeld erfolgt.
Der Senat hat am 11. Dezember 2013 über die Berufung mündlich verhandelt. Es wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Verhandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Klägerin ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 110 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).
II.
Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Beschwerdewert von 750 Euro nach § 144 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) wird überschritten. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat der Beklagte den Überprüfungsantrag der Klägerin abgelehnt.
Ausgangspunkt der materiellen Prüfung ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt das nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
Dass der hier gegenständliche Leistungsbescheid vom 28. Juli 2006 rechtswidrig war, ist nicht erwiesen. Die Klägerin macht zwar geltend, sie habe das Kindergeld nicht erhalten und ihre Eltern hätten es auch nicht gesondert für sie verwendet. Es liegt aber kein Beleg für diese Behauptung vor. Da die Klägerin insoweit beweisbelastet ist, müsste die Berufung schon hieran scheitern. Es kommt aber letztlich nicht darauf an, wie sich aus folgenden Überlegungen ergibt.
Der Leistungsbescheid vom 28. Juli 2006 beruht nämlich auf den vorsätzlich unrichtigen Angaben der Klägerin. Denn die Angaben ihrer Mutter – der Beigeladenen – in dem ihr eigenes Leistungsbegehren betreffenden Widerspruch vom 27. Juli 2005 und in dem zur Akte der Klägerin gelangten Schreiben vom 8. September 2005 führten zu der Anrechnung von Kindergeld. Diese Angaben waren auch nicht lediglich als Absichtserklärungen zu verstehen, sondern nach ihren unzweifelhaften Wortlaut als Wissenserklärungen. Diese Angaben sind der Klägerin auch zuzurechnen (vgl. dazu Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 44 Rn. 19), schon weil sie damals minderjährig war und die Erklärungen ihrer Mutter als gesetzliche Vertreterin für sie galten. Die Klägerin kann sich auch nicht mit dem Argument auf bloße Fahrlässigkeit berufen, dass ihre Mutter andere Vorstellungen über die Bedeutung dieser Erklärungen gehabt habe. Der nach § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X vorausgesetzte Vorsatz bezieht sich nämlich allein auf die Angaben selbst und nicht auf ihre Rechtsfolgen oder rechtliche Bedeutung (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 25.5.2011 – L 7 SO 92/10).
Eine Rücknahme ist auch bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern gemäß Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen. In diesem Zusammenhang lässt sich einer Entscheidung des Bundessozialgerichts entnehmen, dass, wenn sich im Rahmen eines Antrages nach § 44 SGB X nichts ergebe, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung der früheren Entscheidung berufen könne. Würden zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergebe aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte nicht tatsächlich vorlägen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich gewesen seien, dürfe sich die Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führe, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorlägen, die für die Entscheidung wesentlich seien, sei ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden. Allein in diesem Fall sei der Streitstoff in vollem Umfang erneut zu prüfen (vgl. BSG, Urt. v. 3.2.1988 – 9/9a RV 18/86). Diese Auffassung wird aber durchaus kritisch gesehen, weil sie die von § 44 SGB X bezweckte Durchsetzung der materiellen Rechtsposition begrenzen würde (Schütze, a.a.O., Rn. 38 a.E., m.w.N.). Das kann hier jedoch dahinstehen, weil dem Bescheid vom 5. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2009 eine Ermessensausübung entnommen werden kann, indem darin auf die lange Zeit der Untätigkeit der Klägerin, das Verstreichenlassen verschiedener Anlässe zum Widerruf der Erklärung vom 8. September 2005 und das Fehlen von Beweisen für den Nichterhalt des Kindergeldes abgestellt wurde. Das ist nicht zu beanstanden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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