L 1 P 7/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 9 P 67/11 WA
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 P 7/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage, welche Pflegeleistungen dem Kläger für die Zeit vom 7. September bis 31. Dezember 2009 zustanden.

Dem Kläger waren auf seinen Antrag vom 4. Mai 2009 hin nach Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit Bescheid vom 22. Juni 2009 so genannte Kombinationsleistungen gemäß § 38 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) ab 18. Juni 2009 bewilligt worden. Der MDK hatte einen Hilfebedarf in der Grundpflege von 55 Minuten täglich ermittelt und darauf hingewiesen, dass bei dem Kläger Verwahrlosungstendenzen bestünden und die häusliche Pflege bei Geldleistungen nicht sichergestellt sei, so dass nur Sachleistungen zu gewähren seien. Beim Besuch des MDK am 18. Juni 2009 hatte der MDK eine völlig verwahrloste Wohnung vorgefunden. Mit dem Pflegedienst wurde Kontakt aufgenommen.

Nach dem Widerspruch des Klägers, mit dem er eine rückwirkende Leistungsbewilligung ab 1. Mai 2009 begehrte, erließ die Beklagte am 1. September 2009 zwei Bescheide. Mit dem ersten Bescheid bewilligte sie die Kombinationsleistungen bereits ab 1. Mai 2009 und half insoweit dem Widerspruch ab. Die Leistung wurde jedoch nur bis 6. September 2009 gewährt und der Bescheid vom 22. Juni 2009 wurde aufgehoben. Mit dem zweiten Bescheid wurden dem Kläger für die Zeit ab 7. September 2009 Sachleistungen bewilligt.

Der Kläger legte erneut Widerspruch ein.

Nachdem ein weiteres Gutachten nach Aktenlage kein anderes Ergebnis erbracht hatte, begutachtete der MDK auf Veranlassung der Beklagten den Kläger am 12. November 2009 nochmals in seiner häuslichen Umgebung. Die Gutachterin empfahl, falls weiterhin Pflegeleistungen erbracht werden sollten, Sachleistungen zu erbringen. Der Kläger selbst habe angegeben, er benötige das Pflegegeld zur Lebensführung. Es konnte kein Pflegebedarf entsprechend der Pflegestufe 1 mehr festgestellt werden.

Die Beklagte hob daraufhin den Bescheid vom 1. September 2009, mit dem Pflegesachleistungen für die Pflegestufe 1 ab 7. September 2009 bewilligt worden waren, mit Bescheid vom 1. Dezember 2009 mit Wirkung zum 31. Dezember 2009 auf und wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2010 zurück. Zur Begründung des Widerspruchsbescheides wurde angeführt, dass der MDK entsprechend § 18 Abs. 6 S. 3 SGB XI festgestellt habe, dass die häusliche Pflege beim Kläger nicht in geeigneter Weise sichergestellt sei und Verwahrlosung bestehe. Es seien ausschließlich Sachleistungen empfohlen worden. Die Gutachten des MDK seien in sich schlüssig und plausibel.

Der Kläger hat am 2. März 2010 Klage erhoben. Sein Hilfebedarf sei im Rahmen von Kombinationsleistungen zu gewähren, da Sachleistungen seine Mobilität stark einschränken würden. Er könne dann nicht zu den Zeiten einkaufen, duschen und allgemeine Körperpflege wahrnehmen, zu denen er dies wünsche, weil dies nicht immer zu den Besuchszeiten des Pflegedienstes gewährleistet sei. Gerade deswegen drohe ihm eine weitere erhebliche Verwahrlosung.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2013 abgewiesen. Zu Recht habe es die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden abgelehnt, dem Kläger für die Zeit vom 7. September bis 31. Dezember 2009 an Stelle der bewilligten Sachleistung Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI oder reine Geldleistungen nach § 37 SGB XI zu gewähren. Gemäß § 37 I Satz 2 SGB XI erhalte nur derjenige Pflegegeld, der die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstelle. Dabei handele es sich um eine Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld nach § 37 SGB XI. Dasselbe gelte auch für Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI. Denn danach sei teilweise Pflegegeld zu zahlen. Für die Gewährung von Pflegegeld komme es aber zusätzlich darauf an, dass die Pflege in häuslicher Umgebung erbracht werde und die Pflege sichergestellt sei im Sinne von § 37 I Satz 2 SGB XI. Da es sich bei der Sicherstellung der Pflege nach § 37 I Satz 2 SGB XI um eine wesentliche Anspruchsvoraussetzung handele, sei diese auch im Rahmen der Kombinationsleistung zu gewährleisten, denn es seien keine Gründe ersichtlich, weshalb die Sicherstellung der Pflege bei der Gewährung von Pflegegeld als Teil der Kombinationsleistung keine Rolle spielen sollte. Die Beklagte habe festgestellt, dass die Pflege beim Kläger nicht (ausreichend) sichergestellt sei. Ihre Entscheidung beruhe auf zwei diesbezüglich fundierten Gutachten des MDK in der häuslichen Umgebung des Klägers. Der Zustand der Wohnung und teilweise auch des Klägers selbst seien beim ersten Besuch ausgesprochen verwahrlost, beim zweiten Besuch etwas besser gewesen. Der Kläger habe keine relevanten Gründe vorgetragen, warum die Ergebnisse der Hausbesuche durch den MDK falsch gewesen sein sollten, sondern habe lediglich angegeben, er benötige das Pflegegeld zur Lebensführung. Außerdem könne er dann nicht wie von ihm gewünscht zu den ihm genehmen Zeiten duschen. Diese Wünsche müssten angesichts der Feststellungen des MDK und der klaren Regelung im Gesetz zurückstehen.

Der Kläger hat gegen den ihn am 10. Juli 2013 zugestellten Gerichtsbescheid am selben Tag Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 4. Juli 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. September 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm anstelle der ab 7. September 2009 bis 31. Dezember 2009 bewilligten Pflegesachleistungen weiterhin Kombinationsleistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 21. März 2014 gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4. März 2015, die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben.

Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Der Kläger begehrt die weitere Gewährung von Pflegekombinationsleistungen über den 6. September 2009 hinaus. Er wendet sich damit der Sache nach gegen den ersten Bescheid vom 1. September 2009, soweit durch ihn der Bescheid vom 22. Juni 2009 aufgehoben wurde. Nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist die Aufhebung der Pflegestufe I zum 1. Januar 2010. Denn die Aufhebung erfolgte durch Bescheid vom 1. Dezember 2009, der den eigenständigen (zweiten) Bescheid vom 1. September 2009 aufhob. Dieser Bescheid ist Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens mit dem Az.: S 9 P 68/11 WA.

Zu Recht hat das Sozialgericht entschieden, dass die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden ist. Aus den zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts, auf die insoweit Bezug genommen wird (§ 153 Abs. 2 SGG), ergibt sich, dass der Kläger von Beginn an nur Anspruch auf Pflegesachleistungen hatte. Die Beklagte hat sich zugunsten des Klägers jedoch offensichtlich dazu entschieden, die mit Bescheid vom 22. Juni 2009 erfolgte Gewährung von Kombinationsleistungen nicht für die Vergangenheit, sondern mit dem ersten Bescheid vom 1. September 2009 nur mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben und stattdessen mit dem zweiten Bescheid vom 1. September 2009 Pflegesachleistungen zu bewilligen.

Dies ist auf der Grundlage des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht zu beanstanden. § 45 Abs. 1 SGB X regelt: Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. § 45 Abs. 2 SGB X bestimmt: Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.

Die Beklagte dufte danach die Kombinationsleistung mit Wirkung für die Zukunft aufheben, da insoweit kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers ersichtlich ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte mit Bescheid vom selben Tag dem Kläger Pflegesachleistungen gewährte, so dass eine Belastung für den Kläger nur in der Differenz zwischen diesen Leistungsformen entstanden ist. Ein Vertrauensschutz müsste sich also auf den Geldleistungsanteil beziehen. Da dieser nach der gesetzlichen Konzeption zur Pflege einzusetzen ist, kann der Kläger sich nicht darauf berufen, den Geldanteil der Kombinationsleistung für seine allgemeine Lebensgestaltung eingeplant zu haben.

Zu Recht ist die Beklagte offensichtlich davon ausgegangen, dass das ihr grundsätzlich durch § 45 Abs. 1 SGB X eingeräumte Ermessen in dem vorliegenden Fall auf Null reduziert war. Denn in der vorliegenden Situation war keine andere Entscheidung möglich, als zumindest mit Wirkung für die Zukunft durch die Erbringung von Pflegesachleistungen die tatsächliche Pflege des Klägers sicherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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