L 3 R 88/12

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 9 R 1084/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 88/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Befreiung eines in einer abhängigen Beschäftigung zu einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber stehenden Rechtsanwalts von der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung wegen Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung erfordert die positive Feststellung, dass diejenige Erwerbs-tätigkeit, die wegen ihrer Ausübung in der Form der Beschäftigung Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet, zugleich die Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungs¬einrichtung begründet hat. Diese Feststellung lässt sich bei einem Rechtsanwalt, dessen Zulassung zur Rechtanwaltschaft nicht mit Blick auf die abhängige Beschäftigung erfolgt ist, nicht treffen, weil er für seine abhängige Beschäftigung lediglich das Sozialprestige der Anwaltszulassung nutzt und seinen Arbeitgeber hieran teilhaben lässt (Anschluss an BSG, Urt. vom 03.04.2014 – B 5 R§ 13/14 R), ohne hierfür der Zulassung als Rechtsanwalt zu bedürfen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Juni 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Dem Kläger werden gerichtliche Verschuldenskosten in Höhe von 1.000 EUR auferlegt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung mit Blick auf die Zugehörigkeit zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtung im Streit.

Der 1978 geborene Kläger hat beide juristische Staatsprüfungen abgelegt. Unter dem 20. Januar 2010 schloss er mit der Firma "i. AG" (im Folgenden: i.) in H. einen Arbeitsvertrag über eine Beschäftigung als "Consultant Datenschutz und IT-Compliance in (Betriebsstätte) H." über eine Beschäftigung ab 1. Februar 2010 mit einer regelmäßigen Mindestarbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich. Fünf Überstunden wöchentlich sind bei der Festlegung der Bezüge berücksichtigt und gelten nach dem Vertrag als abgegolten.

Die i. ist ein Unternehmen, das sich auf Datenschutz, Datensicherheit, IT- compliance und IT- governance spezialisiert hat. Diese Leistungen werden anderen Unternehmen angeboten und es werden diesen außerdem auf Verlangen "externe Datenschutzbeauftragte" gestellt. In einer von dem Kläger vorgelegten Stellenanzeige der i. heißt es zum Anforderungsprofil der Consultants für den Bereich Datenschutz:

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In einer Nebentätigkeitsabrede zum Dienstvertrag vom 1. Februar 2010 erteilte der Arbeitgeber unwiderruflich sein Einverständnis, dass der Kläger neben seiner Tätigkeit als Angestellter eine Anwaltspraxis ausüben darf und dass er zu diesem Zweck auch während der Dienststunden zur Wahrnehmung etwaiger Termine und Besprechungen sich jederzeit von seinem Dienstplatz entfernen darf, ohne im Einzelfall eine Erlaubnis hierfür einholen zu müssen, selbst wenn etwaige für den Arbeitgeber wahrzunehmende Termine mit den in der Anwaltspraxis des Arbeitnehmers anstehenden Terminen kollidieren.

Am 20. September 2010 wurde der Kläger zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Seit 27. Oktober 2010 ist der Kläger Mitglied der H1 Rechtsanwaltskammer. Die Nachversicherung für seine Referendarzeit wurde auf Antrag des Klägers zum Versorgungswerk der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der H. durchgeführt.

Am 12. November 2010 beantragte der Kläger unter Hinweis auf die Tätigkeit bei der i. die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Auf dem Antragsvordruck bestätigte der Arbeitgeber dem Kläger, dass dieser im Unternehmen als Rechtsanwalt tätig sei und führte zur Stellen- bzw. Funktionsbeschreibung aus:

Rechtsberatung: Beantwortung von Mitarbeiterfragen zu konkreten Sachverhalten mit Bezug zum IT-Recht (Rechtsfragen zum BDSG, UWG, TMG, TKG, UrhG, BGB etc.) sowie Erstellung umfangreicher Gutachten zu den genannten Rechtsgebieten; Aufzeigen verschiedener Lösungswege aus der unabhängigen Position eines nicht weisungsgebundenen rechtlichen Beraters. Rechtsentscheidung: Vertretung des Unternehmens bei rechtlichen Streitigkeiten gegenüber Aufsichtsbehörden und/oder vor Gericht; weisungsfreie Tätigkeit als externer betrieblicher Datenschutzbeauftragter (Stabstelle). Rechtsgestaltung: Erstellung von Betriebsvereinbarungen und deren Verhandlung mit Betriebsräten; vertragliche Gestaltung von Datenübermittlungen im Konzernverbund; Erstellung von Auftragsdatenverarbeitungsverträgen. Rechtsvermittlung: Schulungsvorträge zum Datenschutzrecht; Fachvorträge (zuletzt bei der DAFTA 2009 für den Wissenschaftspreis 2009); Veröffentlichungen (zuletzt für das Anwaltshandbuch IT-Recht, zweite Auflage, im Ersch.)

Mit Bescheid vom 17. Mai 2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2011). In ihrer Entscheidung hob die Beklagte im Wesentlichen darauf ab, dass der Kläger zwar Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer und des Versorgungswerks der Rechtsanwälte aufgrund seiner Zulassung als Rechtsanwalt sei. Jedoch ergebe sich in seinem Fall aus dem Gesamtbild der Tätigkeit, dass er keine anwaltliche Tätigkeit ausübe. Rechtsanwälte, die bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber beschäftigt seien, übten nur dann eine zur Befreiung von der Rentenversicherungspflicht berechtigende berufsspezifische Tätigkeit aus, wenn diese Tätigkeit die vier Tätigkeitsfelder Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung kumulativ abdecke. Als berufsspezifische Beschäftigungen kämen nur solche Beschäftigungen in Betracht, für die die durch das zweite juristische Staatsexamen erlangte Befähigung zum Richteramt objektiv unabdingbare Eignungsvoraussetzung sei. Dies sei bei einem externen Datenschutzbeauftragten nicht der Fall. Denn diese setze nicht zwingend eine Qualifikation als Volljurist voraus. Auf den Widerspruchsbescheid wird ergänzend Bezug genommen.

Auf die fristgerecht erhobene Klage hat das Sozialgericht durch Urteil vom 28. Juni 2012 den Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger ab 1. November 2010 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) zu befreien. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei in seiner Tätigkeit für die i. in den hierfür erforderlichen Bereichen Rechtsberatung, Rechtsgestaltung, Rechtsentscheidung und Rechtsvermittlung juristisch tätig. Diese Abgrenzungsmerkmale seien keine zusätzlichen ungeschrieben Merkmale des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, sondern Ausdruck und Umschreibung einer anwaltlichen Tätigkeit an sich, ohne die eine Befreiungsmöglichkeit gar nicht in Betracht käme. Der entgegenstehenden Rechtsprechung des Sozialgerichts Düsseldorf (S 52 R 230/09), wonach diese Merkmale keine ausreichende Grundlage hätten und ihre Berücksichtigung deswegen gegen Art. 20 Grundgesetz (GG) verstoße, könne nicht gefolgt werden. Im Übrigen seien sie zwischen der Beklagten und den Versorgungswerken abgestimmt und konkretisierten und beschrieben die Erfordernisse einer anwaltlichen bzw. anwaltsähnlichen, also berufsspezifischen Tätigkeit, welche auch die Tätigkeit von Syndikusanwälten im Sinne von § 46 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) kennzeichnen müsse und die auch bei dem Kläger vorlägen, der nur in sehr geringem Umfang in seiner freiberuflich geführten Rechtsanwaltskanzlei tätig sei, die er an seiner Wohnadresse führe. Auf die Entscheidung, die der Beklagten am 13. Juli 2012 zugestellt worden ist, wird ergänzend Bezug genommen.

Die Beklagte hat am 10. August 2012 Berufung eingelegt, mit welcher sie auf divergierende Entscheidungen des LSG Baden-Württemberg und anhänge Verfahren beim Bundessozialgericht (BSG) verweist, die abgewartet werden sollten.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Juni 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist der Auffassung, dass der inzwischen ergangenen Entscheidung des BSG (Urteil v. 3.4.2014 - B 5 RE 3/14 - Juris) ein anderer Sachverhalt zu Grunde liege und diese deshalb nicht einschlägig sei. Er berate nämlich nicht den eigenen Arbeitgeber, sondern dessen Kunden bzw. Mandanten in der Funktion als externer betrieblicher Datenschutzbeauftragter. Es fänden keine Beratungen im Innenverhältnis statt, sondern gegenüber außenstehenden Dritten. Wie der Rechtsanwalt einer Kanzlei handle auch er als betrieblicher Datenschutzbeauftragter weisungsfrei.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 16. Dezember 2014 aufgeführten Akten und Unterlagen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben.

Eine Beiladung des Arbeitgebers war nicht notwendig. Denn mit der Ablehnung der Befreiung wird nicht unmittelbar in die Rechtssphäre des Arbeitgebers des Klägers eingegriffen, wie dies für eine notwendige Beiladung erforderlich ist. Die Ablehnung einer Befreiungsmöglichkeit zieht nicht unmittelbar die Bejahung einer Versicherungs- und Beitragspflicht nach sich, weil hiergegen noch weitere Einwendungen denkbar sind. Somit ergeht die Entscheidung – anders als bei Streitigkeiten über die Versicherungs- und Beitragspflicht Beschäftigter – auch dem Arbeitgeber gegenüber nicht einheitlich (LSG NRW v. 16.7.2001 – L 3 RA 73/00 – Juris).

Die Berufung ist auch begründet, denn die Beklagte war nicht verpflichtet, den Kläger ab 1. November 2010 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 SGB VI zu befreien.

Als Anspruchsgrundlage für eine Befreiung kommt hier allein § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI in Betracht. Danach werden von der Versicherungspflicht auf Antrag (§ 6 Abs. 4 SGB VI) befreit:

Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat, b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.

Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger in seiner Tätigkeit für die i. nicht, denn er ist nicht "wegen" dieser Beschäftigung aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung (hier: des Versorgungswerks der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte der H.) geworden.

Dass der Kläger für die i. als juristischer Mitarbeiter nichtselbstständige Arbeit in einem Arbeitsverhältnis erbringt, steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit und ergibt sich auch ohne Weiteres aus dem zwischen den Beteiligten geschlossenen Arbeitsvertrag, nach welchem auch in der Praxis verfahren wird. Die Aufnahme dieser Erwerbstätigkeit führte indes nicht zur Versicherungspflicht in der berufsständischen Versorgung. Diese Versicherungspflicht wurde vielmehr erst durch die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft begründet. Dies folgt aus § 3 Abs. 1 des Gesetzes über das Versorgungswerk der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der Freien und Hansestadt Hamburg vom 21. November 2000 (RaVersG, HmbGVBl 349) i.V.m. § 10 der Satzung für das Versorgungswerk der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der H ... Danach sind die Mitglieder der H1 Rechtsanwaltskammer (gleichzeitig) Pflichtmitglieder des Versorgungswerks, soweit sie nach dem Inkrafttreten des RaVersG Mitglied der H1 Rechtsanwaltskammer geworden sind und noch nicht das 45. Lebensjahr vollendet haben. Die Mitgliedschaft in der H1 Rechtsanwaltskammer ist indes für eine rechtsberatende Tätigkeit in einem Unternehmen, das nicht selbst dem Standesrecht der Anwälte unterworfen ist, nicht erforderlich, sie dient vielmehr ausschließlich der Durchführung des Verfahrens nach §§ 6 ff. BRAO mit der Folge der Einrichtung und Unterhaltung einer Kanzlei im Bezirk der H1 Rechtsanwaltskammer. Dass der Kläger den Arbeitsvertrag mit der i. ohne Anwaltszulassung – lediglich als Volljurist – geschlossen und die Tätigkeit dort ohne Anwaltszulassung aufgenommen hat, bestätigt dies ebenso wie die der Aufnahme der Tätigkeit zugrunde liegende Stellenausschreibung. Der Kläger hat den tatsächlichen Umstand der Trennung beider Tätigkeitsbereiche, von der auch schon das Sozialgericht ausgegangen ist, vor dem Senat eingeräumt, indem er darauf verwiesen hat, dass er das – aus standesrechtlichen Gründen erforderliche – Kanzleischild an seiner privaten Wohnungseingangstür angebracht hat und dort auch nur wenige Mandate als Rechtsanwalt betreut.

Die im Rahmen der Beschäftigung für die i. erbrachte Erwerbstätigkeit ist damit für die Mitgliedschaft des Klägers im Versorgungswerk und die hierdurch parallel zur gesetzlichen Rentenversicherung begründete öffentlich-rechtliche Sicherung ohne Bedeutung, so dass es bereits deshalb an der Grundvoraussetzung von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI fehlt und sich eine weitergehende inhaltliche Prüfung erübrigt. Rechtlich ist damit auch unerheblich, ob die in Frage stehende Beschäftigung bei der i. inhaltlich "Elemente" der anwaltlichen Berufstätigkeit aufweist. Auf die vom Sozialgericht in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellte Frage, ob materiell Anwaltstätigkeit ausgeübt wird, kommt es nicht an. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI fordert nach Normwortlaut und Funktion stets zusätzlich, dass die Tätigkeit, die zur Versicherungspflicht bei der berufsständischen Versorgungseinrichtung führt, gleichzeitig in der Form der Beschäftigung ausgeübt wird und Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet. Ist dies – wie vorliegend für eine Tätigkeit als Rechtsanwalt bei einem nicht dem Standesrecht unterworfenen Arbeitgeber – von vornherein ausgeschlossen, sind mögliche Sachbezüge der ausgeübten Erwerbstätigkeit zum Berufsbild des Rechtsanwalts ohne rechtliche Bedeutung. Ihr Vorliegen kann nicht mehr zu einem Lebenssachverhalt führen, der die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI in vollem Umfang erfüllt (vgl. BSG, Urteil vom 03. April 2014 – B 5 RE 13/14 R – Juris Rn. 44; vgl. auch die Parallelentscheidungen B 5 RE 3/14 R und B 5 RE 9/14 R).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI können nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. a.a.O.) auch nicht dadurch umgangen werden, dass ein innerer (sachlicher) Zusammenhang der behaupteten Art "theoriegestützt" begründet wird. Was für den inneren Zusammenhang als solchen gilt, betrifft notwendig auch alle zum Beleg seines Vorliegens benannten Einzelkriterien und "Kriterienformeln", damit auch die sogenannte Vier-Kriterien-Theorie ("rechtsberatend, rechtsvermittelnd, rechtsentscheidend, rechtsgestaltend") und jedes ihrer Elemente. Erst recht fehlt es an jeder Rechtsgrundlage, die "Vier-Kriterien-Theorie" an Stelle des gesetzlichen Tatbestands der Rechtsanwendung zugrunde zu legen und damit die Rechtsfolge des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI mit der vorliegend in Frage stehenden Fallgruppe zu verbinden, für die sie der hierzu einzig berufene Gesetzgeber gerade nicht vorgesehen hat (BSG, a.a.O Rn. 45). Dieser Rechtsprechung folgt der erkennende Senat. Danach ergibt sich, dass die vom Gesetz geforderte positive Feststellung, dass dieselbe Erwerbstätigkeit, die die Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung begründet hat, wegen ihrer Ausübung in der Form der Beschäftigung zugleich Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet, erst recht nicht durch diejenige ersetzt werden kann, dass die in der Form der Beschäftigung ausgeübte Erwerbstätigkeit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht ursprünglich oder nachträglich entgegensteht, d.h. die Freistellung für eine Tätigkeit als Anwalt durch den Arbeitgeber – wie sie auch dem Kläger zuteil geworden ist – vermag sich nicht auf die Versicherungspflicht auszuwirken. Denn die Vereinbarkeit von Anwaltsberuf und daneben ausgeübter Tätigkeit ist zwar notwendig, weil andernfalls eine Zulassung zur Anwaltschaft nicht erfolgen könnte, zur Begründung der für die Anwendung von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI notwendig erforderlichen Doppelrelevanz aber nicht hinreichend (vgl. BSG, a.a.O. Rn. 46).

§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI ist als abschließende Ausnahmeregelung einer weiten, erweiternden oder analogen Anwendung weder bedürftig noch fähig. Der Kläger gehört als abhängig Beschäftigter im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV zum Kernbereich der typisiert Schutzbedürftigen und deshalb grundsätzlich in allen Zweigen der Sozialversicherung (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV) und insbesondere in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 1 S. 1 Nr. 1 Halbs. 1 SGB VI) Zwangsversicherten. Diese einfachgesetzliche Leitentscheidung wird für den Personenkreis, dem der Kläger zugehört, auch nicht unmittelbar spezialgesetzlich modifiziert oder revoziert. Umstände, die – ihrerseits typisierend – trotz Ausübung einer Beschäftigung der Annahme der Schutzbedürftigkeit entgegenstehen und daher Anlass zu einer Tatbestandsreduktion geben könnten, sind gesetzlich nicht umschrieben. Die gesetzlichen Voraussetzungen einer Tatbestandsreduktion, die Anlass gegeben hätten, von vornherein von der Anordnung der Rechtsfolge Versicherungspflicht abzusehen (z.B. § 1 S. 3 SGB VI) oder trotz Eröffnung des Anwendungsbereichs der Beschäftigtenversicherung ausnahmsweise unmittelbar kraft Gesetzes Versicherungsfreiheit anzuordnen (§ 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – Nr. 3 SGB VI), sind erkennbar nicht erfüllt. Die vorliegend allein in Frage stehende Regelung des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI gehört zu einem Kreis von Bestimmungen, die den betroffenen Pflichtversicherten unter den im Gesetz jeweils im Einzelnen umschriebenen Voraussetzungen nach eigenem "Entschließungsermessen" einen Anspruch auf eine konstitutive Befreiung von der Rentenversicherungspflicht durch einen gebundenen Verwaltungsakt des Rentenversicherungsträgers mit grundsätzlich auf die in Frage stehende Beschäftigung begrenzter Wirkung (§ 6 Abs. 5 SGB VI) gewähren, um nachfolgend allein im berufsständischen Versorgungswerk mit günstigeren Bedingungen zu verbleiben. Eine vollständige Entlassung aus der öffentlichen Sozialversicherung ist dagegen nicht möglich.

Nur ausnahmsweise gewinnen daher die von beiden Systemen Erfassten ihre Vorsorgefreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) durch Befreiungsregelungen begrenzt zurück. Bei § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI handelt es sich dem Konzept der abgestuften Schutzbedürftigkeit folgend bereits innerhalb der Beschäftigtenversicherung um eine abschließende Ausnahmeregelung, die einer erweiternden oder entsprechenden Anwendung nicht zugänglich ist. Sein Ausnahmecharakter wird zudem dadurch weiter bestätigt, dass er auch innerhalb seines Anwendungsbereichs ein Befreiungsrecht keineswegs für alle Fälle der Doppelzugehörigkeit vorsieht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht etwa deshalb, weil es sich bei ihm um eine "Kollisionsnorm" handelt, deren Aufgabe darin liegt, zugunsten der berufsständischen Versorgungseinrichtungen die Anwendbarkeit jeweils nur einer (einzigen) Rechtsmasse sicherzustellen.

Kollisionsnormen betreffen die Frage, welches Recht als sogenannte Sachnorm zur Anwendung kommt, wenn der Regelungsgegenstand gleichzeitig von mehreren Rechtsmassen erfasst ist. Sie bestimmen entweder beschränkt auf die Binnensicht nur einer Menge von Rechtssätzen, ob diese Anwendbarkeit beanspruchen, obwohl gleichzeitig andere Normbestände als einschlägig in Betracht kommen (einseitige Kollisionsnorm) oder legen für die Gesamtheit der einschlägigen Rechtsmassen umfassend fest, nach welcher von ihnen sich die rechtliche Beurteilung des Regelungsgegenstandes richtet (mehrseitige Kollisionsnorm). Nur soweit umfassend für alle Fälle des Zusammentreffens einschlägiger Rechtssätze die Anwendbarkeit wenigstens einer der in Frage stehenden Rechtsmassen abschließend abstrakt-generell bestimmt wird, kann ohne Weiteres von einer Kollisionsnorm in diesem Sinne gesprochen werden. Im Blick hierauf handelt es sich bei § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI im umfassenden Sinne um eine Koordinationsregelung und allenfalls in einem sehr beschränkten Sinne um den Sonderfall einer Koordinierung von Systemen durch eine Kollisionsnorm mit Ausschlusswirkung zugunsten der berufsständischen Versorgung. Beides schließt sich nicht aus. Nur wenn nämlich kumulativ alle objektiven Elemente des umfangreichen mehrgliedrigen Tatbestandes erfüllt sind, insbesondere allen Anforderungen an die Art der berufsständischen Versorgungseinrichtungen, an die Gleichartigkeit der Beitragserhebung sowie an die Gleichwertigkeit des Versicherungsschutzes genügt ist, und die hiernach Berechtigten positiv von dem ihnen eingeräumten "Entschließungsermessen" Gebrauch gemacht haben, kommt es (mittelbar) zum Ausschluss der Rentenversicherungspflicht. Das Gesetz beschränkt sich insofern typisierend auf Fallkonstellationen, bei denen insbesondere gleichermaßen das Bestandsinteresse und die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung wie der Gesichtspunkt der Gewährleistung eines ausreichenden Schutzes der Betroffenen durch die berufsständische Versorgungseinrichtung berücksichtigt und gegeneinander abgewogen sind. Handelt es sich demgegenüber um Sachverhalte außerhalb des objektiven Anwendungsbereichs oder betätigt ein Berechtigter sein "Entschließungsermessen" nicht, fehlt es vollständig an einer kollisionsrechtlichen Rechtsfolgenanordnung und belässt es das Gesetz mit der Folge der Doppelversicherung bei der parallelen Anwendbarkeit der jeweils einschlägigen Rechtssätze. Keineswegs besteht damit nach dem zugrunde liegenden Regelungskonzept für jeden Kollisionsfall auch Bedarf nach einer eindeutigen (Nicht-) Anwendungsregelung und damit gegebenenfalls einem weiten Verständnis des gesetzlichen Tatbestands (BSG, a.a.O. Rn. 47 ff. m.w.N.).

Wenn der Kläger meint, die Erwägungen, welche das BSG in der Entscheidung vom 03. April 2014 (a.a.O.) angestellt hat, seien nicht auf ihn und seine Beschäftigung übertragbar, weil er nicht als Syndikusanwalt im Sinne des § 46 BRAO für seinen Beschäftigungsgeber tätig sei, sondern ausschließlich Dritte berate, so übersieht er, dass § 46 BRAO besondere Berufspflichten für alle Anwälte begründet, die in einem ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis zu einem Auftraggeber stehen. Insofern betrifft diese Vorschrift auch den Kläger und trifft auch für ihn die Unterscheidung der Tätigkeit des weisungsfreien, unabhängigen Rechtsanwalts und des Anwalts, der im Rahmen eines ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und Arbeitskraft zur Verfügung stellen muss. Auf die Beantwortung der Frage, ob ihm für die abhängige Beschäftigung Befreiung von der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung zu gewähren ist, bleibt dies ohne Auswirkung. Sie bemisst sich allein nach Wortlaut, Sinn und Zweck von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI. Dieser ergibt aber, dass ein Anwalt für eine abhängige Beschäftigung außerhalb einer erforderlichen Zulassung eine Befreiung nicht erlangen kann. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob der Kläger als externer Datenschutzbeauftragter weisungsfrei nach § 4 f Abs. 3 S. 2 Bundesdatenschutzgesetz Beratungsleistungen nicht für den Arbeitgeber sondern für dessen Kunden erbringt. Selbst wenn das die alleinige und ausschließliche Aufgabe des Klägers für die i. wäre (was nicht der Fall ist), ist er auch in dieser Tätigkeit bereits deshalb nicht Pflichtmitglied des Versorgungswerkes, weil eine solche Tätigkeit keine Zulassung als Rechtsanwalt voraussetzt. Vielmehr nutzt der Kläger hierfür lediglich das "Sozialprestige" seiner Anwaltszulassung und lässt seinen Arbeitgeber hieran teilhaben (vgl. BSG a.a.O. Rn. 57).

Das gefundene Ergebnis verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht. Die einschlägigen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) geklärt. Der Gesetzgeber darf zur Bestimmung der Schutzbedürftigen typisierend an den Sachverhalt der Beschäftigung anknüpfen und in Verbindung hiermit Versicherungszwang anordnen. Hiergegen bestehen nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verletzt die Betroffenen insbesondere nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG und berührt mangels eines unmittelbar berufsregelnden Charakters nicht den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG. Ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG scheidet schon deshalb aus, weil der Gesetzgeber insbesondere mit der Einführung einer grundsätzlichen Versicherungspflicht für Beschäftigte von seinem weiten Gestaltungsspielraum im Spannungsverhältnis zwischen der individuellen Freiheit und den Anforderungen einer sozialstaatlichen Ordnung in verfassungsgemäßer Weise Gebrauch gemacht hat. Insbesondere verletzen die Pflichtmitgliedschaft und die damit einhergehende Pflicht zur Beitragstragung in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich auch bei Höherverdienenden, die anderweitig für ihre Alterssicherung Sorge tragen könnten, nicht Art. 2 Abs. 1 GG. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht die individuelle soziale Schutzbedürftigkeit eines Versicherungspflichtigen, sondern lediglich den Tatbestand der Beschäftigung voraussetzt. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass diejenigen Personen, die ihre Arbeitskraft in den Dienst anderer stellen, im Allgemeinen auf diese Beschäftigung zur Erlangung ihres Lebensunterhalts angewiesen und daher – auch im Hinblick auf die Alterssicherung – sozial schutzbedürftig sind (BSG, a.a.O. Rn. 55 m.w.N.).

Der Kläger kann sich schließlich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte ihre mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht im Einklang stehende bisherige Verwaltungspraxis fortsetzt. Zwar wird die Beklagte entsprechend ihrer Äußerung vor dem Senat abgeschlossene Verfahren mit erteilter Befreiung unter dem Blickwinkel des Vertrauensschutzes nicht wieder aufgreifen. Vielmehr wird sie es in diesen Fällen bei der zu Unrecht erteilten Befreiung belassen. Jedoch gebietet Art. 3 Abs. 1 GG nicht, dass auch noch nicht bestandskräftig abgeschlossene Verfahren weiterhin fehlerhaft behandelt werden.

Erfüllt der Kläger mithin nicht die Voraussetzungen der Vorschrift des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, weil die im Rahmen seiner Beschäftigung für die i. erbrachte Erwerbstätigkeit für die Mitgliedschaft des Klägers im Versorgungswerk und die hierdurch parallel zur gesetzlichen Rentenversicherung begründete öffentlich-rechtliche Sicherung ohne Bedeutung ist, so war das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Senat hat darüber hinaus von der Möglichkeit, Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG aufzuerlegen, im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht. Der Kläger hat den Rechtsstreit fortgeführt, obwohl ihm und seinem Bevollmächtigten von dem Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung die Mißbräuchlichkeit der weiteren Rechtsverfolgung bzw. Verteidigung unter Hinweis auf die aktuelle Rechtsprechung des BSG ausführlich und für beide nachvollziehbar dargelegt worden ist und beide auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden sind. Rechtsverfolgung bzw. Verteidigung sind im Berufungsverfahren missbräuchlich gewesen, weil sie angesichts der eindeutigen Rechtsprechung des BSG und des Wortlauts der in Anspruch genommenen Vorschrift offensichtlich aussichtslos gewesen ist. Dies konnte der Kläger als Volljurist auch unschwer erkennen.

Der Senat hat die Verschuldenskosten auf den pauschalen Betrag von 1.000 Euro festgesetzt, der schätzungsweise durch die Absetzung und Zustellung des Urteils unter Beteiligung des Senats in seiner vollen Besetzung sowie weiterer Mitarbeiter des Gerichts entsteht.
Rechtskraft
Aus
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